Start Meinung Rettet den Influencer! (Fröhlich am Freitag)

Rettet den Influencer! (Fröhlich am Freitag)

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Autogrammstunde mit Influencer Tobias Hübenthal ('huebi') auf der Gamescom 2022 (Foto: KoelnMesse / Hanne Engwald)
Autogrammstunde mit Influencer Tobias Hübenthal ('huebi') auf der Gamescom 2022 (Foto: KoelnMesse / Hanne Engwald)

Die Becherschlacht hinter Halle 8 auf der Gamescom und die Folgen: Abermals gerät das deutsche Influencer-Wesen in die Schlagzeilen – und nicht auf positive Weise.

Verehrte GamesWirtschaft-Leserin,
verehrter GamesWirtschaft-Leser,

die erste Frage, die mir im erweiterten Umfeld nach meiner Gamescom-Rückkehr gestellt wurde, lautete: „Wie war’s?“ (ziemlich gut). Aber schon im folgenden Satz hieß es mehr als einmal: „Und – hast du was von der Schlägerei mitbekommen?“.

Heißt: Menschen, die sich nicht von Berufs wegen oder aufgrund ihres Hobbys für die Gamescom interessieren, haben vor allem die boulevardeske Komponente des ‚weltgrößten Events rund um Computer- und Videospiele‘ registriert – sei es online, via Social Media oder beim Radiosender ihres Vertrauens.

Wobei es ‚Schlägerei‘ nicht wirklich trifft. Ja, möglicherweise wurden wechselseitig die Mütter der beteiligten Protagonisten beleidigt und Synonyme für Geschlechtsteile aufgezählt. Auf Augenzeugen-Videos ist auch zu sehen, wie ein Plastikbecher mit Red Bull-Resten geworfen wird – aber zu einem größeren Handgemenge kam es letztlich nicht.

Allerdings hat nicht viel gefehlt, um aus der Becherschlacht hinter Halle 8 eine feiste Keilerei zu entwickeln. Denn Twitch-Streamer Tanzverbot (oder ‚Tanzi‘, wie ihn Fans und Kollegen liebevoll nennen) konnte von einer mehrköpfigen Entourage nur mit großer Mühe und vereinten Kräften abgehalten werden, um seine Gegner ungespitzt in den Boden zu schrauben.

Fröhlich am Freitag - die wöchentliche Kolumne bei GamesWirtschaft
Fröhlich am Freitag – die wöchentliche Kolumne bei GamesWirtschaft

Bei diesen ‚Gegnern‘ (Scurrows, Orangemorange) handelt es sich um die Spezies der sogenannten Casino-Streamer, die für kolportiertes life-changing money stundenlang an Online-Spielautomaten drehen – was zugestandenermaßen weniger unterhaltsam klingt, als es in der Praxis ist. Ansonsten würden ja nicht regelmäßig Tausende zugucken. Was wiederum mit überragender Wahrscheinlichkeit dazu beiträgt, dass gefährdetes, womöglich minderjähriges Publikum der Spielsucht zugeführt wird.

Ganz abgesehen davon, dass Werbung für unerlaubtes Glücksspiel nun mal unerlaubt ist – soweit die Theorie.

All das bringt Tanzi auf die Palme. Muss man Verständnis haben. Zumal er im Vorfeld via Twitter dahingehend von den Casino-Boys provoziert wurde, er würde sich ja ohnehin in den Waschräumen verstecken.

Die Herren des Hausrechts – sprich: die KoelnMesse und der Branchenverband – haben auch diesmal ihren ganz eigenen Weg gefunden, souverän mit unangenehmen Lagen umzugehen. Man habe mit den Beteiligten gesprochen und „deutlich“ darauf hingewiesen, dass die Gamescom ein Ort sei, an dem alle Spaß haben sollten und kein Platz für Gewalt sei.

Motto: „Jetzt schreibt mal jeder auf, was er am anderen gut findet.“

Zudem habe man respektiert, dass keiner der an der Beinahe-‚Schlägerei‘ Involvierten rechtliche Schritte habe einleiten wollen. Wobei sich die Frage stellt: Rechtliche Schritte wegen was genau? Wegen eines hinterlistigen Angriffs mit einem taurin- und koffeinhaltigen Kaltgetränk?

Im Ergebnis gibt es kein Hausverbot für Tanzverbot – und für alle anderen auch nicht.

Weiterhin gern gesehener Gast in Köln bleibt auch MontanaBlack, einer der größten Gaming-Streamer des Landes mit Millionen-Reichweiten auf allen Kanälen, der auf seinem Twitterprofil andeutet, dass er in der Kundenkartei von Lamborghini geführt wird.

Am Donnerstag vergangener Woche twitterte der junge Mann: „Bin Samstag und Sonntag Gamescom und vermute es wird leicht eskalieren. Beide Tage IRL Stream“.

Zur völligen Verblüffung aller Beteiligten ist dann genau das passiert: Es eskalierte. Zunächst am Samstag, aber noch mehr am Sonntag. Junge Menschen in der Blüte der Pubertät schoben sich in erheblichen Mengen vor, neben und hinter ‚Monte‘ durch die Hallen. Was sich der Flut in den Weg stellte, wurde mitgerissen (Video).

Diggaaaaaaaaaa!

Um das Wohlergehen von MontanaBlack musste man sich zu keinem Zeitpunkt sorgen, denn der wurde ja von mitgebrachter und hinzueilender Security großräumig abgeschirmt.

Die KoelnMesse rechtfertigte sich im Nachgang, der Besuch sei ja gar nicht offiziell angemeldet worden – was bei Naturkatastrophen ohnehin eher selten der Fall ist. Und als ‚Monte‘ dann quasi aus dem Nichts und ohne jede Vorwarnung auftauchte, habe man nur noch spontan reagieren können.

Das mag für den Samstag zutreffen, aber spätestens am Sonntag ahnte selbst der Laie: Hoppla, das eskaliert ja – schon wieder.

Jedenfalls soll sich die Nummer auf der Gamescom 2023 nicht wiederholen. Es würde mich wundern, wenn Rundgänge von Internet-Großkalibern mit signifikant sechsstelligen Follower-Zahlen aufwärts überhaupt noch genehmigt werden.

Nun sind beide Vorfälle zwar einigermaßen glimpflich ausgegangen. Im Ergebnis sind die Schlagzeilen aber deshalb unerfreulich, weil abseits der Gamescom auch der ehrbare Berufsstand des Influencers erneut Schaden am Leumund genommen hat. Jene, die YouTuber und Streamer wahlweise für überschätzt oder überbezahlt oder beides halten, sehen sich in sämtlichen Anklagepunkten bestätigt – und fänden es daher ganz gut, wenn sich das Personal erst gar nicht mehr auf ‚ihrer‘ Gamescom blicken lassen würde.

Gerne wird dabei verdrängt, welch enorme Relevanz die kleinen und großen Stars aus YouTube, TikTok, Instagramm, Twitter oder Twitch zuvorderst für ihre Fans und zweitens für das gesamte Gaming-Ökosystem haben. Es hat gute Gründe, warum Ubisoft, Deep Silver, Activision Blizzard, Microsoft Xbox & Co. eng mit den Publikumslieblingen zusammenarbeiten und mit ihnen werben – in Kampagnen, Trailern, bei Events und Bühnen-Shows.

Einfach deshalb, weil es funktioniert. Überdurchschnittlich oft zumindest.

Ich würde so weit gehen, dass die Gamescom ohne Influencer schlichtweg nicht oder nur in Ansätzen realisierbar wäre. Letsplayer & Co. sind genauso untrennbarer Teil der Gamescom wie Entwickler, Cosplayer und E-Sportler.

Umso betrüblicher ist es, dass das gänzlich unsanktionierte Fehlverhalten Einzelner regelmäßig überlagert, wie oft die Reichweiten für karitative Zwecke eingesetzt werden. Dass etwa das Friendly-Fire-Ensemble seit 2015 mehr als sieben Millionen € für Tafeln, Tierheime und Dutzende weitere Organisationen eingeworben hat, dringt außerhalb der Bubble kaum durch.

Natürlich ist auch mir klar, dass Boulevard und Social Media lieber Rabauken-Beef als die vielen, vielen, vielen positiven Beispiele feiern. Aber möglicherweise müssen sich alle ein bisschen mehr anstrengen, um viel öfter darauf hinzuweisen, sobald Vorbilder Vorbildliches leisten.

Ein schönes Wochenende wünscht Ihnen

Petra Fröhlich
Chefredakteurin GamesWirtschaft

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2 Kommentare

  1. Soziale Medien sind sowohl (leider) notwendig, als auch ein weiterer Tiefpunkt der gesellschaftlichen Entwicklung.
    Das Grundprinzip mag sinnvoll sein, doch das, was daraus wurde und noch weiterhin wird, ist eben ein Spiegelbild des menschlichen Dasein. Wundert mich als nicht wirklich, zu welchen Eskalationen das Ganze führt, es wird auch nicht unbedingt besser werden.
    Finde es eher befremdlich, dass mehr oder weniger normale Personen angeblich berühmt ein sollen, weil sie während irgendwelcher eigentlich normaler Tätigkeiten gefilmt werden.

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