Start Politik Großbaustelle Computerspiele-Förderung: Digitales Däumchendrehen

Großbaustelle Computerspiele-Förderung: Digitales Däumchendrehen

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Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) koordiniert die Einführung einer bundesweiten Games-Förderung (Foto: CSU / Valentin Brandes)
Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) koordiniert die Einführung einer bundesweiten Games-Förderung (Foto: CSU / Valentin Brandes)

Hunderte Anträge auf Computerspiele-Förderung hängen im Niemandsland – für einige Games-Studios wird die Situation zunehmend existenzbedrohend.

Angenommen, Sie wollen ein Haus bauen. Der Bauplan steht, der Betonmischer könnte jederzeit anrollen, Maurer, Dachdecker, Fliesenleger sind auf Standby. Was fehlt, ist das Go der Bank, die 50 Prozent der Kosten übernimmt. Der Knackpunkt: Ohne grünes Licht dürfen Sie keinen einzigen Spatenstich vornehmen. Mit jeder Woche, die verstreicht, türmen sich weitere Kosten auf. Gleichzeitig sitzt Ihnen die Zeit im Nacken: Bis spätestens November 2020 muss die Bude stehen.

Jetzt haben Sie eine ungefähre Vorstellung von der Situation, in der sich Hunderte deutscher Spiele-Entwickler befinden. Sie alle würden gerne mit der Programmierung ihres Spiels loslegen – dürfen aber nicht. Tun sie es doch, gefährden sie bis zu 200.000 Euro. Das ist der Maximalbetrag, den das Verkehrsministerium im Rahmen der ersten Stufe der Computerspiele-Förderung des Bundes pro Projekt überweist.

Games-Förderung: Der Status Quo

Zwischen Juni und August 2019 konnten sich Deutschlands Spiele-Entwickler um die ausgelobten 50 Millionen Euro bewerben. Rund 380 Projekte wurden eingereicht. Seit September wurden 21 Bescheide mit einem Volumen von knapp 2,7 Mio. Euro bewilligt – das entspricht rund 5 Prozent. Würde dieses Tempo beibehalten, wäre der Stapel in frühestens sechs Jahren abgearbeitet.

Das sagen die Studios

Was bedeutet der Berarbeitungs-Stau für Deutschlands Spiele-Entwickler? Auf den Aufruf von GamesWirtschaft haben sich mehr als 20 Studios gemeldet – die meisten haben ihre Anträge bereits in den ersten Stunden und Tagen gestellt, also im Juni 2019. Alle warten weiterhin auf einen positiven Bescheid, also seit über einem halben Jahr.

Besonderen Unmut rufen Detail-Nachfragen hervor, die zu einer Art E-Mail-Ping-Pong führen – mit oft mehrtägigen, teils mehrwöchigen Pausen. Beispiel: Sollte ursprünglich nur eine grobe Projektplanung erfolgen, so würden mittlerweile sogar stundengenaue Planungen pro Mitarbeiter abgefragt. Jede Fremdleistung – etwa Freelancer-Stunden – müssten einzeln aufgeschlüsselt und beschrieben werden. Außerdem sind Vergleichsangebote beizubringen, um zu dokumentieren, dass man die Leistung nicht zu teuer einkauft. Die Ausarbeitung solcher Infos nimmt wiederum weitere Stunden in Anspruch – nicht jedes Studio kann (sich) das leisten.

Der Tenor ist eindeutig: Im Ministerium fehle es schlichtweg an Fachwissen über die Games-Branche – Abläufe, Technologien, Strukturen. Mehrere Studios mussten beispielsweise erklären, warum ausgerechnet die weitverbreitete Unity-Engine zum Einsatz kommt, eines der Standard-Tools in der Games-Entwicklung.

Als Bremsklotz habe sich auch das wenig flexible Antragssystem erwiesen, das keinen Upload von Unterlagen vorsieht, sondern Texteingaben erfordert. Schlimmer: Durch die vorgegebenen Zeichen-Limits hätten Texte umgeschrieben werden müssen.

Die lange Bearbeitungszeit hat konkrete, teils fatale Folgen: Kandidaten-Suche und Vollzeit-Einstellungen werden nach hinten verschoben – vorhandenes Personal muss auf andere Projekte verteilt werden. Die Fertigstellung der Spiele verzögert sich dadurch um Monate. Oder wie es ein Gründer im GamesWirtschaft-Interview formuliert: „Diese Art von ‚Förderung‘ ist geeignet, die Spielebranche in Deutschland kaputt zu machen. Man ‚parkt‘ ja quasi die Spieleentwickler mit dem Versprechen auf eine Förderung – und lässt sie dann am ausgestreckten Arm verhungern.“

Gerade für etablierte Unternehmen sei die Förderung „ein echtes Selbstmordkommando“ – schließlich würden Betriebskosten, Gehälter und Miete auflaufen. „Jede Woche, die vergeht, verbrennen wir Geld. Selbst wenn wir jetzt die Förderzusage bekommen würden, hätten wir bereits draufgezahlt.“ Auf dieser Basis lasse sich kein Spiel seriös budgetieren und planen. Das betrifft insbesondere Startups und Newcomer: Viele Studios wurden eigens als UG oder GbR gegründet, um Zuschüsse in Anspruch nehmen zu können.

Das sagt der Verband

Felix Falk, Geschäftsführer Game e. V.
Felix Falk, Geschäftsführer Game e. V.

„Die Situation ist für alle Spiele-Entwicklerinnen und -Entwickler schwierig, denn wer nach mehreren Monaten noch nicht weiß, ob sein Projekt gefördert wird und wann man starten kann, hängt förmlich in der Luft“, sagt Verbands-Geschäftsführer Felix Falk auf GamesWirtschaft-Anfrage. Es sei nachvollziehbar, dass ein komplett neues Förderprogramm eine gewisse Zeit benötigt, bis alles rund läuft. „Mittlerweile sollte diese Phase aber abgeschlossen sein und der große Stapel an Anträgen – der ein ermutigendes und starkes Signal für den Games-Standort Deutschland ist – schnellstmöglich abgebaut werden.“

Viele Projekte würden von kleinen Teams oder Einzelpersonen umgesetzt, die nur wenige Ressourcen haben. Diese bräuchten genauso schnell eine Rückmeldung zu ihrem Antrag wie die größeren Studios, bei denen monatlich umso mehr Kosten auflaufen. „Die Ungewissheit und Verzögerung sind für niemanden gut“, so Falk.

Der Game-Verband steht in permanentem Kontakt mit dem Ministerium – dort sei man sich der Herausforderungen für die Antragsteller bewusst. „Wir haben als Verband mehrere konkrete Vorschläge gemacht. Das Verfahren würde zum Beispiel beschleunigt werden, wenn die Überprüfung der Anträge gestrafft wird, etwa durch weniger Detail-Abfragen zu einzelnen, spezifischen Spiele-Inhalten, die eigentlich nichts über die Förderwürdigkeit des Projekts aussagen.“

Eine weitere Möglichkeit: die Erlaubnis, dass mit der Entwicklung bereits vorzeitig begonnen werden darf – auf eigenes Risiko. Dieses Prozedere ist in anderen Branchen – etwa bei geförderten TV- und Kino-Produktionen – durchaus üblich.

Was kann der Verband noch beitragen, um die Vorgänge zu beschleunigen? „Neben konkreten Vorschlägen versuchen wir auch, ein besseres Verständnis auf beiden Seiten zu schaffen, denn die Arbeitsweisen unterscheiden sich zwischen den Studios und dem Ministerium oder einem Projektträger wie dem DLR schon stark.“ Das Feedback der Studios werde gebündelt dem Ministerium vorgetragen.

Das sagt das Verkehrsministerium

Ladesäulen, Bahn, Breitband, Maut, ÖPNV: Im Lichte der (buchstäblich) vielen Baustellen nimmt die Computerspiele-Förderung naturgemäß nur eine Nebenrolle ein. Die personellen Kapazitäten reichen selbst bei bestem Willen bei weitem nicht aus, um der Nachfrage Herr zu werden.

Seit Oktober wird das BMVI deshalb vom Deutschen Luft- und Raumfahrtzentrum (DLR) bei der formalen Abwicklung unterstützt. In den kommenden Wochen sollen noch weitere Optionen ausgelotet werden, um das Verfahren zu beschleunigen und die Anträge „schnellstmöglich“ zu bewältigen.

Die Behörde von Andreas Scheuer zeigt Verständnis für die Erwartungen der Einreichenden, verweist aber gleichzeitig darauf, dass von Anfang an eine „voraussichtliche Bearbeitungszeit von drei bis sechs Monaten“ angegeben wurde. Indes: Diese Frist wäre Ende Februar ausgereizt – spätestens.

Immerhin: Weil der Bundestag entschieden hat, dass die Games-Förderung von 2020 bis 2023 durchfinanziert wird, wird die bisherige Laufzeitbeschränkung aufgehoben. Damit können Projekte auch über den 30. November 2020 hinaus gefördert werden.

Epilog

Das BMVI finanziert üblicherweise millionen-, oft milliardenschwere Infrastrukturmaßnahmen – Autobahnbrücken, ICE-Strecken, Radwege. Die Entwicklung eines Videospiels folgt naturgemäß anderen Regeln und Abläufen. Von außen wirkt es so, als habe Scheuers Ministerium in den vergangenen Monaten allmählich überrissen, welchen Berg an Aufgaben man sich da aufgehalst hat – zumal die „richtige“ Förderung noch gar nicht angelaufen ist.

Denn auch die sogenannte Notifizierung dieser Großprojekt-Förderung dauert bereits viel länger als erhofft: Ohne Einverständnis der EU-Kommission kann kein Projektaufruf erfolgen – und solange bleiben die 50 Millionen Euro des Jahres 2020 unangetastet. Die Abstimmungen und Verhandlungen mit Brüssel laufen bereits seit Frühjahr 2019, also seit fast einem Jahr. Im Ministerium hofft man weiterhin auf eine positive Entscheidung „in den kommenden Wochen“.

Dass die Förder-Anträge sorgfältig geprüft werden, ist richtig und naheliegend – immerhin handelt es sich beim Scheuer-Geld um Steuer-Geld. Doch ohne eine massive Ausweitung der Prüf-Kapazitäten, vereinfachte Antragsverfahren und pragmatische Übergangslösungen (Beispiel: vorzeitiger Entwicklungs-Beginn) wird es nicht gehen.

Diese Aufgaben müssen gelöst sein, bevor die Games-Förderung in die alles entscheidende Phase geht. Am Geld liegt es ausnahmsweise nicht.


Lesen Sie dazu auch das komplette Interview mit einem Antragsteller („Deutsche Games-Förderung: Für uns ist das eine echte Katastrophe“)