Die Nintendo of Europe GmbH betreut und beliefert Spielefans in ganz Europa – und bekommt nach 30 Jahren immer mehr Verantwortung.
Wer vom Frankfurter Flughafen auf der A5 Richtung Innenstadt fährt, erspäht auf der rechten Seite ein Bürogebäude mit dem Nintendo-Logo. Dort – im Stadtteil Niederrad – befindet sich seit 2020 die neue, 15.000 Quadratmeter große Nintendo-Zentrale, die inmitten der Corona-Phase bezogen wurde.
In Deutschland beschäftigt der japanische Videospiele-Konzern bis zu 950 Menschen – mehr als zehn Mal so viele wie etwa Electronic Arts in Köln oder Sony Interactive Entertainment Deutschland in Neuisenburg. Damit ist Nintendo neben Ubisoft der größte Arbeitgeber der deutschen Games-Industrie – noch dazu mit eigenem Betriebsrat, den es nur bei ganz wenigen Spiele-Unternehmen im Land gibt.
Stellt sich die Frage: Wozu braucht ausgerechnet der Super Mario-Konzern so viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – zumal die eigentliche Hardware- und Software-Entwicklung ja in Japan passiert?
Nintendo of Europe: Einer der größten Arbeitgeber der deutschen Games-Branche
Einen Hinweis auf die Lösung liefert der Name der Niederlassung: Nintendo of Europe. Denn in Frankfurt befindet sich neben der für Deutschland zuständigen, 60köpfigen Marketing- und Vertriebs-Dependance auch die Europazentrale – eine außergewöhnliche Konstellation, denn Activision Blizzard, Sony PlayStation, Konami, Capcom und weitere Spielehersteller haben ihr Europa-Geschäft im Großraum London konzentriert.
Vor kurzem hat Nintendo of Europe sogar noch weitere Zuständigkeiten – etwa für Frankreich oder die Benelux-Staaten – hinzubekommen. In diesem Zusammenhang wird sich auch die Gesellschaftsform ändern: Aus der Nintendo of Europe GmbH wird ab August 2024 die Nintendo of Europe SE.
Nintendos Europa-Zentrale erzielte zuletzt einen Umsatz von mehr als 3 Milliarden €, davon entfällt knapp jeder fünfte Euro auf Deutschland. Mehr als 6 Millionen Switch-Konsolen und 29 Millionen Switch-Spiele wurden europaweit ausgeliefert. Allein 7 (!) der 20 meistverkauften Games-Neuheiten 2022 in Deutschland stammen von Nintendo, darunter Pokémon Legenden: Arceus, Splatoon 3 oder Nintendo Switch Sports.
Nintendo of Europe: Luigi, Loka und Lizenzen
Wie verteilen sich die Aufgaben bei Nintendo of Europe? „Die mitarbeiterstärkste Abteilung ist verantwortlich für die Übersetzung, Lokalisierung und Kulturalisierung der Nintendo-Spiele“, erklärt Nintendo-Sprecherin Silja Gülicher-Dütsch, die seit 14 Jahren für Nintendo arbeitet. „Die verschiedenen Sprachversionen werden unter Berücksichtigung kultureller Besonderheiten der verschiedenen Länder erstellt, in denen die Spiele erscheinen. So wird sichergestellt, dass etwa ein ursprünglich japanischer Wortwitz sowohl auf der inhaltlichen Ebene übersetzt als humoristisch adaptiert wird.“
Zweitgrößte Abteilung: das sogenannte „Lotcheck Department“, das Switch-Spiele überprüft und testet – und zusammen mit Kundendienst, Reparaturen und Qualitäts-Management eine eigene ‚Jobfamilie‘ bildet. Das Lotcheck Department steht im engen Austausch mit den Experten von Developer Relations & Support (DRS) und European Publisher Business (EPB), die externe Switch-Entwickler und -Publisher bei technischen oder vertrieblichen Fragen unterstützen.
Das europäische Marketing umfasst unter anderem Brand Management, Social Media, Öffentlichkeitsarbeit und interne Kommunikation. Hinzu kommen Spezialisten für IT, Personal, Finanzen, Recht oder Distribution – also eine Struktur, wie man sie bei vielen Unternehmen dieser Größenordnung vorfindet.
Nicht ganz so üblich: die Lizenz-Abteilung, die immer dann ins Spiel kommt, wenn zum Beispiel Fanartikel-Anbieter, Pizza-Produzenten, Gummibärchen-Hersteller oder Fast-Food-Ketten mit Nintendo-Figuren werben wollen.
Wieviel Spielraum hat Nintendo of Europe?
Egal ob eShop, Switch-Zubehör oder The Legend of Zelda: Tears of the Kingdom: Die wesentlichen Entscheidungen mit Blick auf das bestehende und künftige Plattform- und Games-Portfolio werden natürlich in der Nintendo-Zentrale im japanischen Kyoto getroffen. Bei welchen Themen ergeben sich Spielräume für die Europa-Filiale?
„Auf europäischer Ebene werden in enger Abstimmung mit unseren japanischen Kolleginnen und Kollegen Ziele vorgegeben“, erklärt Silja Gülicher-Dütsch gegenüber GamesWirtschaft. „Wie genau diese dann in den Ländern erreicht werden, entscheiden diese weitestgehend selbstständig. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass jedes Land seine lokalen Besonderheiten und vor allem auch seine kulturellen Vorlieben bei Videospielen hat, die auf diese Weise sowohl in der Kommunikation als auch beim Handel mit einbezogen werden können.“
Nintendo: Zuhause in der „kleinsten Metropole der Welt“
Die außergewöhnlich starke Verwurzelung von Nintendo in Deutschland hat historische Gründe. Denn die erste Nintendo-Zentrale entstand bereits 1990, also zu Gameboy-Zeiten. Bis zum Umzug nach Frankfurt im Jahr 2015 hatte das Unternehmen seinen Sitz im nordbayerischen Großostheim.
„Die Entscheidung für Frankfurt fiel seinerzeit vor allem aufgrund der verkehrsgünstigen Lage der Stadt“, weiß Silja Gülicher-Dütsch. „Gerade der Frankfurter Flughafen ist sowohl innerhalb Europas als auch interkontinental hervorragend angebunden. Als „kleinste Metropole der Welt“ hat Frankfurt all die Annehmlichkeiten und Anregungen einer Weltstadt zu bieten, während das ländlichere und erholsame Umland stets nur einen Katzensprung entfernt ist.“
Auch wenn Nintendo of Europe dafür sorgt, dass man Switch-Spiele und -Konsolen auf dem ganzen Kontinent kaufen kann – für die Frankfurter Niederlassung gilt das nicht. Denn einen ‚Werksverkauf‘ bietet das Unternehmen nicht an.
Dennoch käme es regelmäßig vor, dass Personen klingeln und sich erkundigen, ob es vielleicht nicht doch einen Shop im Haus gäbe. „Auch das ein oder andere Selfie vor dem Nintendo-Logo wurde schon aufgenommen“, schmunzelt Silja Gülicher-Dütsch, deren Familie eng mit dem US-amerikanischen Synchronsprecher Charles Martinet befreundet ist.
Martinet, der Nintendo-Stars wie „It’s a me“-Mario, Luigi oder Donkey Kong seine berühmte Stimme leiht, ist – Achtung, Funfact – sogar der Patenonkel ihres Sohnes.