Entwickelt sich die Gamescom zur Influencercom? Falls ja: Woran liegt das? Und lässt sich das ‚Problem‘ überhaupt nachhaltig lösen?
Verehrte GamesWirtschaft-Leserin,
verehrter GamesWirtschaft-Leser,
wenn heute ab 18 Uhr die deutsche National-Elf gegen Spanien aufläuft, dann besteht eine hinreichende Wahrscheinlichkeit, dass die TV-Kameras beim Schwenk über die Tribünen immer mal wieder bei einzelnen Personen hängen bleiben – ergraute Weltfußballer, Spieler-Frauen (spätestens seit Claudia Effenberg ein ehrbarer Beruf), Monarchen, Funktionäre, Außenministerinnen auf der Durchreise und zwischendrin: Influencer.
Just um die Teilnahme dieser ‚EM-Influencer‘ war in den vergangenen Tagen eine Debatte entbrannt. Die Fanvereinigung Unsere Kurve findet, dass Social-Media-Stars den ‚richtigen‘ Fußballfans die teuren Sitzplätze „wegnehmen“. Die „echten Fans“ hätten dadurch keine Chance, live dabei zu sein.
Was allerdings schon deshalb nur halb (bestenfalls!) stimmt, weil A-, B- und Z-Promis ja überwiegend auf dem Deckel von Ausrichtern, Verbänden und Sponsoren in die Logen gelangen. Der Vorwurf wirkt auf mich auch deshalb grotesk, weil die DFB-Auswahl noch bis vor kurzem große Mühe hatte, die Tribünen mit jenen ‚echten Fans‘ zu füllen. Zur Not hätte man sogar unechte Fans akzeptiert.
Offen bleibt, welche Kriterien zu erfüllen seien, um als ‚echter Fan‘ durchzugehen. Nach meinem Kenntnisstand findet im Eingangsbereich ja kein Gesinnungstest statt findet, ob man den Fußball auch wirklich liebt. Oder zumindest fühlt. Oder strafbares von nicht-strafbarem Handspiel unterscheiden kann.
Jedenfalls weist die Watt-hamm-die-Vögel-in-unserem-schönen-Stadion-zu-suchen-Diskussion unverkennbare Parallelen zur Gamescom auf, die in sieben Wochen startet. In Foren, Kommentar-Spalten, unter Social-Media-Postings und sogar innerhalb der Szene setzt nämlich regelmäßig lautes Wehklagen ein, das Kölner Spiele-Remmidemmi sei zunehmend zur Influencercom verkommen. Games dienen nur noch als übergeordnete Klammer. Stattdessen gehe es zunehmend darum, selfie-, story- und reel-fähige Situationships für TikTok und Insta zu kreieren – style over substance.
Doch stimmt das überhaupt? Und wenn nein: Woher rührt der Groll? Was lässt sogar Influencer sinngemäß drüber nachdenken: Gamescom den Gamern – YouTuber raus? Und wenn schon nicht ‚raus‘, dann vielleicht in separaten Gehegen?
Dabei sind Influencer – oder etwas nicer: ‚Creator‘ – quasi schon immer integraler Bestandteil der Gamescom. Nicht wenige Ticket-Käufer machen den Termin ihres Besuchs messbar davon abhängig, an welchem Tag Streamer X oder TikTok-Talent Y Hof halten. An den Absperr-Gittern von Bethesda, wo Gronkh traditionell from dawn till dusk herzt und Autogramme schreibt, bilden sich schon kurz nach Hallenöffnung lange Schlangen.
Für den Umstand, dass das schon zuvor mittelgute Image von Influencern im Gamescom-Kontext gelitten hat, darf sich die Branche bei einigen besonders liebenswerten Exemplaren bedanken, die über die Stränge schlugen (und zuweilen auch ihre Mit-Influenzierenden). Unvergessen auch die Bilder von MontanaBlack, der vor zwei Jahren mit einer immer größer werdenden Menschen-Traube verhaltensauffälliger Spätpubertierender durch die Korridore walzte und es für eine smarte Idee hielt, den Vorgang live ins Netz zu streamen.
Die Messe hat reagiert: Neuerdings müssen solche „Community-Treffen“ mindestens 14 Tage im Voraus angemeldet werden. Dann beugen sich Experten über den Plan, wägen Risiken und Nebenwirkungen und entscheiden: Zumutbar oder Zumutung?
Doch das sind allenfalls Nebengeräusche. Nach meinem Eindruck macht sich der Unmut der Gamescom-Ultras gar nicht so sehr an Cos- und Letsplayern in Voll- und Teilzeit fest, sondern an der sehr grundsätzlichen, strategischen Ausrichtung der Gamescom.
Oder wie es Kölns Evangelisches Jugendreferat formuliert, das seit zehn Jahren mit eigenem Stand in Halle 10 vertreten ist: „Die Gamescom hat sich weg von der reinen Fachmesse für Videospiele mit Publikumsbeteiligung zu einer Publikumsmesse entwickelt.“ Die Gamescom sei längst „mehr als Zocken“.
Und mancher wird sich denken: Schade eigentlich.
Wer durch die Hallen flaniert, spürt: Der Charakter der Gamescom hat sich verändert. Und das kam so: Weil Nintendo, Electronic Arts oder Sony PlayStation regelmäßig der Weltleitmesse entsagen, müssen es die ’non-endemischen‘ Marken richten. Übersetzt: Alles außer Games. REWE, Aldi, BMW Mini, Porsche, seit jeher die Bundeswehr, LEGO, Red Bull, die Sparkassen, Netflix, all sowas. Eine komplette Halle ist mittlerweile für Shows, Konzerte, Turniere reserviert, eine weitere für Meet & Greets, ab 2024 gibt es einen Brettspiel-Bereich.
Zwangsläufige Folge: Die Quadratmeter werden mehr – die Hands-on-Gelegenheiten weniger. Dieser subjektive Eindruck wird durch harte Fakten gestützt: So hatte Microsoft Xbox im vergangenen Jahr den größten Gamescom-Aufschlag ever. Anzahl der Spielstationen: 150. Vier Jahre zuvor waren es noch 200.
Jens Malms, der beim Aachener Messebauer Walbert-Schmitz die Auftritte der großen Publisher verantwortet, stellt nüchtern fest: „Die Möglichkeit zum ersten Blick auf einen neuen Titel oder gar ein erstes Anspielen verliert massiv an Bedeutung.“
Motto: Nur gucken, nicht anfassen.
Was nicht immer am fehlenden Willen von Publishern und Studios liegt, sondern daran, dass es offenkundig kompliziert und aufwändig ist, pünktlich zur Messe spielbares Material beizubringen, das erstens in einem ‚gepolishten‘ (sprich: vorzeigbaren) Zustand vorliegt und zweitens für 10- bis 15minütige Sessions taugt. Ergebnis: Bei den Gamescom Awards 2023 hat Nintendo fünf von zwölf Produkt-Kategorien abgeräumt – nicht mit Weihnachts-Neuheiten, sondern mit der Frühjahrs-Kollektion rund um The Legend of Zelda: Tears of the Kingdom.
It is what it is. Und deshalb muss es eben auch mal eine Influencer-‚Aktivierung‘ oder eine Autogrammstunde oder ein Gewinnspiel oder die T-Shirt-Kanone richten. Schließlich will das Publikum an fünf Messetagen von morgens bis abends seriös bespielt werden.
Eine echte ‚Lösung‘ gibt es für das Dilemma nicht: Während eine Fußball-EM ganz hervorragend ohne Influencer durchgeführt werden könnte, ist das bei der Gamescom unvorstellbar. Denn alleine mit der Laufkundschaft vor Ort lassen sich die vielfach siebenstelligen Investments in Standbau, Logistik und Personal niemals rechtfertigen – die Messe-Message muss über die Gamescom hinaus strahlen. Anders geht’s nicht. Und das funktioniert eben nur über Multiplikatoren, also YouTuber und Streamer.
Bei Ausrichtern und Ausstellern weiß man auf den Cent genau um den monetären Media-Wert von Views, Streams, Posts und Reactions. Und deshalb ist es von fast schon existenzieller Bedeutung, dass möglichst viele Influencer mitsamt ihrer Reichweite nach Köln reisen.
Der Kundschaft soll es an nichts mangeln: Zusätzlich zum umlagerten Red Bull Creator Club hinter Halle 8 ist neuerdings ein dedizierter Creator-Co-Working-Space im Sortiment – quasi die Schokoladenfabrik unter den Gamescom-Hotspots. Dort gibt es Streaming-Kabinen, Spielstationen, fixes WLAN, Lounge- und Ruhebereiche, Snacks, Drinks und nach Absprache „weitere Annehmlichkeiten“ – etwa einen Shuttle-Service oder Security-Geleit. Wem bei Twitch im Schnitt 300 Leute aufwärts zugucken, der hat Chancen auf den Zugang ins gelobte Land. Eine Garantie ist es nicht.
Von Creatorn klar abzugrenzen sind im Übrigen die Fuzzis von der Presse. Damit es nicht zu unvorhergesehenen Durchmengungen kommt, gibt es für beide Gewerke strikt getrennte Akkreditierungs-Pfade und Aufenthaltsbereiche. Im Pressezentrum – also dort, wo die Kollegen von Funk, Fernsehen, Print und Online ihre Laptops anstöpseln – gilt der Grundsatz, dass Journalisten selbst fürs leibliche Wohl aufkommen. Schließlich könnten Unabhängigkeit und Professionalität schweren Schaden nehmen, sobald belegte Brötchen, Kaffee und andere kalte Getränke ausgegeben werden. Trost spendet der Gedanke, via Bewirtungsbeleg einen bescheidenden Beitrag zum 42-Mio.-€-Rekord-Gewinn der Koelnmesse zu leisten – gemeinsam mit 320.000 weiteren Teilnehmern. Man muss auch jönne könne.
Back on topic: Die These, dass Gamescom-Influencer den ‚Normalos‘ die Tickets wegnehmen könnten (wie es bei der Fußball-EM der Fall sein soll), ist jedenfalls Kokolores. Stand heute sind für alle Messetage Karten zum Listenpreis verfügbar. Wer will, der kriegt. Konkrete Vorschläge, wie sich die Gamescom 2024 abseits der Influencer-Steuerung sonst noch verbessern ließe, haben wir in dieser Übersicht zusammengetragen.
Ein schönes Wochenende und einen spannenden Fußball-Abend wünscht Ihnen
Petra Fröhlich
Chefredakteurin GamesWirtschaft
PS: GamesWirtschaft feierte am gestrigen ‚Independence Day‘ den 8. Geburtstag. Ein großes Dankeschön Ihnen allen für Ihr anhaltendes Interesse an den Meldungen, Analysen, Hintergrund-Berichten und Kolumnen. Falls Sie uns unterstützen wollen: Abonnieren Sie gerne den kostenlosen Newsletter und folgen Sie uns auf LinkedIn, Facebook, X, Threads oder Bluesky.
Liebe Frau Fröhlich, ich schätze Ihre Arbeit wirklich sehr und bin für gewöhnlich ein Fan Ihres Stils. Doch bei der Wahl dieser Überschrift haben Sie sich schlichtweg vergriffen. Ihre Analogien sind oft klug gewählt und funktionieren wunderbar als Veranschaulichung für die Thematiken, die unsere Branche so umtreibt, doch der hier adaptierte Slogan, durch kürzliche Ereignisse neu aufgeladen, gehört weder in die Social-Media-Kanäle des Landes noch in die Überschrift eines respektablen Brachen-Magazin.
ziemlich geschmackloser Titel, Petra. clickbait-versuch? in jedem fall peinlich, ehrlich gesagt
Man muss natürlich auch sagen, dass eine Messe nur dafür ist, um den Kunden die Ware (also in der Regel und wahrscheinlich zur überwiegenden Mehrheit Software) zu promoten um die Verkäufe anzukurbeln. Das war aber fairerweise auch früher schon beim Vorgänger der Games Convention in Leipzig so. Das Influencer ein Bestandteil der Verkaufsstrategie sind ist Branchenübergreifend der Fall – denn mit dieser Berufsgruppe werbt man bei den jungen Leuten über TikTok und allgemein über Social Media. Klassische Medien kommen dort nicht an oder werden absichtlich ignoriert.
Vielen Dank für die Kolumne!
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