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Analyse: Wem gehört der eSport?

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Turniere wie die Intel Extreme Masters im polnischen Katowice werden mit immer größerem Aufwand inszeniert (Foto: ESL / Helena Kristiansson)
Turniere wie die Intel Extreme Masters im polnischen Katowice werden mit immer größerem Aufwand inszeniert (Foto: ESL / Helena Kristiansson)

Wenn Industrie-Verbände, Funktionäre, Vereins-Manager und Politiker von „eSport“ reden, bleibt stets im Unklaren, welche Computer- und Video-Spiele damit eigentlich gemeint sind – und wer in den jeweiligen Disziplinen das Sagen hat. Die Analyse zeigt: Der eSport liegt in Händen einiger weniger Konzerne.

[no_toc]Wem „gehört“ eigentlich ein Sport? Den Athleten, Freizeit-Sportlern und Spielern? Den Verbänden? Den Fans? Dass die Antwort nicht ganz so eindeutig ist, zeigt die Sportart Nummer 1, der Fußball. Trotz anhaltendem Fan-Gegrummel, Match-Boykott, Mannschaftsbus-Blockaden und selbstgemalten Stadion-Transparenten hält sich der demokratische Einfluss der Zielgruppe auf die Entwicklung des Sports in ausgesprochen engen Grenzen – das gilt erst recht für den Profi-Betrieb.

Montagsspiele, 50+1-Regel, Videobeweis, WM-Austragungsorte, zugedrückte Augen bei Lizenzvergaben und Financial-Fairplay-Regeln, immer zerzaustere TV-Rechte – all diese Entscheidungen sind das Ergebnis wenig transparenter Prozesse in noch weniger transparenten Verbänden und Gremien. Mit den Konsequenzen leben müssen letztlich Fans, Spieler und Klubs. In noch stärkerem Maße trifft dies auf komplett durchkommerzialisierte Event-Formate zu, etwa die Formel 1.

GamesWirtschaft-Analyse: Wem gehört der eSport?

Zumindest in diesem Punkt gibt es viele Parallelen zu den eSport-Disziplinen, denn auch hier obliegt die Kontrolle alleine den Rechte-Inhabern – sprich: den Spiele-Herstellern. Wie die GamesWirtschaft-Auswertung zeigt, wird der globale eSport-Markt von gerade einmal drei Anbietern dominiert: Valve, Riot Games und Activision Blizzard.

Wollte man einen Vergleich mit dem traditionellen Sport anstellen, hieße das: Sämtliche Urheber-, Marken-, Lizenz- und Vertriebs-Rechte an Fußball, American Football, Baseball, Formel 1, Basketball, Eishockey, Tennis, Boxen, Golf und Leichtathletik liegen in vollem Umfang in den Händen von nur drei Konzernen.

Im Vergleich zur Spitzengruppe spielen Sport- und Rennspiele wie „FIFA“, „Pro Evolution Soccer“, „NBA 2K“ oder „Gran Turismo“ im eSport eine untergeordnete Rolle. Besonders deutlich werden die Klassenunterschiede, wenn man sich die Zuschauer- und Spieler-Zahlen oder die ausgeschütteten Gewinnprämien ansieht. Allein bei den Top 3 eSport-Spielen („Dota 2“, „League of Legends“ und „Counter-Strike: Global Offensive“) waren die Preisgelder zuletzt höher als auf den Plätzen 4 bis 50 zusammengenommen.

Der wahre Profiteur im eSport heißt allerdings Tencent. Der chinesische Internet-Konzern gilt als umsatzstärkster Spielehersteller und gehört zu den fünf wertvollsten Unternehmen der Welt, knapp hinter Apple, Google, Microsoft und Amazon. Durch Zukäufe von Studios wie Riot Games („League of Legends“) und Supercell („Clash Royale“) plus Beteiligungen an Epic Games („Fortnite“) und Activision Blizzard („Call of Duty“, „HearthStone“) sowie weitreichende Vertriebsrechte verdient Tencent direkt und indirekt an 8 der 10 meistgespielten eSport-Titel.

Wem gehört der eSport? Die Top 10 der wichtigsten Disziplinen - plus das Verfolgerfeld (Stand: März 2018)
Wem gehört der eSport? Die Top 10 der wichtigsten Disziplinen – plus das Verfolgerfeld (Stand: März 2018)

eSport-Branche: Komplette Wertschöpfungskette in einer Hand

Die genannten Unternehmen bestimmen Spielregeln, Spielmodi, Turnier- und Ligen-Formate, Geschäftsmodell, Merchandising-, TV- und Streaming-Rechte, bediente Plattformen (PC? Mobile? Xbox? PlayStation? Switch?) und letztlich die Zulassung und den Ausschluss von Teams und Spielern. Mangels Sportgerichtsbarkeit gibt es keine Möglichkeit, sich gegen eine Disqualifikation oder umstrittene Schiedsrichter-Urteile zu wehren, was einem Quasi-Berufsverbot gleichkommt.

Noch sind Spiele-Entwickler vielfach darauf angewiesen, dass externe Dienstleister die Ausrichtung solcher Turniere in Mehrzweckhallen und Stadien stemmen. Künftig könnte sich das Machtgefüge allerdings drehen: Je populärer eine Disziplin, desto lukrativer die Veranstaltungs- und Übertragungsrechte. Schon jetzt liefern sich Google (Youtube), Amazon (Twitch) und Facebook ein Wettrennen um Live-Streaming-Rechte.

Einen Vorgeschmack auf die künftige Entwicklung geben Profi-Ligen nach dem Vorbild von NFL, NBA oder NHL, wie sie Blizzard mit der jüngst eingerichteten „Overwatch League“ betreibt. Finanzkräftige Unternehmer und Unternehmen können sich in solche Ligen einkaufen, bekommen Gebietsschutz, dürfen eigene Fanartikel anbieten und Sponsoren werben und sind an den Einnahmen der Liga beteiligt. Kurz- und mittelfristig werden weitere Spielehersteller wie Electronic Arts die komplette Wertschöpfungskette abdecken – hauseigene Formate wie die „Virtuelle Bundesliga“ oder der „FIFA eWorld Cup“ sind gelebte Praxis.

Klar ist aber auch: Welche eSport-Disziplinen in zwei oder fünf Jahren noch eine Rolle spielen, lässt sich seriös kaum vorhersagen. Einzelne Titel – etwa „Counter-Strike“ – sind seit beinahe zwei Jahrzehnten auf dem Markt, andere mittlerweile bedeutungslos. Zuweilen entstehen weltweite eSport-Phänomene aus dem Nichts, wie das Beispiel „PlayerUnknown’s Battlegrounds“ (PUBG) zeigt, das erst im März 2017 auf den Markt kam und sich in wenigen Monaten zu einem der meistgespielten Computerspiele entwickelt hat.

Ebenso wie „Call of Duty“, „Rainbow Six Siege“ oder „Gears of War 4“ ist PUBG erst ab 18  Jahren freigegeben, „Overwatch“ und „Counter-Strike“ tragen das USK-16-Siegel.

Bei der Ausrichtung der "Virtuellen Bundesliga" arbeitet "FIFA"-Hersteller Electronic Arts mit der DFL und Sponsoren zusammen (Foto: VBL / Felix Gemein)
Bei der Ausrichtung der „Virtuellen Bundesliga“ arbeitet „FIFA“-Hersteller Electronic Arts mit der DFL und Sponsoren zusammen (Foto: VBL / Felix Gemein)

Wer profitiert von einer politischen Anerkennung des eSport?

Laut Koalitionsvertrag wollen Union und SPD den „eSport künftig vollständig als eigene Sportart mit Vereins- und Verbandsrecht anerkennen und bei der Schaffung einer olympischen Perspektive unterstützen“. Das Vorhaben stößt bei Sportverbänden und Funktionären wie DFB-Präsident Reinhard Grindel auf scharfe Kritik, wenn auch aus durchschaubaren Gründen. Es gehe nicht an, dass die Politik der Unterhaltungsindustrie Steuervorteile verschaffe.

Gleichzeitig will die BILD-Zeitung erfahren haben, dass der Deutsche Fußballbund seinerseits Gefahr läuft, den Status der Gemeinnützigkeit zu verlieren. Und zwar dann, wenn die laufende Steuerprüfung zum Ergebnis kommt, dass die Nationalmannschaft vorwiegend aus kommerziellen Gründen betrieben wird – was eine Ausgliederung analog zu den Bundesligisten nach sich zöge. Im Raum steht zudem eine Steuernachzahlung in zweistelliger Millionenhöhe.

Um zusätzliche Steuererleichterungen für Videospiele-Hersteller muss sich Grindel jedenfalls nicht sorgen. Denn die Einnahmen aus Online-Abogebühren oder aus dem Verkauf von virtuellen Gütern werden schon jetzt überwiegend über die jeweiligen Zentralen im Ausland abgerechnet. Oder über Töchter im landschaftlich besonders reizvollen Luxemburg oder Zypern. In den Bilanzen der deutschen Niederlassungen tauchen diese Umsätze daher meist erst gar nicht auf.

Von einer politischen eSport-Würdigung würden Games-Unternehmen natürlich trotzdem profitieren – beispielsweise dadurch, dass beschleunigte Visa-Verfahren die Ausrichtung von Turnieren erleichtern. Doch noch hat die Bundesregierung nicht verraten, wessen Sportarten sie konkret anerkennen und damit fördern will: Jene von Valve? Activision Blizzard? Oder doch Tencent?