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Mensch, Ingo (Fröhlich am Freitag)

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Ingo Horn ist am 14. Februar 2023 verstorben (Foto: privat)
Ingo Horn ist am 14. Februar 2023 verstorben (Foto: privat)

Eine Branche ringt um Fassung: Drei Tage nach dem unerwarteten Tod von Ingo Horn ist die Trauer von Freunden und Kollegen mit Händen zu greifen.

Verehrte GamesWirtschaft-Leserin,
verehrter GamesWirtschaft-Leser,

„Und du denkst, dein Herz schwappt dir über
Fühlst dich vom Sentiment überschwemmt
Es sind die einzigartigen tausendstel Momente
Das ist, was man Sekundenglück nennt“

Ungefähr so wie in Grönemeyers Song muss es sich für Ingo Horn angefühlt haben, als er am 31. Januar von der Küste Andalusiens via Facebook verkündete: „For sure one of my greatest birthdays of all time.“ Drei Tage zuvor hatte das lokale Einwohnermeldeamt endlich den ersehnten, dauerhaften Aufenthaltsstatus abgestempelt – wenige Monate nach seiner Auswanderung.

Der Strand. Die Sonne. Das Klima. Keine Frage: Ingo und sein Partner waren angekommen, buchstäblich.

Am Dienstag dieser Woche ist Ingo Horn nun völlig unerwartet gestorben. Mit gerade 49 Jahren. Herzinfarkt.

Eine Nachricht, die mich ein Stückweit an Sinn und Konzept von ‚Karma‘ (ver)zweifeln lässt. Schon klar, God laughs about plans, aber wie viel brutaler und ungerechter kann es zugehen? Ausgerechnet Ingo. Mister Charity. Das personifizierte THW. Einer, der gefühlt immer da war – vor allem für andere.

Fröhlich am Freitag - die wöchentliche Kolumne bei GamesWirtschaft
Fröhlich am Freitag – die wöchentliche Kolumne bei GamesWirtschaft

Seitdem Horns Arbeitgeber – der World of Tanks-Publisher Wargaming – die Meldung verbreitet hat, schwappt eine turmhohe Bugwelle der Anteilnahme durchs Netz. Kollegen, Spiele-Entwickler, Redakteure, Twitch- und YouTube-Größen teilen ihre Betroffenheit. Die teils sehr persönlichen Erinnerungen an gemeinsame Erlebnisse gehen an die Nieren.

Fast drei Jahrzehnte kam kaum eine Messe, Konferenz, Preisverleihung oder Sommerfest ohne Ingo aus, der zuletzt bei Wargaming als Communications Director Europe ein internationales PR-Team leitete. Wenige haben diese muckelige Branche so sehr inhaliert wie er. Und man wird kaum jemanden finden, der Ingo nicht kannte. Oder den Ingo nicht kannte.

Schließlich kommunizierte er nicht nur von Berufs wegen viel und oft, sondern auch privat – und zwar via Social Media. Nicht die üblichen #yolo-#sunset-#goodlife-Schirmchen-Cocktails auf Insta. Sondern das echte Leben. Der zickende Laptop, das stürmische Wetter an der Küste, die Meeresfrüchte-Theke beim spanischen Lidl. Ich wusste über Ingos Alltag zuweilen besser Bescheid als über jenen meiner unmittelbaren Nachbarn.

Im August 2020 wurde ihm in einer feierlichen Zeremonie im Roten Rathaus unter Beisein von Weggefährten und Kollegen folgende Urkunde ausgehändigt: „In Anerkennung der um Volk und Staat erworbenen besonderen Verdienste verleihe ich Herrn Ingo Horn – Berlin – die Verdienstmedaille des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland.“

Gezeichnet, Frank-Walter Steinmeier, Bundespräsident.

Horn habe gesellschaftlichen Pioniergeist in der Branche bewiesen – die ‚Gameshauptstadt Berlin‘ sei stolz auf solch ein Engagement, laudatierte der damalige Staatssekretär Rickerts. Der frischgebackene Preisträger betonte in seiner Dankesrede, das Bundesverdienstkreuz sei ein Zeichen dafür, dass sich gemeinsam großartige Dinge erreichen ließen – wenn alle an einem Strang ziehen und Hürden oder Konkurrenzdenken hinter sich lassen.

Ausgezeichnet wurde er für sein karitatives Wirken, das vor ziemlich genau zehn Jahren seinen Anfang nahm, unter anderem mit diesem Facebook-Posting: „Ich suche Webdesigner, die Interesse an der Mitarbeit an einer Charity-Aktion haben – außer Ehre und einem guten Gefühl, etwas Tolles auf den Weg zu bringen, gibt es erstmal nix …“

Daraus entstanden ist dann Gaming-Aid – ein eingetragener Verein, der mit Geld- und Sach-Spenden schnell und unbürokratisch hilft. Der Erlös von sagenhaften 123.000 € bei der allerersten Ausgabe des inzwischen marktführenden Livestream-Events Friendly Fire kam in voller Höhe Gaming-Aid zugute.

2017 gründete er dann zusammen mit Dennis Henson die Organisation Letsplay4Charity, die seit 2021 als gemeinnützig anerkannt ist. Der Name ist Programm: Gemeinsam mit Letsplayern und Influencern werden Spenden von Zuschauern und Sponsoren eingeworben – sei es auf Games-Festivals oder in Live-Streams. Beim Format Clash4Charity Anfang Januar kamen 12.500 € zugunsten von Hilfe im Kampf gegen Krebs e. V. und Straßenkinder e. V. zusammen.

Gefragt, was wir alle tun können, um Menschen in Not zu helfen, antwortete Ingo vor zweieinhalb Jahren: „Hören Sie auf Ihr Herz, seien Sie dankbar, wenn Sie fit, gesund und mit einem guten Job gesegnet sind, aber teilen Sie Ihren ‚Reichtum‘ mit anderen Bedürftigen, die nicht das gleiche Glück haben wie Sie. Finden Sie eine Wohltätigkeitsorganisation oder Institution, die Sie unterstützen möchten, egal ob es sich um Gaming-Aid, LetsPlay4Charity oder eine andere Institution Ihres Vertrauens handelt. Wenn Sie sich nicht mit Geld beschäftigen möchten, wenden Sie sich mit einer helfenden Hand an Ihre Nachbarn, ältere Menschen oder andere Menschen in Not.“

Dieser Aufruf lässt sich jetzt – in dieser Sekunde und mit wenigen Mausklicks – umsetzen: Auf Gofundme hat Ingos Kollegin Anastasiya Mel’nova ein Spendenkonto eingerichtet, das zumindest die finanzielle Last der Angehörigen lindern soll.

Ich bin mir sicher, auch am heutigen Freitag hätte es wieder Momente des eingangs beschriebenen ‚Sekundenglücks‘ für Ingo gegeben – beim Wiedersehen mit Dutzenden Kolleginnen und Kollegen aus der deutschen Games-Industrie. Denn heute tagen die Fach-Jurys des staatlichen Deutschen Computerspielpreises erstmals wieder live und vor Ort.

Ein Platz wird jedoch leer bleiben – sein Platz. Er wird fehlen. Heute in Berlin. Ab sofort der Branche. Und darüber hinaus.

Ein schönes Wochenende wünscht Ihnen

Petra Fröhlich
Chefredakteurin GamesWirtschaft

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1 Kommentar

  1. Vielen Dank Dir, liebe Petra, dass Du diese treffenden und einfühlsamen Worte gefunden hast, stellvertretend für alle diejenigen von uns, die – wie auch ich – immer noch nach Worten ringen, erschüttert und traurig sind. Mir hast Du aus der Seele gesprochen – danke dafür!

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