
Förderung, E-Sport, Jugendschutz: Diese Politiker und Politikerinnen beeinflussen Gegenwart und Zukunft der deutschen Games-Industrie.
Update vom 6. August 2020: Linken-Politikerin Petra Sitte wurde zusätzlich in die Liste aufgenommen.
Ein Wirtschaftszweig, der jährlich über 6 Milliarden Euro in Deutschland umsetzt und eine der größten Publikumsmessen im Land veranstaltet, taucht fast automatisch auf dem Radar der Politik auf. Doch bis eine Branche letztendlich in Koalitionsverträgen, Haushaltsplänen, Gesetzen und im Terminplan der Kanzlerin Berücksichtigung findet, bedarf es vieler Jahre intensiven Klinkenputzens und Steineklopfens.
Bisher größter Lobby-Erfolg: Merkels Auftritt auf der Gamescom 2017 – und daraus folgend die Games-Förderung des Bundes, der sich vorgenommen hat, bis 2023 immerhin 250 Millionen Euro in den deutschen Spielemarkt zu pumpen.
Damit die Branche auch weiterhin ihre Anliegen unterbringt, sind möglichst gut geölte Drähte zu Parteispitzen, Ausschuss-Mitgliedern, Fraktionen, Ministerien und Abgeordneten unerlässlich – der Industrieverband Game unterhält dazu eine eigene Abteilung für „politische Kommunikation“.
Doch welche Politiker sind für Deutschlands Spiele-Entwickler eigentlich zuständig und somit buchstäblich entscheidend? Das zeigt die aktuelle GamesWirtschaft-Übersicht der wichtigsten Games-Politiker im Land.
„Wichtig“ heißt in diesem Fall: Die Person hat qua Amt oder Mandat sehr konkreten Einfluss auf die derzeitige oder künftige Entwicklung der Games-Industrie in Deutschland – oder hätte diesen Einfluss zumindest. Was im Einzelfall nicht zwangsläufig bedeuten muss, dass dieser Einfluss ganz im Sinne von Unternehmen oder Verbänden ausgeübt wird. Denn zuweilen vertreten Politiker und Parteien auch Positionen, die den Interessen der Branche zuwider laufen.
Neben den genannten Politikern gibt es natürlich noch eine ganze Reihe weiterer Abgeordneter, die sich auf kommunaler, Bundes- oder Landesebene mit dem Thema Digitalisierung und Computerspiele auseinandersetzen. Unterjährig unterschätzt, aber von enormer Wichtigkeit sind zudem Haushaltspolitiker wie Rüdiger Kruse (CDU), Sven-Christian Kindler (Grüne) oder Otto Fricke (FDP), die immer dann ins Spiel kommen, wenn es bei den entscheidenden Verhandlungsrunden um die Verteilung von Steuergeld geht.
Die wichtigsten deutschen Games-Politiker 2020
In alphabetischer Reihenfolge:
Dorothee Bär (CSU)
Die Rolle der Bundesbeauftragten für Digitalisierung im Rang einer Staatsministerin wurde ihr förmlich maßgeschneidert: Spätestens seit dem leidenschaftlichen Werben für die Flugtaxi-Innung anlässlich ihres Amts-Antritts und durch verwegene Computerspielpreis-Auftritte gilt Bär als deutschlandweit bekannteste CSU-Politikerin.
Lange vor dem Bezug ihres Büros im Kanzleramt hat sie als Bundestagsabgeordnete regelmäßig zwischen Branche und Politik vermittelt und die Videospiel-Industrie tapfer (und nicht ohne Karriere-Risiko) gegen interne wie externe Kritik verteidigt. Als sich die CDU/CSU-Fraktion anno 2012 geschlossen vom Computerspielpreis für „Crysis 2“ distanzierte und den Jury-Umbau forderte, weil das Action-Spiel angeblich gegen Artikel 1 des Grundgesetzes verstößt, pries Bär den Shooter öffentlich als „technisch wegweisend und preiswürdig“. Ein Jahr zuvor hatte sie als Co-Organisatorin der ersten „Bundestags-LAN-Party“ durchgesetzt, dass „Counter-Strike“ unter der Reichstagskuppel praktiziert wird.
Sollte ihr Parteichef tatsächlich ins Kanzler-Rennen einsteigen, wäre seine langjährige fränkische Weggefährtin mutmaßlich gesetzt – etwa an der Spitze eines dann kaum noch zu verhindernden Digitalministeriums.

Saskia Esken (SPD)
Schon vor ihrer Wahl zur SPD-Co-Parteivorsitzenden galt die gelernte Informatikerin als Sympathisantin der Branche. Esken referiert und twittert viel und oft zu Digitalthemen – und scheut sich auch nicht vor provokanten Thesen und Anregungen. Von einem separaten Digitalministerium hält sie wenig bis nichts.
Die SPD-Politikerin ist stellvertretende digitalpolitische Sprecherin ihrer Bundestagsfraktion, hat den Parlamentskreis eSports & Gaming mitbegründet und pflegt nach wie vor gute Beziehungen zum Industrieverband Game. Ein ausführliches Portrait lesen Sie hier.

Judith Gerlach (CSU)
Jung, forsch, fleißig: Bemerkenswert flink hat sich Deutschlands erste Digitalministerin in das ihr zuvor fremde Fachgebiet eingearbeitet und aus dem Nichts ein neues Ministerium mit 100 Mitarbeitern in München aufgebaut. Auf Geheiß ihres Chefs – Bayerns Ministerpräsident Markus Söder – soll Gerlach ein relevantes E-Sport-Event in den Freistaat holen.
Für die Förderung der bayerischen Games-Branche stehen ihr jährlich über 2 Millionen Euro zur Verfügung, bundesweit einer der üppigsten Töpfe. Als eine von Wenigen aus dem Unions-Lager hat sich Gerlach mit offenem Visier für die zeitweise akut gefährdete Bundesförderung eingesetzt.

Franziska Giffey (SPD)
Die gleichermaßen selbstbewusste wie ambitionierte Familienministerin mit Berliner Schnauze verantwortet die XXL-Reform des Jugendschutz-Gesetzes, das den Zugang zu Computerspielen, Apps, Streaming-Diensten, YouTube-Videos und Websites neu regelt und reguliert.
Für die Branche geht es also ums Eingemachte, sprich: Umsatz. Denn Kinder und Jugendliche sollen unter anderem vor ‚Kostenfallen‘ in Smartphone-Spielen geschützt werden – gleichzeitig soll die Bonner BPjM zur „Bundeszentrale für Kinder- und Jugendmedienschutz“ ausgebaut werden.
Giffeys Gesetzentwurf ist mindestens umstritten: Der Branchenverband Game feuert seit Monaten aus allen Rohren gegen das Manuskript – noch vor Jahresende will die Ministerin das Gesetz in den Bundestag einbringen.

Manuel Höferlin (FDP)
Opposition heißt: den Regierenden Dampf machen. Genau das tut Manuel Höferlin – egal ob beim Thema Games-Förderung, beim E-Sport oder als Mitgründer der Parlamentsgruppe ‚eSports & Gaming‘.
Derzeit ist Höferlin Vorsitzender des Bundestags-Ausschuss Digitale Agenda und Mitglied des FDP-Vorstands. Schon 2011, also vor fast zehn Jahren, hat er mit Dorothee Bär und seinem mittlerweile verstorbenen FDP-Kollegen Jimmy Schulz eine „Politiker-LAN“ im Bundestag veranstaltet.

Thomas Jarzombek (CDU)
Der Düsseldorfer CDU-Chef und Bundestagsabgeordnete ist Startup-Beauftragter von Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) sowie Luft- und Raumfahrt-Koordinator der Bundesregierung. Abseits dieses strammen Programms pflegt Jarzombek weiterhin enge Bande zur Games-Branche und ist regelmäßiger Teilnehmer von Verbands-Veranstaltungen, ohne dabei Fehlentwicklungen zu ignorieren: Die umstrittenen Lootboxen bezeichnete er als „1A Glücksspielmechaniken“.
Der Digitalpolitiker ist außerdem Mitgründer des Parlamentskreises eSports & Gaming, Sprecher des Unions-nahen Digital-Think-Tanks C-Netz und gehörte einige Jahre der Computerspielpreis-Jury an.

Lars Klingbeil (SPD)
Dass in SPD-Parteiprogrammen und in Koalitionsverträgen das Thema Games nicht zu kurz kommt, dafür sorgt auch er: Klingbeil ist seit 2005 Mitglied des Deutschen Bundestags und seit 2017 Generalsekretär der Sozialdemokraten. Der 42jährige gehört fast schon zum Inventar von Verbands-Events, egal ob Sommerfest, Computerspielpreis oder Gamescom.
In der YouTuber-Szene gilt Klingbeil spätestens seit Rundfunklizenz- und Artikel-13-Debatten als bestens vernetzt – den „PietSmiet“-Gründer Peter Smits nennt er seinen „Kumpel“: Beide kennen sich unter anderem von gemeinsamen Gamescom-Auftritten.

Armin Laschet (CDU)
Die routinierte Eröffnung der Kölner Gamescom zählt zu den Aufgaben des NRW-Ministerpräsidenten, der demnächst im ersten Schritt CDU-Chef und nachgelagert Kanzler der Bundesrepublik Deutschland werden möchte.
Bis es soweit ist, arbeitet Laschet an seiner Vision, sein Bundesland zum „Games-Standort Nummer 1“ zu machen – und stellt dafür vergleichsweise üppige Fördergelder zur Verfügung . Als einziger Regierungs-Chef sucht er proaktiv das Gespräch mit der regionalen Branche und lädt einmal pro Jahr zum „Games-Gipfel“.

Nathanael Liminski (CDU)
Er ist Laschets Stellvertreter auf Erden: Staatskanzlei-Chef Nathanael Liminski trifft man auf der Gamescom genauso wie bei der Eröffnung des Kölner ESL-Hauptquartiers oder bei der Verleihung des Deutschen Entwicklerpreises. Falls Nordrhein-Westfalen den Zuschlag für die Olympischen Sommerspiele 2032 erhalten, sollte aus Sicht von Liminiski auch der E-Sport eine wesentliche Rolle spielen.

Tabea Rößner (Bündnis 90 / Die Grünen)

Games spielen in der Programmatik der Grünen traditionell eine untergeordnete Rolle – wenn, dann taucht das Thema im Kontext von Regulierung auf, wie zuletzt beim Vorstoß der bayerischen Grünen. Grundrechte, Urheberrecht und Netzpolitik stehen bei Digitalpolitikern wie Konstantin von Notz oder Malte Spitz ungleich höher auf der Tagesordnung.
Zumindest vereinzelte Positionen zum Thema Games kommen von der Mainzer Bundestagsabgeordneten Tabea Rößner, die namens ihrer Partei erhebliche Zweifel an der fachlichen Eignung des Verkehrsministeriums für die Umsetzung der Games-Förderung anmeldete. Rößner ist Mit-Initiatorin des Parlamentskreises „eSports & Gaming“.
Andreas Scheuer (CSU)
Er gilt als der Unzurücktrittbare: Trotz Maut-Debakel und chronisch desaströsen Umfragewerten hält sich Andreas „Andi“ Scheuer fest im Sattel. Zur Ehrenrettung des Bundesverkehrsministers sei zumindest erwähnt, dass sein Ressort nicht zwingend der Vergnügungssteuer unterliegt. Egal ob überhöhte Stickoxid-Grenzwerte, Diesel-Betrug, beschämende Mobilfunk-, Breitband- oder Lade-Infrastruktur, StVO-Chaos oder umgekehrte ICE-Wagenreihung – im Zweifel liegt’s an Scheuer.
Das betrifft auch die Computerspiele-Förderung, die nach eigenem Bekunden „ganz oben“ auf seiner an Prioritäten nicht armen Prioritätenliste steht. Diese Aussage ist noch nicht mal ein Jahr alt, war aber damals schon grober Unfug.
Tatsächlich bedurfte es erheblichen innerparteilichen und oppositionellen Drucks, um Scheuers Versäumnisse im letzten Moment zu korrigieren. Jetzt steht der Minister vor der erkennbar heraus-, manche sagen: überfordernden Aufgabe, bis Ende 2020 budgetierte 100 Millionen Euro an Games-Subventionen loszuwerden – bislang gestaltet sich der Prozess äußerst zäh. Nächster Halt: Gamescom 2020.

Horst Seehofer (CSU)
Integration und Migration, Verfassungsschutz, Spionage-Abwehr, Extremismus von links und rechts, Öffentlicher Dienst, Zivil- und Katastrophenschutz, Wohnungsbaupolitik, Sport – über zu wenig Verantwortung wird sich Horst Seehofer im Spätherbst seiner Karriere kaum beschweren können.
Formal ist der 71jährige auch Deutschlands E-Sport-Minister, doch im Lichte weit gewaltigerer Aufgaben fällt das lästige Nischen-Thema zwangsläufig unter den Tisch. Sehr viel mehr als die Anerkennung der Gemeinnützigkeit von E-Sport-Vereinen bei der Ausübung von „FIFA“ und „NBA 2K“ ist bis Ende der Legislatur im Herbst 2021 nicht zu erwarten.
Zuletzt fiel Seehofer unangenehm im Zusammenhang mit Computerspielen auf, als er nach dem antisemitischen Anschlag von Halle anlassfrei die Überwachung der „Gamerszene“ anregte – eine Idee, die ihm nach innerparteilich scharfer Kritik zum Rückrudern veranlasste (ausführliche Analyse).

Petra Sitte (Die Linke)
Wer in Wahlprogrammen, auf Websites und Social-Media-Profilen von Partei, Fraktion oder Abgeordneten fahndet, stößt bei den Linken eher selten auf games-relevante Meldungen und Positionen, die jünger sind als fünf Jahre.
Zumindest mit Blick auf den E-Sport fällt die Hallenser Bundestagsabgeordnete Petra Sitte auf – nicht nur, weil sie den Parlamentskreis „eSports und Gaming“ mit ins Leben gerufen hat.
Sitte ist stellvertretende Vorsitzende ihrer Bundestagsfraktion, Mitglied im Ausschuss Digitale Agenda und hat auch an E-Sport-Anhörungen im Sportausschuss teilgenommen.
Markus Söder (CSU)
Die Dementi werden schwächer – und auch die Zweifel, dass Söder nicht längst insgeheim darüber grübelt, wie die Auslegeware in Merkels verwohntem Büro umgestaltet werden könnte. Selbst wenn die Springer-Presse mit ihrem Plan scheitern sollte, den CSU-Chef ins Kanzleramt zu schreiben: Söder kann und wird auch von München aus die Bundespolitik prägen.
Eines seiner Kernthemen bleibt die Digitalisierung: Der Freistaat Bayern investiert Milliarden in Hightech-Infrastruktur und Forschung. Auch wenn Söders Games-Affinität zuweilen bemüht wirkt, so formuliert er zumindest ehrgeizige Ziele. Das bayerische Kabinett hat sich im Oktober 2019 vorgenommen, dass „in Deutschland auch mit Blockbustern der Filmbranche vergleichbare, mit großem Budget hinterlegte Triple-A-Spiele entwickelt werden.“
Wer es gut mit Söder meint, wird in dieser Frage eine Weiterentwicklung erkennen: Noch Anfang der 2000er Jahre nannte er es als medienpolitischer CSU-Sprecher – so wörtlich – „bedauerlich“, dass es der Union nicht gelungen sei, „Counter-Strike“ auf den Index der Bundesprüfstelle setzen zu lassen.
