„Jugendschützer schlagen Alarm“ – so sorgt sich der Premium-TV-Sender ProSieben in einem Nachrichten-Beitrag über die Online-Ballerei „Fortnite“. Das Problem: Die befragten Jugendschützer wollen davon gar nichts wissen – und distanzieren sich öffentlich. 

Fröhlich am Freitag 11/2018: „Spaß am Tötungs-Szenario“ – ProSieben und die Akte „Fortnite“

Verehrte GamesWirtschaft-Leser,

seit über zwei Jahren betreue ich für das Handelsmagazin IGM die Rubrik „Was macht eigentlich…“. Alle drei Wochen entsteht ein Portrait über verdiente Persönlichkeiten der deutschen Games-Branche, die inzwischen in komplett anderen Industrien tätig sind oder im Ausland leben – CEOs, Entwickler berühmter Spiele, Marketing-, PR- und Vertriebs-Spezialisten.

Zu den Standards im Fragebogen gehört die Frage nach dem „verstörendsten Erlebnis“ während ihrer Videospiel-Karriere. Und in 7 von 10 Fällen erinnern sich die Menschen mit Schaudern vor allem daran, wie die deutsche Presse – Print, Online, öffentlich-rechtliches Fernsehen, Privatsender – mit ihnen umgesprungen ist.

Meist ging es um eine potenzielle „Mitschuld“ gewalthaltiger Videospiele an den tragischen Amokläufen der 2000er Jahre: Erfurt, Emsdetten, Winnenden. In bester Absicht stellten sich die mit allen Wassern gewaschenen Manager vor die Kameras und Mikros. Was dann oft gesendet wurde, war ein tendenziöser, einseitiger Beitrag, inklusive Interview-Fragmenten, die völlig aus dem Zusammenhang gerissen waren – und den Interviewten ein ums andere Mal wie einen frei herumlaufenden Schwerverbrecher dastehen ließen.

In anderen Fällen verschafften sich TV-Redakteure den Zugang zu Büros und Geschäftsführern, indem sie vortäuschten, über ein harmlos klingendes Thema sprechen zu wollen, etwa „die Faszination Online-Rollenspiele“ – was dann in einem Beitrag über Suchtgefahren mündete.

PR-Manager erzählen, sie konnten Schlimmeres erst in allerletzter Minute verhindern, zum Beispiel per Einstweiliger Verfügung. Oder indem sie Journalisten vom Gelände verwiesen.

Als Folge dieser Erfahrungen gab es bei mehreren namhaften Publishern die Ansage, grundsätzlich keine offiziellen Aussagen mehr zu tätigen und Anfragen grundsätzlich mit „Kein Kommentar“ abzubügeln. Das war einerseits nachvollziehbar, andererseits eröffnete es der „Konkurrenz“ die Möglichkeit, sich mit streitbaren Thesen in Szene zu setzen und die Deutungshoheit zu übernehmen: Kriminal- und Hobby-Psychologen, Jäger-Lobby, „betroffene Eltern“.

Ganz ähnlich ist es in dieser Woche auch dem renommierten Portal „Spieleratgeber NRW“ ergangen. Die Institution wird unter anderem vom Land Nordrhein-Westfalen mitfinanziert, gibt Tipps zum altersgerechten Umgang mit Computer- und Videospielen und bewertet Games-Neuheiten aus medienpädagogischer Sicht.

In einem Beitrag der ProSieben-Nachrichtensendung „Newstime“ über das ungeahnt erfolgreiche und besonders bei Jugendlichen beliebte Online-Action-Spiel „Fortnite“ (USK 12) und dessen „Battle Royale“-Modus kamen auch verschiedene Experten zu Wort. Aus einem längeren Gespräch mit Spieleratgeber-Referentin Linda Scholz hat der zuständige Redakteur nur einen einzigen Satz verwendet – zusammen mit der Anmoderation und dem Off-Sprecher-Text entstand ein Lehrstück unsachlicher Polemik: „Nur wer andere abknallt, überlebt“ „Wildes Gemetzel“, „Spaß am Tötungs-Szenario“, „Jugendschützer schlagen Alarm“.

Man kann sich ungefähr ausmalen, wie die Reaktion im Team von Linda Scholz ausgefallen sein muss. Die Fachstelle für Jugendmedienkultur NRW sah sich sogar veranlasst, eine eigene Pressemitteilung herauszugeben. Das Fazit: „Aus diesem Grund distanzieren wir uns an dieser Stelle von dem Kontext des Berichts, ‚Eltern warnen zu wollen‘ oder ‚Alarm zu schlagen‘.“

Nun ist die Games-Branche längst nicht die einzige Industrie, die regelmäßig mit kontext-befreiten Schnittbildern und liebevoll ausgewählten Interview-Fetzen vorgeführt wird. Bei Prominenten genügt oft schon das Nippen an einem Sangria-Glas, um auf den Titelseiten der Yellow Press zum Alkoholiker zu mutieren.

Angesichts der Größe und Bedeutung des Videospiele-Marktes wird die Branche auch künftig mit boulevardesker Zuspitzung leben müssen. Die Lehre aus diesem neuerlichen Fall kann daher nur erneut lauten: mündlichen Zusagen von Redaktionen nicht über den Weg trauen, intensiv auf mögliche Fragen vorbereiten, sendbare One-Liner einstudieren – und im Zweifel auf fünf Minuten Ruhm verzichten.

Ein schönes Wochenende wünscht Ihnen

Petra Fröhlich
Chefredakteurin GamesWirtschaft

Bisherige Folgen von „Fröhlich am Freitag“:

  • 10/18: Per Flugtaxi zur Gamesförderung
  • 09/18: Das spielende Klassenzimmer
  • 08/18: Endlich volljährig
  • 07/18: Winterschlussverkauf
  • 06/18: Reset für die Games-Republik Deutschland
  • 05/18: Die mächtigste Lobby fürs schönste Hobby
  • 04/18: Winner Winner McChicken Dinner
  • 03/18: Nintendo switcht zum Kartonagen-Hersteller
  • 02/18: Das geht ja gut los
  • 50/17: Der Subventions-Autopilot
  • 49/17: Die Spiele-Könige aus Schweden
  • 48/17: Russisch Roulette mit Lootboxen