Start Wirtschaft Microsoft kauft Activision Blizzard – und jetzt?

Microsoft kauft Activision Blizzard – und jetzt?

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Mit dieser Grafik feiert Microsoft den Abschluss der Activision-Blizzard-Übernahme (Abbildung: Microsoft)
Mit dieser Grafik feiert Microsoft den Abschluss der Activision-Blizzard-Übernahme (Abbildung: Microsoft)

Fast zwei Jahre lang hat Microsoft um Activision Blizzard gekämpft – die Folgen für Unternehmen, Kunden und Branche.

Eine zermürbende, wenngleich aufschlussreiche Kaskade an Anhörungen, Unterstellungen, Leaks, Stellungnahmen, Gutachten und Gegengutachten hat nun doch zu einem Happy End geführt – zumindest aus Sicht der Käufer: Mit umfangreichen Deals und Zugeständnissen ist es den Microsoft-Kanzleien gelungen, die heftigen Widerstände der Kartellbehörden dies- und jenseits des Atlantiks zu brechen – und selbst Mitbewerber Sony PlayStation hat seinen Frieden mit dem Unvermeidlichen gemacht.

Die am Freitag offiziell verkündete Übernahme von Activision Blizzard durch Microsoft lässt den drittgrößten Spielehersteller des Planeten entstehen, hinter dem chinesischen Weltmarktführer Tencent und eben Sony Interactive.

Es handelt sich um die mit Abstand größte Transaktion in der Games-Industrie – und um den größten Zukauf, den Microsoft je unternommen hat. Die Summe von (anfänglich) 69 Milliarden Dollar ist das Dreifache dessen, was der US-Konzern für das Business-Netzwerk LinkedIn bezahlt hat.

Die schieren Dimensionen werden auch deutlich, wenn man weiß, dass Disney für das Superhelden-Imperium Marvel (Spider-Man, Guardians of the Galaxy) und Lucasfilm (Star Wars, Indiana Jones) jeweils ’nur‘ 4 Milliarden Dollar ausgegeben hat.

Microsoft kauft Activision Blizzard – und jetzt?

Es versteht sich somit von selbst, dass dieser Zusammenschluss massive Auswirkungen hat – für die Games-Industrie, aber auch für das Entertainment- und Tech-Segment. Mitarbeiter, Branche und Kunden fragen sich zurecht, was das in der Praxis bedeutet.

Auch wenn sich viele Aspekte erst nach und nach abzeichnen: Einige unmittelbare Folgen lassen sich bereits jetzt abschätzen – ein erster Überblick.

Games-Relevanz bei Microsoft steigt

Im Einnahmen-Mix von Microsoft spielten Games und Xbox-Konsolen bislang eine eher untergeordnete Rolle: Windows, Office und das enorm lukrative Cloud-Infrastruktur-Business via Azure haben eine ungleich höhere Bedeutung für den Umsatz von zuletzt 200 Milliarden Dollar.

An dieser Konstellation werden auch die zusätzlichen 7,5 Milliarden Dollar nicht allzu viel ändern, die Activision Blizzard als Mitgift in die Ehe einbringt. Nichtsdestoweniger dürften mindestens Analysten und Investoren ab sofort mit größerer Aufmerksamkeit hinsehen, wie sich Marktanteile, Margen, Produkte und Geschäftsmodelle in der Videospiele-Abteilung entwickeln.

Auf Führungskräfte, Finanz- und IT-Abteilungen sowie die Personalverantwortlichen wartet nun zunächst eine Mammut-Aufgabe – die Vorbereitungen laufen seit Monaten, auf beiden Seiten. Schließlich wollen 17.000 ’neue‘ Kollegen und Hunderte von Standorten auf dem ganzen Globus integriert werden. Durch die Synchronisierung von Abläufen ergeben sich zwangsläufig auch Synergien, weil Doppelstrukturen und damit Stellen entfallen.

Microsofts vervielfacht Studio-Kapazitäten

Unmittelbar nach Bekanntgabe des Deals hat Xbox-Boss Phil Spencer angekündigt, mit seinem Team zunächst die frisch erworbenen Ländereien im Rahmen einer Studio-Tour zu besichtigen und Gespräche über die künftige Zusammenarbeit zu führen.

Schon jetzt verfügt Microsoft über Entwicklungs-Standorte mit knapp 5.000 Beschäftigten – darunter Rare (Sea of Thieves), Turn 10 (Forza), Mojang (Minecraft), Machinegames (Wolfenstein), Arkane (Deathloop), ID (Doom) und natürlich Bethesda Game Studios (Fallout, Starfield).

Mit den zusätzlichen Kapazitäten soll – auch – der gewaltige Nachschub-Bedarf für den Xbox Game Pass gestillt werden. Allein an der Marke Call of Duty arbeiten drei Studios parallel – Sledehammer, Treyarch und Infinity Ward.

Beobachter gehen davon aus, dass Activision Blizzard vorerst weitgehend eigenständig bleibt und Microsoft sich wenig ins Tagesgeschäft der Games-Entwicklung ‚einmischt‘ – ähnlich, wie es offenkundig bei Bethesda der Fall ist.

Activision Blizzard-Spiele im Xbox Game Pass

Die offensichtlichste Neuerung aus Kunden-Sicht: Diablo, Call of Duty & Co. sind künftig Teil der Abo-Dienste PC Game Pass und Xbox Game Pass – eine der wichtigsten Säulen der Microsoft-Strategie. Das riesige Portfolio an Bestandstiteln wird allerdings nicht sofort, sondern erst nach und nach hinzugefügt.

Dennoch: Künftig gibt es noch mehr Argumente für das Abo – mittelfristig wird sich dies auch im Monats-Preis widerspiegeln, den Microsoft zuletzt erhöht hat. Wer sich für das All-inclusive-Paket (Xbox Game Pass Ultimate) entscheidet, zahlt mittlerweile 180 € pro Jahr.

Microsoft stärkt Mobilegames-Business

Sowohl Sony als auch Microsoft mühen sich, auf Smartphones und Tablets eine wahrnehmbarere Rolle zu spielen: Denn das mit Abstand umsatzstärkste Marktsegment wird von anderen Herstellern beherrscht, etwa Tencent, Zynga, Electronic Arts, Niantic, Playrix oder NetEase.

Dies ändert sich mit der Activision-Blizzard-Übernahme schlagartig: Während Candy Crush Saga gerade bei Frauen mittleren Alters absurd erfolgreich ist, adressieren Call of Duty Mobile oder Diablo Immortal ein überwiegend männliches, junges Publikum. Zusammen mit der Marke Minecraft kontrolliert Microsoft nun einige der umsatzstärksten Mobile-Games-Marken.

In einem Interview im Frühjahr hatte Xbox-Boss Spencer außerdem angedeutet, einen eigenen Appstore aufbauen zu wollen, um die üppigen Provisionen von Google (Android) und Apple (iOS) zu umgehen.

Games-Software in Deutschland: Von jedem Umsatz-Euro entfielen 2022 rund 44 Cent auf In-App-Käufe (Stand: 16.5.2023)
Games-Software in Deutschland: Von jedem Umsatz-Euro entfielen 2022 rund 44 Cent auf In-App-Käufe (Stand: 16.5.2023)

Candy Crush Saga: Microsoft ist King

Vielfach wird übersehen, dass Activision Blizzard nicht nur auf PC und Konsole stark vertreten ist, sondern auch im Appstore: Die Sparte King steuert ein Drittel zu Umsatz und Profit bei, deutlich mehr als Blizzard Entertainment.

In erster Linie ist dies dem milliardenfach heruntergeladenen Dauerbrenners Candy Crush Saga zu verdanken: Zum King-Sortiment gehören außerdem viele weitere erfolgreiche Spiele-Apps wie Bubble Witch Saga, Candy Crush Soda Saga und Farm Heroes Saga.

King betreibt im Übrigen auch eine große Filiale in Berlin-Mitte – inklusive stockwerkübergreifender Rutsche: Mit 100 Beschäftigten gehört die deutsche Tochter zu den größten Studio-Standorten des Landes.

Ende einer Ära: Bobby Kotick tritt ab

Zu den Gewinnern des XXL-Deals zählt Bobby Kotick, mindestens finanziell: Der 60jährige steht bereits seit den 90ern an der Spitze von Activision, das später mit Blizzard Entertainment fusionierte und so zum größten PC- und Konsolenspiele-Hersteller wurde.

Kotick galt und gilt als einer der einflussreichsten, wenngleich umstrittensten Top-Managern der Games-Industrie. Seine Ära endet mit dem Jahreswechsel: Denn als CEO bleibt er nur noch bis Ende 2023 an Bord, um die Übergabe zu begleiten – im Anschluss will er sich der Philanthropie widmen. Was nichts mit Xbox-Chef Phil Spencer zu tun hat, sondern die Unterstützung ‚guter‘, überwiegend gemeinnütziger Projekte meint – zum Beispiel über Stiftungen.

Call of Duty: Planungssicherheit für PlayStation- und Nintendo-Kunden

Mindestens bis Mitte des kommenden Jahrzehnts werden Call of Duty-Spiele auch auf der PlayStation 5 und PlayStation 6 stattfinden – und zwar zum selben Zeitpunkt und mit vergleichbarem Umfang wie die Xbox-Fassung. Dies ist durch ein langfristiges Abkommen zwischen Sony und Microsoft vertraglich geregelt.

Zur Wahrheit gehört allerdings: Während die Basis-Version des Shooters für Xbox Game Pass-Abonnenten voraussichtlich bereits ab 2024 inklusive ist, zahlen PS5-Besitzer weiterhin 80 € aufwärts für den Einzelkauf. Und: Das PlayStation-5-Bundle inklusive Call of Duty: Modern Warfare 3, das am 10. November parallel zum Spiel erscheint, ist das letzte seiner Art.

Activision Blizzard wird Call of Duty auch in einer maßgeschneiderten Version für die Nintendo Switch (genauer: für deren Nachfolger) produzieren – ein Novum.

Auswirkungen auf Deutschland, Österreich und die Schweiz

Die konkreten Folgen für den deutschsprachigen Raum sind überschaubar. Denn die Activision-Blizzard-Niederlassung in Ismaning bei München wurde bereits im Mai 2022 aufgelöst – die dazugehörigen Aufgaben hat das Unternehmen zur Europa-Zentrale nach London verlagert. Externe Agenturen unterstützen Activision Blizzard seitdem bei der Betreuung regionaler Medien und Influencer. Der Einzelhandel wird von der Embracer-Sparte Plaion (ehemals Koch Media) mit Diablo 4, Call of Duty & Co. auf Disc beliefert.

Dabei rechtfertigt das riesige Activision-Blizzard-Sortiment eigentlich eine dedizierte Niederlassung für die DACH-Region mit ihren 100 Millionen Einwohnern – so wie es bei der Microsoft-Sparte Bethesda der Fall ist. Die Zenimax Germany GmbH im Herzen von Frankfurt vermarktet mit rund 30 Beschäftigten große Marken wie Starfield, The Elder Scrolls oder Fallout.

Zusammen mit dem King-Studio in Berlin und dem Xbox-Team der Microsoft-Zentrale in München steigt der US-Konzern über Nacht zu einem der großen Arbeitgeber der deutschen Games-Industrie auf – mit rund 140 Angestellten, die direkt dem Games-Segment zuzurechnen sind. Bis zur Schlagzahl von Nintendo of Europe ist es aber noch ein weiter, sehr weiter Weg.

Die größten Games-Unternehmen in Deutschland (nach Mitarbeitern) - Stand: 25.9.23 (v3)
Die größten Games-Unternehmen in Deutschland (nach Mitarbeitern) – Stand: 25.9.23 (v3)

Sony Interactive kann gelassen abwarten

Unmittelbare ‚Gefahr‘ für die stabilen Sony-Marktanteile droht durch den Activision-Blizzard-Deal nicht. Wer sich für eine Sony PlayStation oder eine Nintendo Switch entscheidet, tut dies ja in Erwartung starker Exklusivtitel. Genau an dieser Stelle klafft bei Microsoft eine krasse Lücke, die Microsoft selbst einräumt und die erst seit Starfield langsam wieder geschlossen wird.

Während Microsoft in den kommenden Jahren mit der Integration des Zukaufs zubringen wird, dürfte sich Sony nach weiteren potenziellen Zielen umsehen – und sich insbesondere für die Post-Call of Duty-Ära wappnen.

Andere Activision-Blizzard-Marken wie Diablo oder Overwatch werden analog zu Minecraft weiterhin auf möglichst vielen Konkurrenz-Plattformen stattfinden, wo immer kommerziell sinnvoll – zeitliche oder inhaltliche Exklusivitäten wird sich Microsoft vorbehalten.

Ubisoft kontrolliert Streaming-Vermarktung

Als Zugeständnis an die Kartellbehörden im Vereinigten Königreich hat Microsoft die Cloud-Streaming-Rechte für alle bestehenden und künftigen Activision-Blizzard-Titel an Ubisoft übertragen – und zwar für die kommenden 15 Jahre.

Ubisoft entscheidet also im Zuge von Lizenzvergaben darüber, bei welchen Streaming-Diensten diese Spiele auftauchen – inklusive Erweiterungen (DLCs). Im ersten Schritt sollen die Titel nun nach und nach in den Abodienst Ubisoft+ integriert werden, der mit monatlich 14,99 € zu Buche schlägt.

Besonderheit für Gamer Deutschland, Österreich und weiteren Ländern der Europäischen Union: Die EU-Kommission hat im Zuge des Genehmigungsprozesses dafür gesorgt, dass einmal erworbene Activision-Blizzard-Spiele auf beliebigen Streaming-Diensten genutzt werden können – und zwar ohne Zusatzkosten.

Auswirkungen auf die Games-Branche

Call of Duty und Cloud-Gaming – so lauteten die ‚Endgegner‘, auf die sich die Wettbewerbshüter in den USA und im United Kingdom fokussiert hatten.

Bestenfalls eine Nebenrolle während der Übernahmeschlacht spielten negative Folgen für die globale Games-Industrie – aus Gründen: Denn auch, wenn die anhaltende Konsolidierung zu einer immer größeren Machtkonzentration bei einzelnen Konzernen führt, so spricht wenig dafür, dass die Activision-Blizzard-Übernahme zu einer Microsoft-Marktdominanz führt.

  • Inhaltlich konkurrieren die Microsoft-/Activision-/Blizzard-/Bethesda-Games weiterhin mit Publishern wie Electronic Arts, Take Two Interactive, Square Enix, Ubisoft, Bandai Namco, Warner, CD Projekt, Capcom, Embracer und ungezählten weiteren Anbietern – ganz zu schweigen von der Masse an Indie-Studios.
  • Im Konsolen-Markt geben Sony Interactive und Nintendo den Takt an.
  • Im Mobilegames-Segment wird Microsoft zu einem relevanten Player – doch das Spiele-Angebot in den Appstores war, ist und bleibt extrem vielfältig und fragmentiert.
  • Auf dem PC gibt es mit Steam, GOG und dem Epic Games Store starke Mitbewerber im Vertriebs-Bereich.

Insofern: Ja, der Einfluss von Microsoft wächst – doch im ersten Schritt wird der Konzern alle Hände voll damit zu tun haben, den Zukauf zu integrieren.

Und schließlich: Activision Blizzard verschwindet von der Börse

Am Activision-Blizzard-Aktienkurs lässt sich das Wechselbad der vergangenen Monate gut nachvollziehen – wer seit Ankündigung im Januar 2022 auf einen erfolgreichen Abschluss des Deals spekulierte, brauchte starke Nerven, konnte zuletzt aber satte Gewinne einstreichen.

Die Activision-Blizzard-Anteilseigner – darunter Investmentfonds, Pensionskassen und Großaktionäre wie das Königreich Saudi-Arabien – erhalten den festlegten Preis von 95 Dollar pro Aktie. Die US-Technologie-Börse NASDAQ listet Activision Blizzard aus und stellt künftig keine Kurse mehr. Wer am Erfolg von Call of Duty, World of WarCraft und Candy Crush Saga finanziell teil haben will, muss also ab sofort Microsoft-Aktien kaufen.

Beitrag wird laufend ergänzt und aktualisiert