Zum Gründen braucht es gute Gründe – und das nötige Kleingeld. Daran (und an vielem anderen) fehlte es zuletzt in der Games-Industrie.
Verehrte GamesWirtschaft-Leser,
verehrte GamesWirtschaft-Leserin,
in Deutschlands Games-Industrie wird immer seltener gegründet. Das ist die Botschaft, die der Branchenverband passgenau exakt zwei Wochen vor der Gamescom platziert hat – sicher auch mit dem Ziel, der Bundesminister für Wirtschaft, Klimaschutz und Videospiele-Anbau möge bei seiner Eröffnungsrede am 21. August angemessen darauf reagieren.
Die Zahl der neuen Firmen ist seit 2020 von Jahr zu Jahr immer weiter gesunken. Schrübe man die Entwicklung ungebremst fort, dann gäbe es 2024 so gut wie gar keine Notar- und Gewerbeamt-Termine mehr (was zum Glück nicht der Fall ist).
Der Verband verknüpft die Datenlage erwartbarerweise mit dem „Hin und Her“ bei der Games-Förderung, wofür ja in der Tat Einiges spricht. Wenn man als UG-CEO für die Entwicklung eines VR-Cozy-Wholesome-Roguelike-Survival-Shooters statt 1 Mio. € ’nur‘ 500.000 € aufbringen muss, dann ist das natürlich ein ganz anderer Schnack. Seit Mai 2023 und noch mindestens bis Ende dieses Jahres brauchen Unternehmer für ihr Vorhaben wieder die komplette ‚Mio‘, um beim Beispiel zu bleiben.
Der eine kriegt, der andere nicht – auch eine Form der Wettbewerbsverzerrung, wenn Sie mich fragen.
Ob aus den geförderten Projekten letztlich was wird, ob jemand dafür Geld ausgibt und ob nachgelagert nachhaltige Jobs entstehen, dafür gibt es – wie immer – keine Garantie. Der Staat geht also freundlicherweise (mit) ins Risiko, denn eine Rückzahlung ist ja bislang nicht vorgesehen.
Egal ob mit oder ohne Anschub: Von schlaflosen Nächten und durchgeackerten Wochenenden kann man sich als Gründer natürlich nicht freikaufen. Die Republik (inklusive der Politik) muss dankbar und demütig sein für jede und jeden, die oder der sich auf das Himmelfahrtskommando ‚Gründen‘ einlässt, zumal in der Games-Entwicklung.
Die Haupt-Challenge war, ist und bleibt dabei gar nicht mal so sehr die Produktion eines schönen Spiels – das kriegen die meisten hin. Sondern: Sichtbarkeit. Ein Thema, das selbst sehr, sehr große Studios mit Heerscharen hauptberuflicher Analytics- und Monetarisierungs-Spezialisten vor gewaltige Aufgaben stellt.
Zumal die Konkurrenz nicht schläft: Allein auf der PC-Plattform Steam sollen 2023 mehr als 14.500 neue Spiele gelistet worden sein. Also im Schnitt fast 40, Tag für Tag. Play Store (Android) und App Store (iOS) werden allmonatlich mit einer vierstelligen Zahl an Neuheiten geflutet. Wer hier auffallen will, braucht schon ein richtig gutes Konzept – und Glück. Wie schon Tarantino wusste: Der Pfad der Gerechten hinein in die schwarzen Zahlen und Topseller-Listen ist zu beiden Seiten gesäumt mit Freveleien der Selbstsüchtigen und der Tyrannei böser Männer.
Die mit Abstand meisten neuen Games-Unternehmen sind seit 2020 in Bayern, Nordrhein-Westfalen und Berlin entstanden, sagt die Verbands-Statistik. Nur für den Fall, dass Deutschlands umtriebigster und vermutlich erfolgreichster Digitalminister auf die Idee kommen sollte, die hübsche Performance im Freistaat Bayern für sich zu reklamieren – hier schon mal für den Hinterkopf: Die Verbands-Zahlen beziehen sich auf 2023 – Mehring wurde im November vereidigt. Aber das nur am Rande. Am Ende kommt es ja darauf an, dass man sich auf Erreichtem nicht ausruht. Weiter, immer weiter.
Dass es in diesen drei Ländern besonders gut lief, ist sicher kein schnöder Zufall und hängt nicht alleine mit Fläche, Wirtschaftskraft und Einwohnerzahl zusammen (dann müssten mindestens Baden-Württemberg und Hessen viel besser performen), sondern eben auch mit dem Commitment der Landesregierungen. Commitment meint: Kohle. FFF, Filmstiftung und Medienboard planen pro Jahr 3 bis 4 Millionen € ein. Das ist schon ganz ordentlich. Zumal flankierendes Networking on top kommt.
Zwar gedeiht auf diesem Humus nicht jede GbR und jede GmbH so, wie sie soll. Aber es sorgt doch für ein stabiles Grundrauschen, das für mehr Quantität und mehr Qualität sorgt – zumal sich die Zuschüsse von Bund und Land kombinieren lassen (der Bund will diesen Zustand im Übrigen dringend beenden).
Neues entsteht eben dort, wo die Rahmenbedingungen halbwegs stimmen und wo es bereits eine Art Industrie gibt – und das ist nun mal faktisch eher im Oberbayerischen oder in Friedrichshain der Fall als in Nordhessen oder in der Lüneburger Heide. Und man möchte einfach nur ins Kopfkissen wimmern, wenn man sieht, welch absurd viel größeres Potenzial zum Beispiel die Rhein-Main-Region hätte – vorausgesetzt, die Länder würden sich nicht an mittlerweile eingerostete Handbremsen klammern. Die traditionelle GamesWirtschaft-Unternehmens-Übersicht im Gamescom-Vorfeld (kommt nächste Woche) wird davon Zeugnis ablegen.
Daran, dass die Gründungsbereitschaft nach zwischenzeitlichem Hoch stetig abnimmt und dass es so schwer ist, an Fachkräfte zu gelangen, sind Wirtschaft und Politik auch ein bisschen selbst schuld. Denn was mir bei der täglichen Sichtung von Presse-Statements regelmäßig auffällt, ist das mindestens unterschwellige, meist aber offen zutage tretende Signal: ‚Jaja, ganz nett, was die Spiele-Fritzen da zusammenklöppeln – aber am Ende ist das ja bestenfalls ne Rampe in die ‚richtigen‘ Jobs.‘
Oder wie es das Deutsche Handwerk schon anlässlich der Gamescom 2012 formulierte: „Wer levelt und lootet, kann auch lasern und löten.“
Die vermeintlich ‚richtigen‘ Jobs lassen sich damals wie heute in der ‚Campus Area‘ auf dem Gamescom-Gelände besichtigen, wo renommierte Arbeitgeber dem Games-Sektor die Talente abluchsen wollen: Thales, Rheinmetall, der Verfassungsschutz, der TÜV, die Steuerfahndung. Also dort, wo es auf Jahrzehnte hinaus reichlich zu tun gibt. Die Bundeswehr fährt traditionell besonders starke Geschütze auf – diesmal das „Bataillon für Elektronische Kampfführung“ und die „Joint Tactical Air Controller“. Your tax money at work.
Da darf man sich nichts vormachen: Im Werben um Fach- und Führungskräfte steht die Computerspiele-Industrie in direkter Konkurrenz zu anderen Branchen, die ebenfalls händeringend nach Personal fahnden und mindestens im Bereich der Karriere-Perspektiven und Sozialleistungen ganz andere Kaliber in Stellung bringen. Das Obstkörbchen mag Standard sein – der Kita-Platz-Zuschuss eher nicht.
Die High-Potentials lassen sich nicht beliebig vervielfältigen. Wer ‚zum Siemens‘ oder ‚zum Daimler‘ geht, heuert nicht bei Crytek an oder gründet nach dem Studium kein eigenes Studio – so einfach ist das. Auch die LinkedIn-Profile zeigen, dass die Wege tendenziell eher aus der Games-Industrie raus führen, aber vergleichsweise selten hinein, gerade auf seniorigem Level (gemeint ist die Erfahrung, nicht das Alter). Und diese Leute fehlen dann natürlich wieder, wenn es darum geht, Germany’s next King Art, Limbic oder Wooga aufzubauen (oder daran mitzuwirken).
Es wird also mehr (gute) Gründe zum Gründen brauchen als die mantra-artig wiederholte Forderung nach Förderung. Die Arbeitgeber von morgen fallen nicht vom Himmel. Da hat auch die Industrie noch ungenutzten Spielraum: Zum Beispiel könnten deutlich mehr Betriebe als bisher selbst ausbilden, anstatt fertig geschultes Personal vom Markt zu fischen.
Serviervorschlag für die Azubi-Offensive: „Wer levelt und lootet, kann auch coden und CEO.“
Ein schönes Wochenende wünscht Ihnen
Petra Fröhlich
Chefredakteurin GamesWirtschaft
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