Start Meinung Die Akte Far Cry (Fröhlich am Freitag)

Die Akte Far Cry (Fröhlich am Freitag)

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Das ikonische Far Cry-Logo des Jahres 2004 hat bis heute überlebt (Abbildung: Crytek / Ubisoft)
Das ikonische Far Cry-Logo des Jahres 2004 hat bis heute überlebt (Abbildung: Crytek / Ubisoft)

Die Shooter-Marke Far Cry feiert 20. Geburtstag. Eigentlich ein Grund zum Feiern. Möchte man meinen. Warum die Party kleiner ausfällt als erwartet.

Verehrter GamesWirtschaft-Leser,
verehrte GamesWirtschaft-Leserin,

es ist nicht überliefert, ob im Crytek-Hauptquartier in Frankfurt-Fechenheim in diesen Tagen Partyhütchen und Tröten verteilt wurden. Ob eine Torte angeschnitten wurde. Ob gar Schaumwein floss. Oder ob man sich all das Gedöns für den September aufhebt, wenn das Studio offiziell das 25jährige Betriebsjubiläum begeht. Auf den Social-Media-Kanälen von Crytek blieb es jedenfalls erstaunlich still – noch nicht mal eine Pressemitteilung wurde versandt.

Dabei gäbe es durchaus Anlass zum Feiern: Denn im März 2004, also vor 20 Jahren, kam der Ego-Shooter Far Cry auf den Markt, der sich laut Hersteller 3 Millionen Mal verkauft hat. Vier Jahre zuvor hatten die Brüder Faruk, Avni und Cevat Yerli eine Technik-Demo im fränkischen 40.000-Seelen-Nest Coburg gebaut und auf einer Messe in London vorgestellt. Daraus leitete sich neben dem Spiel auch ein Software-Baukasten – die CryEngine – ab, weil die damals verfügbaren Tools nicht den Ansprüchen der Entwickler genügten.

Heute gehört Crytek zu den international bekanntesten und größten Spiele-Entwicklern mit Sitz in Deutschland – mit weltweit 450 Beschäftigten und okayer Finanzlage dank CryEngine-Provisionen und dem anhaltenden Erfolg des Online-Shooters Hunt: Showdown, der den Löwenanteil zum Crytek-Umsatz beisteuert und 2023 erneut zu den umsatzstärksten Titeln bei Steam zählte. Derzeit laufen die Arbeiten am Science-Fiction-Shooter Crysis 4, der irgendwann für PC und Konsole erscheinen soll.

Fröhlich am Freitag - die wöchentliche Kolumne bei GamesWirtschaft
Fröhlich am Freitag – die wöchentliche Kolumne bei GamesWirtschaft

Dass Crytek wieder gut da steht, ist nicht selbstverständlich: Noch vor wenigen Jahren bewegte sich das Studio am Abgrund – Meldungen von unbezahlten Gehältern sorgten regelmäßig für Unruhe in Belegschaft und Branche. Die Dauer-Krise führte schließlich zu Entlassungen und Standort-Schließungen, ehe substanzielle Darlehen das Unternehmen stabilisierten und für frische Liquidität sorgten.

Doch die Basis für den späteren raketenhaften Aufstieg legte Far Cry, das 2004 zunächst für PC, zehn Jahre später für PlayStation 3 und Xbox 360 erschien – co-finanziert und vermarktet von Ubisoft.

Co-Gründer Cevat Yerli, bis 2023 an Bord und mittlerweile Metaverse-Investor, plauderte in dieser Woche auf seinem LinkedIn-Profil aus dem Nähkästchen. So hatten 90 Prozent des Teams vor Far Cry noch nie ein Spiel entwickelt, noch nicht einmal auf Amateur-Ebene. Das Motto: Geht nicht? Gibt’s nicht.

In vielerlei Hinsicht habe man damals Pionier-Arbeit geleistet. Die Programmierer und Game-Designer taten nämlich exakt das Gegenteil dessen, was zu dieser Zeit üblich war: kräftige Farben statt dunkler Dungeons, dazu ‚clevere‘, glaubwürdige Gegner mit künstlich-intelligentem Verhalten anstelle vorgeskripteter Routen und als Sahnehäubchen eine offene Spielwelt mit üppiger Vegetation statt stumpfer Korridore. Die Idee für die paradiesischen Insel-Schauplätze von Far Cry sei während seines Malediven-Urlaubs Ende der 90er entstanden, sagt Yerli.

Was heute als Standard gilt, war damals eine Revolution – mindestens technisch. Das empfanden auch die Kunden so, und erst recht die entzückte Fachpresse, die Höchstnoten vergab. Etwas weniger begeistert war man lediglich bei der Bonner Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM) – und zwar mit Blick auf die sogenannten Ragdoll-Effekte. Damit gemeint ist der Umstand, dass sich die leblosen Körper erledigter Spielfiguren nachträglich bewegen und malträtieren lassen.

Der vorab verbreiteten Demo-Version attestierten die BPjM-Gremien, sie sei „aufgrund ihrer gewalttätigen, verrohenden Inhalte geeignet, die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen oder ihre Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit zu gefährden“.

In der ursprünglich ausgelieferten deutschen Vollversion war die morbide Ragdoll-Funktion deaktiviert, doch die Effekte ließen sich mit geringem Aufwand wieder zuschalten. Das blieb den Behörden nicht verborgen, was zur Indizierung des Spiels und damit zu einem faktischen Vertriebs- und Marketing-Verbot führte. Die USK-18-Freigabe war damit jedenfalls hinfällig. Die Düsseldorfer Ubisoft-Niederlassung brauchte einige Wochen, um dem Handel eine überarbeitete Fassung zu liefern, in der sich die Figuren sanft in Luft auflösten – und die dadurch wieder den amtlichen Ansprüchen genügte.

Dass Crytek den Far Cry-Geburtstag so zurückhaltend begeht, mag auch daran liegen, dass die Markenrechte seit jeher beim französischen Publisher Ubisoft liegen, und zwar schon seit Juli 2002. Während Crytek ab 2004 gemeinsam mit Electronic Arts an der eigenen Shooter-Marke Crysis arbeitete, beauftragte Ubisoft die Niederlassung in Montreal mit Far Cry 2. Seitdem gehört die Shooter-Serie zu den langlebigsten und kommerziell lukrativsten Serien im Ubisoft-Portfolio. Far Cry 6 ist seit Oktober 2021 erhältlich, den Bösewicht spielt Breaking Bad-Star Giancarlo Esposito. An der Entwicklung beteiligt waren in Summe elf Studios in aller Welt, darunter auch Ubisoft Berlin.

Damit schließt sich ein Kreis, der vor zwei Jahrzehnten in Deutschland begonnen hat. Denn mit Far Cry hat Crytek zweifellos Computerspiele-Geschichte geschrieben, national wie international. Die Yerlis wagten substanzielle Risiken, scheuten keine Kontroverse und drohten im Falle eines gar nicht mal unwahrscheinlichen „Killerspiel“-Verbotes gar mit einer Abwanderung ins Ausland.

Mehr noch: Far Cry gehört bis heute zu den ganz, ganz wenigen USK-18-Spielen made in Germany, neben Titeln wie The Surge (Deck13) oder Spec Ops: The Line (Yager). Diese Spezies hatte es infolge knüppelharter Regulierung bis weit in die 2000er Jahre sehr schwer. Noch heute ist es so, dass die Bundesländer jedwede finanzielle Unterstützung versagen, wenn ein wackeres Studio ein Computerspiel für ein erwachsenes Publikum – sagen wir: ein Cyberpunk 2077 oder The Last of Us – entwickeln wollen würde. Dass Crysis 2 anno 2012 als Bestes Spiel beim Deutschen Computerspielpreis ausgezeichnet wurde, löste nicht nur in konservativen Kreisen akute Stresspustel aus.

Die Marke Far Cry hat somit nicht nur den deutschen Jugendschutz ‚überlebt‘ (wenn auch knapp), sondern sogar den gleichnamigen Kinofilm, der 2008 in den Lichtspielhäusern anlief. In das Hawaii-Hemd von Hauptfigur Jack Carver schlüpfte the one and only Til Schweiger, als Colonel Max Cardinal grüßte Ralf Moeller. Regie führte Uwe Boll. What could possibly go wrong? So ziemlich alles: An der Kinokasse hat das Werk nur einen Bruchteil der Kosten wieder eingespielt. Die IMDB-Wertung liegt bei übersichtlichen 3,2 von 10 Punkten.

Wie geht es nun weiter? Dass Ubisoft längst mit Far Cry 7 plant, ist ein offenes Geheimnis – ich würde darauf wetten, dass es schon in den kommenden Monaten zu ersten zarten Andeutungen kommt. Ein Indiz: Der Konzern hat sich erst vor kurzem weitere Produkte und Dienstleistungen im Zusammenhang mit Far Cry beim Europäischen Patent- und Markenamt schützen lassen, und zwar inklusive „virtueller Waren“, von der Kontaktlinse bis zu zu Fahrzeugen, Waffen und Immobilien, interessanterweise explizit auch in Form von NFTs – also digitale Unikate, die via Kryptowährung auf Blockchain-Basis gehandelt werden.

Ein kleines bisschen gefeiert wurde das Far Cry-Jubiläum im Übrigen dann doch. Und zwar typisch Ubisoft: mit einer Alles-muss-raus-Rabatt-Aktion auf alle bisherigen Far Cry-Folgen.

Ein schönes Wochenende wünscht Ihnen

Petra Fröhlich
Chefredakteurin GamesWirtschaft


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