Die Games-Industrie müht sich nach Kräften, das Image des Alte-Weiße-Männer-Klubs abzustreifen. Das klappt … gar nicht mal so gut.
Verehrte GamesWirtschaft-Leserin,
verehrter GamesWirtschaft-Leser,
auf der After-Show-Party des Gamescom-Formats Opening Night Live trug es sich zu, dass die versammelte Führungsriege eines sehr großen Spieleherstellers bei einem Schwatz beisammen stand. Ich wartete artig an der Seitenlinie, um ein Gruppenfoto zu fertigen. Einer der Personenschützer, der bereits ein missgünstiges Risikoprofil von mir erstellt haben musste, mahnte: „No selfies“. Ich so: „Schon klar, ich bin auch beruflich hier …“
Schließlich ergab sich ein günstiger Moment, den wachhabenden CEO anzupingen, ob denn ein Foto mitsamt seinen Executives für tschörmänn B2B Media drin sei. Seine angestrengte Mimik machte den Eindruck, als würden in diesem Moment die möglichen Implikationen für den Aktienkurs durchrattern. Nach zwei, drei endlosen Sekunden beschied er: „Okay, let’s go …“ Klick, klick, klick, nicen evening noch.
Ich wollte schon weiterziehen, als mich eine Top-Managerin aus der Konzernzentrale abfing und darauf bestand, meine Fotos auf meinem Smartphone einzeln durchzugehen und per reingezoomter Gesichts-Partie zu checken, ob die Aufnahmen „cute“ genug seien. Das war offenkundig der Fall, go for it.
Nichts Wildes, möchte man meinen. Aber im Nachgang dachte ich bei mir: Ob männliche Sakko- und Hoodie-Träger derselben Gehaltsklasse auch nur eine Sekunde drüber nachdenken, inwieweit sie auf einem Presse-Foto „cute“ rüberkommen?
Gamescom-Erlebnis Nummer 2: Zwei Tage später veranstaltete Microsoft Xbox – mit Abstand größter Aussteller auf dem Messegelände – ein gut besuchtes ‚Women in Gaming-Meetup‘ am Business-Stand. Ein launiges Networking-Get-Together bei Drinks und Fingerfood mit geladenen Gamedesignerinnen, Influencerinnen, Medien- und Agentur-Leuten, Entscheiderinnen – explizit auch von Xbox-Mitbewerbern.
Wer wollte (und es wollten viele), konnte sich an Make-Up-Stationen von Visagisten schminken und anschließend Profi-Fotos fürs LinkedIn-Profil erstellen lassen. Die Lackierstraße war permanent umlagert.
Jede Teilnehmerin erhielt außerdem ein Goodie-Bag von Esszimmertisch-Ausmaßen. Darin: Pröbchen und Gutscheine des Kosmetik-Sponsors, dazu ein Bogen mit Hunderten Nagelstickern – Miniatur-Controller, Figürchen und jede Menge Logos von ungefähr allen Spielen aus dem Xbox-Universum: Flight Simulator, Fallout, Starfield, Call of Duty, Doom.
Super-cute, wenn Sie mich fragen.
Es war eine wirklich schöne, hochprofessionelle Veranstaltung abseits des Messetrubels, bei der unverhofft gleich mehrere spannende, komplett neue Kontakte raussprangen. Insofern: Mission accomplished.
Trotzdem fragte ich mich im Nachgang erstens, wie wohl Männer auf ein solches LinkedIn-Styling-Angebot reagieren würden. Und zweitens, in welchem Umfang Forza-Fingernägel darauf einzahlen, die Karriere von Frauen nach vorne zu optimieren.
Es sind milde Cringe-Gefühle wie diese, die mich gelegentlich überfallen, wenn sich die nationale und internationale Games-Branche anstrengt, buchstäblich gut auszusehen – und dadurch dringend den Eindruck zu vermitteln, dass sie irrsinnig bunt, divers und mindestens genauso weiblich ist wie die Kundschaft.
Innerhalb organisierter ‚Safe Spaces‘ – auf Konferenz-Bühnen, in Gremien, in Jurys oder in handverlesenen Zirkeln – mag das sicher stimmen mit der gelebten Vielfalt. Aber auch im Jahr 2024 des Herrn zerschellen die guten Vorsätze dann doch regelmäßig an der Praxis. Nicht immer, aber oft.
Einige Beispiele aus den letzten Wochen:
- Am Mittwoch hat sich mit dem Games Syndicate Cologne e. V. ein weiteres Branchennetzwerk konstituiert. Die Kölner Wirtschaftsförderung lobt die „starke Gemeinschaft aus Unternehmen, Entwickler*innen und Institutionen“. Nie war Gendern so sinnfrei wie an dieser Stelle: 18 von 18 Mitwirkenden sind männlich. Auf Nachfrage heißt es, Frauen seien im Vorfeld gezielt angesprochen worden – gleichwohl habe es sich „nicht ergeben“.
- In der Münchener Parteizentrale organisierte die CSU ein Panel zu Künstlicher Intelligenz in der Videospiele-Entwicklung. Männer-Anteil auf dem Podium: 100 Prozent. Die Frauenquote im Saal hat erkennbar von den Beschäftigten am Catering und an der Garderobe profitiert.
- Im Rahmen der politischen Eröffnung der Gamescom 2024 referierten honorige Wirtschaftsminister, Ministerpräsidenten und Unternehmer. Abseits von Moderatorin Tensil, Oberbürgermeisterin Reker und Bildungsstätten-Projektleiterin Nguyen fand sich offenkundig keine Zeitzeugin aus der Games-Branche. Schade.
Sie merken: Wir waren schon mal weiter.
Aber um auch das einzuräumen: Wenn man jahrzehntelang in dieser Silberrücken-Branche sozialisiert wurde, fällt einem die Schieflage manchmal gar nicht so richtig auf. Oder eben spät. Beispiel: Für die allererste Ausgabe der GamesWirtschaftsWeisen im Jahr 2017 hatte ich 33 Experten um ihre Einschätzung gebeten. Erst im Nachgang und durch Hinweise auf Social-Media-Kanälen fiel mir auf, dass 32 Männer am Start waren. Allesamt hochkompetent, keine Frage, aber in Summe dann doch etwas einseitig. Jedwede Kritik: vollends berechtigt. Ab dem Folgejahr wurde es dann deutlich ausgewogener.
Trotzdem ist es nach wie vor ein echter K(r)ampf, hinreichend Expertinnen für die alljährliche Profi-Prognose aufzutreiben. Und das liegt nicht an mangelndem proaktivem Rumquengeln. Sondern an einer messbar überdurchschnittlichen Nimm-lieber-meinen-Chef-Absage-Quote. Wiedervorlage: Januar 2025.
Es wird nicht einfacher: Denn die Unwucht in der Games-Branche hat dazu beigetragen, dass die Branche noch undurchlässiger und Frauen damit noch unsichtbarer geworden sind. Eine Stichprobe bei deutschen Betrieben mit 50+ Beschäftigen zeigt: Es gibt mittlerweile deutlich weniger weibliche Führungskräfte im oberen Management als noch vor ein oder zwei Jahren. Isso.
Eine Idee (zumal eine gute), wie sich dieses Dilemma der Sichtbarkeit abseits von Weltfrauen- und sonstigen Aktionstagen lindern ließe, habe ich leider nicht. Denn so wichtig ich es finde, das komplette gesellschaftliche Spektrum im Blick zu behalten und abzubilden, so schädlich fände ich starre Quoten. Jeder wird Beispiele kennen, welch Traumata solche Regelungen in Unternehmen, Vereinen und Behörden auslösen.
Schlimmstenfalls führt das Delta zwischen „Gut gemeint“ und „Gut gemacht“ zur Ernennung von Verteidigungsministerinnen, die zuvorderst damit ausgelastet sind, sich selbst zu verteidigen – und aus empfundenem Unrecht irgendwann ein Buch machen mit dem Titel Auf Stöckelschuhen durch Absurdistan. Schlimm.
Und so bleibt mir an diesem trüben Feier-/Brückentag nur der Wunsch und der Appell, die kreativen Köpfe (egal ob Neuzugang oder Fach- und Führungskraft) nicht in Blogs oder Meeting-Räumen zu verstecken, sondern aktiver und vor allem regelmäßiger ins Licht zu schieben. Oft genügt es auch schon, Sichtbarkeit schlichtweg zuzulassen.
Ein schönes (bestenfalls langes) Wochenende wünscht Ihnen
Petra Fröhlich
Chefredakteurin GamesWirtschaft
Immer freitags, immer kostenlos: Jetzt GamesWirtschaft-Newsletter abonnieren!
GamesWirtschaft auf Social Media: LinkedIn ● Facebook ● X ● Threads ● Bluesky
Leider weder Feier- noch Brückentag in der großen Stadt im Osten der Republik. Dafür aber wie gewohnt eine sehr gute, weil top-pointierte Freitagskolumne. Das macht die Arbeitslast etwas erträglicher. Und hier heißt es ja dafür am Frauentag Füße hoch. Auch für Männer. Passt doch.
Kommentarfunktion ist geschlossen.