Große Spiele-Hersteller entscheiden sich für Polen – obwohl es dort gar keine dedizierte Games-Förderung gibt. Wie machen die das?
Verehrter GamesWirtschaft-Leser,
verehrte GamesWirtschaft-Leserin,
in den vergangenen Tagen ist geradezu Unerhörtes passiert: Mit Activision (Call of Duty) und Larian Studios (Baldur’s Gate 3) haben gleich zwei Spielehersteller von Weltrang den Aufbau komplett neuer Studios in Europa angekündigt. Allerdings nicht in Deutschland. Sondern in Polen. Genauer: in Warschau.
Und das, obwohl sich die deutsche Politik doch mit ihrer amtlichen Games-Strategie dringend vorgenommen hat, die „Ansiedlung ausländischer Unternehmen“ voranzubringen. Bund, Länder und Kommunen haben parallel einen deutlich dreistelligen Millionen-Betrag in die Hand genommen – mit dem Ergebnis, dass zwar Hunderte UGs und GbRs entstanden sind. Substanzielle Kapitalflüsse für die Gründung von Groß-Filialen waren infolge dessen aber bestenfalls punktuell zu beobachten.
Dass ausgerechnet Polen den Zuschlag erhalten hat, ist kein Zufall, denn unser Nachbarland hat zweifellos einen Lauf – beim Wirtschaftswachstum, aber eben auch als Games-Standort. Im Großraum Warschau gibt es nämlich genau das, was für AA- und AAA-Produktionen dringend benötigt wird: erfahrene Fachkräfte.
Denn bei CD Projekt Red, CI Games, Techland und 11 Bit Studios arbeiten die Teams an Marken wie The Witcher, Dying Light 2, Cyberpunk 2077, Sniper Ghost Warrior oder Frostpunk 2. Wer Karriere in der Games-Industrie machen und einen Beitrag zu Blockbustern mit Budgets im hohen zwei- bis dreistelligen Millionen-Bereich leisten will, ist dort also genauso richtig wie in Montreal, Seattle oder Redwood City.
Solche Ballungsräume gibt es natürlich auch in Deutschland, wenngleich in Disziplinen, die ganz andere handwerkliche ‚Skills‘ mit Blick auf Gamedesign und Produktionsweise und somit auch eine ganz andere ‚Denke‘ erfordern. Es macht einen Unterschied, ob zwischen Konzept und Release drei, vier, fünf Jahre vergehen – oder ob man im Wochentakt Inhalts-Updates rausballert.
- Hamburg ist zum Beispiel die Keimzelle des deutschen Browsergames-Wesens – mit den BIG 3 (Bigpoint, InnoGames, Goodgame Studios), flankiert von Bytro Labs und Xyrality.
- Die Mobile- oder Online-Games-Szene konzentriert sich in Berlin – mit Großbetrieben wie Wooga, Kolibri, King (Candy Crush Saga), Popcore, Sandbox, Softgames oder Stratosphere.
- Das Epizentrum der Aufbau- und Strategiespiele liegt im Rhein-Main-Gebiet. Dort sind zum Beispiel die Anno-Macher von Ubisoft Mainz zu Hause, dazu Limbic Entertainment (Park Beyond), Gentlymad (Endzone 2), Publisher Kalypso und Envision Entertainment (Pioneers of Pagonia).
Noch am ehesten Warschau-Vibes wehen durch den Großraum Frankfurt am Main. Das Zuffenhausen unter den Action-Adventure-Rollenspiel-Hotspots befindet sich in einem Umkreis einer halben Autostunde rund um den Airport – mit Unternehmen wie Crytek (Crysis 4, Hunt: Showdown), Deck13 (The Surge, Atlas Fallen), Keen Games (Enshrouded) und Gunzilla Games, die einen NFT-Shooter bauen. Die Wege zu Publishern und Konsolen-Herstellern sind ebenfalls kurz: Nintendo und Sony PlayStation haben sich in Frankfurt niedergelassen, außerdem Bandai Namco Entertainment und Zenimax / Bethesda.
Diese Keimzelle ist organisch und (fast) gänzlich unbehelligt von der Politik entstanden. Denn Hessen tut zwar nicht nichts, aber im Bundesvergleich überragend wenig für die regionale Games-Branche. Die Standort-Initiativen werden daher nicht müde, die amtierende Landesregierung mit Kommt-mal-in-die-Puschen-Forderungen zu überziehen. Der schwarz-rote Koalitionsvertrag lässt nicht darauf schließen, dass diese Botschaft angekommen ist.
Die Frage ist aktueller denn je: Wie lässt sich mehr Warschau wagen? Anno 2019 habe ich mal in einem Beitrag für die Kollegen von GameStar aufgeschrieben, ob ein Cyberpunk 2077 auch in Deutschland möglich wäre. Schon damals lautete der Befund: auf Sicht der kommenden zehn Jahre eher nicht – und die Hälfte dieser Zeit ist rechnerisch schon rum, ohne dass sich an der These grundsätzlich etwas geändert hätte
Was müsste also passieren, damit Weltkonzerne hier und heute sagen: Jawoll, zur Abwechslung machen wir mal kein Studio dicht, sondern melden eine neue GmbH beim Gewerbeamt an? Wenn es also nicht ums Förder-Anträge-Schreiben für potenzielles „mistake money“ geht, wie es Startups und Gründer brauchen. Sondern um Standorte, die von solventen, internationalen Playern betrieben und (vor-)finanziert werden.
Die gute Nachricht: Teils geschieht das schon – wenngleich vielfach unter dem Radar, zum Beispiel in Form von Co-Development. Der gemeine Verbraucher ahnt ja üblicherweise nicht, dass etwa Yager in Berlin oder Nukklear in Hannover für Arbeiten am Funcom-Online-Rollenspiel Dune: Awakening gebucht wurden. Oder dass die Ubisoft-Studios in Düsseldorf und Berlin an Marken wie Rainbow Six Siege, Skulls and Bones und Avatar: Frontiers of Pandora mitwirken.
Die Ein- und Zukäufe der vergangenen Jahre haben außerdem dazu geführt, dass traditionsreiche Mittelständler zunächst expandieren, experimentieren und investieren konnten – in Projekte, in Teams, in Räume. Im gleichen Tempo, wie es voranging, musste allerdings vielfach der Rückwärtsgang eingelegt werden.
Natürlich fließen auch in Polen nicht nur Milch und Honig. CI Games schickt jeden zehnten Beschäftigten nach Hause – im Nachgang zum jüngsten Kahlschlag bei CD Projekt Red formte sich gar eine Gewerkschaft. Doch die angesprochene Dynamik in der Branche sorgt trotzdem dafür, dass sich für gewöhnlich rasch eine attraktive Anschlussverwendung findet. Der Bedarf ist schlichtweg da.
In Deutschland wurde hingegen enorm viel Energie darauf verwendet, via aufgedrehter Gießkanne den nächsten PC- und Konsolen-Blockbuster förmlich zu erzwingen. Und zwar mit perspektivisch immer mehr Steuergeld – 50, 70, 125 Millionen €. Was zwangsläufig zu Hänge- und Zitterpartien führt, ob die Politik dieses Spiel weiterhin mitspielt. Oder halt nicht. Wer als Spiele-Entwickler dem Finanzminister aufmerksam zuliest, wird zumindest leise Zweifel spüren, dass 2025 wieder die Schleusen geöffnet werden.
Selbstverständlich nehmen Konzerne und Investoren die angedrohten Subventionen und Strukturprogramme und all die anderweitigen monetären Anreize mit – niemand hat etwas zu verschenken. Doch die Erkenntnis aus vielen Gesprächen lautet: Am Ende ist es eher nicht das Geld und auch nicht das lokale Gehalts-Niveau, das Investitionen triggert, sondern erstens die Infrastruktur und zweitens und vor allem die Verfügbarkeit von Human Resources. Was erklärt, warum erfolgreiche Computerspiele auch auf vergleichsweise teuren Pflastern wie Finnland, Schweden, Großbritannien oder gar in der Schweiz entstehen können.
Falls sich die Bundesregierung also dafür interessiert, was den Standort nach vorne bringen könnte, dann genügt ein Blick ins eigene Strategiepapier, wo geschrieben steht: „Eine Schlüsselrolle für den Sektor ist die Verfügbarkeit von qualifiziertem Personal.“
So, da hammse Ihre Erklärung, warum Activision und Larian in Warschau gründen und nicht in Wuppertal.
Ein schönes Wochenende wünscht Ihnen
Petra Fröhlich
Chefredakteurin GamesWirtschaft
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ah, sehr schlau Frau Fröhlich. Und wie sorgt man dafür, dass qualifiziertes Personal nach Deutschland kommt bzw. nicht abwandert wie in den vergangenen Jahren? Richtig, durch Jobs. Das Eine bedingt das Andere. Wenn man jetzt, nach ein paar Jahren Förderung enttäuscht das Projekt in den Wind schießt, weil sich kein augenblicklicher Erfolg eingestellt hat, wird es natürlich nie was mit der deutschen Gamesbranche.
Und noch etwas: Weder Larian noch Activision wissen konkret, welche Fachkräfte in Polen oder in Deutschland bereit wären, für sie zu arbeiten (Von einem Kernteam vielleicht abgesehen). Dass sie in Warschau höhere Chancen auf qualifiziertes Personal sehen ist, wiederum in erster Linie auf die dort ansässigen Firmen zurückzuführen. Man will einfach etwas vom großen Kuchen abhaben, der momentan Warschau heißt.
Das ist auch der grund, warum sich z.b. id Software in Frankfurt angesiedelt hat – um gut Leute von Crytek abwerben zu können.
Klingt erstmal doof, hat aber natürlich den Vorteil, dass id Software auch von anderswo Fachkräfte anlockt, die Crytek dann wiederrum abwerben könnte. Langfristig dürfte die Konkurrenz hier eher nutzen, weil der Standort durch Alternativen insgeamt an Attraktivität gewinnt.
Die Förderung *hat* ja dazu beigetragen, dass schöne und erfolgreiche Projekte entstanden sind. Aber dass die seit 2019 angewandte Mechanik an ihre Grenzen stößt, ist ja offensichtlich – sonst würde es ja keine Debatten um Antrags-Stopps, Planbarkeit usw. geben. Was eben ursächlich damit zusammenhängt, dass wirklich *jedes* Projekt Geld erhält, das die formalen Kriterien erfüllt. Der Evaluationsbericht betrachtet nur den Zeitraum bis 2022 und blendet zwangsläufig die Learnings des Jahres 2023 aus. Es ist nicht damit getan, einfach nur weiter immer größere Töpfe zu bilden – das macht ja sonst auch niemand in Europa. Aus Gründen.
Die Gamesförderung muss natürlich überarbeitet werden, um sie effizienter und zielführender zu machen und den Empfängerfirmen eine gewisse Planbarkeit zu gewährleisten, da bin ich ganz bei ihnen.
Aus dem Fazit ihres Textes lese ich allerdings etwas anderes.
Aus Sicht von Unternehmen und Investoren ist Planbarkeit und Verlässlichkeit natürlich ein ‚Muss‘ – die im Raum stehenden Vorschläge zur Weiterentwicklung lösen dieses Problem allerdings nicht, weil weiterhin gilt: Wenn weg, dann Pech. D. h. es besteht auch weiterhin das Risiko, dass die Mittel vorzeitig und ohne Vorwarnung ausgeschöpft sind.
Umgekehrt muss es auch im Interesse der Branche sein (und darauf haben Lindner, Habeck usw. mehrfach hingewiesen), dass die vorhandenen Mittel effizient eingesetzt werden. Da kann man zumindest ein Fragezeichen setzen, ob das flächendeckend der Fall war/ist.
Und nicht zu vergessen der laxe Arbeitnehmerschutz, der in Polen vorherrscht
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