Knapp 400 Mitarbeiter beschäftigt Crytek alleine am Standort Frankfurt/Main. Seit Wochen kursieren – undementierte – Berichte über unbezahlte Gehälter. Was ist dran an der Geschichte?
[no_toc]Die Vorwürfe, die in Foren, Mails, auf Plattformen und in Blogs formuliert werden, sind massiv. Demnach habe Crytek einer nicht näher bezifferten Zahl an Mitarbeitern in Deutschland und in mehreren Filialen für die Monate Oktober und November keinen Cent Gehalt gezahlt. Betroffene Kollegen würden demnach immer wieder vertröstet – die Angestellten leben also zwangsläufig von Rücklagen.
Bereits die Löhne für die Monate Juni bis September seien mit Verspätung von bis zu einem Monat ausbezahlt worden.
Für Zahlungsverzögerungen dieser Art gibt es wenig andere schlüssige Erklärungen als jene, dass Crytek – erneut – in existenziellen Schwierigkeiten steckt.
Crytek: Mitarbeiter berichten über ausstehende Gehälter für Oktober und November
Dass Gehälter flächendeckend über einen derart langen Zeitraum vorenthalten werden, kommt zwar vor, ist aber nach Auskunft von Arbeitsrechtlern außergewöhnlich. Denn im Falle einer akuten oder drohenden Zahlungsunfähigkeit müssen die Geschäftsführer gemäß der deutschen Insolvenzordnung innerhalb von längstens drei Wochen einen Insolvenzantrag stellen, um sich nicht der Insolvenzverschleppung schuldig zu machen.
Es spricht viel dafür, dass in den vergangenen Monaten mindestens die fälligen Abgaben an die Sozialkassen (Krankenversicherungen, Rentenversicherungen etc.) beglichen wurden. Wird der entsprechende Arbeitgeberanteil nicht in vollem Umfang und rechtzeitig bezahlt, drohen unter Umständen hohe Geldstrafen und Freiheitsstrafen bis zu fünf Jahren, in besonders schweren Fällen bis zu zehn Jahre.
Crytek: Situation erinnert an Beinahe-Pleite des Jahres 2014
Allen aktuellen Berichten ist eines gemein: Sie stammen aus einigen wenigen und zwangsläufig anonymen Quellen und sind daher kaum nachprüfbar. Flankiert werden diese Berichte von mehr oder minder belegbaren Schilderungen, dass die Firmengründer nur noch selten im Hauptquartier in der Frankfurter Innenstadt auftauchten.
Bislang schweigt Crytek zu all diesen Vorwürfen. Anfragen nationaler und internationaler Medien blieben unbeantwortet. Indes haben uns mehrere Mitarbeiter aus dem unmittelbaren Crytek-Umfeld glaubhaft bestätigt, dass die Berichte im Kern zutreffen.
Die kolportierte Vorgehensweise erinnert frappierend an die Situation vor zwei Jahren. Damals sagte Firmengründer Cevat Yerli in einem Interview mit Eurogamer: „Man hat zwei Alternativen: Entweder man verzögert die Zahlungen und rettet die Firma. Es geht nicht darum, dass man die Leute nicht bezahlt – die Auszahlung wird nur verzögert. Oder aber man leitet den Cashflow direkt in die Studios um und stellt einen Insolvenzantrag. Beide Optionen sind gleichermaßen schlimm. Deshalb muss man das Beste aus einer der beiden schlechten Entscheidungen machen.“
Schon in dieser kritischen Phase im Jahr 2014 überlebte das Frankfurter Unternehmen nur dank eines 50-Millionen-Euro-Lizenzdeals mit Amazon. Im selben Jahr wurde die britische Niederlassung inklusive der Homefront-Rechte an die Koch-Media-Tochter Deep Silver verkauft.
Crytek: Top 5 der größten Games-Studios in Deutschland
Das 1999 im fränkischen Coburg gegründete Unternehmen ist einer der wenigen deutschen Spielehersteller, die auch außerhalb der Landesgrenzen bekannt sind. Einen Namen machte sich Crytek mit der CryEngine, dem Xbox-One-Launch-Spiel Ryse: Son of Rome, den Shootern der Crysis-Reihe und dem Free2play-Spiel Warface, das insbesondere in Osteuropa und Russland erfolgreich ist.
Außerdem zählt das Frankfurter Studio zu den Pionieren im Bereich Virtual Reality: Mit The Climb (Oculus Rift) und Robinson: The Journey (PlayStation VR) wurden in diesem Jahr gleich zwei Spiele veröffentlicht.
Mit zuletzt 390 Angestellten ist das Frankfurter Studio das nach Mitarbeitern fünftgrößte Games-Unternehmen in Deutschland. Hinzu kommen mehr als 300 Angestellte bei den Tochterfirmen in Istanbul, Seoul, Kiew, Budapest, Sofia und Shanghai. Das Studio Crytek Black Sea im bulgarischen Sofia steht offenkundig zum Verkauf. Dort hätten die Mitarbeiter angeblich die Arbeit niedergelegt, aus Protest gegen die ausbleibenden Gehälter. Laut einem Bericht des Blogs Letsplayvideogames.com sei seit dreieinhalb Monaten kein Geld geflossen.
Die Crytek GmbH machte 2014 einen Umsatz von knapp 70 Millionen Euro, neuere Zahlen liegen nicht vor. Auf PC-, Konsolen- und Online-Spiele entfiel ein Umsatz von rund 20 Millionen Euro – der „Rest“ von über 49 Millionen Euro stammt aus der Vermarktung der CryEngine.
Die Technologie befeuert unter anderem Spiele wie Evolve (2K Games), Star Citizen (Cloud Imperium Games), Sniper: Ghost Warrior 3 (City Interactive), Kingdom Come: Deliverance (Warhorse), Battlecry und Prey (Bethesda) und natürlich die hauseigenen VR-Titel.
Crytek in Not: Die Zeit drängt
Laut einem Kotaku-Bericht habe das Crytek-Management die Belegschaft am vergangenen Freitag (also am 9. Dezember) darüber informiert, dass mit Hochdruck nach frischem Geld gefahndet wird, das die Firma am Leben erhält. Die Bemühungen seien aber noch nicht vom Erfolg gekrönt gewesen. In Frage kämen beispielsweise weitere Kredite, ein neuer Investor oder der Verkauf von Assets, also ganzen Studios oder Markenrechten.
Mit einer einmaligen Geldspritze wird es nicht getan sein, denn der Kapitalbedarf ist enorm. Treffen die Berichte über ausstehende Gehaltszahlungen zu und legt man die Personalkosten des Jahres 2014 zugrunde, so sind alleine in den Monaten Oktober, November und Dezember Beträge jenseits von 5 Millionen Euro aufgelaufen.
Es erscheint kaum vorstellbar, dass Crytek mit einem ungelösten Finanzierungsproblem, demoralisierten Angestellten und verunsicherten Kunden und Geschäftspartnern in die Weihnachtsferien geht. Die Zeit drängt also. In den nächsten Tagen wird sich zeigen, ob Crytek noch zu retten ist.