Der Industrieverband Game vertritt die wirtschaftlichen Interessen von fast 500 Mitgliedern – und immer öfter auch die eigenen.
Verehrte GamesWirtschaft-Leserin,
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Michael Schade ist in seinem Element. Der Co-Gründer des Hamburger Studios Rockfish Games steht neben einem Everspace 2-Bildschirm und referiert über Verkaufszahlen, Kickstarter, Fachkräfte, Förderung, Steam-Wishlists, Künstliche Intelligenz. Ihm gegenüber: CDU-Grandin Gitta Connemann. Die Chefin der mächtigen Mittelstands-Union lauscht andächtig, flechtet eineinhalb Fragen zu Schades Werdegang ein und bedankt sich im Anschluss einigermaßen geflasht für die „inspirierenden“ Einblicke.
Das Rockfish-Weltraum-Spiel ist eine von nur fünf Stationen auf der Empore im Berliner Zollpackhof, dem Austragungsort des Sommerfests, das der Industrieverband Game am Dienstag veranstaltet hat. Die Politiker-Dichte im Biergarten mit unverbaubarem Kanzleramt-Panorama ist auch in diesem Jahr bemerkenswert – und kein Selbstläufer. Denn die Konkurrenz ist riesig: An Tagen wie diesen buhlen ungezählte Verbände und Unternehmen um Minister, Staatssekretäre, Abgeordnete und Partei-Chefs, um den Gästelisten Glanz zu verleihen.
Einen groben Eindruck von der Sommerfest-Konkurrenz bekommt man in den Straßenzügen rund um das Reichstagsgebäude, wo sich ein Messing-Schild ans andere reiht – selbst Mittelständler gönnen sich eine eigene ‚Hauptstadt-Repräsentanz‘. Im amtlichen Lobbyregister des Bundestags sind neben Mitarbeitern von Game-Verband, E-Sport-Bund und Ubisoft fast 37.000 (!) weitere Voll- und Teilzeit-Influencer gelistet, die im Auftrag von Stiftungen, Think-Tanks, Standortinitiativen, Agenturen und Konzernen wie Google, Tencent, Microsoft, Meta und Nvidia lobbyieren. Auf jeden der 730+ Bundestagsabgeordneten kommen rechnerisch 50 Stimmungsmacher.
Die Sommerfest-Taktung ist daher eng, die Wege aber zum Glück kurz: Wer durch das Regierungsviertel flaniert, stolpert fast zwangsläufig in Hart, aber fair-Stammpersonal und Ensemble-Mitglieder der ZDF Heute Show – Amthor, Hofreiter, Lauterbach. Vor Restaurants, TV-Studios und Event-Locations wie dem Zollpackhof parken die Limousinen des Bundestags-Fahrdienstes in zweiter Reihe.
Die Studio- und Spiele-Auswahl an diesem Abend ist deshalb kein Zufall: Denn das Rockfish-Team hat mit Everspace 2 eine Art Blaupause abgeliefert, wie hochwertige und erfolgreiche PC- und Konsolen-Games in Germany gelingen. Beim Deutschen Computerspielpreis im April gab es dafür den Pokal fürs ‚Beste Spiel‘ aus den Händen von Michael Kellner – Habecks Mann für Games im Wirtschaftsministerium, der auch diesmal zur versammelten Branche spricht.
Ein paar Meter weiter erklärt Martin Lorber dem Bundesdrogenbeauftragten Blienert, warum die umstrittenen Lootboxen im Fußballspiel EA Sports FC 24 völlig zu Unrecht umstritten sind. Lorber ist beim US-Publisher Electronic Arts für Jugendschutz und Public Affairs (sprich: Lobby-Arbeit) zuständig – und somit als gelernter Außenverteidiger für Deutschlands meistgekauftes Computerspiel im Einsatz.
An der Konsole duelliert sich währenddessen Saskia Esken mit Michael Kellner, der nach wenigen Sekunden unverschuldet in Führung geht, weil die SPD-Chefin zielsicher ein Eigentor verwandelt. Dann will Kellner wissen, wie er seinen Kader mit Toni Kroos verstärken kann. Die Frage zielt auf Lootboxen ab, denn in den Gold-, Silber- und Bronze-Packs sind Kicker zufälliger Güte enthalten, von Kreis- bis Weltklasse. Kroos kommt im Spätherbst seiner Karriere immer noch auf eine 86 von 100. Die Wahrscheinlichkeit, den sechsfachen Champions-League-Sieger zu ‚ziehen‘: homöopathisch.
Genau darauf basiert das Modell von EA Sports FC: Wer mehr ausgibt, hat öfter Glück – und erhöht damit die Tor-Chancen im Online-Modus Ultimate Team.
Lorber setzt zum Konter an: Geldeinsatz hin oder her – entscheidend bleiben die Skills am Gamepad. Wer sich Usain-Bolt-Schläppchen zulegt, läuft ja auch nicht zwangsläufig die 100 Meter in unter 10 Sekunden. Was Lorber nicht sagt: Geld schießt Tore und passt passable Pässe – das gilt natürlich auch für digitales Spielermaterial.
Dass Electronic Arts beim Sommerfest Flagge zeigt, ist also ebenfalls kein Zufall: Lootboxen sind wieder ins Visier von Jugend- und Verbraucherschützern geraten, die Nervosität ist spürbar. Wenn Deutschlands Drogenbeauftragter öffentlich ein Beuteboxen-Verbot für Minderjährige fordert, dann besteht akuter Handlungs- und Redebedarf.
Eine drohende Regulierung würde Electronic Arts – einen der größten Game-Beitragszahler – hart treffen. 80 Prozent des Konzern-Umsatzes entfällt auf ‚Live Services‘, allem voran EA Sports FC und Madden NFL. Hierzulande gibt es mit Blick auf Vermarktung und Vertrieb exakt keine Auflagen. Die Justiz im benachbarten Österreich sieht Anzeichen für „illegales Glücksspiel“.
Für den gastgebenden Verband geht es also darum, drohendes Unheil abzuwehren und den Blick charmant auf die Segnungen von Videospielen zu lenken. Getreu dem Verbands-Motto „Gemeinsam machen wir Deutschland zum Herzen der Games-Welt“ – dem Nachfolger von „Unsere Mission ist es, Deutschland zum besten Games-Standort zu machen.“
Spätestens seit der Verbands-Flurbereinigung anno 2018 hat der umtriebige Verein gezielt seinen Aktionsradius vergrößert. In der Geschäftsstelle in der Friedrichstraße ist mittlerweile ein knapp 20köpfiges Team mit der Interessensvertretung von fast 500 Mitgliedern beschäftigt – Studios, Publisher, Agenturen, Kanzleien, Hochschulen, pipapo. Der Einfluss lässt sich allein an der Besetzung von Anhörungen und ‚Runden Tischen‘ mit Game-Personal, -Unternehmen und -Verbündeten ablesen.
Dass eine 10-Milliarden-€-Industrie nur eine einzige hauptberufliche Ständevertretung dieses Kalibers unterhält, kommt nicht so oft vor. In verwandten Branchen – etwa bei Film und TV – ist die Lobby-Struktur viel fragmentierter, weil sich Regisseure, Dokumentarfilmer, Drehbuchautoren, Kostümbildner oder Schauspieler ja mit ganz anderen Themen konfrontiert sehen als Verleiher, Kinobetreiber, Streaming-Dienste und Sender. Zuweilen liegen die Interessen diametral auseinander.
Der Game hingegen nimmt in Anspruch, alle gängigen Gewerke und Geschäftsmodelle abzudecken – vom Garagen-Startup bis hin zu Plattform-Betreibern und Digital-Konzernen.
Ohne den Game geht daher (fast) nichts in der Games-Republik Deutschland. Der Verband veranstaltet Gamescom und Devcom, kontrolliert das Altersfreigaben-Biz via USK, unterhält eine eigene Stiftung, sponsert lokale Konferenzen und Festivals, koordiniert Delegationsreisen zu Messen auf allen Kontinenten und schafft die rechtlichen Voraussetzungen, damit Spielehersteller künftig an ‚Privatkopien‘ mitverdienen. Selbst das Sommerfest wird nicht etwa von einem externen Party-Service, sondern von der verbandseigenen Game Events GmbH organisiert.
Am staatlichen Computerspielpreis lässt sich die Wertschöpfung durchdeklinieren: Der Verband als Co-Ausrichter beeinflusst Reglement und Jury-Besetzung, das Award-Büro ist an die Stiftung angedockt, die USK sichtet die Einreichungen und die Event-Tochter schmeißt neuerdings die Gala. Die Zeche für die Zeremonie zahlen Bund und Länder, das Preisgeld sowieso.
Im Sparring mit Parteien, Behörden und Medien hat es fraglos Vorteile, wenn anstelle von Zuständigkeits-Höllen und Meinungs-Kakophonien ein One-stop-hassle-free-Ansprechpartner existiert, der mit einer (möglichst abgestimmten) Stimme spricht. Das ist zwar längst keine Garantie, dass weiterhin Subventionen fließen und Gesetze im Sinne der Industrie gedeihen. Aber es hilft natürlich.
Ob das auch für die kommenden Monate gilt, in denen wichtige Weichenstellungen unter anderem mit Blick auf die Bundestagswahl erfolgen, wird sich nach der Sommerpause weisen, also Gamescom aufwärts.
Am Einsatz von Everspace 2-Macher Michael Schade wird es jedenfalls nicht scheitern.
Ein schönes Wochenende wünscht Ihnen
Petra Fröhlich
Chefredakteurin GamesWirtschaft
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