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Gamescom 2020-Bilanz: Besser als nix (Kommentar)

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Gamescom 2020-Bilanz: ONL-Moderator Geoff Keighley mit
Gamescom 2020-Bilanz: ONL-Moderator Geoff Keighley mit "Zurück in die Zukunft"-Darsteller Chris Lloyd (Foto: KoelnMesse)

Die Gamescom 2020 ist vorbei – zum Glück, sagen viele. Denn die digitale Messe hinterlässt ein Gefühl von Ratlosigkeit, bilanziert Petra Fröhlich.

„Die Messe ist seit gestern vorbei.“

Den Satz funkte mir ein prominenter Games-Industrieller schon am Morgen des vergangenen Freitags – wenige Stunden nach „Gamescom: Opening Night Live“, einer als ‚Eröffnungs-Show‘ schlecht getarnten Dauerwerbesendung.

Er sollte Recht behalten. Denn in den folgenden Tagen zerstreute sich das Gamescom-Publikum in alle Himmelsrichtungen. Die einen guckten Influencern beim Influencen zu, andere irrlichterten durch das „Gamescom Now“-Portal, wo zu den meisten Spielen ungefähr nichts zu erfahren war – in jedem Fall: nichts Neues.

Die Folge: Der Hashtag #Gamescom2020 schaffte nur noch vereinzelt ein Comeback in den Twitter-Trends – was für ein digitales Groß-Ereignis kein gutes Zeichen ist.

Dabei wurde in den deutschsprachigen Ankündigungen zur virtuellen Spielemesse noch von mächtigen „Content Hubs“ geschwurbelt, von „Hosts“, von „Timetables“. Teilnehmende Spielehersteller waren „official partner“. Und überhaupt: „Be part of gamescom 2020“. Hauptsache: digital. Mit dem Ergebnis, dass eine „neue“ Gamescom-App in die Appstores gestellt wurde, deren einzige Funktion darin besteht, auf die Gamescom-Website zu verlinken.

Drei Tage vor seiner zweistündigen Live-Show hatte Produzent und Moderator Geoff Keighley ein selbstgeklöppeltes Ankündigungs-Video geteilt, das Szenen aus Next-Generation-Blockbustern wie „Horizon 2: Forbidden West“ oder „Halo Infinite“ zeigte. Nichts davon sollte in der Show auftauchen. Keighley hatte schon im Vorfeld große Mühe, die Erwartungshaltung wieder einzufangen, die er – ohne Not – selbst aufgebaut hatte. Inzwischen hat er das Video gelöscht.

„Gamescom: Opening Night Live“ steht geradezu symptomatisch für die klaffende Lücke zwischen Anspruch und Realität der digitalen Gamescom. Dass die Veranstaltung anders werden würde, war klar – das Remmidemmi, die Reizüberflutung, all das war nicht zu ersetzen. Doch die Gamescom 2020 hat nicht ansatzweise eingelöst, was man im Vorfeld des Weihnachtsgeschäfts erwarten durfte.

Sieht man von „Ratchet & Clank: Rift Apart“-Spielszenen ab, war der offizielle Gamescom-Trend „Next-Generation-Gaming“ schlicht nicht präsent. Dazu passt, dass „Cyberpunk 2077“ beim – für Außenstehende völlig intransparenten – Gamescom Award zum besten Spiel der Messe gekürt wurde, ohne dass auch nur eine Sekunde neuen Materials gezeigt wurde.

Gamescom 2020: Sony Interactive zeigt "Ratchet & Clank: Rift Apart" für PlayStation 5 während "Opening Night Live" (Abbildung: Sony Interactive)
Gamescom 2020: Sony Interactive zeigt „Ratchet & Clank: Rift Apart“ für PlayStation 5 während „Opening Night Live“ (Abbildung: Sony Interactive)

Als Faustregel konnte vielmehr gelten: Je größer der Gamescom-2019-Messestand, desto dünner das Gamescom-2020-Programm. Ubisoft, Activision, Electronic Arts, Sony, 2K, Microsoft – fast alle relevanten Publisher steuerten kaum mehr als das absolut notwendige Minimum zur digitalen Gamescom bei und trugen im Zweifel längst bekannte Trailer nochmal auf. Nur die wenigsten – beispielsweise Bethesda – hatten ein eigenes Gamescom-Livestreaming-Programm vorbereitet.

Andere hatten von vornherein entschieden, sich erst gar keine Blöße zu geben und die Veranstaltung zu schwänzen – Nintendo, Capcom, Konami, Epic Games, THQ Nordic, um nur die naheliegendsten zu nennen. Wo die Großen ausfallen, laufen die Mittelständler zur Hochform auf – etwa der Paderborner Simulations-Spezialist Aerosoft, der ein ganzes Bündel Neuheiten in einem Live-Online-Event vorstellte.

Natürlich darf man bei aller inhaltlichen Kritik nicht ausblenden, dass die Welt immer noch inmitten einer Pandemie steckt – die Lage in den USA, in Asien und in den meisten europäischen Ländern bleibt angespannt. Vor diesem Hintergrund überhaupt ein Event wie die digitale Gamescom auf die Beine zu stellen, ist eine logistische Herkulesaufgabe. Es ehrt die Verantwortlichen, dass sie nicht einfach die Waffen gestreckt haben. Dass sie beweisen wollten, wie „digital“ geht – sich selbst, aber auch anderen Branchen.

Gamescom 2021: Termine und Schulferien im Überblick (Stand: 4.8.2020)
Gamescom 2021: Termine und Schulferien im Überblick (Stand: 4.8.2020)

Gerade mal vier Monate blieben den Ausrichtern, um nach dem Großveranstaltungs-Verbot ein neues Konzept aus dem Hut zu zaubern und alles unter selbigen zu bringen:

  • die Interessen einer Messegesellschaft, die nicht weniger als um ihr Geschäftsmodell bangt
  • die Corona-Herausforderungen von Games-Entwicklern, aus dem Home-Office heraus sendefähiges Material zu produzieren
  • die Befindlichkeiten von Großausstellern, die sich fragten, warum sie für eine kolportierte digitale Gamescom-Reichweite bezahlen sollen, die sie mit eigenen Streams außerhalb der Gamescom viel leichter und effizienter generieren
  • die Erwartungen eines Publikums, das erkennbar große Schwierigkeiten hatte, die Gamescom zu „verstehen“

Dass sich für den Laien kaum erschloss, was die Gamescom 2020 eigentlich „ist“, lag vor allem daran, dass eine gemeinsame Klammer fehlte.

Paragraph Eins: Jeder macht seins.

Wer beispielsweise in das üppige und über weite Strecken gleichermaßen amüsante wie informative Gamevasion-Gemeinschaftsprogramm von Rocket Beans TV, Instinct3 und Freaks 4U Gaming hineinzappte, musste schon sehr genau hinsehen, um überhaupt einen Gamescom-Bezug zu erkennen – auf den offiziellen Websites und Programmplänen taucht das Gamescom-Logo erst gar nicht auf. Die meisten Turniere, Talk-Runden und Letsplays hätten daher auch problemlos unterjährig stattfinden können.

Sieger der Herzen war – wie schon 2019 – die Indie Arena Booth: Auf dieser Website war das ernsthafte Bemühen zu besichtigen, sowohl den Studios als auch Sponsoren und virtuellen „Besuchern“ mit liebevoll gestalteten interaktiven Messeständen einen muckeligen Treffpunkt anzubieten. Aus gutem Grund würdigte die Gamescom-Award-Jury das Format mit dem „Heart of Gaming“-Preis.

Die Gamescom-Macher: Game-Geschäftsführer Felix Falk und KoelnMesse-Chef Gerald Boese (Foto: KoelnMesse / Oliver Wachenfeld)
Die Gamescom-Macher: Game-Geschäftsführer Felix Falk und KoelnMesse-Chef Gerald Boese (Foto: KoelnMesse / Oliver Wachenfeld)

Dass dieses „Heart of Gaming“ künftig zwingend in Köln schlägt, ist aus meiner Sicht keine ausgemachte Sache. Dabei ist die Gamescom eigentlich untrennbar mit der Domstadt verbunden – Kölsch, Tanzbrunnen, Bahnhof Köln Messe/Deutz. Doch die Gamescom 2020 war alles, nur keine Kölner Messe – zumal alle wesentlichen Formate in Berlin, Hamburg, München und Los Angeles (vor)produziert wurden. Da konnten NRW-Landesvater Laschet und Kölns OB Reker noch so unverzagt in die Kamera dozieren.

Diese Entwicklung muss auch den KoelnMesse-Chef umtreiben, der bei der Pressekonferenz im Vorfeld schon mal laut darüber nachgedacht hat, wie sich denn die heuer noch gratis teilnehmende Gamescom-Kundschaft langfristig monetarisieren ließe – 100 Millionen Views à 2 Euro seien schließlich auch Geld.

Doch dazu muss zunächst die Leistung stimmen. Wie die bereits angekündigte Gamescom 2021 vom 25. bis 29. August 2021 in der Praxis aussieht, wird nicht zuletzt davon abhängen, wie die Kosten-Nutzen-Analyse der diesjährigen Partner und Kunden ausfällt.

Fürs erste lautet die Erkenntnis: Die Gamescom 2020 war besser als nix – aber als Blaupause für digitale Messen taugen nur einzelne Elemente. Es wird wenige geben, die sich dringend wünschen, die Gamescom möge nochmal in dieser Form stattfinden.


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3 Kommentare

  1. Ich komme auch zu dem Schluss. Es war OK.
    Die Programme waren unübersichtlich. Gamescom now listet die gezeigten Spiele nicht übersichtlich oder informativ auf. Trotz dem neuen gamescom eigenem Discord Server (seit diesem Jahr offiziell, sonst gab es nur einen vom r/gamescom subbreddit) kam kein wirkliches Community Gefühl auf.

    Spaß hatte ich trotzdem. Ich habe dem Xperion Saturn einen Besuch abgestattet (das war wirklich nicht gut). Habe daheim 17 Demos angespielt und mich bei zwei Indie Arena Booth Ausstellern auf dem Discord getummelt um mit Entwicklern zu quatschen. Dort konnte ichauch bei zwei Titeln einen kleinen Highscore Wettbewerb gewinnen.
    Es ist eben wie immer auf einer gamescom: Erst weiß man nicht so recht was man machen soll, aber wenn man sich ein paar coole Sachen rauspickt, machts Spaß.

  2. Gut geschrieben. Hab mir ONL angeschaut was ganz nett war aber nichts hängen blieb, Danach im Wust der content Überflutung auf Youtube und Co die Übersicht und Lust am stöbern verloren… Die Tatsache das ich mich bei gamescom now angemeldet habe und dennoch jeden Tag gefühlt 2 Newsletter erhielt in der steht ich solle mich ja dringend registrieren war auch nicht gerade Prozess optimiert

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