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Neuer Glücksspielstaatsvertrag tritt in Kraft

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Las Vegas-Feeling als App: Der neue Glücksspielstaatsvertrag tritt am 1. Juli 2021 in Kraft.
Las Vegas-Feeling als App: Der neue Glücksspielstaatsvertrag tritt am 1. Juli 2021 in Kraft.

Glücksspiel? Damit will Deutschlands Games-Branche nichts zu tun haben. Doch die Abgrenzung bleibt ein Drahtseilakt.

DrückGlück, Tipico, Bwin, Hyperino, Wunderino, Mr Green: Wer sich schon bislang von der aggressiven TV-Werbung der Online-Casinos gestalkt fühlt, für den bringt der heutige 1. Juli 2021 bedingt gute Nachrichten.

Denn mit dem Inkraft-Treten des neuen Glücksspielstaatsvertrags entfällt die Pro-Forma-Beschränkung, wonach sich das Angebot vermeintlich „nur an Personen mit ständigem Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthaltsort in Schleswig-Holstein“ richtet, für die bisher Ausnahmen galten. Mit einer bundesweit einheitlichen Regelung will der Gesetzgeber nicht nur für einen besseren Spieler- und Jugendschutz sorgen, sondern auch den Grau- und Schwarzmarkt eindämmen und nicht zuletzt durch Steuereinnahmen von einem Milliarden-Markt profitieren. Stramme 5,3 Prozent kassiert der Staat bei jedem Online-Einsatz – selbst dann, wenn ein Gewinn wieder ‚investiert‘ wird.

Für Glücksspiele im Netz – etwa Spielautomaten, Poker, Black-Jack oder Roulette – ist jetzt ein zentrales Spielkonto vorgeschrieben, für das sich Spieler identifizieren und authentifizieren. Die Veranstalter müssen diese Angaben prüfen. Sinn und Zweck: sicherzustellen, dass keine Minderjährigen um Geldgewinne zocken. Zudem ist der Maximalbetrag auf 1.000 Euro pro Monat gedeckelt, und zwar über alle Anbieter hinweg – eine Vorgabe, die dazu führen dürfte, dass insbesondere Oft- und Vielspieler (Las-Vegas-Jargon: ‚High-Roller‘) doch wieder zu unregulierten und somit illegalen Angeboten wechseln.

Und: Unmittelbar vor oder während der Live-Übertragung ist die Werbung für die dazugehörige Sportwetten künftig untersagt – auch aktive Sportler und Funktionäre dürfen nicht mehr für entsprechende Angebote werben. Stars wie Oliver Kahn, Lothar Matthäus oder Thomas Häßler wurden zuletzt regelmäßig als „Markenbotschafter“ gebucht.

Neuer Glücksspielstaatsvertrag: Games-Branche distanziert sich von Glücksspiel-Industrie

Der Game als Verband der deutschen Games-Industrie müht sich seit Jahren um eine bewusste Abgrenzung zur Gambling-Branche. Nach nur einer Woche trennte sich der Game-Vorläufer BIU vor vier Jahren von einer Tochter des Spielautomaten-Marktführers Gauselmann („Merkur“). Der damalige und heutige Verbands-Geschäftsführer Felix Falk stellte seinerzeit klar: „Der BIU hat nie und wird unter meiner Leitung auch nie die Interessen von Glücksspiel-Anbietern vertreten.“ Seitdem scannt der Verband penibel das Geschäftsmodell möglicher Beitrittskandidaten: „Der Bereich Glücksspiel ist nach unserer Satzung von der Mitgliedschaft im Verband ausgeschlossen“, beteuert Falk auf Nachfrage. „Das ist gut an unseren mehr als 340 Mitgliedern zu erkennen.“

Dabei wirkt die virtuelle Glücksspiel-Branche mindestens indirekt in die deutsche Games-Landschaft hinein: So ist das auf Wimmelbild-Spiele spezialisierte Berliner Studio Wooga seit 2018 eine 100%ige Tochter des israelischen Mobilegames-Spezialisten Playtika, der neben Puzzle-Games traditionell auch Glücksspiel-Apps wie Caesars Slots, Poker Heat und Slotomania betreibt.

Wie komplex die Abgrenzung zur Glücksspiel-Industrie in der Praxis ausfällt, zeigt auch das Beispiel Whow Games: Erst vor wenigen Tagen wurde das von Bigpoint-Gründer Heiko Hubertz aufgebaute Hamburger Studio von der niederländischen Azerion übernommen. Whow Games betreibt unter anderem jackpot.de und die dazugehörigen Apps, wo mit virtuellen Chips an simulierten Spielautomaten gezockt wird. Eine Auszahlung von Geldgewinnen ist nicht vorgesehen. Kernzielgruppe: Erwachsene – bei Google Play ist die App allerdings schon ab 13 Jahren freigegeben. Ein ähnliches Modell verfolgt Huuuge Games, ebenfalls mit Sitz in Berlin und Mitglied der Standortinitiative Games:Net Berlin-Brandenburg – Hauptprodukte: Billionaire Casino, Stars Slots und Huuuge Casino, ebenfalls frei ab 13.

Anders als bei ‚echtem‘ Glücksspiel findet bei simuliertem Glücksspiel keine Echtgeld-Auszahlung statt – wohl aber lässt sich Spielwährung erwirtschaften. In anderen Fällen stellen die Gewinne einen bezifferbaren Wert dar, was zum Beispiel dafür gesorgt hat, dass niederländische Gerichte die Lootboxen eines FIFA 21 als Anreiz zum Glücksspiel einordnen. Längst wird die Relevanz von kostenpflichtigen, zufallsgenerierten Sammelkarten-Packs für den Erfolg im FUT-Modus selbst von Profi-Spielern kritisch kommentiert. FIFA ist in Deutschland traditionell ohne Altersbeschränkungen freigegeben, ebenso wie die Basketballsimulation NBA 2K21, in der sich Klamotten und NBA-Spieler über einarmige Banditen freischalten lassen.

Die Grenzen zwischen Gaming und Gambling verschwimmen also zusehends. Im August 2020 sah sich die Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle (USK) daher veranlasst, die Leitkriterien mit Blick auf simuliertes Glücksspiel zu erweitern – auch befeuert durch die öffentliche Debatte um die App Coin Master. Die USK hatte zuvor festgestellt, dass „glücksspielähnliche Spielmechaniken Einzug in den Medienalltag von Kindern und Jugendlichen finden können“.

Auch die Bundesregierung sieht seit längerem Handlungsbedarf: Das im Mai in Kraft getretene Jugendschutzgesetz (PDF) – eines der letzten Projekte von Ex-Familienministerin Franziska Giffey (SPD) – soll Kinder und Jugendliche nicht nur vor Mobbing, Hassrede und ‚Kostenfallen‘ in Form von Lootboxen und anderer Ingame-Käufe, sondern eben auch vor simuliertem Glücksspiel besser schützen.

Wie genau das in der Praxis gelingen könnte, darauf bereitet sich die USK schon seit dem Frühjahr vor und reagiert damit auf Änderungen, die sich aus diesem neuen Gesetz ergeben. Die Anpassung der Leitkriterien obliegt dem USK-Beirat, dem unter anderem die Geschäftsführer des Branchenverbands sowie von FIFA-Hersteller Electronic Arts angehören.

Eine gute Nachricht gibt es dann doch noch für all jene, die bislang von Scooter-Frontmann und Hyperino-Testimonial H. P. Baxxter („Dein Casino ohne Schnickschnack“) in den Schlaf verfolgt wurden: Von 6 bis 21 Uhr ist Werbung für Automaten- und Casino-Spiele sowohl im Internet als auch im TV ab sofort verboten.