Start Meinung 10 Lehren aus 2021 (Fröhlich am Freitag)

10 Lehren aus 2021 (Fröhlich am Freitag)

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Der GamesWirtschaft Jahresrückblick 2021
Der GamesWirtschaft Jahresrückblick 2021

Bevor wir mit Schaumwein den verbliebenen Rest des Jahres mental wegspülen, fragen wir uns anlässlich von Silvester: Was hat die Branche 2021 bewegt?

Verehrte GamesWirtschaft-Leserin,
verehrter GamesWirtschaft-Leser,

am heutigen 31. Dezember endet gegen Mitternacht ein weiteres Pandemie-Jahr – „endlich“, hört man vielerorts seufzen. Welche Lehren nach Ablauf von zwölf Monaten für die Videospiele-Industrie zu ziehen sind, wird jede(r) ganz unterschiedlich bewerten – hier sind meine Top 10:

1. PS5-/Xbox-Nachschub: Shop til you drop

Auch mehr als ein Jahr nach Markteinführung erfolgt der Vertrieb von PlayStation 5 und Xbox Series X immer noch via „Drop“. Bedeutet: Die Amazons und Saturns und Ottos schalten im Abstand mehrerer Wochen (teils Monate) unangekündigt mehrere tausend Konsolen frei, die dann binnen weniger Minuten in den Warenkörben verdampfen.

Sollte es doch mal vereinzelt Sony- oder Microsoft-Geräte zur Vorbestellung im Laden geben, dann wird das weder angekündigt noch beworben – wozu in eine ohnehin brennende Benzinlache weitere Feuerzeuge werfen?

Wir lernen: Nachfrage > Angebot, noch immer. Linderung? Nicht vor dem 2. Quartal 2022. Zumal jetzt auch noch Sony den eigenen Händlern Konkurrenz macht.

Fröhlich am Freitag - die wöchentliche Kolumne bei GamesWirtschaft
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2. Firmenkultur des Schreckens

Umsätze und Zuwachsraten übertünchen gelegentlich, unter welchen Bedingungen die bunten Spiele entstehen. Der berüchtigte Crunch – also ungesunde Überstunden und Sonderschichten – gehörte gerade bei Blockbustern über Jahre zur DNA; zuletzt kamen regelmäßig Berichte über Macho-Kultur, offenen Seximus, Mobbing, Diskriminierung hinzu.

Betroffen ist das oberste Regal der Games-Zunft: Ubisoft, Blizzard, Activision, Riot Games, unter anderem. Die Publisher reagieren mit Arbeitskreisen, Kommissionen, Hotlines, Kanzleien, zuweilen hilflos wirkender Krisen-PR, Entschädigungszahlungen und der Schaffung von Vice-President-of-irgendwas-mit-Responsibility-Posten.

Bauchgefühl: Wir blicken auf die Spitze des Eisbergs.

3. Förderung flutscht

Noch Mitte 2019 sah es ziemlich übel aus für die Bundes-Förderung: CSU-Verkehrsminister Scheuer hatte die Fortschreibung des gerade erst angelaufenen Projekts verschludert – selbst wohlwollendste Parteifreunde und -freundinnen reagierten mindestens mit Augenrollen, andere formulierten ihren Groll als Offenen Brief. Der Super-GAU wurde im Zuge der Haushaltsberatungen gerade noch korrigiert.

Seitdem verteilt der Staat pro Jahr 50 Millionen Euro pro Jahr an deutsche Studios – die neue Regierung will laut Koalitionsvertrag daran festhalten. Jetzt schon sichtbar: Budgets, Teams und Projekte werden tendenziell größer. Immer öfter stellt der Staat siebenstellige Schecks aus – manche bürokratische Hürde könnte noch überwunden werden.

Ob und was die Subventionen unterm Strich gebracht haben, wird man frühestens 2023 seriös bewerten können.

4. Dringend gesucht: Planungssicherheit

Publisher, Studios, Handel, Agenturen, Dienstleister: Die erweiterte Games-Branche ist auch 2021 ganz okay durch die Pandemie gekommen. Mit einer Ausnahme: Messegesellschaften und Konferenz-Veranstalter können kaum länger als drei Monate im Voraus planen, weil immer neue Virus-Varianten immer neue Einschränkungen nach sich ziehen.

Auch die Gamescom als Aushängeschild musste erneut rein virtuell über die Bühne gehen. Alle Beteiligten mühen sich, derlei digitale Notlösungen mit Verweis auf Social-Media-Fabelzahlen schön zu reden, doch am Ende bleiben es: digitale Notlösungen. Ehrliche Freude, gar Begeisterung, empfindet ungefähr niemand. Großaussteller wie Nintendo tun sich reine Digitalformate gar nicht erst an.

5. Games-Marketing: Wir machen das mit den Fähnchen

Kaufland, Lidl, Aldi, Rewe, BMW, Coca-Cola, die Sparkassen, Engelbert Strauss, die Telekom, Mercedes – wer als Markenartikler etwas auf sich hält, pirscht sich ans Gamer-Publikum heran. Da werden E-Sport-Teams zusammengecastet, Twitch-Kanäle bespielt und Influencer aktiviert.

Oft genug lässt sich allein an der Betreffzeile der Pressemitteilungs-E-Mail relativ präzise der Inhalt der Brainstorming-Flipcharts antizipieren. Regelmäßig fehlt es an: Kreativität, Nachhaltigkeit, Authentizität oder auch einfach Sinn.

Exemplarisch das Beispiel Lidl: Nur ein Jahr nach Ankündigung des E-Sport-Einstiegs hat der „offizielle Frischepartner“ sein Logo auf den Trikotärmeln des Gamepad-Werksteams der TSG Hoffenheim untergebracht – wir gratulieren herzlich.

6. Die Hits der 90er im Remix

Wer nach der Jahrtausendwende geboren ist, kennt Klassiker wie Gothic oder Splinter Cell bestenfalls aus Erzählungen der Altvorderen. Deshalb werden eingemottete Marken noch einmal wiederbelebt – in Form von Remakes, Remaster, Reboots.

Nicht auf alles hat die Welt zwingend gewartet: Die Kinofilm-Historie lehrt zudem, dass das Aufwärmen alter Stoffe zuweilen besser unterblieben wäre – frag nach bei den Ghostbusters-Drehbuchautoren.

Die neuen Xbox- und PlayStation-Modelle sorgen zusätzlich dafür, dass der Markt mit immer neuen „optimierten“ Fassungen geflutet wird: Grand Theft Auto 5 erscheint demnächst für die dritte Konsolen-Generation in Folge.

7. Xbox Game Pass setzt Industrie-Standard – und Sony unter Druck

Seit Jahren wird die Netflixisierung der Spiele-Industrie vorhergesagt – 2021 könnte der „Tipping Point“ erreicht worden sein. Denn Microsoft geht mit dem Xbox Game Pass Ultimate all in: Wer die 12,99-€-Flatrate abonniert, muss kaum noch neue Xbox-Spiele kaufen. Flight Simulator, Halo Infinite, Forza Horizon 5, demnächst Starfield – alles inklusive, und zwar ab Tag 1, plus Hunderte Archiv-Titel. Eben wie bei Netflix oder Spotify.

Laut Medienberichten sieht sich Sony veranlasst, über ähnlichen Modellen zu brüten. Dadurch werden womöglich ganze Geschäftsmodelle auf den Kopf gestellt: Dem guten alten 80-Euro-Blockbuster könnte mittelfristig das gleiche Schicksal drohen wie TV-Serien-Boxen auf DVD.

Für Spiele-Entwickler ist diese Entwicklung prinzipiell eine gute Nachricht, denn Streaming- und Abo-Dienste brauchen vor allem eines: Content. Viel Content. Guten Content.

8. Pandemie bremst Entwickler aus

Kunden und Handel sind gewohnt, dass Games verschoben werden. Mal fehlen noch fundamentale Funktionen, mal geht es um den finalen Feinschliff, mal sorgt zurückhaltendes Kunden-Feedback auf Vorabversionen für latente Panik auf Vorstands-Ebene.

Corona hat den Schwierigkeitsgrad noch einmal erhöht, denn vielfach befindet sich die Belegschaft immer noch im Home-Office-Modus – was manchen Vorteil hat, aber eben auch handwerkliche und kreative Prozesse ausbremst. Mit Glück liegt das Schlimmste hinter uns – nicht ausgeschlossen ist aber auch, dass die Verschiebungen in den kommenden Monaten erst so richtig durchschlagen.

9. Konsolidierung setzt sich ungehemmt fort

Mehr als siebeneinhalb Milliarden Dollar hat Microsoft für Zenimax und dessen Marken (Doom, Fallout, Elder Scrolls) ausgegeben. Derweil kauft Embracer Group alles zusammen, was nicht niet- und nagelfest ist – Brettspiel-Hersteller, Comic-Verlage, Animations-Studios. Die Schweden beschäftigen demnächst über 11.000 Angestellte, davon mehr als 500 in Deutschland und 250 in Österreich.

Ebenso kauffreudig: Weltmarktführer Tencent Games, der mit Milliardensummen auf Einkaufstour geht und dem neuerdings die Mehrheit beim Berliner Studio Yager gehört. Keine Frage: Jetzt werden die Claims abgesteckt – immer mehr unabhängige Studios schlüpfen unter das Dach börsennotierter Videospiele-Riesen.

Dieser 2021-Megatrend wird sich 2022 fortsetzen – mit allen Chancen, Nebenwirkungen und (Klumpungs-)Risiken.

10. Games-Politik bleibt stabil

Der Wechsel im Kanzleramt wirbelt auch die politischen Zuständigkeiten für Deutschlands Games-Industrie durcheinander: Den Posten einer Digital-Staatsministerin gibt es nicht mehr – und das FDP-geführte Digital- und Verkehrsministerium reicht den Videospiele-Sektor an das benachbarte Wirtschaftsministerium weiter. Der Grüne Robert Habeck ist also Deutschlands neuer Games-Minister.

Wo genau die Games in seinem Ressort verortet werden, ist auch drei Wochen nach Vereidigung unklar. Klar scheint: Das Scheuer’sche Games-Referat wechselt en bloc in Habecks Ministerium und arbeitet dort an der Umsetzung der Scheuer’schen Games-Strategie für Deutschland – alles andere ergäbe wenig (präziser: keinen) Sinn.

Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, wünsche ich neben einem schönen Silvester-Wochenende einen guten Rutsch und natürlich nur das Allerbeste für 2022 – allem voran Glück und Gesundheit.

Petra Fröhlich
Chefredakteurin GamesWirtschaft

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