Start Meinung Die roten Linien von Embracer (Fröhlich am Freitag)

Die roten Linien von Embracer (Fröhlich am Freitag)

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Durch Zukäufe hat sich die Embracer Group zu einem der weltweit größten Publisher entwickelt (Abbildung ähnlich / Midjourney)
Durch Zukäufe hat sich die Embracer Group zu einem der weltweit größten Publisher entwickelt (Abbildung ähnlich / Midjourney)

Hilfe, es klumpt: Dass weite Teile der deutschen Games-Industrie an der Embracer Group hängen, birgt Risiken und Nebenwirkungen.

Verehrte GamesWirtschaft-Leserin,
verehrter GamesWirtschaft-Leser,

‚Kaufen, wenn die Kanonen donnern‘, lautet eine gängige Börsenweisheit. Und bei der schwedischen Embracer Group donnern sie derzeit besonders heftig. Klemens Kundratitz hat in dieser Woche trotzdem (oder gerade deshalb) nachgekauft: 165.000 Aktien der Embracer Group AB zum Stückpreis von 25,93 Kronen, umgerechnet rund 2,23 €.

Dass solche Insider-Deals zwingend publik werden, liegt daran, dass Kundratitz als Plaion-Chef zum Top-Management von Embracer gehört. Plaion hieß bis zum August 2022 Koch Media – im Februar jährte sich die 121-Millionen-€-Übernahme des deutsch-österreichischen Publishers (Metro, Saints Row) zum fünften Mal. Parallel zum Marken-Relaunch hat Plaion das Hauptquartier im Tiroler Grenzdorf Höfen um ein Hightech-Logistikzentrum erweitert. Adresse: Embracer Platz 1 – wo sonst.

Eigentlich läuft es ja gut für Plaion und die Konzernmutter. Insbesondere das Zombie-Massaker Dead Island 2 verkauft sich besser als erwartet. Das Problem: Streng genommen galt das zuletzt nur für Dead Island 2. Viele andere Neuheiten schaffen mit Mühe den Break-even.

Fröhlich am Freitag - die wöchentliche Kolumne bei GamesWirtschaft
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Und dann kam der 24. Mai: Embracer-Vorstands-Chef Lars Wingefors wollte parallel zu den Geschäftszahlen eigentlich die frohe Botschaft eines Multi-Milliarden-Deals überbringen. Der aber von der Gegenseite überraschend abgeblasen wurde, buchstäblich last-minute – weshalb ein sichtlich übernächtigter Schwede mit leeren Händen da stand.

Die Meldung löste bei Investoren blankes Entsetzen aus: Der Aktienkurs brach um die Hälfte ein, von einem Tag auf den anderen. Großaktionäre verloren ein Vermögen, allen voran Wingefors und das Königreich Saudi-Arabien: Vor exakt einem Jahr hat der tadellos beleumundete Wüstenstaat nämlich eine Milliarde an fossilen Dollars in Embracer investiert und ist seitdem zweitgrößter Anteilseigner. Damals, im Juni 2022, stand die Aktie bei 8 € – derzeit notiert sie knapp über 2 €. Wäre ich Scheich, dem man zu diesem Investment geraten hätte, würde ich zumindest mal den Hörer in die Hand nehmen.

Das Dilemma: Damit das Geschäftsmodell intakt bleibt, war und ist Embracer zum Wachsen verdammt. Deshalb wurde gekauft, was nicht niet- und nagelfest ist – Brettspiel-Hersteller, Comic-Verlage, Animations-Studios, Games-Entwickler ohnehin, dazu Lizenzen wie Der Herr der Ringe.

Unter anderem hat Wingefors dem japanischen Videospiele-Riesen Square Enix die Rechte an Tomb Raider und Deus Ex abgeschwatzt – und die Welt staunte: Warum trennt sich Square Enix von Lara Croft und damit von vermeintlichem Tafelsilber, noch dazu zu diesem Preis? Vielleicht, weil große Namen analog zum Fußballgeschäft nur dann leichten Herzens abgegeben werden, sobald sie ihren Zenit überschritten haben?

Durch diese und viele, viele weitere Akquisitionen ist Embracer binnen weniger Jahre zu einem der weltweit größten Spielehersteller aufgestiegen – mit derzeit 12 Geschäftsbereichen (THQ Nordic, Plaion, Gearbox, Saber, Crystal Dynamics etc.), 17.000 Mitarbeitern, 134 Studios und 224 Projekten. Von den fast 100 Games, die Embracer allein für die Saison 2023/24 plant, sind knapp 60 noch nicht mal angekündigt.

Bislang galt: Viel hilft viel. Doch seit dieser Woche lautet das Motto: Weniger ist mehr. Und im ersten Schritt: Weniger ist weniger. Am Dienstag stimmte Wingefors die Belegschaft per Offenem Brief auf harte Einschnitte ein: weniger Standorte, weniger Komplexität, weniger Spiele, weniger Kosten, weniger Schulden und ja: weniger Angestellte. Bei Plaion hat der Umbau laut unbestätigter Medienberichte bereits vor einigen Wochen begonnenfocused, better, together. Can we do it? Yes we can.

Die Nervosität ist spürbar, auch und gerade in unseren Breitengraden. Aus Gründen: In der deutschen Games-Industrie sind bei Spiele-Publishern und Studios etwas mehr als 11.000 Menschen beschäftigt – in Österreich mögen es netto um die 500 sein, je nach Rechnung. Von diesen roundabout 12.000 Beschäftigten entfallen jeweils 1.000 Jobs auf Ubisoft, 1.000 auf Nintendo of Europe und weitere 1.000 auf Embracer. Bedeutet: Im deutschsprachigen Raum steht jeder vierte Arbeitnehmer auf der Payroll von nur drei Unternehmen – die externen Zulieferer gar nicht mitgerechnet.

Warum ist das ein Problem? Weil wir es hier mit einem Klumpen- und Cluster-Risiko zu tun haben – also mit einer Abhängigkeit von sehr wenigen, sehr großen Akteuren. Sobald einer der dreien hüstelt, schnieft die komplette Branche. Inklusive sehr konkreter Auswirkungen – auf den Arbeitsmarkt, auf Investitionen, auf Spiele-Portfolios, auf künftige Games. Zumal Plaion als Logistiker von Activision Blizzard, SEGA, Focus, Kalypso Media & Co. fast schon Systemrelevanz für den Einzelhandel aufweist.

Mit derartigen Klumpungsrisiken und -nebenwirkungen hat das hiesige Games-Gewerbe schon einmal ziemlich üble Erfahrungen gemacht, nämlich in der nicht so glorreichen Ära der Jowood Entertainment AG. Der Publisher wollte von der Steiermark aus den Weltmarkt erobern, ging 2000 an die Börse und sammelte Marken und GmbHs ein wie ein Kürbiskern-Ernter. Schon zwei Jahre später folgte die erste Insolvenz, 2005 die nächste, 2011 die endgültige.

Und jetzt kommt’s: Das, was heute die Embracer Group darstellt, ist aus den qualmenden Ruinen von Jowood entstanden. Spiele, Studios, Standorte, handelnde Personen.

Würde man alle Verknüpfungen wie ein CSI-Ermittler mit Post-its, Fotos, Karten und Zeitungsausschnitten auf eine Tafel pinnen und mit Bindfäden verknüpfen, entstünde ein komplexes Evidence Board – ein dichtes Gestrüpp aus roten Linien. Fünf von Dutzenden Beispielen:

  • THQ-Nordic-Boss Klemens Kreuzer war einst Finanz-Vorstand von Jowood und hat die ursprüngliche Nordic Games GmbH in Wien ab 2011 mit anfänglich sieben Mitarbeitern aufgebaut, die zum Teil heute noch im Unternehmen sind. Spellforce, Die Gilde, Aquanox, Gothic, Söldner – alles einstige Jowood-Produktionen. Von Anfang an an Bord: Lars Wingefors.
  • Der Jowood-Gründer und spätere -Vorstand Andreas Tobler ist seit 2014 Business Development Director bei Plaion.
  • Der strategische Investor, der 2005 bei der kriselnden Jowood AG einstieg, hieß … ta-da … Koch Media (heute: Plaion).
  • Jowood fungierte einst als Publisher des Piranha-Bytes-Rollenspiels Gothic 3, das vorzeitig in schlimmem Zustand ausgeliefert wurde. Das Management verkrachte sich mit dem Essener Studio, das mit der neuen Marke Risen zu Koch Media wechselte. Seit 2019 ist Piranha Bytes eine Tochter von … THQ Nordic.
  • Infolge des Streits wurde das 2010 veröffentlichte Jowood-Rollenspiel Arcania: Gothic 4 von einem anderen Studio entwickelt, nämlich Spellbound Entertainment. Nach der Pleite des Offenburger Studios wurde daraus dann Black Forest Games. Wer hat das Unternehmen 2017 übernommen? Sie ahnen es: THQ Nordic.

Nun ist Embracer natürlich kein Jowood, allein schon mit Blick auf Dimensionen und Cash-Flow. Aber wie sehr die Jowood-Traumata den damals Beteiligten und Betroffenen noch in den Kleidern stecken, merkt man in Gesprächen mit Embracer-Personal – wo stets Bewunderung für Wingefors‘ Spür- und Geschäftssinn mitschwingt, aber eben auch ein „Hoffentlich geht das alles gut …“-Sound.

Spätestens seit Ende Mai wird allen klar sein: Die Party ist vorerst vorbei – auf dem Evidence Board sind erst mal keine weiteren rote Linien zu erwarten, sondern eher eine Entflechtung. Immerhin: Um die kommenden Projekte deutscher Embracer-Studios wie Fishlabs, Piranha Bytes, Massive Miniteam, Grimlore oder HandyGames müssen sich Branche und Kundschaft mutmaßlich vorerst keine Sorgen machen. Auch wegen staatlichem Beistand: Kein anderer Spielehersteller erhält so viele Subventionen vom Wirtschaftsministerium.

Die Gelegenheit, sich zum Schnäppchenpreis mit Embracer-Anteilen einzudecken, hat in den vergangenen Tagen übrigens nicht nur Plaion-Boss Kundratitz genutzt, sondern auch Matthew Karch – bisher CEO der Embracer-Sparte Saber Interactive (World War Z). 6,5 Millionen zusätzliche Aktien wanderten in sein Depot.

Karchs einzige Aufgabe als Interims-Chief Operating Officer an der Seite von Wingefors: durchkarchern – also die Kernsanierung und Wärmedämmung des Embracer-Imperiums. Und zwar mindestens so lange, wie die Kanonen donnern.

Ein schönes Wochenende wünscht Ihnen

Petra Fröhlich
Chefredakteurin GamesWirtschaft

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