Mit einer Expertenanhörung zum Thema Lootboxen in der Berliner NRW-Landesvertretung erhöht Westlotto den Druck auf die Games-Branche.
Update vom 22. Februar 2024 (13:30 Uhr): Sind Lootboxen als Glücksspiel einzustufen – und wenn ja, was folgt daraus? Klare Antwort: Kommt drauf an.
Diese Linie zog sich am heutigen Vormittag durch Manuskripte und Powerpoint-Folien von Politikern, Wissenschaftlern und Jugendschützern, die auf Einladung des Glücksspiel-Unternehmens Westlotto an einer ‚Expertenanhörung‘ in der Hauptstadt-Vertretung des Landes Nordrhein-Westfalen teilnahmen.
Der Veranstaltung fern geblieben sind Spielehersteller sowie der Branchenverband Game – nach eigener Darstellung ist es dem Veranstalter trotz „intensivem Bemühen“ nicht gelungen, die Industrie-Perspektive auf die Bühne zu holen. Die Verbands-Position (PDF) ist seit 2019 unverändert und sieht bei Lootboxen weiterhin keinen Handlungsbedarf.
- Anders der Bundes-Drogenbeauftragte: Burkhard Blienert (SPD) sprach sich in seinem Grußwort dafür aus, dass Lootboxen-Spiele einer Regulierung unterliegen und nicht für Minderjährige zugelassen sein sollten: „Aus meiner Sicht sind die Risiken für Jugendliche vorhanden und sollten nicht wegdiskutiert werden.“
- Die Bundestagsabgeordneten Anna Kassautzki (SPD) und Fabian Gramling (CDU) – beide in der aktuellen Top 10 der relevanten Games-Politiker – wählten einen anekdotisch aufgeladenen Mittelweg, der sich zwischen Chancen, Risiken und Nebenwirkungen von Computerspielen hindurchschlängelte.
- Linda Scholz von der Fachstelle für Jugendmedienkultur NRW ging in ihrem Vortrag auf die Fülle an gängigen, oftmals perfiden Monetarisierungs-Mechaniken in Games ein, die vielfach in Kombination auftreten.
- Prof. Dr. Gerhard Bühringer von der TU Dresden sieht die Glücksspiel-Merkmale bei Lootboxen erfüllt: Er kommt zu der Erkenntnis, dass sie „wahrscheinlich riskant für Minderjährige“ und dazu geeignet sind, junge Menschen an Glücksspiel zu gewöhnen. Mögliche Auswege: Die Spiele sollten nur älteren Jugendlichen und Erwachsenen zugänglich gemacht werden – auch der Kauf von Spielkarten-Packs sowie Geldeinsätzen könnte begrenzt werden.
- Ethiker Max Tretter von der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg stellte die fließenden Übergänge zwischen Gambling und Gaming heraus – die dazu führen könnten, dass sich Glücksspiel- und Videospiel-Abhängigkeiten wechselseitig verstärken, während gleichzeitig die positiven Effekte von Games (strategisches Denken, Durchhaltevermögen etc.) verloren gehen.
- Der stellvertretende USK-Geschäftsführer Lorenzo von Petersdorff nutzte die Gelegenheit, um auf die jüngste Jugendschutzreform einzugehen – die unter anderem dafür sorgt, dass im vergangenen Jahr die Altersfreigabe vieler Games mit Online-Komponente gestiegen ist.
- Jurist Robin Anstötz vom Institut für Glücksspiel und Gesellschaft (GLÜG) fächerte die vielfältigen rechtlichen Fragen rund um Lootboxen auf – von der Abgrenzung zum Glücksspiel über formale Zuständigkeiten bis hin zur internationalen Lage, etwa in Österreich.
- Im Abschlussvortrag berichtete Thomas Salzmann, stellvertretender Direktor der Bundeszentrale für Kinder- und Jugendmedienschutz, aus der ‚Zukunftswerkstatt‘, in der Expertinnen und Experten über den Umgang mit Lootboxen und anderen Nutzungsrisiken beraten.
An der von Westlotto intensiv beworbenen Veranstaltung hatte es im Vorfeld Kritik mit Blick auf die fachliche Zuständigkeit gegeben – gegen die der Lotterie-Anbieter mit der eigenen Glücksspiel-Expertise und der Sorge um den Jugendschutz argumentierte. Wahr ist aber auch: Durch die Bandbreite an ausgewogenen Profi-Perspektiven ergab sich für Teilnehmer und Zuschauer zweifellos ein Erkenntnisgewinn.
Update vom 13. Februar 2024 (13 Uhr): Deutliche Kritik an der Westlotto-Lobbyarbeit kommt vom Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Wirtschafts- und Medienrecht der Universität Rostock: Professor Dr. Jörn Lüdemann hält die rechtspolitischen Aktivitäten gar für „rechtswidrig“ – zumal das staatliche Lotterie-Unternehmen einen küchenfertigen Gesetzentwurf zur Regulierung von Lootboxen vorgelegt habe.
Nach der Auffassung des Rechtswissenschaftlers erschöpfe sich die Zuständigkeit von Westlotto mit dem eigenen Spielangebot und dem Schutz der Spielerinnen und Spieler vor Risiken und Nebenwirkungen des Glücksspiels.
Lüdemann: „Es ist unzulässig, dass ein staatliches Unternehmen sich eigene politische Ziele setzt und eigenmächtig öffentliche Gelder einsetzt, um eine Rechtsanwaltskanzlei mit der Ausarbeitung eines Gesetzentwurfes zu beauftragen. Dass ein staatliches Unternehmen eine strengere Regulierung privater Unternehmen in einem Nachbarmarkt fordert, macht die Sache noch fragwürdiger.“
Westlotto lobbyiert gegen Lootboxen
Meldung vom 13. Februar 2024: Mit gelebter „unternehmerischer Verantwortung“ und der Sorge um den Jugendschutz begründet die Westdeutsche Lotterie GmbH & Co. OHG (kurz: Westlotto) mit Sitz in Münster, warum das Unternehmen zunehmend ein Feld beackert, das außerhalb der eigenen Geschäftstätigkeit (Lotto, Toto, Keno, Rubbel-Lose) liegt: Computerspiele mit verbauten Lootboxen.
Besagte ‚Beuteboxen‘ sind bei Verbraucher- und Jugendschützern umstritten, für die Hersteller indes höchst lukrativ und bei der Kundschaft populär. Durch den Erwerb solcher Digital-Pakete lassen sich Zufallsinhalte freischalten. Bekanntester Vertreter ist das Fußballspiel EA Sports FC 24 (zuvor: FIFA) von Electronic Arts: Je höher der Geld-Einsatz, desto größer die Chance auf Weltklasse-Spieler, die den eigenen Kader und damit die Chance in Online-Turnieren verbessern. Der daraus resultierende „Handlungsdruck“ ist ein Grund, warum das Spiel in Deutschland ab 12 Jahren freigegeben ist.
Österreichische Gerichte verorten Lootboxen mittlerweile als illegales Glücksspiel und haben die Anbieter zur Erstattung der Einsätze verurteilt. Auch in deutschen Bundesländern regt sich parteiübergreifender Widerstand: Schleswig-Holstein hat im Koalitionsvertrag eine stärkere Regulierung auf Bundesebene verabredet. Erst im Januar hat die Bremer Bürgerschaft mit den Stimmen von SPD, Grünen und Linken einen Antrag verabschiedet, der ein bundesweites Verbot von Lootboxen vorsieht.
Bereits im Herbst 2023 hatte Westlotto ein eigenes Positionspapier mit mehreren Vorschlägen vorgelegt, wie sich Lootboxen regulieren ließen – inklusive Spieler-Registrierung, Werbe-Einschränkungen und einer auffälligeren Kennzeichnung von Games mit Lootboxen. Der Branchenverband Game nahm den Vorstoß „irritiert“ zur Kenntnis – und bezichtigt die Glücksspiel-Lobby, von einer „sachfremden Vermischung von Games und Glücksspielen profitieren zu wollen“.
Jetzt geht Westlotto den nächsten Schritt: Am 22. Februar 2024 organisiert der staatliche Glücksspiel-Anbieter eine Expertenanhörung in der Vertretung des Landes Nordrhein-Westfalen in Berlin. Thema: „Jugendschutz in digitalen Spielen“. Schirmherrschaft: NRW-Bildungsministerin Dorothee Feller (CDU).
Die Vorträge und Experten-Runden sind hochkarätig besetzt: Geladen sind der Drogenbeauftragte Burkhard Blienert (SPD), die Bundestagsabgeordneten Anna Kassautzki (SPD) und Fabian Gramling (CDU) sowie die Forscher Prof. Dr. Gerhard Bühringer (TU Dresden) und Max Tretter (Friedrich Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg). Die Bundeszentrale für Kinder- und Jugendschutz (BzKJ) schickt mit Thomas Salzmann ihren stellvertretenden Direktor.
Bemerkenswert: Das Programm der Expertenanhörung sieht keine Vertreter der Games-Industrie vor – weder Branchenverband noch Spiele-Hersteller sitzen auf dem Podium. Die „Bewertung der aktuellen Rechtslage und Perspektive“ übernimmt Lorenzo von Petersdorff, stellvertretender Geschäftsführer der Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle (USK).
Die Veranstaltung wird auch per Livestream übertragen – Anmeldungen sind bis zum 15. Februar 2024 möglich.
Ich teile Prof. Lüdemanns Einschätzung.
Am Ende will Westlobby nur an dem riesengroßen Markt von Lootboxen mitverdienen. Dabei wird das Glücksspielelemwnt vollkommen überbewertet. Der Wert der Karten im Außenbereich steht nicht im Vordergrund, sondern der Wert der Karten/Gegenstände im Spiel. Die wenigsten verkaufen ihre Karten/Gegenstände, auch weil sie das bei den meisten Spielen gar nicht können oder dürfen.
Am Ende müsste man so jedes Kartenstapel wie Pokemon, Yu Gi Oh und MTG als Glücksspiel einstufen. Das läger fern jeder lebensrealität.
Ist man hier tatsächlich um den Jugendschutz besorgt oder will man zukünftig mit Lizenzen bzw. einem eigenen Shopsystem welchem sich die Games-hersteller zukünftig unterwerfen müssen einfach nur kräfitg mitverdienen?
Das riecht ziemlich nach Monopolisierung
Kommentarfunktion ist geschlossen.