Die Lage in der deutschen Games-Industrie hat auch damit zu tun, dass sie ihre Unabhängigkeit versilbert hat – zugunsten größerer Wetten.
Verehrter GamesWirtschaft-Leser,
verehrte GamesWirtschaft-Leserin,
in den 80ern und 90ern gab es beim ZDF die schöne Tradition der ‚Weihnachts-Serie‘ – ein Mehrteiler, der (Sie ahnen es) immer an den Feiertagen lief. Die Einschaltquoten: astronomisch. Die Hauptdarsteller von Silas, Patrik Pacard oder Anna wurden zu Helden ihrer Generation, inklusive Bravo-Starschnitt.
Den Anfang machte 1979 die Serie Timm Thaler, basierend auf dem gleichnamigen Roman von James Krüss. Der 13jährige Timm – gespielt von Thomas ‚Tommi‘ Ohrner – will seiner finanziell angeschlagenen Familie helfen, indem er einen Pakt mit dem gleichermaßen humorlosen wie stinkreichen Baron de Lefuet schließt und sein entwaffnendes Lachen gegen die Fähigkeit tauscht, jede Wette gewinnen zu können.
In der vergangenen Woche wurde diese Kindheitserinnerung wieder getriggert, als ein Industrieller im Computerspielpreis-Umfeld eher beiläufig feststellte, Deutschlands Branche habe „ihr Lachen verkauft“.
Gemeint ist der Umstand, dass Unternehmer ihr Business für ein-, zwei-, drei-, vierstellige Millionen-Beträge (auch) in der Erwartung abgegeben haben, in der Folge mehr und größere Wetten eingehen zu können – oder zumindest die Wahrscheinlichkeiten zu erhöhen. Was sich insofern erfüllt hat, weil die Projekte und Budgets seitdem an vielen Stellen erkennbar gestiegen sind. Nach außen sichtbar wird der größere Spielraum durch rauschende Betriebsfeiern und die teils feudale Ausstattung der Räumlichkeiten in Premium-Lagen.
Doch vielen Menschen in der Branche war zuletzt nicht wirklich zum Lachen zumute. All die ‚Umstrukturierungen‘, die Entlassungen, die Projekt-Stopps, die Standort-Schließungen der zurückliegenden Monate haben vor allem damit zu tun, dass seitens der internationalen Headquarters ‚durchregiert‘ wird – ohne dass sich die hiesigen Töchter und ihre Filialleiter groß dagegen wehren könnten.
Was das mit den Belegschaften macht, dazu hielt Adrian Goersch in dieser Woche bei der Entwicklerkonferenz Reboot im kroatischen Dubrovnik einen vielbeachteten, weil schonungslosen Vortrag. Goersch ist einer der Gründer und Geschäftsführer von Black Forest Games im badischen Offenburg, seit 2017 Teil von THQ Nordic. Die Krise der schwedischen THQ-Nordic-Mutter Embracer hat auch die Destroy All Humans!-Macher unter Wasser gezogen: Im Januar wurde bekannt, dass die Hälfte der 110 Beschäftigten ihren Job verliert. Offiziell kommuniziert wurde der Vorgang nie – anders als im ähnlich gelagerten Fall der Embracer-Tochter Fishlabs in Hamburg.
Auf der Reboot-Bühne hat Goersch nun seine Gefühlslage offen gelegt, berichten Teilnehme. Er habe für sich selbst akzeptieren müssen, dass ihm zwangsläufig die Rolle des ‚bad guy‘ zufällt, sobald er Kündigungen ausspricht – und dass es keinen Sinn ergäbe, mit Dingen zu hadern, an denen er nichts ändern könne. Die privaten wie beruflichen Auswirkungen auf die Betroffenen und deren Familien seien dramatisch, in jedem einzelnen Fall. Zitat: „Ich werde nicht mehr gut schlafen können, ehe ich weiß, dass jeder von ihnen einen neuen Job hat – oder wir ihn zu Black Forest Games zurückholen.“
Black Forest Games belegt die Plätze 6 und 12 in der Liste der größten Spiele-Projekte der Games-Förderung – und legt damit Zeugnis ab, dass auch die Bundesregierung in erster Linie eines tut: Wetten platzieren. Nämlich Wetten darauf, dass subventionierte Produkte am Markt funktionieren und dass daraus nachhaltige Unternehmen mit nachhaltigen Arbeitsplätzen entstehen. Einige dieser Wetten gehen auf – die allermeisten hingegen nicht. Was niemanden verblüffen wird, der sich mit der Materie beschäftigt: Games-Entwicklung war, ist, bleibt ein Hit-Geschäft.
Zum Zeitpunkt meines Computerspielpreis-Smalltalks hätte ich jedenfalls im Traum nicht damit gerechnet, dass wenige Tage später – nämlich am Montag um 7 Uhr – eine mittelgroße Bombe zündet. Auf Seite 2 der entsprechenden Präsentation heißt es lapidar: „The start of a new chapter“, also der Beginn eines neuen Kapitels. Als habe man das Firmen-Logo einem Relaunch unterzogen.
Tatsächlich zerbröselt der riesige Embracer-Konzern in drei ungefähr gleich große Blöcke, die als eigenständige Aktiengesellschaften an die Stockholmer Börse gebracht werden. Zuvor waren bereits wesentliche Unternehmensteile mit über 5.000 Mitarbeitern abgestoßen worden.
Die Auswirkungen auf die Games-Landschaft im deutschsprachigen Raum sind immens und nicht ansatzweise absehbar. Fest steht: Black Forest Games wird gemeinsam mit THQ Nordic (Wien), Deca Games (Berlin) und vielen, vielen weiteren Standorten einem Unternehmen mit dem Arbeitstitel ‚Coffee Stain & Friends‘ zugeordnet, das sich auf A- und AA-Spiele fokussiert, also Games mit kleinem und mittelgroßem Budget.
Andere Embracer-Filialen schlüpfen unter das Dach der demnächst konkurrierenden Middle-Earth Enterprises & Friends, darunter das Hamburger Studio Fishlabs und der Münchener Distributor und Publisher Plaion, der im Tiroler Grenzort Höfen erst im Sommer 2022 ein Hightech-Logistikzentrum eröffnet hat. Adresse: Embracer-Platz 1.
Embracer-Gründer Lars Wingefors war laut Medienberichten vor einem Jahr nur wenige Millimeter davon entfernt, sein scheues Schweden-Lächeln seinerseits an die Saudis zu verkaufen, um weiterhin große Wetten im M&A-Casino platzieren zu können. Die Verhandlungen mit den arabischen Großaktionären scheiterten – und Embracer blieb nichts anderes übrig, als die angehäuften Schulden in Milliarden-Höhe schnell und gründlich, einige sagen: radikal zu reduzieren.
Zu diesem Zeitpunkt hatte sich schon abgezeichnet, dass das aggressive Geschäftsmodell Risse bekommt, wie Wingefors selbst einräumt: Die Corona-Party war vorbei, die geopolitische Lage (Stichwort: Russland) hatte sich verdüstert, dazu die höheren Zinsen am Kapitalmarkt plus die Zurückhaltung von Investoren und Verbrauchern – und natürlich auch die nicht immer überzeugende Produktqualität von Flops wie Saints Row.
In Geschäftsberichten sind solche Produkte zuverlässig daran zu erkennen, dass von ‚Long-Sellern‘ die Rede ist, deren kommerzielle Erwartungen des Managements sich eben „noch nicht“ erfüllt hätten. Am Ende läuft es aufs Selbe raus: Die Belegschaft trifft es als erstes, indem das dazugehörige Studio – hier: Volition – plattgemacht wird, fünf Jahre nach Übernahme durch Embracer.
Ich spoilere sicher nicht zu viel, wenn ich verrate, dass Timm Thaler in der abschließenden 13. Serien-Episode letztlich wieder über alle Backen strahlen darf. Von einem solchen Happy-End ist die Branche noch weit entfernt. Doch wenn ich wetten müsste, würde ich zumindest vermuten, dass in den kommenden Monaten viele Unternehmer ihr Lachen zurückholen – indem sie nochmal von vorn anfangen und/oder Anteile zurückkaufen. So wie Dieter Schoeller, der seinen Indie-Publisher Headup aus dem kriselnden Thunderful-Konstrukt herausgelöst hat.
Die mit Abstand größte Wette ist im Übrigen Ralf Reichert eingegangen: Der von ihm gegründete Kölner E-Sport-Veranstalter ESL Gaming wurde vor zwei Jahren an Saudi-Arabien verkauft – für eine Milliarde Dollar. Erst im Februar wurde jede siebte Stelle gestrichen. Im Sommer soll Reichert auf Geheiß der Scheichs dafür Sorge tragen, dass der erstmals ausgetragene Esports World Cup ein Erfolg wird.
Und nicht vergessen: Immer lächeln und winken.
Ein schönes Wochenende wünscht Ihnen
Petra Fröhlich
Chefredakteurin GamesWirtschaft
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Darf ich das jetzt so verstehen, dass man eine Firma – seine Firma – an einen international operierenden Großkonzern verkauft und dann überascht davon ist, dass der Großkonzern einem Aufdiktiert die Bilanzen zu verbessern – schnellstmöglich – und damit als „naheligenste Resource“ eben Mitarbeitende entlassen werden müssen? „Oh nein – ich habe jemanden erschossen und muss jetzt ins Gefängnis“ – hätte ja keiner ahnen können so etwas … 🤯🤯
Tut mir wirklich leid für alle Betroffenen aber ein „das hätte ich euch gleich sagen können“ kann ich mir an dieser Stelle nicht verkneifen!
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