Start Meinung 160 Millionen Euro (Fröhlich am Freitag)

160 Millionen Euro (Fröhlich am Freitag)

1
Gründer, Investoren, Autoren: Daniel Stammler und Janosch Kühn mit ihrem Buch 'Mach keinen Quatsch' (Foto: GamesWirtschaft)
Gründer, Investoren, Autoren: Daniel Stammler und Janosch Kühn mit ihrem Buch 'Mach keinen Quatsch' (Foto: GamesWirtschaft)

Die Gründer des Mobile-Games-Studios Kolibri Games haben ihre Story aufgeschrieben und in ein Buch gegossen. Ihr wichtigster Rat: Mach keinen Quatsch.

Verehrte GamesWirtschaft-Leserin,
verehrter GamesWirtschaft-Leser,

was macht das mit einem, wenn man mit Mitte 20 eine Spielefirma gründet und vier Jahre später ein internationaler Konzern – sagen wir: Ubisoft – deinen Laden für 160 Millionen € kaufen möchte?

Genau das ist den drei Schwaben Janosch Kühn, Oliver Löffler und Daniel Stammler passiert, die in ihrer muffigen Karlsruher Studenten-WG Prototypen gebaut, Mitarbeiter eingestellt, erste kleine Erfolge, verheerendes Experten-Feedback und brutale „Okay, das war’s“-Rückschläge erlebt haben. Später zog die Firma nach Berlin und benannte sich in Kolibri Games um. Umsatz 2019: knapp 55 Millionen €.

Anfang 2020 hat Ubisoft zunächst 75 Prozent der Anteile erworben, ein Jahr später den Rest. Seitdem Geschäftsführer: ein gewisser Yves Guillemot.

Das Trio hat über diesen irren Ritt ein – wie Markus Lanz sagen würde – „sehr lesenswertes Buch“ geschrieben. Es heißt ‚Mach keinen Quatsch‘*, kam kurz vor der Gamescom auf den Markt und selbstverständlich gibt es darin keine Kapitel, sondern ‚Level‘. Unter Politikern, Sportlern oder Schauspielern ist es ja üblich, dass sie ihre Geschichte aufschreiben (lassen) – für hiesige Games-Gründer ein Novum.

Fröhlich am Freitag - die wöchentliche Kolumne bei GamesWirtschaft
Fröhlich am Freitag – die wöchentliche Kolumne bei GamesWirtschaft

Mein erstes Aufeinandertreffen mit Janosch und Daniel datiert von der Gamescom 2017 – vor kurzem gab es ein erneutes Wiedersehen, frühmorgens auf einer Hotel-Terrasse unweit des Messegeländes. An diesem Morgen, deutlich vor Öffnung der Hallen, hatte das Duo schon den ersten ‚Talk‘ mit einem CEO eines deutschen Groß-Studios hinter sich. Beide machten einen extrem aufgeräumten Eindruck – und verwiesen dennoch nach handgestoppten 30:01 Minuten gleichermaßen freundlich wie bestimmt auf ihren Nachfolgetermin.

Keine Zeit für Quatsch.

Zwischen den beiden Gamescom-Treffen liegen fünf Jahre, 150 Millionen Downloads, eine 120köpfige Belegschaft und ein in der deutschen Games-Industrie beispielloser Exit. Zwar hat es in den vergangenen Jahren immer mal wieder XXL-Deals gegeben. Doch InnoGames, Goodgame Studios, Astragon, Koch Media oder Bigpoint waren zum jeweiligen Zeitpunkt ungleich ‚reifere‘ Unternehmen mit viel größerem Portfolio.

Ich habe mir in den letzten Tagen spaßeshalber nochmal die Mails rausgesucht, die ich mit den Gründern vor fünf Jahren im Vorfeld unseres ersten Termins ausgetauscht habe, als das Team noch unter dem Namen Fluffy Fairy Games firmierte. Die kleine Firma war zu diesem Zeitpunkt erst eineinhalb Jahre alt und hatte gerade mal ein Produkt im Appstore: das Smartphone-Spiel Idle Miner Tycoon (IMT), bei dem die Spieler ein Bergwerk betreiben.

Der Clou: Das Spiel läuft auch dann weiter, wenn man nicht am Handy hängt. Die Spieler können also morgens nachprüfen, wie viel Kohle über Nacht gescheffelt wurde und ob die Minen-Arbeiter auf Gold gestoßen sind. Was wie eine spielgewordene Metapher für Kolibri Games klingt.

Im Nachgang zur 2017er-Gamescom lieferte Janosch noch „ein paar hard facts“ nach – nämlich, dass das Spiel schon „über 8.5M Installs“ aufweist und „derzeit ~500k € Umsatz im Monat“ generiert. Gemeint ist eine halbe Million Euro. Und weiter: „IMT hat über 2M MAUs und sehr hohe Early Day Retention (D1 ist 75%).“

Uff.

Allein an diesem Sound konnte man schon grob ahnen, wohin die Reise gehen wird. Und dass Lichtjahre zwischen dem liegen, was nach Fluffy-Fairy-Definition ein „gutes Spiel“ ausmacht – und wie geschätzte 90 Prozent aller anderen UGs und GbRs an ein Projekt herangehen, indem sie sich Förder-Geld abholen und dann erst einmal ein paar Jahre fröhlich vor sich hin entwickeln. Um dann auf die harte Tour herauszufinden, ob es für das Ergebnis überhaupt einen Markt gibt.

Überhaupt ginge es in der Gaming-Welt immer noch vor allem darum, „möglichst ein ‚Indie‘ oder ‚Hardcore Gamer‘ zu sein“, wie Janosch kürzlich sehr präzise analysierte. Für ihn und seine Mitstreiter war ein Spiel hingegen dann ein gutes Spiel, wenn es erstens oft und intensiv gespielt wird und zweitens zahlendes Publikum findet. Niemand hat die Absicht, sich selbst zu verwirklichen.

Die Kehrseite: Zwischen den Zeilen und an einigen Buch-Stellen sogar sehr explizit wird deutlich, wie sehr das Team Anerkennung aus der Branche vermisst hat. Dieses Gefühl ist weit verbreitet in Unternehmen im deutschsprachigen Raum, die Free2Play-Mobile- und Online-Games betreiben. Was dazu führt, dass sich dann zuweilen etwas Ratlosigkeit breit macht, wenn mal wieder über die steuerlich privilegierte Konkurrenz in Kanada, UK oder Frankreich gejammert wird – womit aber nahezu immer Groß-Produktionen für PC und Konsole gemeint sind.

Da baut man irrsinnig erfolgreiche Produkte, zeigt tolle Umsätze und noch tollere Margen, sorgt für sichere 9-to-6-Jobs und verzichtet auf Crunch – aber wirklich wahrgenommen und respektiert oder gar geliebt wird man bestenfalls von der Belegschaft, aber nicht von der eigenen Branche. Und von Fachmedien und vermeintlich ‚echten’ Gamern erst recht nicht.

Stattdessen regiert der Argwohn.

Oder wie man im Schwäbischen sagt: Net gschimpft isch globt gnuag. Dass beim Deutschen Entwicklerpreis demnächst die Kategorien ‚Bestes Studio‘ und ‚Bester Publisher‘ entfallen, macht die Lage nicht angenehmer.

Dabei hat Kolibri Games sehr wohl renommierte Preise gewonnen – allerdings stets für die wirtschaftliche Performance, nie für die Spiele.

Die Eingangsfrage, was der plötzliche Aus-dem-Gröbsten-raus-Reichtum mit einem ‚macht‘, wird im tatsächlich sehr lesenswerten, kurzweiligen Buch übrigens nur oberflächlich abgehandelt. Als Leser blickt man mit gewisser Sorge darauf, wie die verbleibenden Seiten immer weniger werden und die Danksagungen bedrohlich näher rücken – und Ubisoft immer noch nicht angerufen hat.

Überhaupt gewähren die Autoren nur selten intime Einblicke in ihre Gefühlswelt – etwa dann, wenn sie die nervenzerrende Phase zwischen Notarterminen, Due-Dilligence-Prozessen und Zahlungseingang beschreiben.

Seit Oktober 2021, also seit gut einem Jahr, sind Oliver, Daniel und Janosch nun komplett ‚raus‘ aus Kolibri Games – aber nicht aus dem Gaming. Mit ihrem Family Office BLN Capital (ein Kürzel für Berlin) haben sie bereits eine achtstellige Summe in mehr als 40 Firmen investiert, davon rund die Hälfte Games-Studios und -Dienstleister, aber auch in ein Job-Portal für Elektriker, einen Insektenstich-Juckreiz-Adapter fürs Smartphone oder ein Beerdigungs-Startup (kein Scherz).

Also quasi eine Art Höhle der Löwen – nur, dass keine Kamera drauf hält.

Mach keinen Quatsch* ist ein inspirierendes Buch, taugt aber natürlich nicht als Blaupause: Allein die Mucksmäuschenstill-Philosophie fürs Großraumbüro ließe manches Betriebsklima kollabieren. Aber die Kolibri-Story zeigt, wie sich weiterhin spektakuläre Gründer-Geschichten schreiben lassen – mit technischem Verständnis, Durchhaltevermögen, dem richtigen Riecher, einem geerdeten Gründer-Team, kompromisslosem Kunden-Fokus und vor allem: viel, viel, viel (Selbst-)Disziplin.

Ein schönes Wochenende wünscht Ihnen

Petra Fröhlich
Chefredakteurin GamesWirtschaft

Immer freitags, immer kostenlos: Jetzt GamesWirtschaft-Newsletter abonnieren!

1 Kommentar

  1. — „wie sehr das Team Anerkennung aus der Branche vermisst hat. Dieses Gefühl ist weit verbreitet in Unternehmen im deutschsprachigen Raum“

    Da kann ich auch nur sagen „feel it“! Das ist leider der deutschen liebstes Kind, dass man zwar explizit und ungehemmt darauf hinweist, wenn etwas falsch gemacht, gedacht, gesagt oder in sonst einer Art und Weise Finger in die Wunde gelegt werden kann, aber Lob ist in meiner Generation Mangelware. Ein „gut gemacht“ von den Eltern oder „gute Arbeit“ von Lehrern/dem Vorgesetzten gibt es nicht. Solange es funktioniert sprechen wir nicht darüber.

    Dabei ist Anerkennung eine der Triebfedern der menschlichen Schaffenskraft und „immer feste druff“ tötet einfach jede Motivation weiter zu machen. Gestresst bis zum Tod, ist leider kein Witz und bitterer Ernst. Ein guter Bekannter aus der Branche ist mitten am Tag in einer Menschenmenge auf dem Weg von Termin A nach Termin B tot umgefallen

Kommentarfunktion ist geschlossen.