Einige der meistverkauften PlayStation-Spiele gehören demnächst zu Microsoft. Das kann Sony Interactive nicht egal sein. Nur: Was tun?
Verehrter GamesWirtschaft-Leser,
verehrte GamesWirtschaft-Leserin,
in den vergangenen 72 Stunden hat der japanische 85-Milliarden-Dollar-Umsatz-Unterhaltungselektronik-Konzern Sony eine ganze Menge liebevoller Tipps erhalten, was er jetzt dringend zu tun habe.
Anlass: die 70-Milliarden-Dollar-Bombe, die Mitbewerber Microsoft am Dienstagnachmittag gezündet hat. Der Xbox-Hersteller will den Spielegiganten Activision Blizzard übernehmen (immer vorbehaltlich des Okays der Behörden). Wenn die 20-Uhr-Tagesschau über einen Vorgang in der Games-Industrie berichtet, muss er wichtig sein.
Die fundierten Ratschläge fürs PlayStation-Lager kommen von allen Seiten: Analysten, Investoren, Medien, Kunden. In einer GamesWirtschaft-Blitzumfrage plädierte jeweils ein Drittel der Teilnehmer für den zügigen Zukauf von Electronic Arts (Marktwert: ca. 35 Mrd. $) oder Ubisoft (7 Mrd. €). Ansonsten halt Square Enix. Oder Capcom.
Wie schnell sich die Gemengelage in dieser irren Branche doch ändert: Noch am Dienstagmorgen hätte man ungefähr jeden für bekloppt erklärt, der den Activision-Blizzard-Stunt ernsthaft als realistisches Szenario einstuft. Zu surreal wirkte die Vorstellung.
Auch die Börse hat die Meldung kalt erwischt: Der Kurs der Sony-Aktie ist infolge der Ankündigung einfach senkrecht nach unten weggekippt – 20 Milliarden Dollar Börsenwert gingen über Nacht in die Binsen. Das Fachblatt Der Aktionär raunte: „Der Grund ist Angst“. Inzwischen haben sich die Anleger (und der Sony-Kurs) wieder ein bisschen vom Schock erholt.
Die Sorge gilt vor allem der Marke Call of Duty. Was aus Candy Crush Saga wird, dürfte der Kernklientel von Herzen wurscht sein – und vermutlich auch Sony. Doch der Shooter hat für den PlayStation-Markt nach wie vor überragende Bedeutung: Call of Duty Vanguard war 2021 der zweitmeistverkaufte Titel im PlayStation Store – und zwar sowohl in den USA als auch in Europa. Call of Duty Warzone liegt bei den Free2Play-Spielen auf Platz 3, ebenso wie Minecraft bei den PS4-Besitzern.
Bedeutet: Einige der meistverkauften und meistgespielten PlayStation-Spiele (und deren Entwickler) gehören künftig zu Microsoft – autsch.
Xbox-Boss Phil Spencer twitterte gestern, er habe in den vergangenen Tagen mit Sony-Führungskräften gesprochen. Man darf annehmen, dass dazu auch Jim Ryan zählt, der als Chef der Interactive-Sparte das PlayStation-Geschäft verantwortet. Spencers Botschaft: Microsoft werde alle bestehenden Abkommen zwischen Sony und Activision Blizzard respektieren (danke schon mal dafür). Und man hege den ‚Wunsch‘, Call of Duty auch weiterhin auf der PlayStation zu sehen.
Und weiter: „Sony is an important part of our industry, and we value our relationship.“ Ich helfe mal schnell bei der Übersetzung: „Wir können ja Freunde bleiben.“
Spencer kann solche Zusagen leichten Herzens tätigen. Denn das nächste Call of Duty, das voraussichtlich im November 2022 erscheint, ist ohnehin nicht vom Deal betroffen. Auch an der 2023-Auflage wird längst gearbeitet. Doch selbst ohne Xbox-Exklusivität wird die Lage für Sony ungemütlich – spätestens dann, wenn Call of Duty für lau im Xbox Game Pass integriert wird, während für den PlayStation-5-Besitzer einfach mal 80 € fällig werden. Bei Activision Blizzard wird zudem laut darüber nachgedacht, die Jahrestaktung zugunsten der Produktqualität für eine Saison auszusetzen – schon wieder autsch.
Bis Dienstag 14 Uhr waren die Japaner ja in einer vergleichsweise kommoden Situation: Die PlayStation 5 fliegt den Händlern aus den Hochregallagern – Horizon 2 (18.2.) und Gran Turismo 7 (4.3.) werden die Nachfrage zusätzlich befeuern. Die Produkt-Pipeline ist prall gefüllt; PlayStation VR2 sorgt für Fantasie.
Nichtsdestoweniger wird man in Tokio mit Sorge beobachten, dass sich derzeit auffallend viele langjährige Partner die Frage stellen: Wollen wir Käufer sein – oder Gekaufter? Was ist, wenn Microsoft oder Electronic Arts oder Take-Two weiter mit dem Scheckbuch durch die Gegend laufen? Ubisoft, CD Projekt oder Square Enix wären für einstellige Milliarden-Beträge zu haben.
Bei Sony gehören solche Deals nicht zur DNA: Die PlayStation-Abteilung hat bislang immer sehr gezielt Marken und Studios ins Warenkörbchen gepackt – hier mal eine Manufaktur, dort mal ein Indie-Entwickler, aber nie komplette Publisher mit großen (teuren) Vertriebs- und Marketing-Strukturen.
Während Microsoft durch den Zukauf adhoc eine Reihe offener Flanken schließt (etwa im Mobilegames-Sektor) und die Xbox Game Pass-Flatrate aufwertet, ist die Sony-Strategie extrem auf den Hardware- und Spiele-Absatz ausgerichtet: Die Hälfte der PlayStation-Umsätze entfiel zuletzt auf Konsolen, Zubehör und hauseigene Games.
Aber: Ein riesengroßer Batzen der Einnahmen – nämlich ein gutes Drittel – stammt eben auch aus ‚Add-on Content‘, also Provisionen für Ingame-Käufe und Erweiterungen. Zumindest ein Teil davon könnte künftig bei Microsoft landen, wo man ohnehin Zugang zu Hunderten Millionen Activision-Blizzard-Bestandskunden bekommt – autsch, again.
Was wird, was muss Sony also tun? Einfach abwarten und Matcha schlürfen? Unwahrscheinlich. Jeder vierte Yen in der Sony-Bilanz kommt aus der Games-Sparte.
Meine These: Mit Blick auf den stramm wachsenden Xbox Game Pass mit schon jetzt 25 Millionen Kunden wird Sony Interactive beim Online-Dienst PlayStation Plus nachlegen (müssen), der zwar 47 Millionen zahlende Kunden zählt, aber nicht so richtig aus dem Quark kommt. Die Verheiratung mit dem vor sich hin irrlichternden Streaming-Dienst PlayStation Now (3,2 Millionen Nutzer) ist nur eine Frage der Zeit.
Zweitens braucht Sony endlich eine zündende Idee für Streaming und Cloud-Gaming, wo man ja ausgerechnet auf Microsofts Azure setzt. Außer Ankündigungen ist seit 2019 wenig vorangegangen.
Und vielleicht sind drittens auch neue Zugänge ins PlayStation-Universum überfällig – denn dafür werden derzeit mindestens 400 € beim Kauf der kaum verfügbaren PS5 Digital Edition fällig. Sony hat darauf verzichtet, das vermeintliche Auslaufmodell PlayStation 4 analog zu Microsoft und Nintendo mit einem Preispunkt in der 280-€-Region zu positionieren – vor dem Hintergrund des pandemie-bedingten Chipmangels möglicherweise ein Versäumnis. Es fehlt schlichtweg ein seriöses Angebot für preissensible Kunden, die sich offenbar anderweitig orientieren. Ein Indiz: Die Zahl der monatlich aktiven Nutzer des PlayStation Networks war zuletzt drei Quartale in Folge rückläufig.
Wir lernen: In der PlayStation-Sparte gibt es eine Reihe von Baustellen, die durch den Microsoft-Deal lediglich etwas stärker zutage treten. Ich bin gespannt wie ein Flitzebogen, ob Sony eine Reaktion zeigt – und wenn ja: welche.
Ein schönes Wochenende wünscht Ihnen
Petra Fröhlich
Chefredakteurin GamesWirtschaft
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Immer unterhaltsam und pointiert, ihre Texte, Frau Fröhlich. Der GamesWirtschaft-Newsletter ist einer von zwei Newslettern, die ich abonniert habe. Wollte ich einfach mal da lassen. Freue mich Freitagabend immer auf die E-Mail.
Vielen herzlichen Dank!
Word. 👌
Sony kann nicht wirklich etwas dafür. Es ist ja nicht so, dass sie sich ausgeruht haben, im Gegenteil, es wurden kleine bis mittelgroße Studios letztes Jahr gekauft, die nunmal eine Erweiterung des Portfolios sein sollen, diese Methode ist ja auch eigentlich sehr zielführend.
Die gigantischen Übernahmen von MS waren ja eigentlich nur möglich, weil sie von der Corona Pandemie und ihrem florierenden Cloud Geschäft so profitiert haben. Also könne man jetzt etwas spekulieren und sagen „ohne Corona wäre MS nicht so reich“, was wieder zur Frage führt, ob die größten Profiteure der Krise nicht mehr abgeben sollten. Aber das schweift wohl zu sehr ab.
Was im Artikel vergessen wird zu erwähnen ist, dass der reine Börsenwert nicht der Kaufpreis ist, man muss nochmals mit mindestens 30-50% „Premium“ dazurechnen, aufgrund dem Wertes der einzelnen Marken, sodass die Lage für Sony immer schwieriger wird, da sie nunmal nicht so hohe Cash-Resesrven aufweisen wie MS.
Mir macht das ganze ziemliche Angst, ich will nicht noch ein weiteres Microsoft Monopol, weshalb ich ja immer noch hoffe, dass die US Börsenaufsicht die Übernahme nur durch Auflagen erst genehmigt, wie bspw. „5 Jahre Beobachtung und keine Verzerrung des Wertbewerbs bei der Distribution von Spielen“….mal sehen ob wir diesbezüglich noch was hören werden.
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