Die Games-Industrie boomt – davon sollten eigentlich auch die Aktien der großen Publisher in Europa, Asien und den USA profitieren. Eigentlich.
Verehrte GamesWirtschaft-Leserin,
verehrter GamesWirtschaft-Leser,
wenn uns der sechsreichste Mensch des Planeten (nach Musk, Arnault, Bezos, Adani und Gates) an seinem Erfahrungsschatz teil haben lässt, lohnt es sich, genauer hinzuhören. Zu den vielen Weisheiten von Warren Buffet zählt folgender Tipp: Man solle bitteschön nur Aktien von Firmen und Branchen kaufen, deren Portfolio und Geschäftsmodell man auch wirklich versteht.
Also: Wer sind die wesentlichen Akteure, wer produziert was mit welchen Margen, wer hat welchen Marktanteil, welches Unternehmen hat die heißesten Eisen im Feuer – plus Personal und Kapital, um Produkte zum Erfolg zu führen?
In meinem Fall wäre das mit hinreichender Wahrscheinlichkeit die Games-Industrie. Ich würde in Anspruch nehmen, sowohl den Markt als auch wesentliche Trends und die mannigfaltigen Monetarisierungs-Ideen einigermaßen durchdrungen zu haben – bin mir aber gleichzeitig sicher, trotzdem (oder gerade deswegen) sehr zuverlässig daran zu scheitern, mit der Anlage in Spielefirmen an der Börse substanzielle Profite zu erwirtschaften.
Huch, was spricht denn bitteschön gegen Videospiele? Ein Gewerbe mit immerhin dreistelligen Milliarden-Umsätzen, das von einem Rekord zum anderen eilt und andere Entertainment-Industrien pulverisiert? Lootboxen, Apps, Virtual Reality, die Cloud, NFTs, E-Sport, das Metaverse! Was soll da schief gehen?
Der Knackpunkt ist, dass es sich nach wie vor um ein Hit-Geschäft handelt. Nur ganz wenige Produktlinien und Neuheiten sind kommerziell so vorhersehbar wie FIFA. Selbst Läden mit überwältigendem Trackrecord und einem Schatzkästlein an Marken und Daten bauen Produkte, die einfach nicht fliegen. Zu früh, zu spät, zu me-too. In dieser Woche hat die Tencent-Sparte Supercell zum Beispiel das Mobilegame Everdale eingestellt. Da sind die Finnen ja sehr rigoros, indem sie zügig ihre Darlings killen. Was nicht performt, fliegt. Eher früher als später.
In einer Branche, die hart ins Risiko geht (gehen muss), fällt es gerade Insidern schwer, auf die ‚richtigen‘ Pferde zu setzen. Richtig problematisch wird es, wenn die Produkt-Pipeline auszutrocknen droht – wenn also das One-Trick-Pony Schwierigkeiten hat, neue Kunststücke zu lernen.
Meine Erfahrung: Positive wie negative Entwicklungen (Übernahmen, Verschiebungen, Personalien etc.) lassen sich von außen kaum seriös antizipieren. Wer noch am 17. Januar vorausgesagt hätte, dass Microsoft einen Tag später robuste 70 Milliarden Dollar für Activision Blizzard bietet, wäre sehr wahrscheinlich für unzurechnungsfähig erklärt worden. Auch Stand heute vermag niemand vorherzusagen, wann, ob und unter welchen kartellrechtlichen Auflagen der Deal überhaupt zustande kommt.
Fünf prominente Beispiele, wie kompliziert die Auswahl geeigneter Aktien in der Praxis ist:
Sony könnte locker doppelt so viele PlayStation 5-Konsolen verkaufen, hat aber zu wenige Chips und zu hohe Kosten. Schade. Gleichzeitig dümpeln die PlayStation-Nutzerzahlen vor sich hin, wie sich im Geschäftsbericht nachlesen lässt. Und: Wer Sony-Anteile kauft, bekommt eben nicht nur Games, sondern einen halben MediaMarkt mit dazu – Fernseher, Kameras, Handys. Entscheidend ist das Timing, wie so oft: Innerhalb von zehn Jahren hat sich der Börsenwert verzehnfacht – wer aber erst zum Jahreswechsel eingestiegen ist, hat ein Drittel verloren.
Modern Times Group (MTG) hat es in all den Jahren nicht hinbekommen, mit der Ausrichtung von ESL-E-Sport-Veranstaltungen und -Ligen auf Jahressicht kein Geld zu verbrennen. Mit dem Wüstenstaat Saudi-Arabien, wo man offenkundig nicht weiß, wohin mit all der fossilen Kohle, haben die Schweden einen Käufer gefunden, der ihnen die Last für eine Milliarde Dollar von den Schultern nimmt. Bei der Hamburger MTG-Tochter InnoGames laboriert man seit Jahren an einem möglichen Forge of Empires-Thronfolger.
Die Embracer Group kauft alles, was nicht niet- und nagelfest ist. Studios, Dienstleister, Comic-Verlage, Herr der Ringe, Lara Croft. Treibende Kraft der schwedischen Shopping-Queen: CEO Lars Wingefors, für den 14.000 Beschäftigte arbeiten. Auch hier ist Saudi-Arabien neuerdings im Boot. An der Börse ist das Zutrauen hingegen geschwunden, trotz milliardenschwerer Deals: Das Papier befindet sich bereits seit Mitte 2021 auf einem strammen Abwärtskurs.
Nintendo ist der einzige der drei Konsolenhersteller, der wirklich nur Games ‚kann‘ – das aber dafür besonders gut. Die Switch ist ein Megahit, doch Nintendo lag vor gar nicht mal so langer Zeit auch schon sehr fürchterlich daneben – Stichwort Wii U. Mit der Folge, dass Topmanager im Nachgang von einem „Alles oder nichts“-Moment sprachen. Gut gegangen. Diesmal. Mit 5 Prozent in Nintendo investiert – Sie ahnen es: Saudi-Arabien.
Bei Ubisoft ist eigentlich immer was los – die Stimmung oszilliert zuverlässig zwischen himmelhochjauchzend und zu Tode betrübt. Starke Umsatz-Jahrgänge wechseln sich mit irren Skandalen ab. Seit dem jüngsten Tencent-Einstieg und -Langzeit-Bekenntnis ist die Übernahme-Fantasie auf absehbare Zeit raus: Die Ubi-Aktie ist in den vergangenen Wochen nahezu ungebremst weggesackt.
Egal ob Electronic Arts, Take Two, Nacon, Stillfront, Tencent, Team17, CD Projekt, Unity oder Roblox: Wirklich substanziell Geld verdienen konnten Gaming-Anleger in den vergangenen ein, zwei Jahren nicht – trotz historischem Corona-Branchen-Boom. Dass die Aktien zeitnah wieder frühere Kurse sehen, ist eher unwahrscheinlich: Globale Konjunktur-, Rezessions- und Inflationssorgen sorgen vorerst für Verunsicherung bei Verbrauchern und Investoren.
Nun ist die Games-Industrie natürlich nicht mehr und nicht weniger chancen- und risikobehaftet als etwa der Automobil-Sektor, der Einzelhandel (hallo Zalando) oder Konsumgüterhersteller wie Adidas und Puma, die zuletzt heftig von den Börsianern verprügelt wurden.
Ich würde nur heftig davor warnen, vermeintliche Branchen-Expertise mit Blick auf die Trefferquote zu überschätzen. In Ergänzung eines bekannten Bonmots: Prognosen sind schwierig – vor allem, wenn sie die Zukunft betreffen. Und die eigene Zunft.
Ich selbst habe übrigens keine Aktien in der Games-Industrie, buchstäblich – zuvorderst aus selbstauferlegten Compliance-Gründen. Was im Umkehrschluss natürlich heißt, dass es im Depot nur so vor Positionen wimmelt, von deren Business ich nur halb so viel Ahnung habe. Bestenfalls.
Ein schönes Wochenende und ein allzeit glückliches Händchen an der Börse wünscht Ihnen
Petra Fröhlich
Chefredakteurin GamesWirtschaft
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