Wo eSport draufsteht, ist aus Sicht des DOSB nur selten Sport drin. Deshalb lehnt der Deutsche Olympische Sportbund den Begriff ab und erfindet einen neuen: eGaming.
Der Deutsche Olympische Sport-Bund (DOSB) hat am heutigen 29. Oktober die mit Spannung erwartete Positionierung zum eSport vorgelegt. Eine Arbeitsgruppe hatte sich seit April mit dem strittigen Thema auseinandergesetzt, zu dem es innerhalb der Mitgliedsverbände komplett gegensätzliche Auffassungen gibt. Während etwa der Deutsche Motorsport-Bund DMSB das „SimRacing“ auf Basis von Rennsimulationen proaktiv erschließen will, äußerten sich einzelne Landesverbände und der mächtige Deutsche Fußball-Bund (DFB) eher ablehnend, ebenso wie IOC-Präsident Thomas Bach.
Ergebnis der Sondierungen innerhalb des Verbands: Eine pauschale eSport-Anerkennung ist vom Tisch. Stattdessen unterscheidet der DOSB ab sofort zwischen „virtuellen Sportarten“ (Simulationen von Fußball, Tennis, Basketball, Motorsport etc.) und dem „Rest“, der künftig unter „eGaming“ subsumiert wird. Den Mitgliedsunternehmen empfiehlt der DOSB, eigene Strategien für die Einbindung solcher Simulationen zu entwickeln.
Eigenständige eGaming-Abteilungen in Vereinen sollen nach Vorstellung des DOSB nicht (mehr) entstehen. Vielmehr will der DOSB seinen Einfluss geltend machen, damit keine Spiele in Vereinen angeboten werden, die dem „Wertekanon des DOSB“ nicht entsprechen. Eine Vielzahl der Spiele stünde im „klaren Widerspruch zu den ethischen Werten des Sports“.
Übersetzt: Die Ausübung von „FIFA 19“ oder „PES 2019“ ist für Fußballvereine statthaft – bei „Counter-Strike“, „Call of Duty“ oder „Fortnite“ hört hingegen der Spaß auf. „Wenn überhaupt“ – so heißt es – seien Spiele zulässig, die dem DOSB-Wertekanon entsprechen, der mutmaßlich sehr knapp hinter „League of Legends“ endet.
Eine Änderung der Abgabenordnung, wie sie die eSport-Branche einfordert und auch Teil des Koalitionsvertrages ist, ist aus Sicht des DOSB nicht angebracht. Begründung: eGaming folgt in erster Linie kommerziellen Verwertungsinteressen.
DOSB bekräftigt distanzierte Haltung gegenüber dem eSport-Universum
Aus den DOSB-Erläuterungen lässt sich ablesen, wie schwer sich der Verband damit tut, die enorme Bandbreite der eSport-Disziplinen seriös abzubilden. Aus Sicht des DOSB lässt sich die Frage, was genau als eSport zu verstehen ist und was nicht, schlichtweg nicht klar und eindeutig beantworten. Offen sind aus Sicht des Verbands strittige Aspekte wie die „eigenmotorische Aktivität“, der Wettkampfcharakter, die Gemeinwohlorientierung, das Geschäftsmodell und die ethischen Normen.
„Nach intensiven Überlegungen sprechen wir uns dafür aus, elektronische Sportartensimulationen von eGaming zu unterscheiden“, so DOSB-Vorstandsvorsitzende Veronika Rücker. „In den virtuellen Sportarten sehen wir für unsere Vereine und Verbände Potenzial für eine Weiterentwicklung. eGaming hingegen passt nicht zu dem, was den gemeinwohlorientierten organisierten Sport prägt. Sehr wohl sehen wir für uns die Aufgabe, die Sportvereine mit Qualifizierungen und Konzepten bei dem Umgang mit der modernen Jugend- und Alltagskultur eGaming zu unterstützen.“
DOSB-Präsident Alfons Hörmann pocht erneut unüberhörbar auf die Sportautonomie und will sich von der Politik in dieser Frage nicht reinreden lassen: „Die Frage, ob und inwieweit neue Entwicklungen unter das Dach von Sportdeutschland passen, werden wir aktuell und zukünftig im Sport verantwortungsbewusst und eigenständig klären.“
Als problematisch ist aus Sicht des DOSB insbesondere zu werten, dass die Weltgesundheitsorganisation WHO ein Suchtpotenzial von Videospielen – analog zum Glücksspiel – zumindest für möglich hält. „Damit ist dies nicht ohne weiteres mit den Zielen eines gesunden und bewegten Lebensstils vereinbar, für den der DOSB mit seinen Mitgliedsorganisationen steht“, so die Begründung.
Auch das Gemeinwohl des Sportsytems ist aus Sicht des DOSB nicht vereinbar mit der „Marktorientierung“ des eSports. Insbesondere würde die überwiegende Zahl an Spielen einer „ausschließlich wirtschaftlich begründeten Unternehmenslogik“ folgen – ein Argument, das zumindest nicht völlig von der Hand zu weisen ist. Denn tatsächlich kontrollieren einige wenige Unternehmen den kompletten Markt, inklusive Regelsystemen und Geschäftsmodell.
Zu guter Letzt sieht der DOSB in Computerspielen auch einen Mitbewerber um die knappste Ressource junger Menschen: Zeit.
eSport-Papier des DOSB: Scharfe Kritik von Industrie-Verband Game und ESBD
Keine Anerkennung der Gemeinnützigkeit, Ablehnung des „eSport“, Unterscheidung zwischen „eGaming“ und Simulationen, Unterbindung des eSport in Sportvereinen: Die Reaktionen des Industrieverbands Game und des eSport-Bund Deutschland ESBD fallen erwartbar enttäuscht aus und oszillieren zwischen Unverständnis, Frust und Entsetzen.
„Der DOSB hat eSports leider nicht verstanden, wie nicht zuletzt die konstruierte Unterscheidung zwischen ‚virtuellen Sportsimulationen‘ und ‚eGaming‘ zeigt“, schimpft Game-Geschäftsführer Felix Falk. „Wir sind weiterhin davon überzeugt, dass sich klassischer und digitaler Sport sehr gut ergänzen und sehen große Potenziale gerade für die Jugendarbeit lokaler Sportvereine. Die Bundesregierung sollte die im Koalitionsvertrag vereinbarte Anerkennung der Gemeinnützigkeit von eSports für die Entwicklung des Breitensports zeitnah umsetzen.“ Eine Zustimmung des DOSB sei dafür gar nicht notwendig.
Auch der ESBD macht aus der Verärgerung keinen Hehl: „Monatelang hat sich der DOSB über eSport ausgetauscht und informiert, aber die Positionierung zeigt, dass es weiterhin kaum Verständnis über die eSport-Bewegung gibt“, so ESBD-Präsident Hans Jagnow. „Die wenigen geplanten Maßnahmen binden den organisierten eSport nicht auf Augenhöhe ein. Damit stellt man sich an der DOSB-Spitze deutlich gegen die junge eSport-Bewegung.“
Jagnow kritisiert insbesondere, dass nach der DFB-Wortschöpfung „eSoccer“ mit dem „eGaming“ ein weiterer Begriff in die Debatte eingeführt wird. „Diese Abgrenzungen sind völlig unsachlich und verwirrend, auch für Vereine und Verbände, die schon im eSport aktiv sind. Jetzt auch noch neue Begriffe zu erfinden, schadet dem DOSB nur. Im DOSB positioniert man sich mit diesem Sonderweg komplett an der gesellschaftlichen Realität vorbei. Diesen Versuch der Spaltung wird die Generation eSport nicht mitmachen.“
Martin Müller, im ESBD-Präsidium für den Breitensport zuständig, sieht in der DOSB-Haltung eine vertane Chance für eine Verjüngung und Stärkung der Sportvereine. Seine Botschaft: „Wir werden im Gegensatz dazu unser Engagement zur Entwicklung von eSport verstärken und weiter eng mit den interessierten Vereinen zusammenarbeiten.“
DOSB-Positionspapier: Rückschlag für eSport-Branche
Die DOSB-Haltung ist ein massiver und in dieser Form kaum erwartbarer Rückschlag für die Rolle des eSport in der politischen Debatte. Die Pläne der Bundesregierung waren zuletzt ins Stocken geraten, weil zunächst die Position des DOSB abgewartet werden sollte. „Die ablehnende Haltung des DOSB darf jetzt nicht dazu führen, dass die Vereinbarungen des Koalitionsvertrages begraben werden“, mahnt Hans Jagnow. Ein Bruch der Zusagen wäre fatal und würde das Vertrauen der eSport-Fans in die Politik nachhaltig beschädigen.
Dass der DOSB die Anerkennung gemeinnütziger eSport-Vereine rundherum ablehnt, wurmt Jagnow besonders: „Diesen Versuch der politischen Einflussnahme des DOSB über den sportlichen Bereich hinaus halten wir für absolut unangemessen. Das ist respektlos gegenüber den vielen Menschen, die im eSport jeden Tag ehrenamtlich gesellschaftliche Arbeit leisten.“
Auch wenn der DOSB in allen Dokumenten und Stellungnahmen mehrfach seine Gesprächsbereitschaft betont: Die Fronten sind verhärtet. Eine Annährung des eSport-Betriebs an den Olympischen Sportbund oder gar eine mittelfristige Aufnahme des ESBD in den DOSB sind mit dem heutigen Tag in weite Ferne gerückt.
Die für den 28. November geplante eSport-Anhörung im Sportausschuss des Bundestags findet somit unter denkbar ungünstigen Voraussetzungen statt.
Eine ausführliche GamesWirtschaft-Analyse der DOSB-Entscheidung lesen Sie hier.