Start Meinung InnoGames-‚Krise‘: Nicht überrascht (Fröhlich am Freitag)

InnoGames-‚Krise‘: Nicht überrascht (Fröhlich am Freitag)

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"Is' ordentlich, ne?": In TV-Spots des Job-Portals StepStone warb InnoGames für offene Stellen im Gamedesign (Abbildung: YouTube-Video)

Optimieren, fokussieren, restrukturieren: Die ‚Krise‘ bei InnoGames ist mit etwas Pech ein erster Vorbote für weiteres Ungemach.

Verehrter GamesWirtschaft-Leser,
verehrte GamesWirtschaft-Leserin,

zu den bedingt vergnügungssteuerpflichtigen Elementen des redaktionellen Alltags gehört die Lektüre von Quartals- und Geschäftsberichten. Doch die Mühe lohnt, denn mit etwas Glück stößt man beim Buddeln, Wühlen und Schürfen auf echte Goldnuggets. Also Informationen, bei denen das Scheinwerferlicht zwar nicht im Interesse des betroffenen Unternehmens liegt – aber eben von allen anderen.

Ohne den Teufel an die Wand malen zu wollen, ließ sich in vielen dieser Dokumente zuletzt eine gewisse Anspannung fühlen. Das hängt unter anderem damit zusammen, dass es der Industrie an klaren und frischen Impulsen fehlt – also ein ‚one more thing‘. Seit dem Geolocation-Straßenfeger Pokémon Go (2016) und der Erfindung des Battlepasses (Fortnite aufwärts) hat die Industrie kaum systemrelevante Geschäftsmodell-Innovationen hervorgebracht. Streaming, Cloud-Gaming, Flatrates, Virtual Reality, Blockchain / NFTs, Metaverse, E-Sport – alles rumpelt etwas uninspiriert vor sich hin.

Gleichzeitig schwächeln Cash-Cows, während neue Produkte nicht abheben – der letzte echte Hit liegt je nach Firma 5 Jahre oder noch länger zurück. Was mich total an das Frühjahr 2016 erinnert. Dazu muss man wissen: GamesWirtschaft wurde damals mitten in eine veritable Branchen-Krise hinein gegründet (Korrelation, keine Kausalität – ehrlich!). Vielerorts brannte es lichterloh. Wooga, Aeria Games, Gameforge, Bigpoint, Gameduell, Daedalic Entertainment, Crytek und so viele mehr: Ganze Standorte und Geschäftsbereiche wurden geschlossen, Tausende verloren binnen weniger Monate ihren Job. Die zuweilen überstrapazierte Metapher vom „Kahlschlag“ – hier war sie angebracht.

In der Retrospektive lautete die Anamnese meist: zu schnelles, zu ungezügeltes Wachstum gepaart mit Übermut von Jung-Entrepreneuren, Stakeholder-Gier, FOMO-Goldgräberstimmung oder schlichtweg mäßig ausgeprägte Resilienz für den gar nicht mal so unwahrscheinlichen Fall, dass Spiele auch floppen können.

Fröhlich am Freitag - die wöchentliche Kolumne bei GamesWirtschaft
Fröhlich am Freitag – die wöchentliche Kolumne bei GamesWirtschaft

Besonders übel mitgespielt wurde der Belegschaft von Goodgame Studios in Hamburg, die zwischenzeitlich auf 1.244 (!) Beschäftigte angeschwollen war – in mehreren Wellen ging es dann im Eiltempo wieder runter auf 318. Einige Monate zuvor hatte die Hamburger Morgenpost einen Betriebsratsverhinderungs-Beitrag über das Gründer-Duo Wawrzinek (der eine gelernter Zahnarzt, der andere promovierter Anwalt) mit der Frage überschrieben: „Sind das Hamburgs schlimmste Chefs?“. Sollte dieser Boulevard-Pranger Gefühle verletzt haben, würde ich vermuten, dass spätestens das 270-Millionen-€-Paket aus Cash und Aktien beim Exit im Dezember 2017 zur Linderung beigetragen hat.

In dieser Woche hat es nun ein weiteres Hamburger Vorzeige-Unternehmen ‚erwischt‘, dessen Produkt- und Personalpolitik ich stets als kompletten Gegenentwurf zur 2016-Version von Goodgame wahrgenommen habe, nämlich als ziemlich down-to-earth. Und trotzdem wird der Mobile- und Online-Games-Anbieter InnoGames (Forge of Empires, Die Stämme) demnächst 75 der 430 Angestellten entlassen, wie gestern bekannt wurde.

Ich war überrascht, wie wenig mich die Pressemitteilung überrascht hat. Warum? Weil der schwedische InnoGames-Mutterkonzern MTG schon Anfang Februar die argumentative Rampe gebaut hatte, und zwar – Sie ahnen es – im Geschäftsbericht.

Nach Abschluss der geplanten „strategischen Neuausrichtung“ ist InnoGames mit roundabout 350 Leuten zwar immer noch das zweitgrößte Studios des Landes und noch dazu hochprofitabel. Der Jahresüberschuss lag zuletzt bei irren 43 Millionen €. Trotzdem: Vergleicht man die InnoGames-Zahlen, bildet 2021 eine Art Abbruchkante. Der Umsatz legte nicht mehr zu, sondern den Rückwärtsgang ein. Ein Grund: unter Erwartung performenende Neuheiten.

Der Vorgang ist deshalb bemerkenswert, weil es erst ein Dreivierteljahr her ist, dass InnoGames die deutlich über Branchenschnitt rangierenden Gehälter offen gelegt, in TV-Spots beworben („Is‘ ordentlich, ne?“) und sich dadurch bessere Chancen im Wettbewerb um Fachkräfte ausgerechnet hat – sehr zum Verdruss von Mitbewerbern, die zu viel Transparenz als mindestens empörend empfanden (Hintergrund / Reaktionen / Kolumne). Frei nach dem Motto: Come on, Leute, denkt denn niemand an unseren Gender-Pay-Gap?

InnoGames will nun eine Transfergesellschaft einrichten – übrigens mit einer ähnlichen Begründung wie einst Goodgame Studios, nämlich mit Blick auf ausländische Beschäftigte, die um ihre Aufenthaltsgenehmigungen fürchten. Das Kümmern tut auch not, denn wer mit einer betriebsbedingten Kündigung konfrontiert wird, kämpft meist einen einsamen Kampf. Die 10-Milliarden-€-Games-Industrie in Deutschland hat zwar einen ausgesprochen einflussreichen Arbeitgeber-Verband (nämlich den Game), aber eben exakt keine Arbeitnehmer-Vertretung. Betriebsräte gibt es nur in einer Handvoll Firmen – bei Nintendo of Europe, Electronic Arts, Bigpoint und Microsoft Deutschland.

Wenn der Branchen-Primus hustet, muss der Rest der Industrie noch lange nicht grippal darnieder liegen. Trotzdem werte ich die gestrige Ankündigung als klares Warnsignal – und zwar gerade deshalb, weil die Stimmung besser ist als die Lage, die (noch) von zwei Sonderfaktoren übertüncht wird:

  • Da wären zum einen die massiven Subventionen von Bund und Ländern: Wenn der Steuerzahler zwischen 25 und 50 Prozent der Produktionskosten beisteuert (buchstäblich), dann mindert dies erstens Risiken, ermöglicht zweitens längere Entwicklungszeiten und erhöht drittens den ‚Production Value‘. Aus kleinen werden mittelgroße, aus mittelgroßen große Projekte. Auch InnoGames hat um Beistand beim Staat ersucht und einen Zuschuss erhalten – immerhin 1.307.746 €.
  • Zum anderen wird immer noch fleißig konsolidiert: Honorige Unternehmer tauschen ihre gewohnte unternehmerische Beinfreiheit Timm-Thaler-style gegen die gleichermaßen strengen wie anstrengenden Berichtslinien börsennotierter Konzerne ein – weniger Hemdsärmeligkeit, dafür größere Budgets plus ruhigerer Schlaf nach Jahren der Entbehrungen.

Der Haken: Die neuen Eigentümer stehen ihrerseits unter wachsendem Ergebnis- und Handlungs-Druck. So hat sich zum Beispiel der Börsenwert von Nacon oder Team17 seit den Übernahmen von Daedalic beziehungsweise Astragon glatt halbiert. Die Aktie von Stillfront (kontrolliert Goodgame Studios, Bytro Labs, Playa Games, Sandbox Interactive etc.) notierte vor zwei Jahren bei 10 € – heute Morgen: 1,58 €. Wer 2021 Anteile der Embracer Group (THQ Nordic, Plaion etc.) kaufte, rennt einem (Buch-)Verlust von bis zu 60 Prozent hinterher.

Und die Wochen der Wahrheit für deutsche Studios kommen erst noch: Mit The Lord of the Rings: Gollum (Daedalic, 25. Mai), Park Beyond (Limbic, 16. Juni), Atlas Fallen (Deck13, 10. August), dem neuen Spiel von Keen Games (Portal Knights), Shadow Gambit (Mimimi Games, irgendwann 2023) und weiteren Projekten stehen demnächst einige der aufwändigsten und demzufolge teuersten PC- und Konsolenspiele an, die je in Deutschland gebaut wurden.

Sie alle eint der Anspruch, im In- und Ausland zu reüssieren. Das ist nicht selbstverständlich. Der allererste Gastbeitrag bei GamesWirtschaft datiert vom 12. Juli 2016 und stammt von Daedalic-Gründer Carsten Fichtelmann, der dem damaligen Fördersystem attestierte, in Deutschland entstünde „zu über 80 Prozent lokaler, ökonomisch mit sehr eingeschränkten Erfolgsaussichten und vor allem international irrelevanter Käse“.

Seit Fichtelmanns Rant hat sich eine Menge verändert, überwiegend zum Positiven – man mag sich lieber nicht ausmalen, was zwischen Flensburg und Freising los wäre, wenn die Förderung zwischenzeitlich in den haushaltspolitischen Mühlen hops gegangen wäre.

Wie nachhaltig die staatlichen Markteingriffe sind, muss sich indes noch weisen; das Wirtschaftsministerium will demnächst mal ‚evaluieren‘. Ich bin rasend gespannt auf die Ergebnisse, würde aber auf ein Henry-Ford-Szenario tippen. Dem Auto-Pionier wird ja die Erkenntnis nachgesagt, dass die Hälfte seiner Werbe-Ausgaben hinausgeworfenes Geld sei – er wisse nur nicht, welche Hälfte. Oder wie es Habeck in seiner Gamescom-Rede nannte: „Sowieso-Mitnahme-Effekte“.

Wie gesagt, das Gefühl einer branchenweiten Anspannung ist eben nur das: ein Gefühl, das sich aus Zahlen und Tonalität der Geschäftsberichte ableitet. Aber falls demnächst weitere deutsche Spielehersteller eine „strategische Neuausrichtung“ oder den „Fokus auf Kernkompetenzen“ melden: Seien Sie bitte nicht allzu sehr überrascht.

Ein schönes Wochenende wünscht Ihnen

Petra Fröhlich
Chefredakteurin GamesWirtschaft

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1 Kommentar

  1. Die Branche ist an der Lage selbst schuld! Das was da in letzter Zeit von den alteingesessenen Firmen wie Blizzard, EA oder auch Ubisoft auf den Markt geworfen wird hat mit dem Grundgedanken der Spieleentwicklung absolut nichts mehr zu tun. Das fühlt sich momentan so an, als ob man versucht auszuloten wie weit man gehen kann bevor das von den Fans abgestraft wird. Ob das jetzt ein Overwatch 2 oder Die Siedler: Neue Allianzen ist, die Firmen setzen immer mehr auf konformistische Einheitsprodukte ohne Seele, dafür mit Battle Pass und Echtgeld Shop (Diablo IV) und das in einem Vollpreistitel für 80€.

    Die Fans fühlen sich zurecht verarscht und die Kunden sind allgemein äußerst vorsichtig geworden was den Kauf neuer Produkte angeht. Die Branche muss liefern und endlich wegkommen von alten verstaubten Ansichten und Erfolgsmodellen aus dem letzten Jahrtausenden. Wir brauchen keine Innovationen sondern mutige Projekte, die vielleicht nicht AAA und dafür etwas nieschig sind aber dafür einschlagen wie die lange erwartete Produkt-Bombe!

    Ich gebe unserer deutschen Industrie noch maximal 10 Jahre dann hat sich das mit dem Gamesstandort Deutschland ein für alle Mal erledigt. Es sei denn es gibt endlich eine 180° Kehrtwende

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