Start Wirtschaft Betriebsrat in der Games-Branche: Überfällig oder überflüssig? (Update)

Betriebsrat in der Games-Branche: Überfällig oder überflüssig? (Update)

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Kicker, Gratis-Snacks, Betriebsausflüge: Etablierte Studios wie InnoGames oder Wooga pflegen eine Startup-Kultur - ein Betriebsrat gehört üblicherweise nicht dazu (Foto: InnoGames GmbH)
Kicker, Gratis-Snacks, Betriebsausflüge: Etablierte Studios wie InnoGames oder Wooga pflegen eine Startup-Kultur - ein Betriebsrat gehört üblicherweise nicht dazu (Foto: InnoGames GmbH)

Guter Betriebsrat ist teuer – ein Grund, warum sich die Zahl solcher Gremien in der deutschen Games-Branche an einer Hand abzählen lässt.

Update vom 14. August 2020: Mit Massive Miniteam („Spitlings„) aus Pulheim bei Köln gibt es seit kurzem ein weiteres Studio, das sich für einen Betriebsrat entschieden hat. Wir haben den Beitrag entsprechend ergänzt.

Am Ende soll es am unzureichenden „Hygienekonzept“ des Wahllokals gelegen haben, das die Vorbereitung einer Betriebsratswahl bei der Berliner Smartphone-Bank N26 verhindert hat – so berichtet es das Portal Financefwd. Die Initiatoren seien per einstweiliger Verfügung gestoppt worden, vorerst zumindest. Die Gewerkschaft Ver.di spricht von einem „klaren Angriff auf die Bemühungen, einen Betriebsrat zu gründen“.

Kein Verständnis hat Deutsche-Startups.de-Chefredakteur Alexander Hüsing: „N26 Group will keinen Betriebsrat! Kann man machen, ist dann aber Mist! Die Startup-Szene kann von der Politik nicht immer Dinge fordern, wenn es gerade ins Konzept passt. Gleichzeitig aber normale Dinge ablehnen, wenn es nicht ins Konzept passt. So verspielt ihr alles!“, schimpft Hüsing auf Twitter. „Ein Betriebsrat ist einfach ein ganz normaler Vorgang in größeren Unternehmen. Man muss da kein Fan von sein, man sollte es aber akzeptieren, wenn Mitarbeiter sich einen wünschen. Ein Betriebsrat ist nicht das Ende der hippen Startup-Kultur.“

Tatsächlich sind Betriebsräte nicht nur bei deutschen Tech-Startups eine Ausnahme, sondern auch in der Games-Industrie – und die Argumente ähneln sich: Schnell wachsende, prosperierende Unternehmen würden ausgebremst, ein Betriebsrat käme einem Misstrauensvotum gegenüber dem Management gleich, die Firmenkultur sei inkompatibel, die Flexibilität einer ultradynamischen Branche ginge flöten und überhaupt sei die Freistellung sowie Schulung von Betriebsräten schlicht zu teuer und zeitintensiv.

 

Dabei ist das Videospiel-Gewerbe selbstverständlich nicht weniger anfällig für Konflikte zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern als jede andere Branche. Spätestens dann, wenn „Crunch“ zur Firmenkultur gehört, Abteilungen aufgelöst oder zusammengelegt oder Stellen abgebaut werden, wird zum Problem, wenn dem dafür zuständigen Ansprechpartner gleichzeitig die Firma gehört. Dann bleibt oft nur ein Wechsel von Arbeitgeber oder Branche.

Solange es „läuft“, lassen sich Personalfragen üblicherweise auf dem kleinen Dienstweg regeln. Die ersten Risse treten meist dann auf, wenn die Firma eine gewisse Größe erreicht – dann stellen sich Fragen von Arbeitszeiten, Teilzeit, Besetzung von Posten, Gehaltsstrukturen, Urlaubszeiten, Überstunden, Arbeitsplatz-Sicherheit, Aus- und Fortbildung oder – ganz aktuell – Home-Office-Regelungen. Allesamt Themen, bei denen der Betriebsrat zumindest gehört werden muss, im Einzelfall hat er sogar ein Vetorecht.

Zumindest rein rechtlich gibt es für die Gründung eines Betriebsrats vergleichsweise geringe Hürden: Fünf formal geeignete Angestellte genügen, egal ob Teilzeit oder Vollzeit.

Betriebsrat in der Games-Branche: Überfällig oder überflüssig?

Der letzte aktenkundige Versuch, eine formale Mitarbeitervertretung in der hiesigen Games-Industrie zu installieren, datiert aus dem Jahr 2016. Der damals heftig kriselnde und heute putzmuntere Hamburger Spiele-Entwickler Goodgame Studios wehrte sich letztlich erfolgreich gegen die Pläne von 30 „Musketieren“. Stattdessen entstand eine „Mitarbeitervertretung“ – die aber längst nicht mit den gleichen Rechten und Instrumenten ausgestattet ist wie ein regulärer Betriebsrat.

Stand August 2020 gibt es nur vier Konsolen- und Spiele-Anbieter in Deutschland, die über einen „richtigen“ Betriebsrat verfügen – darunter nur zwei Spiele-Entwickler:

  • Bigpoint (Hamburg / Berlin)
  • Massive Miniteam  (Pulheim) – UPDATE
  • Nintendo of Europe (Frankfurt am Main)
  • Electronic Arts Deutschland (Köln)
  • Microsoft Deutschland (München)

Noch ganz frisch ist der Betriebsrat bei Massive Miniteam („Spitlings“) in Pulheim nahe Köln. „Wir haben mit unseren Mitarbeitern über die Mitbestimmung der Mitarbeiter im Unternehmen sowie die Möglichkeiten des Feedbacks an die Geschäftsführung gesprochen“, erzählt Geschäftsführer Tim Schroeder. „Im Laufe der Gespräche kam dann der Wunsch nach einem Betriebsrat auf.“

Einer der 14 Mitarbeiter habe sich dann mit der Materie auseinander gesetzt und die Wahl vorbereitet. Vorteile aus Schroeders Sicht: Die Belegschaft würde stärker in Entscheidungen eingebunden – durch die gesetzlichen Vorhaben sei sich jeder bweusst, welche Rechte und Pflichten das Gremium hat.

„Wir haben vorher andere Formen der Mitbestimmung und des Feedbacks ausprobiert – diese wurden aber immer schwieriger oder weniger erfolgreich, je größer unser Team wurde. Der Betriebsrat gibt den Mitarbeitern den Raum sich gemeinsam zu organisieren um eine klare Stimme in Richtung der Geschäftsführung zu haben. Für uns macht das Entscheidungen einfacher, weil wir mit dem Betriebsrat einen klaren Ansprechpartner haben.“

Electronic-Arts-Niederlassung im Kölner Rheinau-Hafen (Foto: Fröhlich)
Electronic-Arts-Niederlassung im Kölner Rheinau-Hafen (Foto: Fröhlich)

Deutlich länger, nämlich schon seit 2009, existiert der Betriebsrat in der Electronic Arts-Zentrale („FIFA 21“, „Die Sims“) im Kölner Rheinauhafen. Weil EA weniger als 100 Personen beschäftigt, besteht das Gremium aus fünf Personen, darunter zwei Frauen.

Martin Lorber, PR Director bei Electronic Arts
Martin Lorber, PR Director bei Electronic Arts

Der Betriebsrat achtet nicht nur auf die Einhaltung von Arbeitnehmer-Rechten: „Darüber hinaus bringt der Betriebsrat regelmäßig Vorschläge in allen möglichen Arbeitsbereiche ein, bestimmt in den gesetzlich geregelten Bereichen mit und ist jederzeit vertrauensvoller Ansprechpartner für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter“, weiß EA-Sprecher Martin Lorber.

Anders im benachbarten Düsseldorf bei Ubisoft Deutschland, mit drei Standorten der zweitgrößte Arbeitgeber der deutschen Branche. „Wir haben keinen Tarifvertrag, pflegen bei Ubisoft aber eine respektvolle und offene Kultur“, heißt es aus der Zentrale. „Wir ermutigen jeden Mitarbeitenden, sich einzeln oder über Arbeitnehmervertretungen zu äußern und Ideen auszutauschen. Diese Offenheit fördert unsere Kreativität und macht Ubisoft einzigartig. Wir sind stets offen für alle Ideen, die von Menschen eingebracht werden, denen Ubisoft genauso am Herzen liegt wie uns.“

Die größten Arbeitgeber der deutschen Games-Branche 2020 (Stand: 5. Mai 2020)
Die größten Arbeitgeber der deutschen Games-Branche 2020 (Stand: 5. Mai 2020)

Der einzige deutsche Entwickler-Großbetrieb, der derzeit einen Betriebsrat unterhält, heißt Bigpoint – mittlerweile eine Tochter des chinesischen Konzerns Yoozoo. Zum Hamburger Browsergames- und Mobilegames-Entwickler gehört eine Niederlassung in Berlin, wo seit neun Jahren das Online-Rollenspiel „Drakensang Online“ betrieben wird.

Michael Satzer, Betriebsrats-Chef bei Bigpoint in Hamburg (Foto: privat)
Michael Satzer, Betriebsrats-Chef bei Bigpoint in Hamburg (Foto: privat)

„Die Situation bei Bigpoint war zeitweise herausfordernd. So gab es auch konfliktreiche Zeiten, die sich bis zum Landesarbeitsgericht eskaliert haben“, erzählt Betriebsrats-Chef Michael Satzer, der dem neunköpfigen Gremium im Hamburger Betrieb vorsitzt. „Ein Punkt bei uns waren auch die kulturellen Herausforderungen mit einem chinesischen Eigentümer. Dennoch hat sich die Zusammenarbeit in den letzten Jahren deutlich verbessert und es herrscht mittlerweile ein konstruktives Miteinander.“

Satzer ist sich natürlich auch dessen bewusst, dass seine Rolle als Mitarbeitervertreter nicht zwingend karriere-förderlich ist – zumal in einer Branche, „in welcher Betriebsräte noch eher als unnötig und vielleicht auch störend von den Eigentümern empfunden werden.“

Ver.di: „Betriebsrat kommt oft nur im Konflikt mit dem Unternehmen zustande“

Auch bei der zuständigen Gewerkschaft Ver.di weiß man um diese Risiken und Nebenwirkungen von Betriebsrats-Gründungen – nicht erst seit der Causa Goodgame Studios.

Zwar gebe es an verschiedenen Standorten „immer wieder einmal vertrauensvolle Kontakte“ in Unternehmen der Branche. Letztendlich erweise sich die Gründung eines Betriebsrates aber als „sehr problematisch“, berichtet Tarifsekretär Matthias von Fintel aus der Praxis. Bei der gemeinsamen Analyse mit den Aktiven würde sich schnell herausstellen, dass ein Betriebsrat „nur im Konflikt mit den Unternehmen“ zustande kommen könnte – oft genug ein Ko-Kriterium.

„Deshalb schützen wir unsere Kontakt-Personen in den Games-Unternehmen und sichern bis zur gesetzlich geschützten Wahl die an uns herantretenden Mitglieder und auch künftige ver.di-Mitglieder, die sich an uns wenden und dann zwecks ihrer Interessenvertretung bei uns Mitglied werden.“

Weiterhin selten: Betriebsräte in der Games-Branche

Derzeit gibt es keine Indizien, dass die Zahl der Betriebsräte in deutschen Games-Manufakturen in absehbarer Zeit sprunghaft steigen würde – als mindestens „aus der Zeit gefallen“, wenn nicht gar „überflüssig“ gilt das Instrument. Impulse könnten allenfalls aus der Politik kommen: Erst Anfang des Jahres hatte die Berliner SPD gefordert, dass staatliche Fördergelder an entsprechende Kriterien gebunden sind.

Konkret: Keine Subvention ohne Tarifbindung und betriebliche Mitbestimmung.

In der Praxis hätte dies zum Beispiel bedeutet, dass der 1,58-Millionen-Euro-Zuschuss zum Aufbau von Ubisoft Berlin zwingend den Aufbau eines Betriebsrats nach sich gezogen hätte. Dort sind derzeit 150 der fast 800 Ubisoft-Mitarbeiter beschäftigt.

Benedikt Grindel (Managing Director Ubisoft Blue Byte), Staatssekretär Christian Rickerts, Ubisoft-CEO Yves Guillemot, Digital-Staatsministerin Dorothee Bär und Studioleiter Istvan Tajnay feiern die offizielle Eröffnung von Ubisoft Berlin (Foto: Ubisoft)
Benedikt Grindel (Managing Director Ubisoft Blue Byte), Staatssekretär Christian Rickerts, Ubisoft-CEO Yves Guillemot, Digital-Staatsministerin Dorothee Bär und Studioleiter Istvan Tajnay feiern die offizielle Eröffnung von Ubisoft Berlin (Foto: Ubisoft)

Dass die SPD-Forderung zunächst nicht weiter verfolgt wurde, liegt auch am heftigen Lobby-Gegenwind: So warnte der Bundesverband Deutsche Startups umgehend vor „katastrophalen Konsequenzen“ für Berlin – solche Restriktionen würden nur zu Verunsicherung führen und der „Startup-Hauptstadt“ vermeidbaren Schaden zufügen.

Bei der Online-Bank N26 zeichnet sich nun ein ähnliches Prozedere ab wie einst bei Goodgame Studios. Denn parallel zur für morgen anberaumten Betriebsrats-Veranstaltung lädt das Management laut Medienberichten zu einem unternehmensweiten Meeting. Anlass: ein Kick-Off-Event für eine „alternative Arbeitnehmervertretung“.