Supercell, Funcom, Riot, Yager, jetzt Techland: Chinas Games-Weltmarktführer Tencent kauft Studios wie im Rausch.
Verehrte GamesWirtschaft-Leserin,
verehrter GamesWirtschaft-Leser,
wer sich für ein Polohemd der Marken Tom Tailor oder Esprit entscheidet oder einen Medion-Gaming-PC kauft oder in einem Steigenberger-Hotel übernachtet oder einen Lattenrost bei Matratzen Concord erwirbt, der wird automatisch Kunde bei chinesischen Holdings oder Finanz-Investoren.
Solange es sich um Boxspringbetten oder Heißluftfriteusen handelt, stört das keinen großen Geist. Sobald es aber um Huawei-Bauteile für Telekommunikations-Netze geht oder um eine chinesische Beteiligung an einem Hamburger Hafen-Terminal, bimmeln in der Politik alle Alarmglöckchen. Denn in diesen Fällen reden wir von kritischer Infrastruktur. Die Bundesregierung will dringend eine zu große Abhängigkeit vom Reich der Mitte vermeiden – und erst recht sicherstellen, dass weder deutsches Ingenieurs-Know-How noch Patente und Marken abfließen. Bei mittelständischen Maschinenbauern, Roboter-Herstellern oder Elektronik-Spezialisten wird daher sehr genau hingeguckt.
Und ja, das gilt auch für Videospiele. Vor ziemlich genau zwei Jahren – im Juli 2021 – war das Springer-Fachblatt Bild an „exklusive Informationen“ gelangt, wonach der chinesische Tencent-Konzern die Übernahme des Frankfurter Spiele-Entwicklers Crytek plant. Der Name des Studios taucht serienmäßig auf Einkaufszetteln auf – einerseits wegen Produkten wie Crysis und Hunt: Showdown, andererseits wegen der hauseigenen CryEngine.
Für Technologien dieser Art interessieren sich nicht nur Gamer, sondern auch führende Streitkräfte, außerdem die Bundeswehr und natürlich Rüstungs-Konzerne wie Lockheed Martin, Thales, Boeing, Raytheon oder Rheinmetall, die damit Waffensysteme testen und Simulationen für Ausbildung und Training bauen – analog zu zivilen Flugsimulationen. Die Bedienung von Patriot-Systemen, U-Booten oder Kampfjets wird mit handelsüblichen VR-Brillen eingeübt. Rheinmetall bewirbt das Produkt TacSi (Tactical Simulation) zum Beispiel damit, dass damit „die Nachbildung realistischer Szenarien inklusive intelligenten Fremdverhaltens“ ermöglicht werde.
Kurzum: Mit Spiele-Technologie wird Krieg simuliert – serious games, buchstäblich.
Der Bild-Bericht führte daher zu hektischer Betriebsamkeit im politischen Berlin: Das Wirtschaftsministerium – damals unter Leitung von CDU-Mann Peter Altmaier – beschäftigte sich mit dem Fall. Abgeordnete ließen besorgt anfragen, wie ‚wichtig‘ Crytek sei.
Am Ende kam der kolportierte Deal nicht zustande. Wie konkret die Gespräche waren – unklar. Genauso wie die Frage, ob es letztlich am Geld (im Raum stand angeblich ein dreistelliger Millionen-Betrag) oder an politischer Volte scheiterte. Weder Tencent noch Crytek wollten damals den Vorgang kommentieren, geschweige denn bestätigen oder dementieren. Wenn Sie mich fragen: Where’s smoke there’s fire.
Nun ist Tencent nicht irgendwer, sondern die Nummer 1 in China und eines der wertvollsten Unternehmen der Welt – in einer Liga mit Samsung, Exxon Mobile oder Walmart. Zum Sortiment gehören Internet-Portale, Apps, Streaming-Dienste, Online-Shops und natürlich Games.
Tencent verdient über die Zukäufe an einigen der kommerziell erfolgreichsten PC-, Konsolen-, Mobile- und Online-Spiele mit. Egal ob Hay Day, Clash of Clans, League of Legends, Honor of Kings, Valorant oder Conan Exiles – am Ende der Nahrungskette steht immer ein Name: Tencent. Hinzu kommen kleine und große Beteiligungen – an FromSoftware (Elden Ring), Krafton (PUBG) und Dutzenden weiterer Studios. Bei Epic Games (Fortnite, Epic Games Store, Unreal Engine) kontrolliert Tencent fast die Hälfte der Anteile. Seit September 2022 hält das Unternehmen außerdem eine langfristige Beteiligung an Ubisoft – was erklärt, warum das Smartphone-Spiel Assassin’s Creed: Codename Jade von der Tencent-Sparte Level Infinite vermarktet wird.
In dieser Woche kam ein weiterer europäische Spielehersteller dazu, nämlich Techland – ein Studio, dessen DNA in vielerlei Hinsicht jener von Crytek ähnelt und das wegen der eigenentwickelten Engine perfekt ins Beuteschema passt. Damit haben sich Gerüchte bestätigt, die seit Jahren durchs Netz wabern. Die polnische Firma hat einen viel geringeren Bekanntheitsgrad als das Witcher-Studio CD Projekt Red, soll aber spätestens seit dem Erfolg des Zombie-Spiels Dying Light mehrere Milliarden Dollar wert sein.
Tencent-Zukäufe wie diese erfolgen erstens sehr gezielt und zweitens weitgehend unter dem Radar. Die Öffentlichkeit – Politik, Verbraucher, Medien – nimmt solche Vorgänge bestenfalls achselzuckend zur Kenntnis. Also im kompletten Gegensatz zur Causa Activision Blizzard, wo sich Microsoft seit eineinhalb Jahren daran abarbeitet, den Call of Duty-Publisher zu übernehmen. Einer der erbittertsten Gegner: die amerikanische Kartellbehörde FTC, der sehr offenkundig mehr am Schutz japanischer Marktanteile (sprich: Sony PlayStation und Nintendo) gelegen ist als an der Zukunft zweier heimischer Player.
Während vor kalifornischen Gerichten jeder Nebensatz zur Schlagzeile wird, sammelt Tencent unbemerkt und unbehelligt eine Beteiligung nach der anderen ein – analog zu den Kollegen aus dem Orient. Der saudi-arabische Kronprinz hält über den Staatsfonds substanzielle Beteiligungen an Nintendo (8 Prozent), Electronic Arts (9 Prozent), Embracer Group und Take-Two. Erst im Frühjahr hat der Wüstenstaat knapp 5 Milliarden Dollar für das US-Mobilegames-Studio Scopely ausgegeben.
Saudi-Arabien hat außerdem den Kölner E-Sport-Veranstalter ESL gekauft und ist somit Gastgeber jenes Counter-Strike-Turniers, das ab der kommenden Woche in der fast ausverkauften Lanxess Arena ausgetragen wird. Wer eine Milliarde auf den Tisch legt, kann sich darauf verlassen, dass sich die Einordnung der Menschenrechts-Situation darin erschöpft, dass dort „nicht alles in Ordnung“ sei. Na dann.
Wie sehr sich gerade die Tektonik der Games-Industrie verschiebt, wird man wenige Wochen später ebenfalls in Köln besichtigen können, nämlich auf dem Gamescom-Gelände. Schon im vergangenen Jahr betrieb die Tencent-Marke Level Infinite den Stand mit der größten Fläche.
Auf der Gamescom 2023 wird der wachsende Einfluss Chinas allgegenwärtig sein, wie ein Blick ins Ausstellerverzeichnis belegt:
- Kein YouTube, kein Twitch, kein Facebook – stattdessen: TikTok, dessen Mutterkonzern Bytedance viele Milliarden Dollar in Games-Zukäufe steckt.
- Electronic Arts, Take-Two, Activision – Fehlanzeige. Stattdessen teilen NetEase. HoyoVerse (Genshin Impact) und eben Tencent / Level Infinite die Halle 6 unter sich auf.
Während gerade US-Publisher knausern oder kneifen, klotzen die Chinesen. Aus Gründen: Spätestens seit dem Zeitlupen-Niedergang der kalifornischen Spielemesse E3 ist die Gamescom neuerdings das Tor in den Westen. Umgekehrt steckt die Koelnmesse mit dem Ableger Gamescom Asia ihre Claims ab.
Kein Zweifel: Chinas Investoren sind auf dem Vormarsch. Im Lichte eines schwächelnden Heimatmarkts und straffer Regulierung schielen Tencent & Co. auf westliche Firmen. Ich würde daher wetten, dass wir in den kommenden Monaten noch weitere Meldungen à la Techland erleben. Nicht zwingend XXL-Deals, aber eben L und XL, auch und gerade in Europa. Zumal die Bewertungen vieler Studios und Publisher sturmreif geschossen sind: Die Entwicklung wird immer teurer, die Refinanzierung am Kapitalmarkt ist anstrengender geworden.
Bei Frontier Developments (Planet Zoo, Planet Coaster), Paradox Interactive oder Remedy (Control, Alan Wake) ist Tencent bereits investiert – was sollte sie abhalten, diese Anteile zu erhöhen? So wie bei Yager in Berlin, mit 135 Beschäftigten einer der Großen der Branche: Einstieg 2020 – Mehrheit 2021.
Und wer weiß, vielleicht kommt auch noch mal das Thema Crytek auf den Tisch. Schließlich würden „regelmäßig Gespräche“ mit investionsinteressierten Gruppen geführt, wie es im Geschäftsbericht heißt – „insbesondere mit strategischen Partnern“. So so.
Dass die sicherheitspolitische Nervosität um einen möglichen Tencent-Crytek-Deal vor zwei Jahren womöglich nicht völlig aus der Luft gegriffen war, zeigt im Übrigen das Beispiel Bohemia Interactive. Denn die Tschechen produzieren nicht nur Multiplayer-Shooter wie Operation Flashpoint, ARMA und DayZ, sondern auch eine eigene Engine und mit VBS eine der marktführenden Militär-Simulationen für den ‚professionellen‘ Einsatz.
Und jetzt raten Sie doch mal spaßeshalber, wer sich im Februar 2021 an Bohemia Interactive beteiligt hat – komm’se nie drauf.
Ein schönes Wochenende wünscht Ihnen
Petra Fröhlich
Chefredakteurin GamesWirtschaft
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Grundsätzlich eine wieder sehr interessante Kolumne. Aber warum der Seitenhieb auf Sony?
Zitat: Einer der erbittertsten Gegner: die amerikanische Kartellbehörde FTC, der sehr offenkundig mehr am Schutz japanischer Marktanteile (sprich: Sony PlayStation und Nintendo) gelegen ist als an der Zukunft zweier heimischer Player.
Die FTC möchte nicht zwingend Sony schützen, sondern ein übergroßes Wachstum des Konzerns Microsoft verhindern.
Jeder der eines der Produkte oder Aktien eines der Unternehmen kauft an denen Tencent entweder direkt oder unmittelbar beteiligt ist der muss sich vor Augen führen, dass man mit dem Geld staatliche Unterdrückung, Ausspähung und am Ende auch Verfolgung, Folter und Elimination von Minderheiten mitfinanziert!
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