Start Meinung One Trick Pony (Fröhlich am Freitag)

One Trick Pony (Fröhlich am Freitag)

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Ein One-Trick-Pony (Abbildung: ähnlich / Midjourney)
Ein One-Trick-Pony (Abbildung: ähnlich / Midjourney)

Die nationale und internationale Games-Industrie ist voller One-Trick-Ponys. Was super ist, solange es läuft. Aber wehe, wenn nicht.

Verehrte GamesWirtschaft-Leserin,
verehrter GamesWirtschaft-Leser,

ein Raunen geht durch die Sitzreihen, als Chef-Entwickler Stefan Geiger auf der Großleinwand geradezu Magisches vorführt: Morgendlicher Bodennebel auf Wiesen. Regennasse Straßen. Sonnenlicht, das sich in Baumkronen bricht. Wasserperl-Effekte auf Motorhauben. Matsch-Klumpen, die sich glaubhaft zwischen den XXL-Stollen eines Traktors absetzen.

Doch es soll noch besser kommen: Denn die virtuelle Ackerkrume ist neuerdings nicht nur eine flache Textur-Tapete. Stattdessen verformt sich der Untergrund, wenn der Trecker durchs Geläuf pflügt und eine tiefe Schneise hinterlässt – wie in echt.

Es ist einer jener Momente, die den Saal vorübergehend zum Kochen bringen. Geiger weiß spätestens jetzt: Alles richtig gemacht. Manchmal bedarf es vermeintlicher Kleinigkeiten, um Menschen sehr, sehr glücklich zu machen.

Fröhlich am Freitag - die wöchentliche Kolumne bei GamesWirtschaft
Fröhlich am Freitag – die wöchentliche Kolumne bei GamesWirtschaft

Die Szenen spielten sich vor knapp zwei Wochen in Marktoberdorf im Allgäu ab, am Firmensitz des Agrar-Riesen Fendt, wo das Schweizer Landwirtschafts-Simulator-Studio Giants diesmal die alljährliche Messe zelebrierte. 3.500 Anhänger waren zur FarmCon angereist, so viele wie nie, aus dem ganzen Bundesgebiet und darüber hinaus, oft mit Kind und Kegel. An Attraktionen mangelt es nicht: Spielstationen, Bratwurst-Buden, Präsentationen, Werksführungen, Hüpfburg – Ticketpreis: 14,99 €.

Alle Anwesenden eint ein Hobby, nämlich der Landwirtschafts-Simulator respektive Farming-Simulator. Mehr als sechs Millionen Stück hat das Studio allein von der aktuellen Baureihe verkauft – im November kommt der Nachfolger (der mit dem Matsch im Stollen). Electronic Arts wird sich mit EA Sports FC 25 hart anstrengen müssen, um die Chart-Spitze zu verteidigen.

Das Herzstück des Farming-Simulators, gleichsam der Sieben-Zylinder der Serie, ist die Giants Engine 10. Warum der ‚Luxus‘ einer eigenen Technologie? Weil die Anforderungen an Spielmechanik und -physik so umfangreich und so speziell sind, dass Unreal, Unity & Co. an Grenzen stoßen. Hinzu kommt, dass das Spiele-Universum anschlussfähig bleiben muss für Mods – also für 3D-Gebäude oder -Maschinen, die Fans in ihrer Freizeit zusammenklöppeln und dann in eine Datenbank einpflegen. Dort können sie andere Spieler kostenlos herunterladen. Ein Lehrbeispiel dafür, wie man aus Kunden Fans macht.

Zur Wahrheit gehört aber auch: Der bemerkenswerte kommerzielle Erfolg von Giants Software basiert nach wie vor auf einer einzigen Marke – sprich: Landwirtschafts-Simulator plus Ableger.

Giants Software ist somit das, was man gemeinhin ein One Trick Pony nennt. Es klingt despektierlicher, als es gemeint ist. Denn tatsächlich ist es ja eine hohe Kunst, ein Produkt so zu perfektionieren und frisch zu halten, dass die Spieler bei der Stange bleiben, teils über Jahrzehnte hinweg. Ein zuletzt dreistelliger Millionen-Fränkli-Umsatz gibt Recht – und Zuversicht.

Die nationale und internationale Games-Industrie ist voll bis unters Dach mit solchen One-Trick-Ponyhöfen. Von außen wirkt es häufig nicht so, doch spätestens der Blick in die Quartals- und Geschäftsberichte macht klar: Bei vielen, vielen, vielen Studios gibt es einen einzigen Titel, der Mieten, Gehälter, Leasing-Raten und Boni zahlt. Alles drumrum ist Beifang, bestenfalls.

Die erzielten Umsätze und Margen sind im Einzelfall gewaltig. Wer nicht knöcheltief in der Materie steckt, wird verblüfft sein, dass auch etliche Games aus Germany im Lauf der Jahre mehr als eine Milliarde Euro eingespielt haben – ein Forge of Empires (InnoGames), ein June’s Journey (Wooga), ein Goodgame Empire (GoodGame Studios). Bei CipSoft in Regensburg performt der 27 Jahre alte Rollenspiel-Gaul Tibia immer noch so gut, dass den 100 Angestellten rückwirkend zehn zusätzliche Monatsgehälter aufs Konto flattern.

Überhaupt hat das One-Trick-Modell viel Schönes, weil es vollen Fokus erlaubt. Trotzdem oder gerade deswegen arbeiten all diese und ungefähr alle anderen etablierten Firmen daran, das Portfolio zu erweitern. Was unfassbar schwer ist. Ungezählte Projekte werden heimlich und klamm wieder eingestellt, wenn die ersten Kennzahlen deprimierend ausfallen. Der Marken-Friedhof wächst im Wochentakt – dort, wo all die Ideen ruhen, die oft nicht einmal den Softlaunch überleben. Wenn der Hauptumsatzträger schwächelt, kann dies oft nicht durch andere Titel kompensiert werden.

Frag nach bei der Berliner Ubisoft-Tochter Kolibri Games: Dort sind die Einnahmen zuletzt um ein Viertel und der Gewinn um die Hälfte eingebrochen. Die Gründe: ein „reifendes Spieleportfolio“, das Ende der „Corona-Sonderkonjunktur“ (O-Ton), das miese Konsumklima, Russland, strengerer Datenschutz (was Tracking und Marketing erschwert), mehr Regulierung, daraus folgend weniger Neukunden (die obendrein höhere Akquise-Kosten verursachen) und zu allem Übel auch noch technische Probleme beim „Flaggschiffspiel“.

Gemeint ist der Smartphone-Bergwerks-Zeitvertreib Idle Miner Tycoon, der aus einem Studentenbuden-Startup eine Firma mit einem 120-Millionen-€-Preisschild gemacht hatte.

Das Management von Kolibri Games hat auf all diese Herausforderungen interessante Antworten gefunden: Sie heißen Idle Mail Tycoon, Idle High School Tycoon, Idle Farm Tycoon, Idle Taxi Tycoon, Idle Pirate Tycoon, Idle Factory Tycoon, Idle Bank Tycoon, Idle Restaurant Tycoon und Idle Firefighter Tycoon. Motto: Bevor uns andere kopieren, klonen wir unsere Herde lieber selbst.

Die Branchen-Turbulenzen der jüngeren Vergangenheit haben auffällig oft damit zu tun, dass es nicht gelungen ist, den nächsten Schritt zu gehen und den Umsatz auf mehrere Säulen zu verteilen – Beispiel Rovio, wo die Finnen nach dem Welterfolg mit Angry Birds nie substanziell nachlegen konnten. Anders die ebenfalls finnische Tencent-Schmiede Supercell, die Dauerbrenner wie Hay Day oder Clash of Clans (beide Baujahr 2012) um Clash Royale (2016) und Brawl Stars (2018) ergänzte. Davor und danach: viele, viele Flops und gefühlt marktreife Ansätze, die zwei Sekunden vor Rollout wieder eingestellt werden. ‚Kill Your Darlings‘ ist Teil der Supercell-DNA.

Beim Farmcon-Hintergrund-Gespräch mit Giants-Gründer Christian Ammann spreche ich diese One-Trick-Pony-Risiken und -Nebenwirkungen an: Wär’s nicht an der Zeit, um …? Der Schweizer winkt ab: „Uns geht’s gut“.

Den beiden Beisitzern – Sprecher Wolfgang Ebert und Publishing-Chef Boris Stefan – huscht währenddessen ein Grinsen übers Gesicht. Denn sie wissen ja, was Ammann wenige Minuten später spoilern wird: Nämlich, dass Giants Software zum ersten Mal ein neues Pony ins Gestüt nimmt, um mehr PS auf die Straße zu bringen. Entsprechende Andeutungen hatte es immer wieder gegeben, zuletzt zur Gamescom 2023. Ganz schnell könne es gehen, wenn das passende Produkt auf dem Tisch läge.

Das ist nun der Fall: Project Motor Racing ist eine schrauben-genaue Rennsimulation, made in the UK. Die Schnittmengen zum Landwirtschafts-Simulator: offenkundig. Sicher, der Racing-Markt ‚tickt‘ etwas anders. Aber alle wissen, worauf sie sich einlassen.

Und falls die Project Motor Racing-Macher wider Erwarten nicht selbst herausfinden, wie sich Matsch in Reifenprofilen glaubwürdig simulieren ließe, wissen sie ja jetzt, wen sie anrufen können.

Ein schönes Wochenende wünscht Ihnen

Petra Fröhlich
Chefredakteurin GamesWirtschaft


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