Start Meinung Der Junge muss an die frische Luft (Fröhlich am Freitag)

Der Junge muss an die frische Luft (Fröhlich am Freitag)

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1-Personen-LAN-Party (Abbildung: ähnlich / Midjourney)
1-Personen-LAN-Party (Abbildung: ähnlich / Midjourney)

Gemeinsam statt einsam: Das vermeintliche Auslaufmodell LAN-Party feiert fröhliche Urständ – an diesem Wochenende auch in Köln.

Verehrter GamesWirtschaft-Leser,
verehrte GamesWirtschaft-Leserin,

vermutlich habe ich eine Millisekunde zu lange auf irgendein Posting oder einen Video-Schnipsel gestarrt. Jedenfalls spült mir der Facebook-Algorithmus neuerdings ununterbrochen weitgehend sinnentleerten Quatsch in den Feed, in denen sentimentale Kindheitserinnerungen der 70er und 80er abgefeiert werden. Motto: „Limo aus leeren Senfglässern trinken – wer kennt’s noch?“ Oder: „Fahrradfahren ohne Helm – ich war dabei.“

Relativ selten sieht man Postings wie „Waschmittel-Packungen hatten früher keine Kindersicherung – und, hat’s mir geschadet?“

Die unverhohlene Botschaft der Social-Media-Seiten: Früher war alles besser, mindestens aber: anders. Wer möge daran zweifeln?

Schließlich konnte es einst niemandem egaler sein, wenn man erst bei Dämmerung vom Spielen nach Hause kam. Heute verlässt kaum noch ein Kind die Wohnung, ohne dass es via Smartphone jederzeit „erreichbar“ wäre – im Zweifel lässt sich der Standort per GPS tracken, genauso wie die Handy-Spielzeiten. Und wenn wir uns mit Klassenkameraden verabreden wollten, mussten mangels WhatsApp präzise und verlässliche Absprachen getroffen werden – wann, was, mit wem, bei wem? Und vor allem: mit wem nicht?

Allein der Erwerb von Kassetten, Schallplatten, CDs, DVDs und natürlich Computer- und Videospielen war fast schon ein sakraler Akt, auf den man wochen-, ach was: monatelang hinfieberte. Dieses Lebensgefühl ist passé: Im Jahr 2024 des Herrn sind Serien, Filme, Musik-Videos und Songs ja jederzeit auf Abruf verfügbar – YouTube killed the M-TV. Bei Games geht es bestenfalls noch um die Frage, ob der Titel ab Day 1 im Game Pass inklusive ist und wann er bei PlayStation Plus auftaucht.

Fröhlich am Freitag - die wöchentliche Kolumne bei GamesWirtschaft
Fröhlich am Freitag – die wöchentliche Kolumne bei GamesWirtschaft

Was sich nicht (oder kaum) verändert hat: Computerspiele werden immer noch überwiegend im stillen Kämmerlein praktiziert – sieht man mal von Pokémon Go und sporadischen Mario-Kart– oder EA-Sports-FC-Partien ab. Das gilt natürlich zuvorderst für ein Baldur’s Gate 3, Spider-Man 2 oder Assassin’s Creed Mirage und erst recht für Virtual-Reality-Anwendungen. Doch ausgerechnet bei den Online- und Multiplayer-Games ist es erstens gar nicht sinnvoll und zweitens selten praktikabel, physisch vor Ort zusammen zu spielen. Für GTA Online, Minecraft, League of Legends oder Fortnite braucht jeder seinen eigenen PC oder die eigene Konsole. Und da bietet es sich nun mal an, von vornherein einfach zu Hause zu bleiben, das Headset überzustreifen und sich von dort einzuloggen.

Dadurch sind Games im Alltag deutlich weniger sichtbar als andere Freizeitbeschäftigungen. Und das ist ein bisschen schade, weil es auf das Klischee des blassen Jünglings einzahlt, der chips-mampfend und gönrgy-schlürfend im fahlen Gaming-PC-LED-Licht vor sich hin ‚daddelt‘, wie fachfremde Erziehungsberechtigte es nennen. Zumindest solange, bis der WLAN-Stecker gezogen wird.

Also lautet ein Beschluss, dass der Mensch nach draußen muss. Und wenn das so ist, warum dann nicht gleich auf eine LAN-Party? Local Area Network – der Name ist Programm. Das in den 90ern entstandene Kabelsalat-Happening wirkt heutzutage wie ein Anachronismus: Warum um Himmelswillen sollte man sich mit Hunderten, überwiegend fremden Menschen in einen Raum einschließen, um ein Wochenende lang PC-Spiele zu zocken – in der milden Hoffnung, dass die eigens aufgebauten Duschen auch wirklich in Anspruch genommen werden?

Antwort: genau deswegen. Mal wieder sich selbst spüren – und realisieren, dass hinter KaeptnIglo84 und Chl0rhuhn17 echte Menschen stecken.

Am heutigen Freitag startet in Köln die Gamescom LAN, ein Ableger der gleichnamigen Spielemesse. Das Konzept: Jeder bringt mit, was er braucht – vom Schokoriegel über Computer und Mauspad bis zum Schlafsack. Bereits vorhanden: Sitzgelegenheit, Tisch, Steckdosen, LAN-Kabel. Wer will, kann sich gegen Aufpreis auch für ein küchenfertiges Setup entscheiden.

Solche LAN-Partys waren nie wirklich weg, aber eine Zeitlang etwas aus der Mode gekommen. Jetzt feiern sie eine zarte Renaissance: Kurz vor Weihnachten ging die DreamHack Hannover auf dem Gelände der Deutschen Messe über die Bühne, im April steigt in Leipzig die Caggtus 2024 und im Oktober folgt die alljährliche Northcon in den Holstenhallen im schleswig-holsteinischen Neumünster – quasi der Methusalem unter den LAN-Partys.

Funfact: Selbst im Bundestag wurden schon mal solche ‚Partys‘ ausgetragen, wenngleich unter aseptischen Bedingungen – nämlich 2011 und 2013, organisiert von den FDP-Politikern Jimmy Schulz und Manuel Höferlin und ihrer CSU-Kollegin Dorothee Bär. Zur Anwendung gelangte unter anderem der Taktik-Shooter Counter-Strike – sehr zum Missfallen konservativer Abgeordneter, die sich wegen akuter Schnappatmung kaum noch einkriegten. Die erste Bundestags-LAN unter der Reichstagskuppel war daher noch ein mittelgroßer Aufreger – die Folge-Ausgabe geriet leider zur reinen Industrie-Werbeveranstaltung. Die Bilder der PlayStation-Move-fuchtelnden SPD-Justizministerin Zypries haben sich dennoch auf meiner mentalen Festplatte eingebrannt.

Jedenfalls: Games sind sichtbar – Gamer eher selten. Dabei wäre es doch ganz schön, wenn die Community nicht nur einmal im Jahr Ende August während der Gamescom im Bewusstsein der breiten Öffentlichkeit auftaucht, sondern regelmäßig und dauerhaft.

Ich finde es daher gut, dass …

  • … immer neue Games- und Community-Events entstehen, kleine wie große, B2B wie B2C. In München, in Frankfurt, in Hamburg. Nicht alle werden sich halten, klar. Aber es rührt sich was.
  • … E-Sport-Profi-Organisationen wie MOUZ oder SK Gaming ihre Zentralen vom Stadtrand ins Zentrum verlegen – wenn man so will: in die Mitte der Gesellschaft. Da geht es natürlich zuvorderst um Promotion-Aspekte, aber eben auch darum, sich zu zeigen.
  • … die E-Sport-Gemeinnützigkeit noch nicht vom Tisch ist – weil sie Menschen physisch zusammenbringen würde und daher eine Bereicherung wäre.

Das Motto lautet: Raus aus der muffigen Bude – rein ins Getümmel.

Den Teilnehmern der Gamescom LAN ganz viel Spaß in Köln und Ihnen allen ein schönes Wochenende wünscht

Petra Fröhlich
Chefredakteurin GamesWirtschaft

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1 Kommentar

  1. Toller Artikel! Habe früher viel auf kleinen LANs mit Freunden getroffen und Freitag bis Sonntag gezockt, gegrillt, gequatscht und Spaß gehabt. Bei der LAN geht es oft einfach um das zusammen sein statt nur stupide zu zocken. Zumindest hab ich das so empfunden. Was ich nie vergessen werde: wie 3 Freunde in einem Kleinwagen mit Ihren Big Towern, Röhenbildschirmen auf dem Schoss und allen anderen Dingen anrückten :))

    Leider hat sich das alles auseinandergelebt. Erstens weil alle andere Wege gegangen sind. Aber vor allem auch weil viele Spiele nicht mehr LAN fähig waren. Man brauchte Internet Zugang. Bei BlackOps z.B. konnte man so wenigstens noch auf privaten Servern spielen. Aber danach gab es das Match Macking usw usw
    Damals war alles 100% OFFLINE! Das waren für mich LANs

    Die Hersteller wollen gar keine LANs mehr sondern sie wollen das du Online spielst, Geld ausgibst, Season Pass, neue Friseur.

    Es liegt an den Menschen! Die ganz großen LANs sehe ich skeptisch. Ich war auf einer.. das sind am Ende auch nur große Verkaufsevents. Die Leute müssen einfach mal wieder selbst den Arsch hoch kriegen, sich die Freunde schnappen, biertische aufbauen beim Vati in der Garage und los legen!

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