Start Meinung Das Counter-Strike-Wunder (Fröhlich am Karfreitag)

Das Counter-Strike-Wunder (Fröhlich am Karfreitag)

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Soll im Sommer 2023 erscheinen: Counter-Strike 2 (Abbildung: Valve Corp.)
Soll im Sommer 2023 erscheinen: Counter-Strike 2 (Abbildung: Valve Corp.)

Counter-Strike 2 kommt – und das Netz dreht durch: Doch dass die Kult-Marke überhaupt so lange ‚überlebt‘ hat, grenzt an ein Wunder – zumindest in Deutschland.

Verehrte GamesWirtschaft-Leserin,
verehrter GamesWirtschaft-Leser,

an den kommenden Feiertagen wird wieder regelmäßig von „Auferstehung“ die Rede sein – immerhin fußt auf der neutestamentlichen Schilderung ja nicht nur das Konzept von Ostern, sondern im Wesentlichen das gesamte christliche Abendland.

Dass der Untergang des besagten Abendlands bislang ausgeblieben ist, grenzt an ein Wunder. Schließlich wurde genau dies von führenden Politikern, Pädagogen und Erziehungsberechtigten über Jahrzehnte mit schöner Regelmäßigkeit prophezeit – und wenn es je dazu kommen sollte, dann tragen diese komischen Computer- und Videospiele eine erhebliche Mitschuld, soviel ist mal sicher.

Eine Auferstehung ganz besonderer Art feiert in diesen Tagen die Marke Counter-Strike: Nur 23 Jahre nach dem Ur-Counter-Strike vom November 2000 hat das US-Studio Valve nämlich vor kurzem einen zweiten Teil für diesen Sommer angekündigt – gleichsam aus dem Nichts.

Im Unterschied zum „zwoten Teil“ von Manta Manta hat tatsächlich jemand drauf gewartet. Allein die Aussicht auf das Technik-Update hat die Spielerzahlen in neue Sphären katapultiert. Keine Frage: Die Community ist heiß wie Frittenfett.

Fröhlich am Freitag - die wöchentliche Kolumne bei GamesWirtschaft
Fröhlich am Freitag – die wöchentliche Kolumne bei GamesWirtschaft

Spiele-Marken kamen und gingen – Counter-Strike war immer da. Ziemlich unbeeindruckt von allen Trends, Konsolen-Generationen und technisch weit überlegener Konkurrenz (Fortnite, Valorant, Call of Duty etc.) erweist sich das Counter-Strike-Ökosystem als erstaunlich resilient: Wie ein Satellit zieht es völlig losgelöst seine Bahnen.

Die grundlegende Spielmechanik des Online-Multiplayer-PC-Shooters ist auch nach zwei Jahrzehnten quasi unverändert: Eine Karte, zwei Teams, jeweils fünf Spieler, allesamt bis an die Zähne bewaffnet mit Pistolen, Flinten, MGs, Rauchbomben und Messern. Die ‚Terroristen‘ sollen zum Beispiel ihre Bombe ‚beschützen‘ – die Anti-Terror-Truppe will umgekehrt verhindern, dass das Ding hoch geht.

Klingt martialisch, ist martialisch. Counter-Strike ist daher in Deutschland (offiziell) frei ab 16. Doch dass das Spiel überhaupt noch ‚da‘ ist und legal gespielt werden darf, muss in der Rubrik ‚Kleines Wunder‘ verbucht werden.

Denn vor 21 Jahren – am 16. Mai 2002 – tagte in Bonn die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften (BPjS – später BPjM, heute Bundeszentrale für Kinder- und Jugendmedienschutz), eine Außenstelle des Familienministeriums. Topthema auf der Tagesordnung: Landet Counter-Strike auf dem Index? Eine solche Indizierung zöge ein weitreichendes Vertriebs- und Werbeverbot nach sich: Die seriöse kommerzielle Verwertung wäre damit faktisch ausgeschlossen – kein Versender und kein Plattform-Betreiber würde das Spiel listen.

Die Chancen standen fifty-fifty, bestenfalls. Mit Tendenz in Richtung „Das war’s“. In der deutschen Niederlassung von Counter-Strike-Publisher Vivendi-Universal (heute: Activision Blizzard) war man demzufolge mental und logistisch auf alle Best- und Worst-Case-Szenarien gefasst.

Denn der gesellschaftliche, mediale und politische Druck auf die BPjS ist mit ‚immens‘ nur unzureichend beschrieben: Die Republik stand unter dem Eindruck des Amoklaufs am Erfurter Gutenberg-Gymnasium – ein 19jähriger hatte im April 2002, also nur wenige Wochen zuvor, ein Blutbad an seiner Schule angerichtet. Es war das erste ‚School Shooting‘ in einer Dimension, wie man sie nur aus den USA kannte. Weitere folgten. Emsdetten. Winnenden. Unter anderem. Eines furchtbarer als das andere.

Ausgerechnet in einer solch emotional extrem aufgewühlten Lage hatte die BPjS eine heikle und richtungsweisende Entscheidung zu fällen. Im beschaulichen Bonn kehrte daher hektische Betriebsamkeit ein – Behörden-Leiterin Elke Monssen-Engberding lud sogar zwei Spieler als eine Art Gutachter vor, die dem Gremium stellvertretend für ihre Generation erklärten, dass es sich eben buchstäblich nicht um einen gewöhnlichen Ego-, sondern um einen Team- und Taktik-Shooter handelt. Und auch die Fans ahnten: Es geht um was. Fachmagazine und Foren organisierten Unterschriftenaktionen.

Bei der Pressekonferenz im Anschluss der BPjS-Sitzung waren die Nerven zum Zerreißen gespannt, wie mir Kollegen vor Ort schilderten. Dann das Urteil der Fachjury: Counter-Strike wird nicht indiziert.

Die Reaktionen auf diese überraschende Entscheidung fielen maximal unterschiedlich aus: Während Hersteller, Branche und Spieler ihr Glück kaum fassen konnten, schäumte SPD-Kanzler Gerhard Schröder, hier sei ein „völlig verkehrtes Signal“ ausgesandt worden. Seine Familienministerin wollte umgehend einen erneuten Indizierungs-Anlauf starten.

Ein junger, aber bereits ziemlich aufstrebender Politiker namens Markus Söder leitete seinerzeit die CSU-Medienkommission – ein Jahr später wurde er Generalsekretär seiner Partei. Auf Anfrage meiner damaligen Redaktion schrieb Söder: „Die Union hat sich dafür eingesetzt, Counter-Strike ebenfalls zu indizieren. Die Entscheidung, dieses Computerspiel nicht mit Abgabeverboten zu belegen, wurde von der Union stark kritisiert. Diese Kritik an der Nicht-Indizierung wurde von der Bevölkerung sehr stark unterstützt.“

Auch in den darauffolgenden Jahren wurde es regelmäßig richtig eng für das Action-Genre – und damit für die deutsche Games-Industrie als solches. Mehrmals wollten die Innenminister der Länder ein weitreichendes „Herstellungs- und Verbreitungsverbot“ für Action-Spiele durchsetzen. Davon betroffen wären alle Produkte, in denen die „virtuelle Ausübung von wirklichkeitsnah dargestellten Tötungshandlungen oder anderen grausamen oder sonst unmenschlichen Gewalttätigkeiten gegen Menschen oder menschenähnliche Wesen“ als „wesentlicher Spielbestandteil“ auftritt.

In der Konsequenz hätten Spiele wie Grand Theft Auto, Far Cry, Red Dead Redemption, The Last of Us, Resident Evil oder Call of Duty – um nur die prominentesten zu nennen – in Deutschland nie oder allenfalls stark geschnitten erscheinen dürfen. Der Frankfurter Spielehersteller Crytek (Hunt: Showdown, Crysis) – nach wie vor einer der größten Games-Arbeitgeber des Landes – liebäugelte bereits mit einer Produktionsverlagerung ins Umland („Budapest ist eine schöne Stadt.“), getreu dem guten alten Schutzgeld-Motto „Sachen können kaputt gehen …“.

Auf Seite 123 des CDU-SPD-Koalitionsvertrags vom November 2005 (PDF) hatte sich Merkels erstes Kabinett neben einer verbindlichen Altersfreigabe für Games auch ein „Verbot von ‚Killerspielen’“ vorgenommen – ohne weitere Konkretisierung. Der CSU-Jugendschutz-Beauftragte Andreas Scheuer (der spätere Verkehrs-, Digital- und ‚Games-Minister‘) warb gegenüber Spiegel Online unverhohlen für ein Komplettverbot – schließlich könne man sowas „in den Kinderzimmern einfach nicht gebrauchen“.

Und heute? Spiele, die noch vor 10 oder 15 Jahren adhoc indiziert worden wären, schaffen es aus dem Stand durch die USK-Prüfung. Denn natürlich haben sich Debatte und Rahmenbedingungen weiterentwickelt – und mit ihr Haltung und Medienkompetenz von Gesellschaft, Parteien und Politikern, nicht zuletzt durch liebevolle Lobby-Arbeit. Nur noch punktuell und anlassbezogen flackern die alten ‚Killerspiel‘-Reflexe auf. Und falls doch, dann belehrt Söder seinen Parteifreund Seehofer mit großväterlichen Sätzen wie diesem: „Die Gamer, und das sind viele, viele junge Leute, die machen da großartige Sachen.“ 

Ungemach droht Counter-Strike 2 indes von einer anderen Flanke: Denn das Spiel ist zwar prinzipiell kostenlos, finanziert sich aber über Lootboxen in Form von Waffenkisten. Darin enthalten ist eine zufällige Auswahl sogenannter Skins – also kosmetische Lackierungen oder Sticker für Counter-Strike-Gewehre und -Messer.

Analog zu FIFA geben die Spieler erhebliche Summen für solche Lootboxen aus. Längst hat sich ein lukrativer Zweitmarkt entwickelt, auf dem besonders seltene und begehrte Skins für mehrere tausend Dollar ge- und verkauft werden – Valve partizipiert über Provisionen am schwungvollen Handel.

Noch fliegt dieses Lootbox- und damit Glücksspiel-Thema im Vergleich zu FIFA ziemlich unter dem Radar. In Belgien und in den Niederlanden ist die Funktion bereits gesperrt. Ich wäre nicht völlig überrascht, wenn das Geschäftsmodell via Counter-Strike 2 auch hierzulande zeitnah auf den juristischen Prüfstand kommt.

Derweil geht die aktuelle Counter-Strike-Version Global Offensive nochmal auf große Abschieds-Tour: Wenn der Kölner E-Sport-Veranstalter ESL im August zum letzten Abendmahl anlässlich der CS:GO-Meisterschaft in die Lanxess Arena lädt, dann wird die Bude voller sein als der Dom am Ostersonntag.

Und wie es sich für ein quasi-religiöses Counter-Strike-Hochamt geziemt, spricht der Veranstalter mit dem ihm eigenen Unterstatement folgerichtig auch von der „Cathedral of Counter-Strike“.

Ein sonniges Osterwochenende und viel Erfolg bei der Eiersuche wünscht Ihnen

Petra Fröhlich
Chefredakteurin GamesWirtschaft

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