Start Meinung Galeria-Dauerkrise: Das Einzelhandels-Defizit (Fröhlich am Freitag)

Galeria-Dauerkrise: Das Einzelhandels-Defizit (Fröhlich am Freitag)

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Einst Treffpunkt der Jugend: die Games-Abteilungen von Karstadt & Co. (Abbildung ähnlich / Midjourney)
Einst Treffpunkt der Jugend: die Games-Abteilungen von Karstadt & Co. (Abbildung ähnlich / Midjourney)

Rund 50 Galeria-Standorte stehen vor dem Aus: Noch vor wenigen Jahren waren die ehemaligen Karstadt-Häuser ein werktags geöffneter Videospiele-Wallfahrtsort.

Verehrte GamesWirtschaft-Leserin,
verehrter GamesWirtschaft-Leser,

jeder vor 1990 Geborene wird so seine eigenen Erinnerungen haben, wie das damals war – früher, als man noch bei Karstadt oder Kaufhof eingekauft hat.

In meinem Fall haben sich ganz viele sensorische Kindheits-Erlebnisse mit den Häusern in downtown Nürnberg eingebrannt: das krasse Heißluftgebläse im Eingangsbereich zum Beispiel, das einem glauben machte, man sei versehentlich in einen Dyson Airblade geraten. Die Lou-Lou-Trésor-Fahrenheit-Cool-Water-Melange im Erdgeschoss samt der überschminkten Beauty-Beraterinnen in weißen Doktor-Kitteln, die umherstreunende Kinder musterten wie Cruella ihre Dalmatiner. Exotische, nie gesehene Delikatessen in der Feinkost-Abteilung. Der fiese Geruch der kostenlosen XXL-Plastiktüten. Die spektakulär animierten und illuminierten Spielwaren-Schaufenster, wo LEGO-Seilbahnen über Playmobil-Safari-Welten gondelten – nur durch eine Glasscheibe getrennt und doch unerreichbar. Daneben mannshohe Steiff-Teddybären, die in Endlosschleife mit dem Kopf wackelten und mit ihrer Plüschpranke winkten – ich hab’s geliebt.

Und natürlich die Videospiele-Abteilung, in denen sich schon zur Mittagszeit Halb- und Dreiviertelwüchsige um die SEGA-, PlayStation- und Nintendo-Spielstationen scharten. Dort habe ich auch eines meiner ersten legal erworbenen PC-Spiele erstanden: die King’s Quest-Collection für 120 Mark. Der Verkäufer musste dazu eigens die Glasvitrine mit seinem Schlüssel öffnen: Dann fummelte er die glänzende Packung aus der Halterung und überreichte mir das Paket mit feierlicher Du-darfst-jetzt-zahlen-Geste.

Es fühlte sich an, als würde man im Grünen Gewölbe einkaufen. Auch preislich.

Fröhlich am Freitag - die wöchentliche Kolumne bei GamesWirtschaft
Fröhlich am Freitag – die wöchentliche Kolumne bei GamesWirtschaft

Es klingt im Lichte der aktuellen Meldungen ziemlich irre, doch Karstadt und Kaufhof zählten dereinst zu den umsatzstärksten und wichtigsten Vertriebskanälen für Spielkonsolen und Games – mit erheblichen Marktanteilen und entsprechend monströser Einkaufsmacht. Bis vor 15 Jahren galt mindestens Karstadt als Top 5-Abnehmer großer Publisher wie Activision Blizzard oder Electronic Arts – neben MediaMarkt, Saturn, GameStop und Amazon.

Im März 2009 hielt man es bei Karstadt und Kaufhof für eine rasend kluge Idee, in Reaktion auf den Amoklauf von Winnenden alle Ab-18-Spiele und -Filme aus den Regalen zu räumen. Man wolle in gesellschaftspolitischer Hinsicht ein Zeichen setzen, hieß es. Welches genau – offen.

Lob für diesen PR-Stunt gab es unter anderem von der bayerischen Staatsregierung: Es müsse gemeinsames Ziel von Gesellschaft, Herstellern und Handel sein, „die Zahl guter und kulturell wertvoller Spiele deutlich zu steigern“.

Aus jener Epoche rührt übrigens die bis heute gültige Besonderheit, dass sich der Leben-und-leben-lassen-Freistaat Bayern zwar seit Jahren nach einem „Blockbuster“ made in Bavaria sehnt, aber weiterhin keine Games subventioniert, die für ein erwachsenes Publikum gebaut werden. Also um Himmelswillen kein The Last of Us, kein The Witcher, kein The Quarry. Stattdessen: Pong.

Jedenfalls hatte sich das Thema „Computerspiele kaufen bei Karstadt / Kaufhof“ kurze Zeit später ohnehin erledigt: Schon im Sommer 2009 stellte die Konzernmutter Arcandor einen Insolvenzantrag. 2012 schlossen die letzten ‚Multimedia-Abteilungen‘ – damit verabschiedete sich ein zuverlässiger Frequenzbringer. Die Warenhäuser hatten endgültig vor den stark expandierenden, werbe- und preisaggressiven Elektronikmärkten kapituliert, die sich wiederum erste Rückzugsgefechte gegen die aufmüpfige E-Commerce-Konkurrenz lieferten.

Wie so oft in den vergangenen Jahren kämpft Galeria (the Warenhaus formerly known as Karstadt und Kaufhof) neuerdings schon wieder ums Überleben. Unter der charmanten Überschrift „Galeria stellt mit neuer Filialstruktur Weichen für eine sichere Zukunft“ ließ die Essener Zentrale mitteilen, dass rund 50 der 130 Standorte geschlossen werden – viele davon schon Mitte des Jahres.

Der Konzern müht sich, äußere Umstände – Corona, Energie, Inflation, Konjunktur – zu den Ursachen der Misere umzudichten. Doch wer die Galeria-Entwicklung verfolgt, muss zwangsläufig zu ganz anderen Erkenntnissen gelangen. Karstadt und Kaufhof steckten schon in existenziellen Schwierigkeiten, lange bevor in einem Labor in Wuhan das Fenster versehentlich auf Kipp stand (an dieser Stelle bitte optional eine beliebige andere Theorie Ihrer Wahl einfügen).

Von Bürgermeistern (die auf Gewerbesteuer verzichtet haben), Mitarbeitern (die auf Gehalt verzichtet haben) und Stammkunden (die auf ein Einkaufserlebnis verzichtet haben) ist in diesen Tagen verschiedentlich zu lesen und zu hören, dass die Galeria-Häuser keinesfalls entbehrlich seien, weil sie eine exorbitante Magnet-Wirkung für die jeweiligen Innenstädte hätten. Und dass die umliegenden Geschäfte maximal leiden würden, wenn eine Filiale die Grätsche macht. Die Angst vor monate-, jahrelangem Leerstand geht um.

Andererseits könnte man auch mal für einen kurzen Augenblick den Gedanken zulassen, dass es sich exakt umgekehrt verhält – dass also vielmehr die Galeria-Häuser von der Frequenz profitieren, die ihnen das Umfeld beschert. Dass es eben nicht Karstadt und Kaufhof sind, die Menschen in Scharen in Fußgängerzonen und Einkaufszentren lotsen, sondern … alles andere. Drogeriemärkte wie Müller zum Beispiel – deren Games-Abteilungen vielerorts besser sortiert sind, als sie jemals bei Karstadt waren.

Galeria ist das prominenteste, weil typischste Beispiel dafür, wie brutal sich der stationäre Einzelhandel wandelt – eine Branche, in der es im vergangenen Jahr mehr als 2.200 Firmenpleiten gegeben hat, so viele wie sonst nur im Baugewerbe. Alters- oder gesundheitsbedingte Geschäftsaufgaben sind da noch gar nicht mitgerechnet.

Gerade seit dem Jahreswechsel ist irrsinnig viel passiert, was sich (auch) auf Games-Hersteller und -Kunden auswirkt:

  • Zum Beispiel hat GameStop 50 der 170 verbliebenen Filialen geschlossen; in Dutzenden weiteren Läden läuft der Räumungsverkauf. Wenn ich richtig gezählt habe, bleiben vorerst roundabout 70 Standorte übrig.
  • MediaMarkt und Saturn treten seit Mitte Januar nicht nur hinter den Kulissen, sondern auch ganz offiziell gemeinsam auf: Sortiment, Preise, Werbung – alles identisch. Vor dem harten Cut wie in Österreich, wo die Marke Saturn komplett in MediaMarkt aufgegangen ist, scheute man hierzulande zurück.
  • Die Spielwaren-Kette MyToys (die auch Konsolen und Zubehör verkauft) gibt in den kommenden Monaten alle 15 Läden plus den Online-Shop auf.

An die verbreitete Mär, dass der Online- den Offline-Handel wegen der günstigeren Preise auf dem Gewissen hat, glaube ich nicht – entscheidender sind da eher Themen wie Auswahl und Verfügbarkeit. Schließlich sind Ladengeschäfte seit Jahrzehnten der Direktvertriebs-Konkurrenz ausgeliefert – nur eben einst per Telefon und Bestellkarte via Quelle oder Neckermann.

Von diesen Vollsortimentern hat einzig Otto als relevanter Anbieter überlebt – heute Nummer 2 im Netz hinter Amazon und Nummer 3 in Europa hinter Zalando. Man könnte also wissen, wie’s geht. Doch ausgerechnet die Otto-Tochter MyToys ist ein nicht so großartiges Beispiel dafür, wie die ‚Multichannel‘-Ansprüche des Handels regelmäßig an der Lebenswirklichkeit scheitern.

So ist es nicht möglich, auf mytoys.de vorab herauszufinden, ob der fürs Osternest geplante Sandkasten-Bagger oder der Switch-Controller in der Filiale vor Ort vorrätig sind – geschweige denn, das Produkt zu reservieren, damit man nicht vergebens einen Parkplatz sucht.

Was zumindest bei Müller geht: Vorbestellen. Die Ware wird dann aus dem Zentrallager in die jeweilige Filiale geliefert. Vorlauf: eine gute Woche. Also doch wieder Amazon. Schade.

Ein schönes Wochenende wünscht Ihnen

Petra Fröhlich
Chefredakteurin GamesWirtschaft

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3 Kommentare

  1. kürzlich hat mein lokaler Game Fachhändler geschlossen. Aus unvorhersehbaren und persönlichen Gründen, wie er mir sagte. Zu Media Markt bin ich nie gerne gegangen – nie unter der UVP bei Games und DVDs, und dann auch noch sehr unfreundliches Personal. Taschen und Rucksäcke müssten in schlecht gesicherte Schließfächer eingeschlossen werden. Nach Umbau hat sich zumindest letzteres erledigt, aber die Parkplätze. Nein danke. Ich wohne auf dem Land
    ~20 Minuten von der nächsten Stadt entfernt. ÖPNV keine Alternative., ist aber anders Thema. Selbst Comics bestelle ich online und nicht beim lokalen Händler, unter anderem weil keine Kartenzahlung und seine und meine Mittagspause exakt in der gleichen Zeit sind.

  2. Ich habe auch viele tolle Kindheitserinnerungen an in Kaufhäusern erworbene Spiele. Baldur’s Gate z.B., damals zum Release im örtlichen Karstadt gekauft. Hatte tatsächlich etwas Feierliches.

    Aber: Es gab ja keine wirklichen Alternativen. Nicht nur beim Sortiment, sondern auch bei den Läden selbst. Irgendwann kamen die Elektronik-Märkte, und mit etwas Glück gab es sogar spezialisierte Geschäfte für Spiele. Aber nur in der Großstadt.

    Gabe Newell von Valve hat mal etwas Kluges über Piraterie gesagt, diese sei hauptsächlich ein Service-Problem. So ist es mit den Kaufhäusern. Auf Steam kriege ich meine Spiele unkompliziert und günstig. Bei Amazon kriege ich sie unkompliziert und mit maximalem Kundendienst in Sachen Rückgabe, Preisgarantie bei Vorbestellungen sowie Transparenz beim Versand.

    Wenn die Kaufhäuser auch nur einen dieser Aspekte bieten würden, ich ginge weiter gerne hin. Tun sie aber nicht. Das Sortiment ist schwach, die Preise hoch, Beratungen gibt es nicht, Bestellungen / Versand dauern und bei Problemfällen muss man diskutieren. Dafür sind mir Zeit und Geld zu schaden.

  3. > entscheidender sind da eher Themen wie Auswahl und Verfügbarkeit

    Ich würde noch das teilweise schon auffallend unfreundlichen Verkaufspersonal ergänzen. Wenn man in einem Laden mit „hamwa nich, müsswa bestellen“ abgespeist wird, dann braucht sich der Eigentümer auch nicht wundern wenn die Kunden Scharenweise das Weite suchen.

    Die einzigen beiden Pluspunkte des stationören handels sind Beratung und das man das Objekt der Begierde direkt mitnehmen kann – wobei letzteres natürlich auch wie schon im Artikel erwähnt meistens Glückssache ist

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