Von sieben Studios bleiben nur zwei übrig: Die Crytek-Gründer kündigen harte Einschnitte an und stellen Deutschlands fünftgrößten Spiele-Entwickler neu auf.

[no_toc]Wochenlang schwieg Crytek zu den kursierenden Berichten über finanzielle Schwierigkeiten und ausstehende Gehaltszahlungen – jetzt skizziert das Management, wie es mit dem angeschlagenen Frankfurter Unternehmen weitergehen soll.

Das Motto lautet: Back to the roots, also zurück zu den Wurzeln. Der Fokus liegt erstens auf der hauseigenen CryEngine-Technologie und zweitens auf „Premium-IPs“, also auf der Entwicklung möglichst hochwertiger Spiele.

Im selben Atemzug schrumpft das Unternehmen deutlich. Die Filialen in Istanbul (Türkei), Shanghai (China), Budapest (Ungarn), Sofia (Bulgarien) und Seoul (Südkorea) werden geschlossen oder verkauft. Nach offiziellen Angaben befindet sich das Unternehmen in Gesprächen, um möglichst viele Jobs zu erhalten.

Dies bedeutet konkret: Von weltweit 720 Angestellten behalten am Ende des Prozesses im besten Fall 550 ihren Job – 390 in Frankfurt, 160 in der ukrainischen Hauptstadt Kiew. Ob es auch an diesen beiden Standorten zu einem Stellenabbau kommt, ist offen.

Crytek-Strategie 2017: Was passiert mit Arena of Fate?

Mit der Schließung gleich mehrerer Studios droht auch vielen Crytek-Projekten das Aus:

  • Das in Sofia entwickelte, allerdings unveröffentlichte Multiplayer-Strategiespiel Arena of Fate gehört ins populäre Genre der MOBAs und konkurriert hier mit League of Legends (Riot Games), Dota2 (Valve) und Heroes of the Storm (Blizzard). Seit der Ankündigung der Closed Beta im August 2015 herrscht Funkstille. Ob das mehrfach verschobene Spiel jemals erscheint, ist unwahrscheinlicher denn je.
  • Das bereits 2006 gegründete Studio in Kiew ist mit 160 Mitarbeitern der zweitgrößte Crytek-Standort außerhalb Deutschlands. Wichtigstes und erfolgreichstes Projekt: das Free2play-Spiel Warface. Laut einem Kotaku-Bericht wurden die Rechte an diesem Spiel sowie dessen Nachfolger an den russischen Internet-Konzern Mail.ru verkauft, der – angeblich – ab Januar das Publishing übernimmt. Mail.Ru ist unter anderem an Facebook und Zynga beteiligt.
  • Das mit 45 Entwicklern besetzte Crytek-Studio in Budapest war auf Free2play-Mobilegames spezialisiert. Letztes Projekt: The Collectables für iPhone/iPad – das 2014 gestartete Action-Taktik-Spiel ist allerdings nicht mehr im Appstore zu finden. Seitdem ist kein neues Spiel mehr hinzugekommen.
  • Das Studio in Istanbul war insbesondere für die Vermarktung von Warface zuständig. Auch diese Aufgabe könnte sich mit dem Mail.ru-Deal erledigt haben.

Jetzt also doch Crysis 4 und Ryse 2?

Kern der neuen Crytek-Strategie ist die CryEngine, auf deren Basis eine ganze Reihe von Spielen entwickelt werden, darunter das prächtige Mittelalter-Rollenspiel Kingdom Come: Deliverance. Abgesehen von ungezählten kleinen und großen Studios wird auch der Versandhandels-Riese Amazon ein vitales Interesse an der Weiterentwicklung der Technologie haben – schließlich basiert die Amazon-eigene, kostenlos angebotene Engine Lumberyard auf den Frankfurter Codezeilen.

„Zurück zu den Wurzeln“ bedeutet aber auch: Aus Crytek wird (wieder) ein reines Entwicklerstudio – die Vermarktung liegt künftig in den Händen von Partnern, so wie es in der Vergangenheit bei Far Cry (Ubisoft), Crysis (Electronic Arts) und Ryse: Son of Rome (Microsoft) der Fall war.

Nicht ausgeschlossen ist, dass Crytek den Fanwünschen nachkommt und Crysis 4 oder Ryse 2 in Angriff nimmt. Die Rechte an den Marken „Crysis“ und „Ryse“ liegen nach GamesWirtschaft-Recherchen weiterhin bei Crytek. „Far Cry“ ist hingegen seit knapp 15 Jahren eine Ubisoft-Marke.

Setzt Crytek weiter auf Free2play und Virtual Reality?

Unklar ist, was die neue Strategie für die Crytek-Ambitionen im Free2play-Bereich bedeutet. Noch vor drei Jahren hatte Cevat Yerli – einer der drei Gründer – angekündigt, die Firma zu einem reinen Free2play-Unternehmen umbauen zu wollen. Dieser Plan muss als gescheitert angesehen werden, auch wenn Warface gerade in Russland und in Osteuropa ausgesprochen erfolgreich lief. Dass Crytek in allernächster Zukunft noch Mobilegames entwickelt, erscheint unwahrscheinlich.

Ebenfalls offen: die Zukunft der Virtual-Reality-Strategie. Hier gehört Crytek zu den treibenden Kräften im Markt. Allerdings ist die Verbreitung der VR-Brillen noch so gering, als dass aufwändige Spiele wie Robinson: The Journey und The Climb einen signifikanten Beitrag zum Umsatz leisten oder gar das Überleben einer 400-Mann-Firma sichern könnten.

Id Software und Foundry 42 buhlen um Crytek-Mitarbeiter

Die Schließung einzelner Studios ist die eine Sache – wenn es weitergehen soll, braucht man auch weiterhin motiviertes Personal. Das Management hat alle Hände voll zu tun, die Abwanderung der Top-Leute zur Konkurrenz zu stoppen – Personen aus dem Crytek-Umfeld und Medienberichte sprechen davon, dass Mitarbeiter „in Scharen“ flüchten.

Bedarf an hochqualifizierten Programmierern gibt es im Raum Frankfurt genug, etwa bei id Software unweit der Frankfurt Börse. Oder wenige S-Bahn-Stationen von Crytek entfernt bei Foundry 42, der Deutschland-Filiale von Chris Roberts‘ Cloud Imperium Games.

Deren Hauptprodukt: das Weltraum-Actionspiel Star Citizen, basierend auf einer stark umgebauten Version der CryEngine.

Crytek-Mitarbeiter warten aufs Gehalt

Die wichtigste Aufgabe wird in den kommenden Wochen darin bestehen, die verunsicherte Belegschaft zu beruhigen. In den vergangenen Wochen machten (undementierte) Meldungen die Runde, dass weite Teile der Belegschaft seit Monaten kein Gehalt mehr erhalten hätten. Bereits die Zahlungen für die Monate Mai bis September seien mit wochenlanger Verspätung eingetroffen. Auf das Oktober-Gehalt mussten die Angestellten bis Mitte Dezember warten – das November-Salär soll immerhin vor Weihnachten ausbezahlt werden.

Viele Crytek-Mitarbeiter mussten zuletzt also auf Ersparnisse zurückgreifen, um Miete und Lebensunterhalt zu bezahlen. Nicht ohne Grund bedankt sich Firmengründer Avni Yerli daher im offiziellen Presse-Statement „aufrichtig bei jedem einzelnen Crytek-Mitarbeiter für ihre harte Arbeit und Treue zu Crytek.“

Personalkosten von mehr als 20 Millionen Euro

Fraglich ist, ob die jetzt vorgenommene Personalkostensenkung ausreicht – oder ob nicht doch weiteres Geld durch Investoren oder einen (Teil-)Verkauf des Unternehmens erforderlich ist. Allein im Frankfurter Studio fallen Jahr für Jahr weit über 20 Millionen Euro Personalkosten an.

In jedem Fall sind die jetzt bekannt gewordenen Maßnahmen nur „ein Teil von mehreren essentiellen Schritten, die wir gehen, um sicher zu stellen, dass Crytek ein gesundes und gut aufgestelltes Studio für die Zukunft ist, das hochtalentierte Entwickler beschäftigt und fördert“, wie es Yerli formuliert. Er und seine beiden Brüder setzen darauf, dass sie „aus diesem herausfordernden Prozess als agileres und wachstumsfähigeres Unternehmen hervorgehen.“

GamesWirtschaft hat Crytek um eine Stellungnahme zu den offenen Fragen gebeten und wird den Artikel ergänzen, sobald neue Erkenntnisse vorliegen.