Erst Nintendo, dann Activision Blizzard und Sony PlayStation, jetzt Electronic Arts: Warum große Spielehersteller auf die Gamescom 2022 verzichten.
Update vom 17. August 2022: Die Aussteller-Liste für die Gamescom 2022 ist komplett: In Summe werden ab dem 24. August mehr als 1.100 Unternehmen in Köln dabei sein – also ähnlich viele wie 2019 (Hallenplan).
- Spielehersteller auf der Gamescom 2022 (unter anderem): Microsoft Xbox, Ubisoft, Bandai Namco Entertainment, Tencent Games (Level Infinite), Embracer Group (THQ Nordic, Plaion), SEGA, Kalypso Media, Astragon, Giants Software, Aerosoft, Assemble Entertainment sowie Warner Bros. und Capcom (beide via TikTok) – Square Enix betreibt einen Fanartikel-Stand
- Nicht in der Entertainment Area vertreten sind: Electronic Arts, Sony Interactive, Wargaming, Nintendo, Activision Blizzard, Epic Games und CD Projekt.
Die Teilnehmer-Struktur ist in diesem Jahr demzufolge eine ganz andere als noch vor drei Jahren, weil ausgerechnet einige der Top-10-Weltmarktführer fehlen. Dadurch ist der Blockbuster-Anteil so niedrig wie nie zuvor auf der Gamescom – umgekehrt ist die Auswahl an Indiegames und -Studios ebenfalls auf Rekord-Niveau.
Wegen enorm vieler Nachfragen auf unseren Social-Media-Kanälen und von Medienvertretern haben wir den nachfolgenden Artikel noch einmal redigiert und an einigen Stellen ergänzt und aktualisiert. Für Rückfragen und Hinweise erreichen Sie die Redaktion per E-Mail.
Weitere Informationen rund um die Gamescom – Tickets, Öffnungszeiten, Shows etc. – finden Sie in unserer aus allen Nähten platzenden Gamescom-Rubrik.
Update vom 18. Juli 2022: Nach offiziellen Anhaben haben sich bislang mehr als 550 Aussteller zur Gamescom 2022 angemeldet, darunter große Spielehersteller wie Ubisoft, Bandai Namco Entertainment, THQ Nordic und Xbox-Hersteller Microsoft. Gleichzeitig gab es eine Reihe von Absagen relevanter Großkunden, die 2019 noch mit großen Messeständen auftrumpften, etwa Electronic Arts (FIFA 23) oder CD Projekt Red (Cyberpunk 2077). Square Enix wird sich in diesem Jahr auf einen Fanartikel-Stand beschränken.
In einigen Fällen – etwa bei 2K und Warner Bros. – ist weiterhin unklar, in welcher konkreten Form die Gamescom-Teilnahme ausgestaltet wird. Eine Übersicht mit den bislang bestätigten Zusagen und Absagen finden Sie in diesem laufend aktualisierten Beitrag.
Gamescom 2022: Viele Absagen – viele Gründe
Meldung vom 26. Juni 2022: Es ist erst fünf Jahre her, da belegten alleine Blizzard Entertainment und Sony Interactive die komplette Halle 7 auf dem Gamescom-Gelände. 2022 wird das nicht der Fall sein. Denn auch wenn es zu diesem Zeitpunkt – keine 50 Tage vor Aufbau-Start – noch immer keinen einzigen offiziell angekündigten Gamescom-Aussteller gibt, so ist zumindest eines klar: Sony PlayStation und Activision Blizzard haben bereits abgesagt – und sind somit nicht Teil des Gamescom-Restarts.
Ebenfalls nicht dabei sind Nintendo und Wargaming, die 2019 noch beeindruckende Messestände aufgebaut hatten und als Publikumsmagnet galten. Gleiches gilt für den US-Publisher Take-Two Interactive, der voraussichtlich nur in sehr überschaubarem Rahmen auftritt. Rechnet man alleine diese Flächen zusammen, so entfällt schon jetzt der ‚Content‘ im Gegenwert einer regulären Gamescom-Messehalle.
Doch natürlich wird die Gamescom 2022 nicht in leeren Hallen stattfinden. Zu den Ausstellern in der Entertainment Area gehören nach GamesWirtschaft-Informationen neben vielen Indie-Studios unter anderem Bandai Namco Entertainment, THQ Nordic, Kalypso Media, Aerosoft, Assemble Entertainment, SEGA, Level Infinite (Tencent) und Koch Media mit den Labels Deep Silver und Prime Matter. Andere halten sich noch bedeckt und werden erst in den kommenden Tagen öffentlich vermelden, ob und in welcher Form sie teilnehmen.
Erst vor einem Monat haben KoelnMesse und Branchenverband angekündigt, dass sich bereits 250 Aussteller angemeldet hätten. In dieser Zahl enthalten sind allerdings alleine 50 Fanartikel-Anbieter in der Merch Area sowie Teilnehmer von Gemeinschaftsständen und Länder-Pavillons in der Business Area, zu der Privatbesucher keinen Zutritt haben. Im Vergleich zum Rekordjahr 2019, als 373.000 Gamescom-Besucher nach Köln reisten, seien bereits 80 Prozent der Flächen verkauft worden. Das gesamte Gelände inklusive aller Hallen soll für die Gamescom 2022 genutzt werden – wenn auch mit deutlich breiteren Fluren.
Gamescom 2022: Die Ursachen für die vielen Publisher-Absagen
Bleibt die Frage: Warum fehlen zwei der drei marktführenden Spielkonsolen-Hersteller bei der Gamescom 2022? Und weshalb verzichten einige der weltgrößten Spielehersteller mehr oder minder ‚freiwillig‘ darauf, ihre Neuheiten fürs Weihnachtsgeschäft zu präsentieren oder schlichtweg Fan-Service zu leisten?
Die Gründe sind so unterschiedlich und vielschichtig wie die Unternehmen selbst. Aus Gesprächen mit Messebauern, Dienstleistern und natürlich den Firmen selbst ergeben sich folgende Hauptgründe – auf die der Gamescom-Veranstalter überwiegend wenig bis gar keinen Einfluss hat:
Covid-Gap
Die Verwerfungen der Pandemie sorgen dafür, dass sich insbesondere Blockbuster verschieben – also PC- und Konsolen-Games, die mit großem Aufwand und großem Budget entstehen. Die Folge: Die Release-Listen vieler Publisher fürs zweite Halbjahr sind erstaunlich ‚leer‘. Solide laufende Bestandstitel sorgen dank In-Game-Käufen trotzdem für sprudelnde Einnahmen und glückliche Aktionäre.
Mittlerweile steht fest, dass auch Microsoft Xbox ausschließlich Bestandstitel und keine Neuheiten auf dem deutlich geschrumpften Gamescom-Stand zeigt.
Kosten
Hallenfläche, Standbau, Marketing, Technik, Personal, Unterkunft: Bereits mittelgroße Gamescom-Stände erfordern rasch ein hohes sechs-, oft siebenstelliges Investment. Eine Spielemesse konkurriert gleichzeitig mit aberwitzig vielen Marketing- und Promotion-Alternativen (TV-Werbung, Livestreams, Sponsoring, Social Media, Influencer etc.) – Unternehmen aller Größenordnungen kalkulieren natürlich mit spitzem Bleistift, ob sich der Personal- und Mitteleinsatz rechnet.
Studio-Kapazitäten
Die Entwicklung einer spielbaren oder zumindest präsentierbaren Messe-Version in den Studios samt aller Tests und Freigaben ist nicht nur kostspielig, sondern auch zeitaufwändig und erfordert monatelangen Vorlauf – wertvolle Zeit, die in diesen wilden Zeiten ohnehin knapp bemessen ist. Jedes öffentlich gezeigte Gamescom-Spiel braucht das Okay der USK; Stichtag für diesen Vorab-Check ist in diesem Jahr der 9. August.
Corona
Rappelvolle Stadien, ausverkaufte Konzerte, Gedränge in Fußgängerzonen: Auch wenn die Pandemie gefühlt vorbei ist – die Fallzahlen steigen bundesweit. Aus Sicht einzelner Aussteller besteht daher zumindest das abstrakte Risiko, dass bereits bei einem teilweisen Ausfall der eigenen Gamescom-Belegschaft oder in Reihen der Dienstleister der Messeauftritt gefährdet ist. Stand jetzt wird es auf der Gamescom 2022 weder verpflichtende Masken noch Schnelltests noch 2G-/3G-Nachweise geben (Details).
Pandemie und nicht zuletzt der Krieg in der Ukraine sorgen zudem dafür, dass die Anreise aus einzelnen Ländern und damit die Gamescom-Teilnahme von Studios und Entwicklern nur mit Einschränkungen möglich ist. Dies gilt insbesondere für Unternehmen aus Osteuropa (Stichwort S.T.A.L.K.E.R. 2) und aus dem asiatischen Raum.
No-Event-Policy
Seit dem Frühjahr 2020 ist das globale Messe- und Konferenzgeschäft weitgehend zum Erliegen gekommen und erholt sich erst seit einigen Monaten wieder zaghaft. Gerade bei großen Konzernen läuft das Event-Geschäft allerdings immer noch mit gebremstem Schaum – vielfach gilt das Credo, dass Messen und Konferenzen entweder gar nicht oder bestenfalls auf Sparflamme gebucht werden. Da die dazugehörigen Budgets lange im Voraus ‚geblockt‘ werden, sind insbesondere XXL-Events zu XXL-Kosten schlichtweg nicht eingeplant.
Konsolidierung
Über Jahre hinweg haben Microsoft und Bethesda ihre Gamescom-Auftritte in Eigenregie geplant und durchgeführt – mittlerweile ist das Fallout– und Starfield-Studio ein fester Bestandteil der Xbox-Familie. Statt zwei voneinander unabhängigen Kunden gibt es also nur noch einen; 2023 soll auch noch Activision Blizzard hinzukommen.
Electronic Arts und Codemasters, Team17 und Astragon, Nacon und Daedalic, Take-Two und Zynga, Sony und Bungie, Embracer und Gearbox: Durch Übernahmen und Fusionen schrumpft die Zahl potenzieller Aussteller auf natürliche Weise – was nur zum Teil durch Gamescom-Neukunden wie dem Tencent-Label Level Infinite aufgefangen wird.
Material und Logistik
Auch wenn sich die Gamescom in diesem Jahr das Thema Nachhaltigkeit auf die Fahnen geschrieben hat: Eine Messe dieser Größenordnung ist stets eine gewaltige Materialschlacht – Holz, Stahl, Aluminium, Teppiche, Kunststoffe, Kabel. Und just dieses Material fehlt derzeit bekanntlich überall – auf dem Bau, in der Industrie, im Handwerk und natürlich auch im Event-Geschäft. Die Folge: drastisch höhere Kosten, teure Logistik und lange, zuweilen unkalkulierbare Lieferzeiten.
Personal
Es gibt ungefähr kein Gewerbe, das derzeit nicht über Personalmangel klagt. Dies gilt auch für die Veranstaltungs-Branche: Die jahrelangen Event-Ausfälle haben dazu geführt, dass die einst begehrten, weil vergleichsweise gut bezahlten Messe-Jobs mittlerweile nur mit Mühe besetzt werden können – auch deshalb, weil sich erfahrene Stammkräfte anderweitig orientiert haben. Große Standbetreiber beschäftigen während der Gamescom-Woche hunderte Mitarbeiter für Stand-Aufbau und -Betrieb, in der Security, in der Technik oder im Catering.
Digitalisierung
Spätestens während der Pandemie haben Spielehersteller ‚gelernt‘, dass und vor allem: wie sie ihre Neuheiten durch Livestreams und ‚Showcases‘ inszenieren können – auf eigenen Kanälen, bei voller Kontrolle, mit 100%iger Exklusivität und zu einem selbstgewählten Zeitpunkt, ohne das Termin-Korsett einer einmal im Jahr stattfindenden Messe.
Aus guten Gründen ist die Gamescom daher eine Hybrid-Veranstaltung, die neben dem Vor-Ort-Betrieb auch Digital-Formate wie Gamescom Now und Gamescom: Opening Night Live bespielt. Und aus ebenso guten Gründen finden ausschließlich Spiele von Herstellern in Geoff Keighleys Eröffnungs-Show statt, die auch einen Stand auf dem Messegelände gebucht haben.
Go big or go home
„Dabei sein ist alles“ mag für Olympia und Indie-Studios gelten – für Weltkonzerne hingegen nicht. Denn ein Messe-Auftritt spiegelt üblicherweise die Marktposition eines Ausstellers wieder: Schließlich wird allein mit der Standgröße und dem betriebenen Aufwand auch die Marke in die Welt transportiert. Für große Unternehmen ist es schlichtweg keine Option, einen 5×5-Quadratmeter-Stand am hinteren Ende einer Messehalle mit Tapeziertischen zu betreiben. Und deshalb lautet die Entscheidung im Zweifel „Gar nicht“ statt „Ein bisschen“.
Alle Informationen rund um die Gamescom 2022 – Attraktionen, Aussteller, Öffnungszeiten, Tickets, Hotels – finden Sie in unserer Gamescom-Rubrik.
Dann zeichnet sich so langsam der Fall ab, den ich bereits progonstiziert habe. Durch das fehlende Lineup namenhafter Hersteller und der massiv erhöhten, um nicht zu sagen überzogenen Ticketpreise, wird das wohl doch eine sehr ernüchterne Gamescomwoche. Ich hoffe, dass es der Köln messe GmbH ordentlich um die Ohren fliegt, Krieg und erhöhte Energiekosten auf der einen Seite kann es trotzdem nicht sein, dass man alles zu 100% und mehr auf die Besucher umlegt!
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