Wer Games-Entwicklungshilfe von Verkehrsminister Scheuer haben will, muss als Videospiele-Hersteller einen „Kulturtest“ aus- und erfüllen – warum eigentlich?
Wie um Himmelswillen kriegen wir einen schuhplattelnden Lederhosenträger in unser Science-Fiction-Rollenspiel?
Solche Sorgen müssen deutsche Spiele-Entwickler nicht umtreiben. Denn der sogenannte „Kulturtest“ ist zwar ab sofort zwingende Voraussetzung für staatliche Games-Zuschüsse, lässt aber gleichzeitig irrsinnig viel Interpretations-Spielraum.
Eine Viertelmilliarde Euro soll im Rahmen der „Computerspiele-Förderung des Bundes“ bis 2023 an Games-Entwickler verteilt werden – 50 Millionen Euro pro Jahr, also eine Menge Geld. Um Wettbewerbsverzerrungen durch derartige Subventionen zu verhindern, musste die Games-Förderung zunächst von der EU-Kommission geprüft und genehmigt werden. Genau das ist im Februar 2020 passiert.
In erster Linie soll der Kulturtest sicherstellen, dass das Steuergeld erstens tatsächlich zur Entwicklung eines vorzeigbaren Computerspiels oder Prototypen eingesetzt wird und dass zweitens die Produktion hauptsächlich in Deutschland stattfindet. Das Geld muss nicht zurückbezahlt werden – egal, ob das fertige Produkt überhaupt ein Publikum findet. Es spielt also keine Rolle, ob das Spiel am Ende von fünf, 500 oder fünf Millionen Menschen heruntergeladen wird. Oder ob aus einem Prototypen jemals ein „richtiges“ Spiel wird.
In keinem Fall ist der Kulturtest eine Gehässigkeit, die sich der zuständige Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) exklusiv für die Spiele-Branche ausgedacht hat. Denn auch bei der Filmförderung gibt es seit vielen Jahren einen solchen Test – dort trägt er den schönen Titel „Kultureller Eigenschaftstest“.
Games-Förderung: So funktioniert der „Kulturtest“ für Computerspiele
Wie funktioniert der Kulturtest nun konkret? Das Dokument ist Teil einer langen Liste an Formularen und Unterlagen, die ab dem 28. September beim zuständigen Verkehrsministerium (BMVI) eingereicht werden können.
Der Kulturtest umfasst vier Seiten und besteht aus drei Abschnitten. Im Gegensatz zur Filmförderung muss hier keine vorgegebene Punktzahl erreicht werden, wie man es von der Führerscheinprüfung oder vom Abitur kennt. Als „bestanden“ gilt der Test, wenn mindestens jeweils zwei Kriterien der Kategorien 1 und 2 und mindestens ein Kriterium der Kategorie 3 erfüllt sind.
Kategorie 1: Kultureller Kontext und kultureller Inhalt
Abgefragt wird, ob das Spiel …
- … in Deutschland oder in Europa angesiedelt ist – und beispielsweise zeitgeschichtliche oder historische Bezüge aufweist. Naheliegende Beispiele: das Mittelalter, die 20er Jahre oder der Zweite Weltkrieg.
- … eine real existierende oder fiktive Hauptfigur der deutschen oder europäischen Geschichte darstellt.
- … in deutscher Sprache erscheint – wobei hier nicht vorgegeben ist, ob dies nur den Bildschirmtext oder auch die Sprachausgabe betrifft.
- … Bezüge zu Deutschland oder Europa aufweist – sei es Alltagskultur, Popkultur, Gesellschaft, Geschichte, Literatur, Sagen, Science-Fiction oder regionale Besonderheiten.
- … „deutsche Spieltraditionen“ weiterentwickelt – das würde sicher auf Fußballmanager, Adventures oder Aufbauspiele zutreffen.
Wie gesagt: Hier genügen schlimmstenfalls zwei Kriterien – eine deutsche Version ist bereits die halbe Miete. In Ausnahmefällen werden auch Games anerkannt, wenn sie „besonders kreativ oder innovativ“ sind oder wenn in den Kategorien 2 und 3 überdurchschnittlich viele Pluspunkte gesammelt werden.
Kategorie 2: Kulturelle / kreative Plattform
Das Steuergeld soll dazu beitragen, dass mehr Computerspiele in Deutschland entstehen – und dass die heimische Kultur- und Kreativwirtschaft davon profitiert. Das setzt voraus, dass der „wesentliche Anteil der kreativen Arbeiten“ in der Bundesrepublik abläuft, etwa Konzept, Programmierung, Grafik oder Musik. Genau das fragt die Kategorie 2 ab.
Mindestens die Hälfte der Team-Mitglieder muss einen ersten Wohnsitz in Deutschland nachweisen oder hier besteuert werden. In jedem Fall muss das auf den Produzenten, den federführenden Spiele-Entwickler, den Komponisten, den Autor, den Technischen Director und den Art Director zutreffen.
Die Hürde ist niedrig: Denn keine dieser Berufsbezeichnungen ist geschützt – jeder darf sich „Technical Director“ nennen (was im Übrigen auch für „Journalist“ gilt). Als positiv wird die „kulturelle Nachwuchsförderung“ gewertet – also wenn frischgebackene Hochschul-Absolventen an der Produktion beteiligt sind.
Was aber gleichzeitig heißt, dass weite Teile der Entwicklung sehr wohl im Ausland stattfinden können und dürfen – gerade Texturen, Animationen und 3D-Modelle werden oft an Dienstleister in Niedriglohnländern ausgelagert.
Kategorie 3: Gestalterische, kreative und technische Innovation
Hier können die Antragsteller ihrer Kreativität freien Lauf lassen. Denn es muss begründet werden, warum einzelne Spiel-Elemente – Erzählstruktur, Musik, Charaktere, Story, Musik – besonders originell oder innovativ sind. Oder was den Mehrspielermodus so neuartig macht. Oder an welcher Stelle man merkt, dass „Künstliche Intelligenz“ zur Anwendung kommt. Wer als Spieldesigner hier um Antworten verlegen ist, hat sich mutmaßlich für den falschen Beruf entschieden.
Kein Ko-Kriterium ist übrigens die zu erwartende Alters-Einstufung: Auch Spiele „ohne Jugendfreigabe“ (USK 18) sind möglich. Das ist keine Selbstverständlichkeit: Bei manchen regionalen Förderprogrammen ist die Altersfreigabe immer noch auf 16 Jahre gedeckelt, etwa in Bayern. Dass es bei der Bundesförderung keine derartige Obergrenze gibt, ist nicht nur für Spiele wie „The Surge“ oder „Crysis“ relevant, sondern auch für Ubisoft Berlin, die am Ego-Shooter „Far Cry 6“ mitarbeiten und als Co-Entwickler ebenfalls förderberechtigt sind.
Die wichtigste Botschaft: Die Förderung eines deutschen Games-Projekts kann an irrsinnig vielen Faktoren scheitern – etwa am Eigenkapital, an schludrigen Unterlagen, an zu langer Bearbeitungszeit, aber mit großer Wahrscheinlichkeit nicht am Kulturtest. Wie hoch die Latte beim Kulturtest-Limbo hängt, zeigen Förderbeispiele aus den Bundesländern: So hat auch eine Neuauflage von „Pong“ den Test bestanden.
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