Start Meinung Ganz ohne Mimimi (Fröhlich am Freitag)

Ganz ohne Mimimi (Fröhlich am Freitag)

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Shadow Tactics entstand noch in den 'alten' Büroräumen von Mimimi Productions - 2020 zog und firmierte das Studio um (Foto: GamesWirtschaft)
Shadow Tactics entstand noch in den 'alten' Büroräumen von Mimimi Productions - 2020 zog und firmierte das Studio um (Foto: GamesWirtschaft)

Die Gründer der Münchener Mimimi Games GmbH haben die deutsche Games-Industrie durchgespielt – und fahren den Betrieb herunter.

Verehrte GamesWirtschaft-Leser,
verehrte GamesWirtschaft-Leserin,

„Es ist beeindruckend, dass ein kleines Team einen Titel von solch hoher Qualität erfolgreich auf den Markt bringt – und das ohne Gejammer oder … Mimimi.“

Der Rest der Laudatio von Spiele-Professorin Mareike Ottrand geht im frenetischen Applaus der 700 geladenen Gäste unter.

Wenige Sekunden später tritt Dominik Abé auf die Bühne des Berliner Westhafens. Ungerührt nimmt er den Glückwunsch entgegen, ignoriert EA-Deutschland-Chef Kosche (der für die Übergabe der Trophäe eingeteilt ist) und stützt sich mit beiden Händen aufs Pult: „Wir können heute Abend leider keine Preise annehmen – danke.“ (Video)

Spricht’s – und kehrt zu seinem Platz zurück. Im Saal setzt Geraune und Getuschel ein: Das hat er gerade nicht wirklich gesagt?

Die Show-Assistentin, die soeben den symbolischen 40.000 €-Scheck auf die Bühne gewuchtet hat, wirkt ebenso konsterniert wie Barbara Schöneberger, die an jenem denkwürdigen 26. April den Deutschen Computerspielpreis 2017 moderiert. Denn eigentlich soll Mimimi-Kreativdirektor und -Co-Gründer Abé den Preis für das „beste Gamedesign“ entgegen nehmen; zusätzlich ist Shadow Tactics: Blades of the Shogun für das ‚Beste Spiel‘ nominiert – ein Ritterschlag.

Moderatorin, Ausrichter und Regie sind vorgewarnt, dass es zu einem solchen Eklat kommen könnte. Kolportierte Unstimmigkeiten bei der denkbar knappen Jury-Abstimmung haben die Jungunternehmer veranlasst, die Auszeichnung abzulehnen, wie sich im Nachgang herausstellen wird (Hintergrund). Ein halbes Jahr später holt Shadow Tactics-Publisher Daedalic Entertainment – dem laut Reglement nur ein Bruchteil der ausgelobten Summe zustünde – das komplette Preisgeld ab. Wär ja schade drum.

Fröhlich am Freitag - die wöchentliche Kolumne bei GamesWirtschaft
Fröhlich am Freitag – die wöchentliche Kolumne bei GamesWirtschaft

Mir fallen nicht viele Spiele-Startups ein, die aus freien Stücken auf Plexiglas-Pokale, Urkunden und Schecks verzichten. Erst recht, wenn man weiß, dass die Münchener wenige Monate zuvor in den Abgrund geblickt hatten. Denn am Ende des Geldes war noch sehr viel Monat übrig, um Shadow Tactics überhaupt fertigzustellen. Die Kündigungen für die Angestellten lagen schon ausgedruckt in der Schublade. Mit etwas Pech wäre die Geschichte an dieser Stelle zu Ende gewesen: kein Spiel, keine Schöneberger, keine Perspektive.

Stattdessen folgt eines jener super-seltenen Lebe-deinen-Traum-Märchen: THQ Nordic finanziert das Nachfolgeprojekt Desperados 3, das 2018 angekündigt und ebenfalls mit Preisen prämiert wird. Im Herbst 2020 zieht die umfirmierte Mimimi Games GmbH aus viel zu kleinen, muffigen Räumen in ein modernes Bürogebäude im Osten Münchens, mit viel Licht und viel Platz. Und die Entwickler wollen endlich die komplette Wertschöpfungskette kontrollieren: eigenes Publishing, eigene Marke, eigene Taktung.

Dieser Plan ist (offenkundig) aufgegangen, denn Shadow Gambit: The Cursed Crew ist vor zwei Wochen erschienen, und zwar on time, on budget und on quality – was sich normalerweise wechselseitig ausschließt. Das 39,99-€-Spiel verkauft sich zwar nicht überragend, aber ziemlich okay. Kaum ein Fachblatt, das die Mimimi-Neuheit nicht dringend empfohlen hätte.

Umso surrealer mutet das an, was am vergangenen Dienstagvormittag passierte: Nachdem zunächst die knapp 40köpfige Belegschaft informiert worden war, wurde gegen 13 Uhr ein Blog-Eintrag scharf geschaltet – der im Anschluss eine Schockwelle durch die Branche schickte.

Die Botschaft: Shadow Gambit: The Cursed Crew ist das letzte Spiel von Mimimi Games. Das „Studio des Jahres 2021“ wird abgewickelt – es gibt kein Folgeprojekt. Spieldesigner, Grafiker, Programmierer, Producer, Marketing, PR, sie alle verlieren ihre Jobs. Für das Büro wird ein Nachmieter gesucht; wer Interesse an Hardware und Möbeln habe, möge sich melden.

Das Gründer-Duo Dominik Abé und Johannes Roth zieht nach eigener Darstellung die Reißleine, um einer nie enden wollenden Tretmühle zu entkommen – auch mit Blick auf die familiäre Situation. Denn als ob die Fertigstellung und Vermarktung eines stabilen, kommerziell erfolgreichen Titels nicht schon Herausforderung genug wäre, bringen es die Besonderheiten der Games-Entwicklung mit sich, dass spätestens am Release-Tag schon klar sein muss, wie das Nachfolgeprojekt aussieht – und wer es finanziert.

Sprich: Während der eine Kuchen aus dem Backrohr geholt wird, muss zumindest der Teig für den nächsten angerührt worden sein. Wehe der Bäckerei, die in dieser Phase noch unschlüssig ist, welches Rezept zur Anwendung kommen soll – und woher die Zutaten stammen. Mimimi Games verstand sich explizit als „single-project company“.

Für ihren selbstbestimmten Rückzug haben die beiden Gründer breiten Respekt erfahren – mutig, souverän, konsequent, alles richtig gemacht, so lautete der Tenor. Mir persönlich fehlt in der Bewertung vereinzelt die Perspektive der freigestellten Belegschaft, die auf einen bedingt aufnahmefähigen Spiele-Arbeitsmarkt in einer der teuersten Regionen Deutschlands trifft. Offiziell herrscht krasser Fachkräftemangel, doch seit einigen Monaten sind nicht mehr alle Gewerke gleichermaßen gesucht.

Groll gibt es dennoch kaum, eher eine große Leere und Traurigkeit – sowohl bei jenen, die (fast) von Anfang an dabei sind, als auch bei Crew-Mitgliedern, die erst vor kurzem an Bord der MS Mimimi gewechselt waren. Die Kapitäne wollen bei der Vermittlung neuer Arbeitsplätze nach Kräften unterstützen; auch Mitbewerber haben Hilfe angeboten.

Die Vokabel, die im Zusammenhang mit dem Mimimi-Aus am häufigsten zu lesen ist, lautet demzufolge ‚Schade‘:

  • Schade, weil Mimimi hervorragende, international vorzeigbare Spiele produziert hat und mindestens im Echtzeittaktik-Genre eine klaffende Lücke hinterlässt.
  • Schade, weil die Standorte Bayern und München einen ihrer Leuchttürme verlieren. Schließlich gibt es im Freistaat nur eine Handvoll Mittelständler, die Vollpreis-PC- und Konsolen-Titel ‚können‘. Industriestandard ist ja Free2Play – und Mobile.
  • Schade, weil eine So-könnte-es-gehen-Blaupause entfällt. Erst letzte Woche hatte sich Wirtschaftsminister Habeck auf der Gamescom von Johannes Roth ausführlich erklären lassen, wie Indie-Studios ‚ticken‘ – welcher Druck auf jungen Firmen lastet und was es braucht, ein nachhaltiges Business zu betreiben.

Und keine 100 Stunden später soll es das gewesen sein? Uff.

Die Gründer haben bereits am Dienstag angekündigt, vorerst keine weiteren Stellungnahmen abzugeben, sondern zunächst die internen Themen abzuschichten. Das ist freilich zu respektieren. Gleichwohl bleiben natürlich eine Menge offener Fragen, zum Beispiel:

  • Warum wurde die Firma nicht (rechtzeitig) verkauft, um mit reduziertem Kesseldruck und mehr finanziellem Spielraum an neuen Projekten arbeiten zu können und vor allem: um das Team zusammen zu halten? Die Liste möglicher Vorbilder ist endlos: Deck13, Limbic, Piranha Bytes, Black Forest, Nukklear, Yager, Tivola, unter anderem.
  • Was geschieht jetzt mit Marken, Vertriebsrechten, Code, Assets?
  • Und welche Haupt- oder Nebenrolle spielte eigentlich der seit Mai geltende Annahme-Stopp der Bundes-Games-Förderung? Das damals zuständige Verkehrsministerium hat Ende 2020 mehr als zwei Millionen € zu Shadow Gambit – das damals noch unter dem Codenamen ‚Süßkartoffel‘ lief – beigesteuert; die Produktion des Spiels hat natürlich ein Vielfaches dessen gekostet. Seit Mai sind die Fördertöpfe leer, schon wieder. Bleibt es beim Status Quo, können erst Anfang 2025 wieder Anträge gestellt werden.

Doch all das ist ohnehin verschüttete Milch, die Entscheidung steht. Nach einigen letzten Patches und Updates ist Schluss.

Was bleibt, ist die beeindruckende Leistung eines kleinen Teams, das Titel von hoher Qualität erfolgreich auf den Markt gebracht hat – und das ohne Gejammer oder … Mimimi.

Ein schönes Wochenende wünscht

Petra Fröhlich
Chefredakteurin GamesWirtschaft

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