Von der Studenten-WG zum 160-Mio.-€-Studio in vier Jahren: Kolibri Games-Gründer Janosch Kühn über die Zeit nach dem Exit via Ubisoft.
Wer an Games made in Germany denkt, denkt womöglich an Anno, an Crysis, an Gothic, vielleicht an Forge of Empires, Deponia oder Shadow Tactics – aber nicht zwingend an Idle Miner Tycoon. Dabei zählt das Free2Play-Casual-Hit zu den international meistgespielten, umsatzstärksten und profitabelsten Titeln, die je in Deutschland gebaut wurden.
Entwickelt wird das Mobilegame im Herzen von Berlin bei Kolibri Games, das seit Februar 2020 von Ubisoft kontrolliert wird. Der französische Publisher hat den Gründern in mehreren Tranchen insgesamt rund 160 Millionen € überwiesen – wohlgemerkt für ein Startup, das vor wenigen Jahren aus einer Karlsruher Studenten-WG hervor ging.
Die inzwischen 140köpfige Belegschaft hat die grundsätzliche Spielidee – also den ‚Nebenher‘-Aufbau eines Bergwerk-Imperiums – auf weitere Settings übertragen: Idle Restaurant Tycoon, Idle Firefighter Tycoon, Idle Taxi Tycoon und so weiter. Mehr als 100 Millionen Mal wurden die Games in den Appstores heruntergeladen.
Drei der Kolibri-Jungunternehmer – Daniel Stammler, Oliver Löffler und Janosch Kühn – haben sich nach dem Exit zu BLN Capital zusammengeschlossen und investieren ihr Vermögen in vielversprechende Startups. Wie es Kühn seit dem Exit ergangen ist, erzählt er im GamesWirtschaft-Interview.
Kolibri-Gründer und Investor Janosch Kühn: „Wir haben immer versucht, uns nicht durch das Geld blenden zu lassen.“
GamesWirtschaft: Es ist nun etwas mehr als ein Jahr her, dass ihr die operative Leitung bei Kolibri Games abgegeben habt. Was ist seitdem passiert?
Kühn: Wir haben ja schon relativ schnell nach dem Exit unser Family Office BLN Capital gegründet, um unser Geld zusammen anzulegen. Nachdem wir die operative Leitung bei Kolibri Games abgegeben haben, haben wir uns darauf fokussiert, spannende Investitionsmöglichkeiten zu finden und die Gründerinnen und Gründer unserer Portfolio-Unternehmen zu unterstützen.
In Zahlen gesprochen haben wir in mehr als 40 Startups eine achtstellige Summe investiert.
Natürlich haben wir uns auch eine Auszeit gegönnt, waren seitdem ein paar Mal länger als ein Wochenende im Urlaub und haben uns persönlichen Dingen gewidmet. Oliver hat zum Beispiel seine gesamte Wohnung umgebaut und ist mit seiner Freundin zusammengezogen, Daniel hat sich einen Welpen zugelegt und ich bin dieses Jahr stolzer Vater geworden.
Ihr hattet bereits im Februar 2020 angekündigt, dass ihr mittelfristig alle Anteile abgeben wollt. Ist das mittlerweile geschehen?
Wir haben im Oktober 2021 alle Anteile verkauft und fokussieren uns jetzt voll und ganz auf BLN Capital und die dazugehörigen Projekte.
Wie ‚eng‘ ist euer Draht zum Kolibri-Team und -Management seitdem?
Wir verstehen uns weiterhin sehr gut mit dem Kolibri-Team und -Management. Schließlich haben wir auch lange Freundschaften dort geschlossen und tauschen uns deshalb immer wieder mit den Personen dort aus. In strategischen Fragen sind wir allerdings nicht mehr involviert – wir haben ja weder Anteile noch sind wir dort angestellt.
Natürlich stehen wir aber weiterhin für alle Fragen offen, die das Kolibri-Team an uns hat – schließlich ist Kolibri Games ja unser Baby.
Ihr wart und seid zwar eng in der Berliner Startup-Szene verdrahtet. Von außen wirkte es trotzdem so, dass ihr ‚euer Ding‘ macht und mit der klassischen deutschen Games-Industrie-Bubble eher fremdelt – möglicherweise auch, weil euer Werdegang so untypisch ist. Trügt der Eindruck?
Wir waren immer ein bisschen zwischen den Welten. Nie in einer Welt komplett zuhause, aber trotzdem immer mit dabei. Die Berliner Startup-Welt besteht sehr viel aus Unternehmen aus dem Rocket Internet- und WHU-Umfeld (Otto Beisheim School of Management, Anm. d. Red.), wo es oft darum geht, möglichst viel Geld zu raisen.
In der Gaming-Welt wiederum geht es oft nur darum, möglichst ein „Indie“ und „Hardcore Gamer“ zu sein, was allerdings meistens nicht die breite Masse anspricht.
Wir haben uns immer in der Mitte gesehen und unsere Spiele so konzipiert, dass sie nicht zu ausgefallen sind und jeder sie spielen kann. So waren alle Preise, die wir gewonnen haben, für uns als Startup-Gründer und nicht für uns als Gamedesigner und Producer – oder eben Preise für den finanziellen Erfolg von Idle Miner Tycoon, aber nie für Idle Miner Tycoon als Spiel selbst.
Ihr lebt ja den Traum Vieler, die eine Spielefirma gründen, um irgendwann einen Hit zu landen und dann einen Exit zu vollziehen. Bei euch passierte Vieles in einer Art Zeitraffer. Stumpf gefragt: Was macht das mit einem, wenn man weiß, dass demnächst ein mehrstelliger Millionen-€-Betrag auf dem Konto auftaucht?
Bei der Gründung damals hätten wir uns niemals erträumen können, wie schnell das alles gehen würde und dass wir die Firma überhaupt so erfolgreich aufziehen werden.
Vor dem Exit durchlebten wir eine Mischung aus unterschiedlichsten Gefühlen. Zunächst dachten wir gar nicht wirklich an das Geld – für uns war es wichtig, einen guten Partner zu finden, der Kolibri Games auf das nächste Level heben kann. Und wir waren uns sicher, mit Ubisoft einen Traumpartner gefunden zu haben – also waren wir zunächst einmal froh darüber, unser Baby in gute Hände übergeben zu können. Außerdem waren wir sehr stolz darauf, was wir und unsere zahlreichen Mitarbeiter aufgebaut haben, was überhaupt zu dem Exit geführt hat.
Das einzige, was wir uns gleich nach dem Exit gegönnt haben, war ein Wochenende mit dem Management-Team in London, direkt am Freitag nach der Unterschrift. Am Montag ging es dann natürlich wieder zur Arbeit.
Außerdem wollten wir uns im Sommer endlich einmal einen entspannten Urlaub mit unseren Partnern gönnen, allerdings kam uns dann Covid in die Quere und wir haben das ganze Jahr mit Arbeiten in Quarantäne verbracht. Schließlich haben wir weiterhin Kolibri Games geleitet.
Wir haben immer versucht, uns nicht durch das Geld blenden zu lassen und haben uns schon vor dem Exit vorgenommen, nicht vom Boden abzuheben. Das haben wir eingehalten und sind damit sehr glücklich. Das Geld gibt uns natürlich viele Freiheiten, wir sehen das Geld aber vor allem als Verantwortung. Wir sehen es als unsere Aufgabe, die neue Generation an Startups zu finden und zu unterstützen und das Geld zurück ins Ökosystem zu geben.
Wie und wann habt ihr festgelegt, was ihr damit anstellt – also ob ihr euch zusammenschließt, getrennte Wege geht oder zum Beispiel eine berufliche Pause einlegt?
Uns war eigentlich schon vor dem offiziellen Notartermin klar, dass wir weiterhin zusammenarbeiten wollen, weil wir uns perfekt ergänzen. Wir haben immer richtig gut zusammen funktioniert und wussten, dass man so ein tolles Team nicht so oft findet.
Relativ schnell nach dem Exit haben wir das auch umgesetzt, haben das erste Geld zusammen investiert und weiterführende Pläne geschmiedet.
Viele eurer neuen Projekte und Investments sind auf den ersten Blick thematisch vergleichsweise weit entfernt vom Games-Bereich. Wollt ihr euch bewusst auf andere Branchen fokussieren?
Wir investieren weiterhin viel im Games-Bereich. Ungefähr 50 Prozent unserer Investments machen wir in Gaming oder Gaming-nahe Themen, zum Beispiel haben wir in TrueMyth Games, ein Mobile Games Studio aus Zypern, oder Coherence, eine Cloudplattform für die einfachere Entwicklung von Multiplayer-Spielen, investiert.
Ein Beispiel für ein gamingnahes Thema ist Fastic, eine App fürs Intervallfasten, die viele Gaming-Elemente einsetzt, um die Nutzer für das Intervallfasten zu motivieren und spannend zu bleiben.
Die restlichen 50 Prozent investieren wir opportunistisch in verschiedene Themen und haben dadurch Diamanten wie Junto (kohortenbasierte Lernplattform), Meine Erde (‚Reerdigung‘) und PowerUs (Karriereplattform für Handwerker) gefunden.
Für uns war es wichtig, dass wir nicht nur in Games investieren, weil wir uns auf der einen Seite diversifizieren wollten und es auf der anderen Seite genießen, viel Neues zu lernen.
Es ist immer wieder eine neue Herausforderung und macht viel Spaß, uns in unterschiedliche Themen detaillierter einzuarbeiten. Insgesamt finden wir es toll zu sehen, wie verschiedene Bereiche nach genauer Hinsicht doch zusammenhängen und in wie vielen Bereichen unsere Learnings eigentlich eingesetzt werden können – zum Beispiel wird User Acquisition und Performance Marketing immer relevanter, auch für Gaming-fremde Startups.
Gibt es denn hinreichend Games-Projekte, die an euch herangetragen werden?
Wir versuchen weiterhin, ca. 50 Prozent unserer Investments in Gaming oder Gaming-nahe Themen zu investieren. Vor allem sind wir sehr begeistert von Free-To-Play Mobile Games und sind der Überzeugung, dass in dem Bereich noch viel Potential steckt. Selbst ein kleines, schlagkräftiges Team kann es mit einem solchen Spiel extrem weit schaffen.
Durch unseren Gaming-Hintergrund erhalten wir viele Investmentmöglichkeiten im Gaming-Bereich, sehen aber immer noch viel zu wenige deutsche Teams, die Free-To-Play Mobile Games entwickeln und groß aufziehen wollen.
Falls ein Leser sich hier angesprochen fühlt und ein Investment sucht oder jemanden kennt, der Free-To-Play Mobile entwickelt, sind wir offen für alle Anfragen. Gerne können sich solche Leute bei uns über LinkedIn melden.
Die Kolibri-Story ist in der deutschen Games-Industrie ziemlich einmalig: Turbo-Wachstum bei hohen Umsätzen und spektakulärer Marge. Glaubst du, dass sich so ein Vorgang im Mobilegames-Segment auch im Jahr 2022 aufwärts wiederholen lässt? Oder ist der Markt inzwischen so ‚reif‘, dass andere Modelle vielversprechender sind?
Die gleiche Frage wurde uns auch genau so im Jahr 2016 gestellt. Damals gab es schon Candy Crush und Clash of Clans, alle haben den Mobile Games Markt als gesättigt gesehen.
Wir sind weiterhin überzeugt vom Gaming-Markt und glauben, dass Gaming mit dem rasanten Wachstum umsatzmäßig für lange Zeit an der Spitze der Unterhaltungstechnologien bleiben wird. Damit ergeben sich auch viele Möglichkeiten für neue Games.
Unser Ziel war es beispielsweise immer, eine möglichst breite Masse zu erreichen, viele Spieler zu haben und damit auch schnell profitabel zu arbeiten, um nicht von Investoren abhängig zu sein. So konnten wir quasi von Anfang an unsere Entwickler selbst finanzieren und mit eigenem Kapital wachsen. Free-To-Play-Mobile Games bieten dafür die besten Voraussetzungen.
Im Mobile Gaming wird allerdings oft einfach nachgemacht, was auf lange Sicht für die Entwickler der Copycats meistens nicht gut funktionieren kann. Unsere Idee war es immer, Spiele zu bauen, die neu sind und die es so noch nicht gibt, was uns mit Idle Miner Tycoon sehr gut gelungen ist.
Wir haben ja damals eine Nische für uns entdeckt und sie groß gemacht – wenn das jemand nochmal mit einer anderen Nische schafft, dann lässt sich so ein Wachstum sicherlich noch einmal wiederholen. Vor allem heutzutage gibt es dafür auch viele Möglichkeiten, besonders im Free-To-Play-Mobile-Games-Markt.
Vor ziemlich genau fünf Jahren – auf der Gamescom 2017 – haben wir uns zum ersten Mal getroffen. Damals hieß die Firma noch Fluffy Fairy Games und hatte ihren Sitz in Karlsruhe. Wäre eure Entwicklung in ähnlicher Weise mit dem ‚alten‘ Namen und dem ursprünglichen Firmensitz möglich gewesen? Anders gefragt: Wie entscheidend war rückblickend das neue Setup, das ja zum Beispiel mit Blick auf den Umzug des Stammpersonals nicht ohne Risiko war?
Als wir dich in 2017 auf der Gamescom zum ersten Mal getroffen haben, war das unser allererstes Treffen mit einem Gaming-Journalisten – wir waren richtig aufgeregt und es war super cool, sich mit dir zu unterhalten.
Der Umzug von Karlsruhe nach Berlin und der neue Name allein hätten uns sicher nicht den Erfolg verschafft, aber haben definitiv einen Teil dazu beigetragen, dass wir unser Potential entfalten konnten.
Karlsruhe war für uns der perfekte Ort, um die Firma zu gründen: Wir konnten in unserer Studenten-WG bleiben, hatten schnell Talente als Mitarbeiter für uns gewinnen können und im Steakhouse um die Ecke kannte die Bedienung unsere Bestellungen schon auswendig.
Um aber weiter und schneller zu wachsen, mussten wir den Schritt nach Berlin wagen: Wir wollten mehr internationale Bewerber anziehen und eine stärkere Vernetzung zur Startup-Szene sowie globalen Games-Branche aufbauen.
Für uns war zu der Zeit klar, dass wir das nur durch einen Umzug nach Berlin schaffen werden. Der Gaming-Markt ist sehr international und sowohl das Netzwerk als auch die Talente müssen global aufgebaut werden, um Erfolg haben zu können. So konnten wir in Berlin Talent aus aus aller Welt anziehen, zum Beispiel auch aus den USA, Südafrika und Singapur. Berlin bietet da die idealen Grundvoraussetzungen.
Wir hatten uns den Namen Fluffy Fairy Games damals mit einem Namensgenerator im Internet erstellt und unsere Zeit lieber in die Entwicklung des Spiels gesteckt. Ab einer gewissen Stelle haben wir beschlossen, einen passenden Namen zu wählen – Kolibri Games. Der Name Kolibri Games repräsentiert viel stärker unsere Unternehmenskultur und Arbeitsweise. Denn ein Kolibri ist flink und flexibel.
Diese Eigenschaften haben zu unserem Unternehmen gepasst und dementsprechend hat uns der Name sehr begeistert.