Start Meinung Mitte der Gesellschaft (Fröhlich am Freitag)

Mitte der Gesellschaft (Fröhlich am Freitag)

2
FIFA 6, Minecraft 6, Tetris 6 oder doch GTA 6? Kandidat Stefan Tuchscherer am 8. April bei Wer Wird Millionär (Foto: RTL / Guido Engels)
FIFA 6, Minecraft 6, Tetris 6 oder doch GTA 6? Kandidat Stefan Tuchscherer am 8. April bei Wer Wird Millionär (Foto: RTL / Guido Engels)

Wer Millionär bei Jauch oder Quiz-Champion werden will, muss mittlerweile (auch) mit stabilem Games-Wissen punkten.

Verehrte GamesWirtschaft-Leserin,
verehrter GamesWirtschaft-Leser,

vergangener Samstagabend, Zweites Deutsches Fernsehen, kurz nach 23 Uhr. Johannes B. Kerner sucht seit drei Stunden den ‚Quiz-Champion‘. Im Finale beim „härtesten Quiz Deutschlands“ (ZDF-Eigenwerbung) steht der gebürtige Norweger Thomas Kolåsæter. 3,6 Millionen schauen zu.

Heute-Journal-Anchorman Christian Sievers – der Experte in der Disziplin ‚Zeitgeschehen‘ – nestelt am Umschlag und stellte dann die Frage: „In welcher deutschen Großstadt findet regelmäßig die Computerspielemesse Gamescom statt?“

In den folgenden Momenten kann man Kolåsæter förmlich beim Denken zugucken. Einen Wimpernschlag vor Ablauf des zehnsekündigen Countdowns nimmt er sich ein Herz und sagt: „Köln“. Es ist die zehnte von zehn Final-Fragen, die er ohne Tadel beantwortet.

Sein erst 22jähriger Kontrahent muss zwingend nachziehen, verhühnert aber gleich die erste Aufgabe, weil er die Zahl der Bandmitglieder der Pet Shop Boys grob überschätzt. In diesem Moment wird die Pyrotechnik ausgelöst: Thomas Kolåsæter gewinnt die ausgelobten 100.000 €. Auch deshalb, weil er wusste, dass die Gamescom in Köln ausgetragen wird.

Fröhlich am Freitag - die wöchentliche Kolumne bei GamesWirtschaft
Fröhlich am Freitag – die wöchentliche Kolumne bei GamesWirtschaft

Als regelmäßiger Leser dieser Kolumne hätten Sie das auch hinbekommen, selbstverständlich. Nur: Hätte Sievers nach dem Standort ungleich größerer Messen wie der Agritechnica oder der IAA Mobility gefragt, wäre umgekehrt mancher Gamer ins Schwimmen geraten. Aber am Ende ist bei solchen Sendungen neben aktivem und passivem Wissen natürlich auch eine Extra-Portion Glück vonnöten, dass die eigenen Kompetenzfelder abgefragt werden.

Jedenfalls gab es in den vergangenen Tagen eine bemerkenswerte Klumpung von Quiz-Shows, in denen man mit Games-Kenntnissen reüssieren konnte. Am Montag wollte Günther Jauch beispielsweise für 8.000 € von seinem Wer Wird Millionär-Kandidaten wissen: „Der seit Jahren sehnsüchtig erwartete 6. Teil welcher Videospielereihe soll 2025 endlich veröffentlicht werden?“ – A) FIFA B) GTA C) Tetris D) Minecraft

Fachlich korrekt wäre E): keins von diesen. Denn GTA 6 heißt zwar GTA 6 – aber streng genommen ist es eben nicht der 6. Teil. Naja.

Einige Wochen zuvor lautete die Frage im gleichen Format am gleichen Sendeplatz, ebenfalls für 8.000 €: „Wer bekommt es mit Gumbas, Stachis, Bloopers, Cheep-Cheeps, Koopa Troopas, Piranha-Pflanzen und Kugelwillis zu tun?“ – A) Lara Croft B) Super Mario C) Pikachu, D) Guybrush Threepwood. Schon kniffliger, oder? Im SAT.1-Format The Floor wurde ein Computerspiel gesucht, auf das folgende Beschreibungen zutreffen: „Zeitvertreib im Büro“ / „Ballerspiel“ / „Promo für Johnnie Walker“ / „Jagd auf Lagopus Lagopus“. Eine Aufgabe, an der der Generation-Z-Kandidat zuverlässig scheiterte, weil er während des Moorhuhn-Hypes noch gar nicht geboren war.

Dass solche Themen zunehmend regelmäßiger zur Primetime im TV stattfinden, ist ein ziemlich untrügliches Indiz dafür, wie sehr Computerspiele in unseren Alltag eingesickert sind. Politiker würden an dieser Stelle mit nur zehnjähriger Verspätung zur Erkenntnis gelangen: Games sind in der Mitte der Gesellschaft angekommen.

Mit etwas Glück / Pech werden wir diesen Satz wieder am Abend des kommenden Donnerstags in München hören, wenn der Deutsche Computerspielpreis verliehen wird – jenem Hochamt der wechselseitigen Selbstversicherung, welch enorme kulturelle und wirtschaftliche Strahlkraft die Branche doch hat.

Mein ganz persönliches Erweckungserlebnis in der Disziplin „Mitte der Gesellschaft“ jährt sich in diesen Tagen zum fünften Mal. Im April 2019 hatte die Kanzlerin die Nominierten des tags darauf verliehenen Computerspielpreises zu einem Empfang geladen. Ich war damals quasi außer Dienst dabei, als Mitglied der Hauptjury.

Meine realistische Erwartung an den Abend lautete, dass Merkel ein fünfminütiges Grußwort spricht (was sie tat) und im Anschluss mit ihrem Gefolge wieder Richtung Weltpolitik abdampft. Stattdessen ließ sie sich eine Stunde lang von wechselnden Gesprächspartnern die Games-Industrie erklären. Diese Engelsgeduld, diese Neugier, dieses Wieso-weshalb-warum-Nachhaken hat mich verblüfft – und beeindruckt. Der mehrfach nachgeschenkte Weißwein und die nicht enden wollende Kaskade an Häppchen-Tellerchen mögen das Ihrige zur guten Laune beigetragen haben.

Wahre Jeschichte: Als die Kanzlerin bereits händeschüttelnd Richtung Ausgang mäanderte, wurde ich ihr allen Ernstes als „kritischste Journalistin der Branche“ vorgestellt. Übertreibung macht’s deutlich. Wobei ich mir bis heute nicht sicher bin, ob dies in diesem Moment als Ausdruck der Anerkennung oder als Warnung gemeint war. Merkel musterte mich von Kopf bis Fuß und meinte: „So? Für wen schreiben Sie denn?“ Ich: „GamesWirtschaft“. Sie: „Na, dann müssen Sie sich ja auskennen …“

That’s it. That’s the story. Zu einem weiteren fachlichen Austausch – etwa darüber, ob GTA 6 wirklich der 6. Teil der Reihe ist – kam es nicht. Ehrlicherweise hatte ich auch keine weiteren Themen vorbereitet.

Sie mögen jetzt einwenden: Naja, so ein Empfang im Kanzleramt ist ja jetzt noch nichts Weltbewegendes – das kriegt jedes mitteltalentierte Sternsinger-Trio hin. Aber da ich auch noch die Zeiten miterlebt hatte, in der die Politik mit scharfer Rhetorik und unterirdischer Polemik auf das Medium Games eindrosch, markiert der 8. April 2019 in meiner Wahrnehmung doch eine Art Zeitenwende, wie schon zwei Jahre zuvor Merkels Rundgang auf der Gamescom. Unvergessen ihr Einwurf an einer Spielstation am Microsoft-Stand, ob das technisch mittlerweile nicht besser ginge. Antwort: Das sei doch Absicht und müsse so sein. Darauf die Kanzlerin: „Finden Sie, ja?“. Gemeint war übrigens Minecraft.

Stichwort „Finden Sie, ja?“: Wer Mitte der Gesellschaft sein will, sollte sich auch gängigen Spielregeln stellen – mit großem Umsatz kommt große Verantwortung. Finde ich. Und da hat die Branche schon noch Luft nach oben, sei es beim Verbraucherschutz, bei Aus- und Fortbildung, bei Mitbestimmung, beim wertschätzenden Umgang mit Beschäftigten und Kunden, bei der Transparenz mit Blick auf Subventionen oder beim souveränen Handling von Nachfragen oder gar – Gott bewahre – Kritik. Selbst wenn sie noch so unberechtigt und kleinkrämerisch erscheinen.

Doch zunächst mal ist Showtime angesagt – beim Computerspielpreis, wo es analog zu den TV-Quizzes um Kandidaten, Umschläge und viel Geld geht. Die 130.000-€-Final-Frage lautet: „Welches Studio macht das Rennen in der Disziplin ‚Bestes Spiel?“ A) Deck13 B) Rockfish Games C) Critical Rabbit D) Puh, keine Ahnung, ich muss erstmal drüber hinweg kommen, dass führende Bundes- und Landespolitiker am Roten Teppich mit batteriebetriebenen Lichtschwertern herumfuchteln.

Alle Antworten und Infos rund um den DCP (Laudatoren, Jury, Nominierungen usw.) finden Sie wie immer auf GamesWirtschaft – und am Donnerstag natürlich auch den traditionellen Bingo-Schein mit dem noch traditionelleren Ankreuz-Feld „Jemand hat herausgefunden, dass Games in der Mitte der Gesellschaft angekommen sind“.

Ein schönes Wochenende wünscht Ihnen

Petra Fröhlich
Chefredakteurin GamesWirtschaft


Immer freitags, immer kostenlos: Jetzt GamesWirtschaft-Newsletter abonnieren!
GamesWirtschaft auf Social Media: LinkedInFacebookX ● ThreadsBluesky

2 Kommentare

  1. Mein Favorit war Dorfromantik als Spiel des Jahres mit der Antwortmöglichkeit „Erotikfilm“ bei WWM 😀

Kommentarfunktion ist geschlossen.