Vier Jahre nach Anno 1800 bringt Ubisoft Blue Byte mit Die Siedler: Neue Allianzen wieder ein neues Spiel auf den Markt. Wie tickt Deutschlands größter Studio-Verbund?

Ziemlich genau fünf Jahre ist es her, da wagte Benedikt Grindel eine kühne Prognose: Bei den deutschen Ubisoft-Studios gäbe es das Potenzial für 1.000 Jobs – vorausgesetzt, die Bundesregierung schaffe die Voraussetzungen in Form staatlicher Zuschüsse. Bei einem Personalstand von damals 350 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern entsprach dies immerhin einer glatten Verdreifachung.

Ein Jahr später – zur Gamescom 2019 – untermauerte Grindel diese Zielmarke: „Die Frage ist nicht ob, sondern wann“. Spätestens 2023 solle dieses Ziel erreicht werden, prophezeite der Ubisoft-Manager, der seit einem Vierteljahrhundert für den französischen Publisher arbeitet.

1.000 Jobs bei Ubisoft Blue Byte bis 2023 – Ziel erreicht?

Tatsächlich ist Ubisoft Blue Byte heute der größte Arbeitgeber unter Deutschlands Spiele-Entwicklern: Bei den drei Studios sind Stand Februar 2023 mehr als 770 Personen beschäftigt, davon alleine 470 bei Ubisoft Düsseldorf. Mainz kommt auf 170, Berlin auf 130 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

Zählt man die Vertriebs- und Marketing-GmbH und den Mobilegames-Zukauf Kolibri Games hinzu, errechnen sich für Gesamt-Ubisoft fast 1.000 Beschäftigte. Auf den Plätzen 2 und 3 folgen mit deutlichem Abstand die Frankfurter Nintendo of Europe GmbH (900+) und die Töchter der schwedischen Embracer Group (600+).

Zur Einordnung: Bei allen Publishern und Spiele-Entwicklern in Deutschland gibt es kumuliert etwas mehr als 11.000 Beschäftigte.

Die Geschäfte bei der deutschen Studio-Tochter liefen zuletzt recht gut – insbesondere deshalb, weil der Mutterkonzern Entwicklungs-Leistungen abruft: Im Jahr 2020/21 erwirtschaftete die Ubisoft Blue Byte GmbH einen Umsatz von 59 Millionen Euro – gegenüber 2018 hatten sich die Einnahmen mehr als verdoppelt. Die Erwartungen seien „deutlich übertroffen“ worden. Nach Steuern blieben zuletzt knapp 3,5 Millionen Euro übrig.

Weiterhin größter Kostenblock, wie üblich bei Spiele-Studios: Löhne, Gehälter und Sozialabgaben, die analog zu den Einstellungen massiv gestiegen sind – auf deutlich über 40 Millionen Euro.

Das Geschäftsmodell von Ubisoft Blue Byte

Ubisoft ist einer von nur ganz wenigen Top-25-Games-Konzernen, die nicht nur fertige Spiele in die App- und PlayStation-Stores importieren, sondern auch tatsächlich in Deutschland produzieren lassen – und das seit 2001, also seit der Übernahme von Blue Byte.

Das Geschäftsmodell ist zweigleisig:

• Der größte Teil der Belegschaft und der Einnahmen ist dem sogenannten ‚Co-Development‘ (kurz: Co-Dev) zuzurechnen: Gemeint sind Spiele, an denen ein internationales Studio-Netzwerk arbeitet. Im Falle von Far Cry 6 lag die Federführung beispielsweise bei Ubisoft Toronto – Ubisoft Berlin liefert einzelne Komponenten zu.
• Daneben entwickelt Ubisoft Blue Byte natürlich auch weiterhin Spiele auf Basis der eigenen Aufbau-Strategie-Marken Anno und Die Siedler, die zu den langlebigsten und bekanntesten Computerspiele-Serien des Landes zählen.

Derzeit sieht die geografische Verteilung der Projekte und Marken folgendermaßen aus:

• Ubisoft Berlin: Co-Dev: Skull and Bones + Rainbow Six Siege + unangekündigtes Projekt
• Ubisoft Mainz: Marke Anno / Co-Dev: Beyond Good and Evil 2 + Rainbow Six Siege
• Ubisoft Düsseldorf: Marke Die Siedler + Escape-Games / Co-Dev: Avatar Frontiers of Pandora + Assassin’s Creed VR (Meta VR) + Rainbow Six Siege. In Düsseldorf sind außerdem große Teams an der Entwicklung konzernübergreifender Tools und Plattformen beteiligt, darunter die Snowdrop-Engine.

Ubisoft setzt weiter auf Anno und Die Siedler

Bis Ende März erscheinen nach vierjähriger Pause gleich zwei Ubisoft-Games made in Germany:

• Ubisoft Mainz hat dem PC-Dauerbrenner Anno 1800 eine konsolen-kompatible Steuerung verpasst: Die Anno 1800 Console Edition kommt am 16. März für PlayStation 5 und Xbox Series X – fast pünktlich zum 25. Geburtstag der Anno-Reihe (Anno 1602 erschien am 31. März 1998).
• Am heutigen 17. Februar bringt die Düsseldorfer Filiale das PC-Aufbau-Strategiespiel Die Siedler: Neue Allianzen auf den Markt – allerdings nur im Digitalvertrieb, ohne physisches Produkt. PlayStation-, Xbox- und Switch-Versionen folgen später.

Das zur Gamescom 2018 angekündigte Siedler-Spiel stand (und steht) unter keinem guten Stern und musste aufgrund des verheerenden Testspieler- und Presse-Feedbacks mehrfach verschoben und konzeptionell von Grund auf umgebaut werden. Die jüngste Ankündigung, dass die 60-€-Neuheit einen Ingame-Shop mit (optionalen) kosmetischen Extras enthalten soll, kam bei der ohnehin verunsicherten Zielgruppe mittelgut an.

Volker Wertich, der Die Siedler anno 1993 erfunden hat, war in die Entwicklung von Neue Allianzen als Creative Director von Anfang an eingebunden – die komplette Ubisoft-Kommunikation wurde um seine Person herumgebaut. Doch das Verhältnis beider Parteien hat sich sehr offenkundig spürbar abgekühlt: Der-dessen-Name-nicht-genannt-werden-soll findet seit längerem nicht mehr bei Ubisoft statt – auch die gestern veröffentlichte, offizielle Pressemitteilung zum Launch verschweigt den prominenten Spieldesigner.

Aus Gründen. Denn vor wenigen Tagen hat das Ingelheimer Studio Envision Entertainment – das zwischen 2016 und 2022 an Die Siedler: Neue Allianzen beteiligt war – ein eigenes Aufbauspiel angekündigt: Pioneers of Pagonia. Co-Gründer, Geschäftsführer und Creative Director von Envision Entertainment: Volker Wertich. Der Bund steuert mehr als eine 1 Million € an Fördergeldern bei.

Ubisoft Blue Byte: Wie geht es weiter?

Die eingangs erwähnte Ubisoft-Zielmarke von 1.000 Beschäftigten bis 2023 war an die Ausgestaltung staatlicher Subventionen gekoppelt, die nach jahrelanger, intensiver Lobby-Arbeit im Herbst 2019 eingeführt wurden.

Mittlerweile ist Ubisoft nach GamesWirtschaft-Berechnungen der zweitgrößte Netto-Bezieher der Games-Förderung – knapp 2,7 Millionen € hat das Wirtschaftsministerium bislang zugesagt, etwa für die Entwicklung von Anno-Erweiterungen. Vor fünf Jahren hat der Berliner Senat außerdem die Ansiedlung von Ubisoft Berlin mit 1,6 Millionen € bezuschusst.

Die weitere Entwicklung der Ubisoft-Blue-Byte-Gruppe dürfte daher weniger an der kurzfristigen Performance eines Die Siedler: Neue Allianzen hängen, sondern eher an Projekten wie dem obligatorischen Anno 1800-Nachfolger.

Beim Co-Development gibt es Licht und Schatten: Rainbow Six Siege – an dem alle drei Studios mitwirken – erweist sich auch im achten Jahr als ausgesprochen resilient, trotz starker Konkurrenz im Action-Segment. Als Sorgenkinder gelten mehrfach verschobene Titel wie Skull and Bones, Beyond Good and Evil 2 und Avatar: Frontiers of Pandora, bei denen jeweils mehr als sechs (!) Jahre seit (offizieller) Ankündigung vergangen sind.

Besonders prekär: Für keines dieser drei Spiele gibt es derzeit einen konkreten Release-Termin. Die Auslastung der Studios durch Zusatz-Inhalte – insbesondere für das Piratenschiffschlachten-Spiel Skull and Bones – wird zwangsläufig davon abhängen, ob (und wie) die Spiele bei den Kunden ankommen. Erste Teams arbeiten außerdem bereits an neuen, unangekündigten Projekten.

Daher ist der Bedarf an Fachkräften auch ungebrochen: In Summe sind derzeit 40 freie Stellen bei Ubisoft in Düsseldorf, Mainz und Berlin ausgeschrieben. Für die Marke Anno fahndet das Unternehmen zum Beispiel nach einem Art Director und einem Brand Director.