Die Games-Industrie spart sich einen ihrer jährlichen Classicos: Mit der Absage der E3 endet eine Ära – sehr wahrscheinlich endgültig.
Update vom 12. Dezember 2023: Am heutigen Dienstag hat der US-Branchenverband ESA das endgültige Aus für die E3 bestätigt. Die nachfolgende Kolumne vom 31. März benennt und erklärt einige der wesentlichen Faktoren, die zu dieser Entwicklung beigetragen haben.
Bye-Bye, E3 (Fröhlich am Freitag)
Verehrter GamesWirtschaft-Leser,
verehrte GamesWirtschaft-Leserin,
schade sei es ja schon um die E3 2023, schreibt Christian Baur – beim deutschen Branchenverband für die Gamescom zuständig – heute Morgen bei Twitter.
Gleichwohl müsse sich niemand Sorgen machen um das Kölner Event: Die Gamescom 2023 (startet am 23. August) stünde so gut da wie lange nicht. Erst in der vergangenen Woche hatte die Koelnmesse wolkig gespoilert, dass „der ein oder andere“ Gamescom-2022-Abstinenzler zurückkehrt aufs Gelände – Electronic Arts? Sony PlayStation? Nintendo? Take-Two? Activision Blizzard?
Just diese und weitere honorige Computerspiele-Hersteller haben nun in einem kollektiven Akt unterlassener Hilfeleistung dafür gesorgt, dass die für Mitte Juni im LA Convention Center geplante Electronic Entertainment Expo (kurz: E3) in der Nacht zum heutigen Freitag offiziell abgesagt wurde.
Zumindest hatte offenbar keiner dieser ‚Großen‘ glaubwürdige Absichten, das dauerkriselnde Format überleben zu lassen. Den Veranstaltern rund um den US-Verband ESA ist es umgekehrt nicht gelungen, befriedigende Antworten auf jene Fragen zu finden, die sich jeder potenzielle Aussteller stellt: „Was soll ich da eigentlich?“, „Rechnet sich das?“ und vor allem „Wer kommt denn sonst noch so?“.
Und so begab es sich, dass zuerst die drei großen Konsolenhersteller – Microsoft, Nintendo, Sony – abwinkten. Gefolgt von Ubisoft, Tencent, Sega. Womit schon mal weite Teile der Umsatz-Top-20 durchs Raster fallen. Ubisoft hat außerdem das Kunststück hinbekommen, noch Anfang des Jahres ambitionierte E3-Pläne anzukündigen – nur um dann vor wenigen Tagen kleinlaut einzuräumen, dass man statt eines wuchtigen Messestands jetzt doch lieber einen Livestream durchführt.
Microsoft Xbox empfängt die Gäste traditionell schräg gegenüber vom E3-Gelände. In der konzerneigenen Mehrzweckhalle. Im E3-Zeitraum. Ich übersetze mal: „Die mediale E3-Aufmerksamkeit nehmen wir gerne mit – aber halt zu einem Bruchteil der Kosten. Sorry not sorry, ESA.“
Mit solchen und anderen Tricks wurde die traditionsreiche Videospielemesse entgegen aller Lippenbekenntnisse erst waidwund geschossen, um sie anschließend mitten auf der Lichtung ausbluten zu lassen. Ein Crash wie in Zeitlupe.
Völlig überraschend kommt die E3-Absage nicht, weil die Branche ja immer noch an Long-Covid-Symptomen leidet: Projekte werden eingestellt, Budgets zurechtgestutzt, Launches verschoben. Alles dauert (viel) länger und wird (viel) teurer. Die Gründe, die wir mit Blick auf die Gamescom-2022-Abstinenz großer Publisher aufgeschrieben haben, lassen sich fast 1:1 auf die E3 2023 übertragen.
Hinzu kommt neuerdings: Tech-Konzerne und Spielehersteller müssen wollen sparen. Weshalb in diesen Tagen sehr, sehr viele Menschen ihren Job verlieren – bei Electronic Arts, Microsoft, Take-Two, Meta (aka Facebook), Google, Amazon.
Und: Analog zur Automobilmesse IAA sehen sich die Marktführer zunehmend seltener in der Verantwortung, Quadratmeter und Kassen von Verbänden zu füllen, deren Etat sich sehr wesentlich aus den Erlösen solcher Events speist. Zumal es für große Marken ohnehin nie eine Option war und ist, eine solche Großveranstaltung mit angezogener Handbremse zu bespielen – das Motto lautet: Go big or go home. Marktanteile und Relevanz müssen sich in den Aufbauten, Showbühnen und Spielstationen widerspiegeln, sonst kann man es auch gleich sein lassen.
Im Ergebnis werden wir gerade Zeitzeuge des Endes einer Ära – die mehr oder minder glorreiche zivilisatorische Errungenschaften wie E3-PKs (eine als Pressekonferenz getarnte Werbeveranstaltung), E3-Partys und E3-Babes (besser nicht danach googeln … zu spät) hervorgebracht hat. Und auch, wenn die Veranstalter schon wieder den Blick auf 2024 richten, sollten wir uns vorsichtshalber mit dem Gedanken anfreunden, dass die E3 Geschichte ist. Diesmal wirklich.
Die E3 teilt damit das Schicksal von Karstadt: In ihrer Hoch-Zeit mögen beide systemrelevant gewesen sein. Inzwischen gibt es jedoch bessere, günstigere, in jedem Fall: effizientere Alternativen.
Was Anlass zu etwas Wehmut gibt. Denn wer dieser Branche länger als fünf Jahre angehört, verbindet überwiegend wunderbare, zuweilen unvergessliche Erlebnisse mit dem jährlichen Klassentreffen in der Sonne von LA – wer würde sich schon gegen eine einwöchige Geschäftsreise an die West Coast wehren, die aus rein synergetischen Gründen um einen vor- oder nachgelagerten Las-Vegas-Trip ergänzt werden sollte?
In der Tat war die E3 über Jahrzehnte das Hochamt der Games-Industrie: Binnen weniger Messetage wurden sehr, sehr, sehr viele Spiele angekündigt und gezeigt. Was in den Buden der Kentia Hall oder South Hall zu besichtigen war, gab es im darauffolgenden Weihnachtsgeschäft zu kaufen. Oder halt im Jahr drauf. Oder im Falle von Peter-Molyneux-Spielen auch nie. Und es waren einfach alle da, am selben Ort, zum selben Zeitpunkt – Entwickler, Vermarkter, Einkäufer, Dienstleister, Presse, halb Hollywood (mehr dazu in der Kolumne vom Mai 2021).
Trotz ihrer gefühlten Alternativlosigkeit war die E3 ständig auf der Suche nach ihrer eigenen DNA: Standorte, Konzepte, Veranstalter wechselten zuweilen im Jahrestakt. B2B? B2C? Beides parallel? Und wenn ja, kriegen das die Aussteller überhaupt hin? In einer Branche, in der kurzfristige Release-Manöver Industriestandard sind, entsprechen sechs Monate Vorlauf und Planung ja einer halben Ewigkeit.
Dass die mit großen Erwartungen angelegten E3-Restarts 2020, 2021 und 2022 durch Corona erst verzögert und dann ganz verhindert wurden, kann man den Veranstaltern kaum zum Vorwurf machen – Pandemien kündigen sich eher selten an. Dass es die E3 indes besonders böse erwischt hat, lag aber eben auch daran, dass sie – anders als die Gamescom – keinen digitalen Plan B hatte.
Trotzdem bin ich skeptisch, dass die Zukunft von Messen im Digitalen liegt. Denn all die Messe-Websites, Apps und Video-Kanäle, die in den 51 Wochen vor und nach dem Event in einen Karbonit-Tiefschlaf fallen, konkurrieren ja erst recht mit den Livestreams potenzieller Aussteller. Selbst mittelgroße Publisher haben mittlerweile richtig Spaß an der gewonnenen Flexibilität abseits starrer Messe-Terminfenster – inklusive kompletter Kontrolle, was wann in welchem Umfang in die Welt geblasen wird. Nintendo Direct, Sonys State of Play, Ubisoft Forward oder die Xbox-Briefings müssen sich die Aufmerksamkeit nicht mit physischen oder digitalen Standnachbarn teilen.
Wenn es für Publisher also schon lange nicht mehr darum geht, Vertriebs-Deals mit MediaMarkt und GameStop einzutüten und auch nicht mehr darum, neue Spiele anzukündigen (das passiert ja unterjährig in eigenen Streams), dann bleibt als Kernargument für B2C-Messeauftritte zuvorderst: Fan-Service. Wie ihn zum Beispiel Epic Games mustergültig mit dem Fortnite-Abenteuerspielplatz auf der Gamescom 2018 oder Tencent mit dem Metal: Hellsinger-Konzert auf der Gamescom 2022 zelebriert hat.
Daraus folgt zwingend, dass sich tradierte Messekonzepte weiterentwickeln müssen – und damit auch deren Finanzierung. Denn bei Lichte betrachtet sind es ja die Spielehersteller höchstselbst, die mit ihren Marken, Spielstationen und Influencern für den ‚Buzz‘ auf Messen sorgen – und damit für Ticketverkäufe.
Das Geschäftsmodell der meisten Publikumsmessen fühlt sich hingegen immer noch so an, als wenn die Foo Fighters oder Limp Bizkit Geld mitbringen müssen, damit sie bei Rock am Ring musizieren dürfen.
Ein schönes Wochenende wünscht Ihnen
Petra Fröhlich
Chefredakteurin GamesWirtschaft
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