Start Meinung Boss-Fight um Activision Blizzard (Fröhlich am Freitag)

Boss-Fight um Activision Blizzard (Fröhlich am Freitag)

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Call of Duty auf einer PlayStation-Packung? Solche Marketing-Deals sind mutmaßlich Geschichte, falls die Activision-Blizzard-Übernahme durch Microsoft durchgeht (Abbildung: Sony Interactive)
Call of Duty auf einer PlayStation-Packung? Solche Marketing-Deals sind mutmaßlich Geschichte, falls die Activision-Blizzard-Übernahme durch Microsoft durchgeht (Abbildung: Sony Interactive)

Die Schlacht um Activision-Blizzard biegt – endlich – auf die Zielgerade ein. Auf den letzten Metern wird mit harten Bandagen gekämpft.

Verehrte GamesWirtschaft-Leserin,
verehrter GamesWirtschaft-Leser,

vor einem kalifornischen Gericht wurde in dieser Woche verhandelt, ob der US-Tech-Konzern Microsoft den US-Publisher Activision Blizzard für rund 70 Milliarden € übernehmen darf. Die schiere Dimension des Pakets wird alleine daran deutlich, dass Richterin Corley einige der Mächtigsten der Tech- und Games-Industrie in den Zeugenstand ruft: Activision-Boss Bobby Kotick. Microsoft-CEO Satya Nadella. Xbox-Chef Phil Spencer. Unter anderem. Das Kreuzverhör von PlayStation-Präsident Jim Ryan wurde als Aufzeichnung zugeschaltet.

Erklärtes Ziel der Kartellbehörde FTC: die Transaktion zu verhindern oder mindestens rauszuzögern, weil sie eine irreparable Unwucht in einem Teilbereich der Videospiele-Industrie fürchtet – nämlich im Konsolen-Sektor. Gar nicht mal so sehr mit Blick auf die Marktdurchdringung der Xbox, deren Marktanteile im direkten Vergleich zu Sony (PlayStation) und Nintendo (Switch) in entwaffnender Offenheit kleingerechnet und -geredet werden, und zwar von Microsoft selbst. So klein, dass man fürchten muss, ein Unternehmen mit einem Börsenwert von 2,5 Billionen Dollar lasse demnächst den Klingelbeutel herumgehen.

Spencer lamentierte zum Beispiel, dass Sony 30 Prozent des Umsatzes von jedem Spiel einbehält, das Microsoft auf der PlayStation verkauft (was branchenüblich ist, Anm. d. Autorin). Und dass die Japaner dieses Geld zusammen mit vorhandenem Festgeld einsetzen, um die Xbox-Überlebenswahrscheinlichkeit am Markt zu reduzieren. Microsoft wäre natürlich stets bemüht, mithalten zu können, sagt Spencer – aber in den vergangenen 20 Jahren sei man daran zuverlässig gescheitert.

Man ringt nach Worten des Trostes ob solcher Zumutungen.

Fröhlich am Freitag - die wöchentliche Kolumne bei GamesWirtschaft
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Die während der Verhandlung vorgebrachten ‚Beweise‘, Dokumente, Zahlen, Zitate und Aussagen machen vor allem eines deutlich: der gelegentlich als Immer-eins-mehr-wie-du-Folklore verklärte ‚Konsolen-Krieg‘, der täglich von spätpubertierenden Fanboy-Gruppierungen ausgelebt wird, tobt heftiger denn je – und er ist in die Chefetagen eingesickert.

Zwar geht es bei diesen ‚console wars‘ zum Glück nicht um Leben und Tod, wohl aber um einen unbarmherzigen Verdrängungswettbewerb. In einem Microsoft-Mail-Austausch formuliert Xbox-Studios-Leiter Matt Booty zum Beispiel den wilden Gedanken, dass niemand sonst außer Microsoft so viel Geld ausgeben könne, um Sony aus dem Markt zu kegeln. Umgekehrt tauschen die PlayStation-Bosse launige Lästereien aus, die in jedem Forum viele Likes abbekämen.

Vordergründig geschieht selbstverständlich weiterhin alles for the players, für Community, Diversity, Choice, R-E-S-P-E-C-T, Experiences und Weltfrieden. Am Ende ist es trotzdem ein knüppelhartes Geschäft – und genau als solches muss man es auch einordnen. Wer mit wem zu welchen Bedingungen konkurriert oder kooperiert – all das und mehr wird mit der gebotenen Ernsthaftigkeit höchstrichterlich durchdekliniert.

Zwei Fragen sind es, die Branche, Behörden und Anwälte besonders beschäftigen. Erstens: Sofern Spiele-Streaming irgendwann Industrie-Standard werden sollte – gäbe es dann für Microsoft so etwas wie Konkurrenz? Denn der Konzern wäre der einzige, der Technik, Kundenbasis, Kriegskasse, Geschäftsmodell und Inhalte zusammenbrächte – etwas, was zuletzt Google bei Stadia schlimm unterschätzt hat.

Und zweitens: Was passiert mit Call of Duty? Microsoft-Erzrivale Sony hat sich ebenso wie die FTC an diesem Thema festgebissen. Worüber es keine zwei Meinungen gibt: Der Ego-Shooter ist systemrelevant – und lässt sich auch durch noch so viele Gran Turismos, Uncharteds oder Final Fantasy-Marketing-Deals nicht kompensieren.

1 Million Sony-Kunden nutzen ihre PlayStation nur für Call of Duty und für nichts anderes. Bei weiteren 6 Millionen Nutzern macht das Spiel angeblich 70 Prozent der Spielzeit aus. Es ist alljährlich das mit Abstand meistgekaufte, kommerziell erfolgreichste PlayStation-Spiel in den USA und in Europa. Sony braucht Call of Duty. Dringend.

Sony-Boss Jim Ryan hat zum Beispiel kein Problem damit, wenn etwa ein Starfield exklusiv auf Xbox und PC stattfindet. Stört keinen großen Geist. Machen alle. Er findet das natürlich „not great“, aber es verzerrt aus seiner Sicht eben auch nicht den Wettbewerb. Call of Duty schon. Microsoft-Chef Nadella würde das ganze Exklusiv-Gedöns am liebsten komplett abschaffen – wenn da nicht Sony wäre.

Immerhin hat Microsoft (mittlerweile) erkannt, dass sich am Markt nicht alleine mit einem ‚value‘-Versprechen bestehen lässt – also mit der schieren Zahl an okayen bis sehr guten Spielen im Xbox Game Pass. Sondern mit Exklusivität. Besagtes Starfield, das am 6. September erscheint, ist so ein möglicher Abo- und Systemseller. Bei Indiana Jones, das bei der Microsoft-Tochter Bethesda entsteht und über Nacht von einem Auch-für-PlayStation– zu einem Nur-für-Xbox-und-PC-Titel mutierte, ist das – losgelöst von der Qualität – eher nicht der Fall.

Das Thema ‚Exklusivität‘ nimmt weiterhin einen enormen Stellenwert ein. Bei Gamern gilt Exklusivität als mindestens umstritten – dagegen einzuwenden ist aber streng genommen: nichts. Schließlich hat dieses Prädikat ja nur dann einen Wert, wenn ein Spiel so brillant ist, dass es alle haben wollen – Zelda, The Last of Us, Pokémon, God of War, möglicherweise ein Starfield. Exklusivität führt zu mehr Qualität (Herleitung in dieser Kolumne).

Exklusivität ist zudem einer von ganz wenigen Faktoren, die auf Abgrenzung und Vermarktung einzahlen. Die Kunden entscheiden sich für Netflix, Disney+ oder HBO, weil dort Squid Game, Hawkeye oder Game of Thrones laufen – und nicht bei der Konkurrenz. Disney könnte den hauseigenen Streaming-Dienst noch so sehr mit National Geographic-Riesenhai-Dokus aufblasen: Dem Abostamm würde es nicht helfen, jedenfalls nicht substanziell.

Der Haken: Hausgemachte Exklusivität ist richtig teuer, egal in welcher Branche. Erst in dieser Woche hat zum Beispiel Sky Deutschland eingeräumt, dass man keine ‚Originals‘ (also Filme und Serien) mehr in Auftrag geben werde – weil teure Serien wie Das Boot oder Babylon Berlin, nun, richtig teuer sind. Und obendrein immer teurer werden und schlimmstenfalls weder dem Renommee noch dem Umsatz dienen.

Sony und Nintendo haben früher als Microsoft verstanden, dass derlei Exklusivität exorbitant wichtig ist. Denn Exklusivität verkauft Konsolen und Abos. Wo es hingegen zuvorderst auf Nutzerzahlen ankommt, um etwa Erlöse aus Free2Play- oder Live-Service-Titeln zu maximieren, hilft jede zusätzliche Sprache, jeder zusätzliche Markt und jede zusätzliche Plattform. Und deshalb erscheint es mir unwahrscheinlich, dass Microsoft sehenden Auges das Activision-Blizzard-Sortiment mit Marken wie Call of Duty, Diablo oder Overwatch abschottet. Wirklich überzeugt haben mich die FTC-Argumente daher nicht.

Jedenfalls: In der juristischen Schlacht um Activision Blizzard mit all ihren (berechtigten) Argumenten und (albernen) Nebelkerzen steuern wir jetzt auf die Zielgerade zu – endlich. In den kommenden Tagen werden die Grundlagen dafür gelegt, wie die Publisher- und Konsolenlandschaft im Jahr 2025 aufwärts aussieht.

Und wie geht es aus? Im Laufe und im Anschluss an die Vernehmungen mangelte es nicht an unerschütterlichen Vorfestlegungen, dass Microsoft zwingend obsiegt. Weil wir uns aber vor Gericht befinden, ist zumindest nicht auszuschließen, dass die FTC mit dem einen oder anderen Punkt durchdringt.

Falls Richterin Corley der Argumentation der US-Behörde folgt, droht Microsoft langwieriges, ermüdendes, juristisches Steineklopfen – in diesem Fall stünde der Deal mutmaßlich vor dem Aus. Und dann würde sich das Xbox-Management nach einer angemessenen Phase des Wundenleckens sicher noch einmal mit jener versehentlich (weil ungeschwärzt) veröffentlichten Liste an möglichen Übernahme-Kandidaten beschäftigen. Vielleicht käme dann Square Enix noch einmal auf die Tagesordnung, ein CD Projekt, ein SEGA. Natürlich pochen all diese Unternehmen darauf, dringend unabhängig bleiben zu wollen. Dummerweise handelt es sich um Aktiengesellschaften mit erheblichem Streubesitz – es ist also am Ende alleine eine Frage des Preises.

Falls sich Microsoft durchsetzt, wird sich für die Kunden kurzfristig erst einmal wenig ändern. Preiserhöhungen für den Xbox Game Pass sind wenig wahrscheinlich, weil Microsoft erst vor ein paar Tagen ein (moderates) Upgrade für die kommenden Wochen angekündigt hat. Der Zeitpunkt war sicher nicht grundlos gewählt, um einen zeitlichen Zusammenhang mit der erhofften Genehmigung zu vermeiden.

Jetzt ist nur noch ein klitzekleines bisschen Geduld gefragt, bis das Urteil vorliegt. Das halten wir auch noch durch.

Ein schönes Wochenende wünscht Ihnen

Petra Fröhlich
Chefredakteurin GamesWirtschaft

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