Der Jahresrückblick auf ein aufregendes 2018: Was hat die deutsche Spielebranche in der abgelaufenen Saison am meisten bewegt?
[no_toc]Können Sie sich noch vage an die Zeit erinnern, als es in Deutschland zwei Games-Branchen-Verbände gab? Als Computerspiele im Unterschied zu Filmen und TV-Serien keine Hakenkreuze zeigten? Als es noch keine Games-Förderung auf Bundesebene gab? Als „Fortnite“ allenfalls als Geheimtipp galt?
All das ist gerade mal ein paar Monate her. Es sind Belege dafür, in welch turbulenten Zeiten sich die Videospiel-Industrie bewegt – und wie zügig sich eine ganze Branche an neue Spielregeln gewöhnt. Anlass genug für eine Bilanz: Beim Blick ins Archiv haben sich acht Trends herauskristallisiert, deren Auswirkungen zum Teil erst in den kommenden Jahren zu spüren sein werden.
Apropos nächstes Jahr: Im Januar veröffentlichen wir natürlich wieder die Vorhersagen der GamesWirtschaftsWeisen für die Saison 2019 – zusammen mit der Auswertung der 2018-Prognosen führender Branchenkenner.
GamesWirtschaft-Jahresrückblick: Acht Lehren aus 2018
1. Internationale Investoren teilen Deutschlands Spiele-Hersteller unter sich auf
Seit dem Verkauf des Berliner Mobilegames-Studios Wooga an einen israelischen Casino-Games-Produzenten werden sechs der zehn größten deutschen Spiele-Entwickler von ausländischen Unternehmen kontrolliert. Mit Koch Media schlüpfte bereits im Februar der zweitgrößte europäische Publisher (nach Ubisoft) unter das Konzerndach von THQ Nordic.
Kurz vor Weihnachten legte die schwedische Stillfront Group mindestens 20 Millionen Euro für das Hamburger Zehn-Mann-Studio Playa Games auf den Tisch. Ein Jahr zuvor hatten sich die Skandinavier bereits Goodgame Studios einverleibt – Bewertung: 270 Millionen Euro.
Der Winterschlussverkauf in der deutschen Spielebranche wird sich nahtlos fortsetzen: Mindestens drei namhafte „Targets“ kursieren derzeit im M&A-Gewerbe, ein Deal soll bereits kurz vor dem Abschluss stehen.
2. Karten im Messe-Markt werden neu gemischt
Die Gamescom 2019 findet definitiv in Köln statt, soviel ist sicher – aber auch die Gamescom 2020? Und wenn ja, in welcher Form? Fakt ist: Der Messe-Markt ist im Umbruch. Konzerne wie Sony Interactive und Nintendo bedienen zunehmend regionalere Formate und verzichten im Zweifel komplett auf Groß-Events wie die E3.
Mit der MAG Erfurt und der EGX Berlin gab es zwei komplett neue Conventions, die 2019 fortgesetzt werden und um Aussteller-Budgets kämpfen. Damit einher geht das Aus für die Role Play Convention, die in die CCXP 2019 eingemeindet wird. Dass sich selbst einst als alternativlos geltende Messen laufend neu erfinden müssen, zeigt das mahnende Beispiel der CeBIT, die 2018 zum letzten Mal ausgerichtet wurde.
3. Branchenverband Game dehnt Einfluss aus
Kurze Drähte ins Berliner Regierungsviertel und ins Kanzleramt, der zügige Ausbau von Regionalvertretungen – und die Gamescom-Konferenz Devcom wird künftig ebenfalls in Eigenregie durchgeführt: Generalstabsmäßig steckt der Berliner Lobby-Verband Game seine Claims ab – stets mit dem Anspruch, für eine ganze Branche zu sprechen.
Seit der Fusion zwischen BIU und GAME im Januar 2018 ist eine Menge passiert: Über 250 Mitglieder zählt der Verband mittlerweile, vom Ein-Mann-Studio über Hochschulen bis zur Niederlassung asiatischer und angelsächsischer Milliarden-Konzerne. Die Spreizung der Interessen – etwa bei der Standort-Politik – lässt gelegentlich zarte Risse im Verbands-Mauerwerk hervortreten.
4. eSport-Lobby hat sich verzockt – vorerst
Allenfalls Restzweifel gibt es daran, dass das Thema eSport kommerziell weiter an Bedeutung gewinnt – immer mehr Groß-Sponsoren drängen in den Markt.
Die sportpolitische Bilanz des Jahres 2018 gleicht hingegen einem Scherbenhaufen. Insbesondere hat die Schärfe der Auseinandersetzung zugenommen – der junge eSport-Bund Deutschland (ESBD) zeigte sich entsetzt über die „sprachliche Verrohung“. Richtig ist: Schon allein begrifflich ist es nicht gelungen, einen gemeinsamen Nenner mit den Spitzenverbänden des organisierten Sports zu finden. Die eSport-Vertreter wollten sich nicht „auseinanderdividieren“ lassen – gleichzeitig waren die Funktionäre der ‚Gegenseite‘ nicht bereit, eine Blackbox namens „eSport“ durchzuwinken.
Logische Folge: Die Delegierten des Deutschen Olympischen Sportbunds haben nahezu einstimmig beschlossen, dass die wattige Vokabel „eSport“ künftig keine Verwendung findet. Die Videospiel-Aktivitäten in den 90.000 angeschlossenen Vereinen werden sich auf „virtuelle Sportsimulationen“ (DOSB) beziehungsweise Fußballspiele (DFB) beschränken – was, großzügig aufgerundet, ungefähr 1 Prozent des eSport-Markts abdeckt.
Wer die Manövrierfähigkeit solcher Verbands-Supertanker kennt, ahnt: An dieser Beschlusslage wird sich auf Jahre hinaus nichts ändern.
5. Deutscher Games-Arbeitsmarkt weiterhin unter Druck
Ein massiver Stellenabbau wie im Falle von FlareGames (Karlsruhe) oder Travian Games (München) trifft jeden noch so robusten Games-Standort ins Mark. Zwar finden die meisten Programmierer, Grafiker und Spieldesigner einen durchaus aufnahmefähigen Arbeitsmarkt vor, der auch Chancen außerhalb der Spielebranche eröffnet. Zudem sind Hunderte freier Stellen zu besetzen, InnoGames wirbt mittlerweile auf Plakatwänden und in U-Bahnhöfen um dringend benötigte Fachkräfte.
Wahr ist aber auch: In Summe liegen die Beschäftigtenzahlen bei den mittelständischen Spielestudios unter den 2017-Zahlen – bereits im Jahr zuvor hatte die Entlassungswelle bei Goodgame Studios die Statistik nach unten gerissen. Hoffnungen liegen nun auf der Games-Förderung auf Bundesebene, die im besten Fall zu größeren Budgets, höheren Investitionen und somit mehr Jobs führt.
6. Blockbuster dominieren Verkaufs-Charts
Auf „Far Cry 4“ folgt „Far Cry 5“ und demnächst „Far Cry 6“: Publisher wie Ubisoft, Electronic Arts, Activision Blizzard, Take-Two, Nintendo, Sony, Bethesda, Square Enix & Co. setzen aus guten Gründen auf ihre eingeführten Marken.
Konsequenz: Die Bestseller des Jahres 2018 unterscheiden sich nur minimal von jenen von vor fünf Jahren – Assassin’s Creed, Battlefield, Tomb Raider, FIFA, Call of Duty. Zwar wird in Foren, Besprechungen und Kommentaren regelmäßig gegen More-of-the-same-Neuauflagen gewettert – die nackten Zahlen liefern allerdings keine Belege für eine Fortsetzungs-Müdigkeit der Kundschaft.
Im Gegenteil: Tatsächlich haben gleich mehrere Marken neue Unternehmens-Bestmarken aufgestellt, zuletzt „Red Dead Redemption 2“ und der „Landwirtschafts-Simulator 19“.
7. Standorte werben um Games-Entwickler
Es könnte natürlich auch an der hohen Dichte an Currywurst- und Veggie-Döner-Buden liegen, warum sich Ubisoft, Wargaming oder Kolibri Games (einst: Fluffy Fairy Games) für die Ansiedlung in Berlin entschieden haben. Maßgeblicher für diese Standort-Wahl dürfte die Strahlkraft der Hauptstadt mit Blick auf internationale Fachkräfte gewesen sein.
Aber: Zum Business-Plan gehören immer auch die finanziellen Rahmenbedingungen, etwa in Form von staatlichen Subventionen und Fördermitteln. Gleich mehrere Landesregierungen zeigen einen enormen Ehrgeiz: Selbst das kleine Saarland legt ein eigenes Games-Programm auf – NRW will gar zum „Games-Standort Nummer 1“ werden und verdoppelt die Fördertöpfe. Vom föderalen Schaulaufen werden 2019 sowohl kleine als auch große Unternehmen profitieren.
8. Spiele-Branche ist so politisch wie nie
Wer etwas von der Politik will (Geld, Zuneigung, Anerkennung), muss mit der Politik sprechen. Genau das ist 2018 passiert – und die Gamescom-“Elefantenrunde“ feat. AKK (CDU), Klingbeil (SPD), Beer (FDP), Kellner (Grüne) und Schindler (Linke) war hier nur eines von vielen Puzzle-Stücken.
Es ist eben eine Sache, die Notwendigkeit für eine Games-Förderung auf Bundesebene bei Politikern, Fraktionen und Parteien zu platzieren – aber eine ganz andere, lose Man-müsste-mal-Zusagen dann auch unfallfrei in Koalitionsverträgen unterzubringen.
Im Ergebnis können Deutschlands Spiele-Entwickler im kommenden Jahr Fördergelder in Höhe von bis zu 50 Millionen Euro abrufen. Ab wann und zu welchen Bedingungen, all das bleibt zwar abzuwarten, aber unterm Strich ist es zweifellos der größte von gleich mehreren bemerkenswerten Lobby-Erfolgen des Industrieverbands Game.
Langweilig dürfte es 2019 nicht werden – dafür stehen zu viele politische Themen (eSport, Computerspielpreis) auf der Agenda.