Start Meinung Gamescom 2021-Bilanz: Mit halbem Herzen

Gamescom 2021-Bilanz: Mit halbem Herzen

0
Die Gamescom 2021 findet abermals rein digital statt - Termin: 25. bis 27. August 2021 (Foto: Fröhlich)
Die Gamescom 2021 findet abermals rein digital statt - Termin: 25. bis 27. August 2021 (Foto: Fröhlich)

Allen Online-Reichweiten der Gamescom 2021 zum Trotz: Die Weltmarktführer nehmen die digitale Gamescom weiterhin nicht ernst – der GamesWirtschaft-Kommentar von Petra Fröhlich.


„Online is the new normal!“ jubelte Medienstiftung-NRW-Geschäftsführerin Petra Müller zu Beginn der Gamescom-Woche.

Erster Gedanke: Na, hoffentlich nicht.

Denn eine Online-Spielemesse – das lässt sich nach sieben Tagen festhalten – fühlt sich in etwa so an, als würde man New York in Google Earth besichtigen. An einer digitalen Gamescom fehlt ungefähr alles – das Gedränge, der wummernde Bass, das Licht, der Lärm, die Reizüberflutung, das Bunte und Schräge, die Bühnen, die Kirmes-Durchsagen, der Loot, das Gemeinschaftsgefühl, der Jubel, die Meet & Greets, die Merch-Halle, die Schauwerte und ja, auch das typische Eau de Cologne. Also im Falle der Gamescom eine Melange aus Lackfarbe, Folien, Sperrholz, Red Bull und vorzeitig versagendem Deo.

Schon im Vorfeld war absehbar, dass alle Reichweiten-Kennzahlen des Jahres 2020 binnen weniger Stunden pulverisiert würden. Und so war es dann offenkundig auch: Allein 5,8 Millionen Zuschauer sollen die Eröffnungs-Show live verfolgt haben. Das muss man glauben – objektivieren lassen sich die Daten nicht.

Petra Fröhlich
Petra Fröhlich

Noch Mitte März waren Verband und KoelnMesse wild entschlossen, die Gamescom als Hybrid-Event stattfinden zu lassen, also mit Vor-Ort-Betrieb. Ein kühner Plan, denn schon zu diesem Zeitpunkt lag die Inzidenz in Köln jenseits von 100, die Dritte Welle baute sich auf. Keine sieben Wochen später und nach unmissverständlichen Das-könnt-ihr-schon-so-machen-aber-halt-nicht-mit-uns-Ansagen seitens (zu) vieler potenzieller Aussteller dann der Griff zur Reißleine: Das „weltgrößte Games-Event“ wurde abermals zum reinen Digital-Event.

Seitdem wurden die Ausrichter nicht müde, Sinn und Wert eines reinen Online-Formats in leuchtenden Farben zu malen.

Die Gamescom-Macher standen in diesem Jahr vor der Herausforderung, nach der hektisch zusammengelöteten Corona-Gamescom 2020 eine ordentliche Schippe draufzupacken – und trotzdem unterwegs nicht allzu viel Geld zu verlieren. Denn den Investitionen in das Online-Portal Gamescom Now, in Studio-Sets und Kooperationen standen null Euro Ticket-Erlöse und bewusst niedrig angesetzte Aussteller-Gebühren gegenüber – üblicherweise ja die dicksten Blöcke im Einnahmen-Mix.

Das „Premium-Paket“ war für Spielehersteller zu einem Preis der Nächstenliebe von gerade einmal 10.000 Euro zu haben – für weitere 40.000 Euro war man auf der Gamescom-Startseite präsent und qualifizierte sich für die Dauerwerbesendung Gamescom: Opening Night Live. Nicht nur für Großkunden sind solche Beträge kaum mehr als ein beherzter Griff in die Portokasse. Bei einer regulären Gamescom fließen allein in den Standbau hohe sechs-, teils siebenstellige Beträge.

Doch trotz des überschaubaren Investments fehlte es wie schon 2020 am klaren Willen und an der Bereitschaft der Games-Industrie, die Digital-Gamescom glänzen zu lassen. Beispiele:

  • Hier ein Trailer, dort fünfeinhalb Minuten Spielszenen: Gerade Weltmarktführer wie Activision oder Electronic Arts zeigten zum wiederholten Male nur das Allerallerallernötigste – und häufig nicht mal das (hallo Battlefield 2042). Ausnahme: Bandai Namco Entertainment. Andere A-Liga-Namen wie Square Enix, Take Two, CD Projekt oder THQ Nordic blieben der Gamescom 2021 gleich ganz fern.
  • PlayStation 5-Produzent Sony Interactive ließ bis zur letzten Minute offen, ob man an der Veranstaltung teil nimmt. Am Ende hatte Sony zur Gamescom dann doch noch eine zentrale Neuigkeit mitgebracht: Der Weihnachts-PS5-Blockbuster Horizon: Forbidden West kommt gar nicht an Weihnachten – vielmehr erfolgt die Bescherung pünktlich zum Ende des Finanzjahrs 2021/22. Frisches Bildmaterial gab es nicht.
  • Nintendo fehlte zum zweiten Mal in Folge unentschuldigt.
  • Unter den Konsolen-Herstellern nahm einzig Microsoft Xbox samt Tochter Bethesda die Gamescom 2021 angemessen ernst, unter anderem mit eigenen Gamescom-Shows. An Spielen mangelt es bei Microsoft ja allein schon Game-Pass-bedingt nicht, wohl aber an Konsolen. Nachdem das Halo-Infinite-kommt-erst-im-Dezember-Pflaster ruckartig abgerissen worden war, gab es dann doch noch ein paar Überraschungen, darunter ein Xbox Series X-Sondermodell.
  • Die Gamescom war ja noch nie eine klassische Ankündigungs-Messe. Dennoch fiel die Zahl echter AA-/AAA-Premieren (etwa Saints Row und Park Beyond) noch übersichtlicher aus als sonst. Ein Grund: Die Hersteller haben alle Hände voll zu tun, bereits angefangene Games zu einem glücklichen Ende zu führen.
Die Gamescom-Eröffnungs-Show Opening Night Live wurde abermals von Geoff Keighley produziert und moderiert (Screenshot: KoelnMesse)
Die Gamescom-Eröffnungs-Show Opening Night Live wurde abermals von Geoff Keighley produziert und moderiert (Screenshot: KoelnMesse)

Auch auf politischer Ebene blieb die Gamescom 2021 farblos:

  • Die Talkrunde Debatt(l)e Royale plätscherte in diesem Jahr abermals mit den gewohnten Greatest Hits an Man-müsste-mal-Plattitüden vor sich hin – da hätte man vier Wochen vor der Wahl etwas mehr Zuspitzung und straffere Gesprächsführung erwarten dürfen. Zumindest CDU-Geschäftsführer Stefan Hennewig ließ sich zu einer verbindlichen Aussage in Richtung Wahlvolk hinreißen: „Wählt CDU, dann werden Grafikkarten wieder bezahlbar“ – um sofort nachzuschieben: „Das kann ich natürlich nicht versprechen.“
  • Bei einem seiner letzten Auftritte als Verkehrsminister der Bundesrepublik Deutschland brachte Andreas Scheuer (CSU) die Botschaft an die hiesigen Studios unter, dass man mit Blick auf die Fördertöpfe „noch viel Geld übrig habe“. Übersetzt: Dem Ministerium wird nicht gerade die Bude eingerannt.
  • CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet machte in seinem aufgezeichneten Grußwort abermals deutlich, dass er Deutschland genauso regieren will wie NRW. Keine Bange, das gilt nicht für die Corona-Politik, sondern für den Plan, die Republik zum Games-Standort Nummer 1 (Europas? Der Welt?) zu entwickeln. Wiedervorlage: 26. September.
Die Teilnehmer beim Debatt(l)e Royale 2021: Moderator LeFloid, Jörg Schindler (Linke), Michael Kellner (Grüne), Stefan Hennewig (CDU), Volker Wissing (FDP), Moderatorin Tinkerleo - nicht im Bild: SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil (Foto: KoelnMesse / Franziska Krug)
Die Teilnehmer beim Debatt(l)e Royale 2021: Moderator LeFloid, Jörg Schindler (Linke), Michael Kellner (Grüne), Stefan Hennewig (CDU), Volker Wissing (FDP), Moderatorin Tinkerleo – nicht im Bild: SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil (Foto: KoelnMesse / Franziska Krug)

Und sonst so?

  • Das komplett neu aufgesetzte Portal Gamescom Now als zentrale Anlaufstelle erwies sich wie erwartet als massiver Fortschritt gegenüber der hemdsärmeligen Vorjahreslösung – in Sachen Übersichtlichkeit und Komfort bleibt Luft nach oben.
  • Mit der Resonanz auf die Indie Arena Booth Online sind Betreiber und Aussteller offenkundig zufrieden. Indes: Es könnten sich mutmaßlich noch weit mehr Menschen für das Angebot begeistern, wenn es nicht nur in englischer Sprache zur Verfügung stünde, sondern sagen wir: in Deutsch.
  • Trotz erkennbarem Produktionsaufwand, durchgehend gut aufgelegtem Personal, hohem Unterhaltungswert und konstant starker Zuschauerzahlen: Mehrtägige Show-Begleitprogramme wie Gamevasion oder die neue Spielesause wirken nach wie vor wie Fremdkörper, die völlig losgelöst um die Gamescom kreisen – mit eigenem Team, eigenem Konzept, eigenem Programm, eigenem Merchandise und eigenen Sponsoren. In den Messe-Unterlagen, im offiziellen Gamescom-Terminkalender und in den Schlussberichten tauchen beide Formate noch nicht mal namentlich auf.
  • Damit einher geht die sehr grundsätzliche Frage, was an einer digitalen Gamescom eigentlich noch ‚Köln‘ sein könnte. Los Angeles, Berlin, Hamburg, München: Die Gamescom wurde ungefähr überall produziert, aber nur punktuell in der Domstadt (Stichwort Spielesause). In Düsseldorf würde man sagen: Die Gamescom 2021 hatte mit Köln soviel zu tun wie Kölsch mit richtigem Bier.
Die Gastgeber der Spielesause im Rahmen der Gamescom 2021: Trymacs, Gronkh und Papaplatte (Foto: 1Up Management)
Die Gastgeber der Spielesause im Rahmen der Gamescom 2021: Trymacs, Gronkh und Papaplatte (Foto: 1Up Management)

Um da ganz klar zu sein: Dass die Gamescom 2021 in Summe geräuschlos über die Bühne gegangen ist, muss als große Leistung bewertet werden, gerade vor dem Hintergrund einer weiterhin galoppierenden Pandemie. Auch die kolportierten Reichweiten, das prominente Feld an internationalen Partnern und die überwiegend professionelle Umsetzung verdienen Anerkennung – explizit im Vergleich zur über weite Strecken deprimierenden E3.

Nur: Rechnet man das Teilnehmerfeld und den Nachrichtenwert der Gamescom 2021 in ein physisches Format um, würde das für zweieinhalb Hallen reichen. Maximal.

Das kann nicht der Anspruch einer Gamescom sein. Deshalb wird es beim geplanten Hybrid-Format im August 2022 mehr denn je darum gehen, den Laden zusammenzuhalten – einerseits mit Blick auf die künftige Event-Strategie der „Headliner“, andererseits hinsichtlich der vielen irrlichternden Sonder- und Neben-Formate, für die es streng genommen keine Gamescom braucht, um zu funktionieren.

Zusammengefasst: In Zeiten wie diesen mögen Livestreams als Gamescom-Übergangslösung taugen – aber niemand mag sich das selbsternannte „Heart of Gaming“ vorstellen, das von führenden Spieleherstellern nur mit halbem Herzen oder gar nicht getragen wird.

„Online is the new normal“? Bitte nicht.