Warum laufende Kriege, Konflikte und Katastrophen niemals Gegenstand kommerzieller Games sein sollten – heute am Beispiel von Death From Above.
Verehrte GamesWirtschaft-Leserin,
verehrter GamesWirtschaft-Leser,
„Echt jetzt?“
So lautete meine erste Reaktion, als gestern am späten Nachmittag die Pressemitteilung zu Death From Above eintraf. Ein Münchner Studio hat ein bereits in Entwicklung befindliches PC-Drohnen-Spiel aus aktuellem Anlass umlackiert und den Schauplatz kurzerhand in die umkämpfte Ukraine verlagert.
Die Aufgaben des Spielers: tödliche Fracht über russischen Soldaten und Panzern abwerfen, patrouillieren, Ausrüstung einsammeln – also die Arcade-Version jener verschwommenen, Schwarz-Weiß-Third-Person-Ästhetik, wie sie tagtäglich in den Twitter-Trends, in Talk-Shows oder in Online-Lagebericht-Videos zu besichtigen ist.
Das Geld, das in den kommenden vier Wochen auf der Plattform Kickstarter zusammen kommt, wird zunächst vollumfänglich für die Fertigstellung des Produkts ausgegeben. Erst ab Veröffentlichung aufwärts soll ein Teil der Erlöse an zwei Organisationen weitergeleitet werden – und zwar an die Aktion „Army of Drones“ (betrieben von der ukrainischen Armee) und an das Projekt Come Back Alive.
Death From Above sei daher nicht nur ein schnödes Computerspiel, sondern solle auch einen „impact“ leisten. Sagt das Studio, das die Spielidee als „bewusste Auseinandersetzung mit einem schwierigen Thema“ verkauft und eine etwaige Kontroverse PR-technisch von Anfang an einpreist (was zum Beispiel in Form dieser Kolumne schon mal ganz gut geklappt hat).
Das Versprechen der Entwickler: „Du kannst sicher sein, dass dein Kauf zu einem guten Zweck beiträgt.“ Es spricht viel dafür, dass die Death From Above-Macher diese Deutung ziemlich exklusiv haben. In den Reaktionen auf die gestrige Ankündigung habe ich zumindest niemanden wahrgenommen, der sinngemäß festgestellt hat: „Das ist ja mal eine richtig, richtig tolle Idee – hier wird ein wertvoller und sinnstiftender Beitrag geleistet. Endlich lenkt mal jemand die mediale Aufmerksamkeit auf die Defensiv-Leistung der wackeren Ukrainer.“
Dass sich ein Computerspiel auf eine laufende Tragödie setzt, kommt selten vor. Üblicherweise läuft es nämlich umgekehrt: Ein schlimmes Ereignis führt dazu, dass Games- und Film-Schaffende ihre Produkte oder deren Vermarktung anpassen.
Als im September 2001 die Zwillingstürme in Manhattan kollabierten, hat die Branche umgehend reagiert: In einem Spider-Man-Spiel wurde zum Beispiel die Schluss-Szene umgebaut, die auf dem Dach des World Trade Centers spielte. Microsoft entfernte das Gebäude aus dem Flight Simulator und verunmöglichte es, dass sich Flugzeuge absichtlich in Wolkenkratzer lenken ließen. Rockstar Games hat last-minute mehrere Elemente in Grand Theft Auto 3 angepasst, das in einem fiktiven New York spielt und nur wenige Wochen nach 9/11 auf den Markt kam.
Jetzt also Death From Above, der ‚Tod aus der Luft‘. Hinter dem Projekt steckt der Münchener Unternehmer und Spiele-Produzent Hendrik Lesser, der als Logo für das frisch gegründete Label Lesser Evil aus pragmatischen Gründen sein stilisiertes Konterfei gewählt hat. Ziel des Projekts nach eigener Darstellung: Spiele mit Haltung und Botschaft – schließlich seien Gaming ein politisches Medium.
Dieser These würde ich dahingehend zustimmen, dass es erstens seit jeher eine ganze Reihe großartiger Spiele gibt, die sensible Stoffe mit viel Fingerspitzengefühl behandeln – eine fantastisch kuratierte Übersicht liefert die Datenbank der Stiftung Digitale Spielekultur.
Zweitens haben die Marketing-Abteilungen kleiner und großer Spiele-Hersteller üblicherweise ein ganz okayes Gespür dafür, wann es angezeigt ist, einfach mal eine kommunikative Schweigeminute einzulegen oder auf die gewohnten Gamescom-Panzer samt uniformierter Hostessen zu verzichten. Oder sich – wie eingangs des Ukraine-Kriegs – recht klar zu positionieren.
So twitterte der deutsche Branchenverband am Nachmittag des 24. Februar 2022: „Wir sind bestürzt über die Nachrichten aus der #Ukraine und in Gedanken bei den Menschen wie unseren Freunden und Partnern aus der ukrainischen Games-Branche. #Solidarität #SolidaritaetmitderUkraine“
Für diesen Tweet gab es 59 ‚Gefällt mir‘-Likes – eine darüber hinaus gehende Positionierung hat seitdem nicht stattgefunden. Immerhin: Gemeinsam mit der Koelnmesse unterstützte der Verband eine Sprachlern-App für geflüchtete Kinder mit 5.000 €; ukrainische Entwickler konnten sich zudem kostenlose Gamescom-Standflächen und Gratis-Devcom-Tickets sichern.
Gleichwohl reden wir immer noch von einer umsatz- und gewinnorientierten, (überwiegend) börsennotierten Branche. Weshalb ich die nicht wirklich steile Behauptung aufstellen würde, dass die Industrie in Summe immer dann politisch handelt, solange es nicht allzu sehr weh tut – allen voran den Anteilseignern.
In diesem Zielkonflikt unterscheidet sich das Games-Gewerbe nicht wesentlich von marktführenden Rekordmeistern – einige Beispiele:
- Dass China den weltgrößten Spiele-Hersteller stellt, hat sich bis ins politische Berlin herumgesprochen: Tencent-Töchter bauen und betreiben einige der meistgespielten Games, von League of Legends bis Clash of Clans. Erst im vergangenen Herbst hat Tencent der Ubisoft-Gründerfamilie eine langfristige Beteiligung abgekauft.
- Die lupenreine Monarchie Saudi-Arabien hält Anteile an ungefähr allen großen Publishern, von Activision Blizzard über Take-Two und Embracer bis hin zu Nintendo. Der Kronprinz kontrolliert mit ESL Faceit außerdem den wichtigsten E-Sport-Veranstalter.
- Das seit Jahren meistverkaufte PC- und Konsolenspiel zahlt unmittelbar auf die Marke und das Konto einer Organisation ein, die mit Bestechung und Korruption assoziiert wird (zur Sicherheit: gemeint ist die sehr gemeinnützige FIFA, nicht Electronic Arts).
Natürlich waren, sind und bleiben Games immer (auch) politisch – genauso wie ein Top Gun: Maverick auf seine Art politisch ist, wenn er zwei Stunden lang die US Air Force feiert. Ich finde allerdings, dass Kulturschaffende konkrete, zumal anhaltende Kriege, Konflikte und Katastrophen nicht zum Gegenstand ihrer kommerziellen Produkte machen sollten. Niemals. Weil dies unabhängig von kolportiert besten Absichten zwangsläufig ein Trittbrettfahrer-Gschmäckle triggert.
Das hat dann auch ungefähr nichts mit Haltung oder Botschaft zu tun, sondern schlichtweg mit Anstand, Empathie und der Erkenntnis, dass ein buntes Highscore-Ballerspiel dem Ernst der Lage nicht gerecht wird. Und da spielt es auch keine Rolle, ob am Ende 10, 50 oder 100 Prozent der Erlöse an ausgewählte Organisationen fließen.
Ein schönes Wochenende wünscht Ihnen
Petra Fröhlich
Chefredakteurin GamesWirtschaft
Wenn Sie den Menschen in der Ukraine helfen möchten: Die Spendenkonten der einschlägigen Hilfsorganisationen finden Sie hier.
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Auf jeden Fall polarisierend. Das „Echt Jetzt“ war auch meine erste Reaktion. Nicht ganz wahr, das erste, bevor ich das Spiel sah, war „Cooler Name, Lesser Evil, Hendrik.
Dann aber etwas drüber nachgedacht. Das Panzer mit Traktor klauen Spiel fand ich witzig, wenn auch makaber. Das nun geht eine oder vier Stufe weiter. Ob ich das spielen werde? Weiß nicht. Aber, was das Spiel tut ist, es weist hier ganz klar Gut und Böse zu, eine Positionierung, die das Team wohl auch im Sinn hatte. Ein Teil des Informationskrieges.
Ich bin mir noch nicht sicher, wie sich meine Meinung zum Spiel selbst entwickelt, den neuem „Im Westen nichts Neues“ habe ich nicht geschaut, weil uns hier die Geschichte einholt, aber mutig ist das auf jeden Fall.
Hi Petra,
Kann deine Argumente nachvollziehen, teile deinen
Standpunkt in diesem Fall aber nicht.
Ich finde es mutig und unterstützenswert. Haltung zeigen, für unsere Werte und Demokatie einzustehen – auch und gerade über das Medium Computerspiel – finde ich super, wenn sich ein unabhängiger Entwickler hier aus der Deckung wagt.
Wir sollten unsere Werte niemandem aufdrücken – mit Kulturimperialismus sollten Europäer hoffentlich durch sein.
Wir sollten aber auch aufpassen, dass wir vor lauter Empathie, Betroffenheit, Rücksichtnahme und Toleranz nicht eine Stille erzeugen, die dann von Propaganda aus Seiten gefüllt wird, denen ich lieber nicht den öffentlichen Raum überlassen will. Da sollte man ruhig mal lautstark Farbe bekennen.
In Sachen Spielinhalt hätte ich persönlich vermutlich eine andere Richtung eingeschlagen. Das Projekt an sich finde ich aber mutig und goldrichtig.
Viele Grüße,
Andre
Vielen Dank für dein Feedback, André. Haltung zu zeigen, ist wichtiger denn je – dass das in und mit Games möglich ist, zeigen ja hinreichend Beispiele.
Projekte zu laufenden Konflikten wandeln auf absurd schmalem Grat – immer auch mit dem Risiko, dass Setting und Botschaft mit etwas ‚Pech‘ von der Realität eingeholt werden. Die Argumentation, dass ‚Awareness‘ geschaffen werden solle und müsse, ist im Kontext mit der Ukraine mE nicht nachvollziehbar – es gibt historisch wohl wenige Beispiele, in denen es global mehr Awareness für einen Krieg gab und gibt (in jeder Hinsicht).
Viele Grüße
Petra
toller Meinungsbeitrag, stimme voll und ganz zu.
Dieses Spiel ist ein bisschen eine Schande, und Profitieren von den Ereignissen ist bestenfalls geschmacklos.
Vielleicht sollte jemand Lesser sagen, dass das Lesser Evil immer noch evil ist.
Pauschal möchte ich erstmal festhalten, dass Spiele zu allem aber zu allem da sind, außer eine politische Meinung zu verbreiten. In erster Linie geht es um den Spaß und etwas, dass man aktiv in seiner freien Zeit tun sollte.
Von daher finde ich diese Ankündigung ganz ganz schwierig!
Aber das sind mal wieder wir Deutschen, Fingerspitzengefühl eines Tiegerpanzers wenn es um aktuelle Themen geht …
Das ist ein nachvollziehbarer, aber frommer Wunsch, dass sich Spiele, Filme, Serien, Sport, Musik, Events etc. losgelöst von weltpolitischen, kulturellen oder moralischen Vorstellungen betrachten lassen (die sich von Land zu Land, zuweilen von Region zu Region unterscheiden).
Zwillingstürme 2021?
Gefixt 😉
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