Start Wirtschaft Missbrauchs-Skandal: Ubisoft entlässt einstigen „Valhalla“-Chefdesigner (Update)

Missbrauchs-Skandal: Ubisoft entlässt einstigen „Valhalla“-Chefdesigner (Update)

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Der französische Publisher Ubisoft (hier der Gamescom-2018-Auftritt) will die Missbrauchs-Fälle im Unternehmen aufarbeiten (Foto: KoelnMesse / Oliver Wachenfeld)
Der französische Publisher Ubisoft (hier der Gamescom-2018-Auftritt) will die Missbrauchs-Fälle im Unternehmen aufarbeiten (Foto: KoelnMesse / Oliver Wachenfeld)

Eine steigende Zahl von vorgeblichen Fällen sexuellen Missbrauchs haben zu Rücktritten und Entlassungen in der Videospiel-Branche geführt.

Update vom 14. August 2020: Nach Bloomberg-Recherchen hat sich Ubisoft infolge einer internen Untersuchung von Ashraf Ismail getrennt. Der einstige Creative Director von Ubisoft Montreal verantwortete die Entwicklung des Ubisoft-Blockbusters „Assassin’s Creed Valhalla“ und war Ende Juni von seinem Posten zurückgetreten, blieb aber Ubisoft-Angestellter.

Zuvor hatte eine Letsplayerin Chat-Protokolle veröffentlicht (siehe Eintrag vom 29. Juni),  die den Auftakt bildeten für eine Welle von Rücktritten und personeller Neubesetzungen, bis hinein in höchste Management-Ebenen.

Ubisoft hat den Rauswurf Ismails laut Bloomberg bestätigt. Was genau zur Entlassung des Spiele-Entwicklers geführt hat, geht aus dem Bericht nicht hervor.

Update vom 24. Juli 2020: Die französische Gewerkschaft Solidaires Informatique bereitet eine Klage gegen Ubisoft vor. Die wiederholten Fälle von Belästigung, sexuellen Übergriffen und Diskriminierung müssten aufgeklärt werden. Der Rücktritt prominenter Manager seien nicht ausreichend – Ubisoft müsse sich vor Gericht verantworten. Betroffene Mitarbeiter werden aufgefordert, sich bei der Gewerkschaft zu melden.

Missbrauchs-Skandal: Ubisoft feuert PR-Chef

Update vom 23. Juli 2020: Mit der Begründung, er sei dem Verhaltens-Kodex während seiner Laufbahn nicht gerecht worden, hat Ubisoft den PR Director Stone Chin entlassen. In einer ausführlichen Stellungnahme geht der langjährige Unternehmens-Sprecher auf die Vorwürfe ein, die im Zuge des Missbrauchs-Skandals bei Ubisoft publik wurden.

Einen vorgeblichen sexuellen Übergriff aus dem Jahr 2012 bestreitet Chin. Der Fall sei Ubisoft-intern untersucht worden – ohne konkretes Ergebnis.

Vielmehr habe sein „passiv-aggressives“ und respektloses Verhalten gegenüber Mitarbeitern zur Kündigung geführt. Chin räumt ein, dass sein Management-Stil bei seinem Team emotionale Wunden hinterlassen habe, die er bedauert.

Medienbericht: Missbrauchs-Fälle waren Ubisoft-Management bekannt

Update vom 21. Juli 2020: Die jüngsten Recherchen von Bloomberg-Autor Jason Schreier zeichnen ein bizarres Bild der Ubisoft-Unternehmenskultur: Demnach seien Fälle von Belästigung, Mobbing und offen zur Schau getragenem Sexismus bis hinein in höchste Management-Ebenen seit Jahren bekannt gewesen, ohne dass es Konsequenzen seitens der Gründer-Familie Guillemot gegeben hätte.

Im Gegenteil: Insbesondere der mittlerweile zurückgetretene Kreativ-Chef Serge Hascoët sei als „Teil der Familie“ und somit als „unantastbar“ betrachtet worden. Besprechungen mit Hascoëts Team seien in Strip-Clubs abgehalten worden; wenn sich Mitarbeiterinnen entschieden hätten, dieser Veranstaltung fernzubleiben, habe sich dies negativ auf ihre berufliche Laufbahn ausgewirkt. Insbesondere die Ubisoft-Zentrale in Paris habe als exklusiver Männerzirkel gegolten.

Die frauenfeindliche Haltung auf Entscheider-Ebene habe sich laut Schreiers Kronzeugen auch auf das Spieldesign ausgewirkt: So seien Konzepte für weibliche Helden in Ubisoft-Großproduktionen konsequent zugunsten männlicher Figuren abgelehnt worden – mittlerweile haben Spieler die Wahl zwischen Charakteren beider Geschlechter, etwa in „Assassin’s Creed Valhalla“.

Die Missbrauchs-Vorwürfe beschäftigen den börsennotierten Publisher seit mehreren Wochen. Vorstands-Chef Yves Guillemot hat der verunsicherten Belegschaft zugesagt, die Vorkommnisse aufklären zu lassen und Konsequenzen zu ziehen. Unter anderem mussten bereits Top-Manager ihre Posten räumen.

Ubisoft ist der größte europäische Spielehersteller. In Deutschland beschäftigt das Unternehmen mehr als 800 Mitarbeiter an vier Standorten.

Missbrauchs-Vorwürfe in der Games-Industrie: Ubisoft suspendiert Top-Manager

Update vom 12. Juli 2020: Die Missbrauchs-Affäre hat die Ubisoft-Konzernspitze erreicht: Chief Creative Officer Serge Hascoët – einer der ranghöchsten Ubisoft-Manager – hat seinen Rücktritt erklärt und wird das Unternehmen verlassen. Gleiches gilt für Yannis Mallat, den langjährigen Leiter der kanadischen Ubisoft-Studios, wo derzeit unter anderem „Far Cry 6“, „Assassin’s Creed Valhalla“ und „Watch Dogs: Legion“ entstehen.

Auch Personal-Chefin Cécile Cornet muss ihren Hut nehmen. Das Human-Resources-Management soll unter Einbeziehung externer Berater komplett neu aufgestellt werden.

Bis ein Nachfolger für Hascoët gefunden ist, will Ubisoft-Vorstands-Chef Yves Guillemot diese Rolle selbst ausfüllen.

„Ubisoft ist am eigenen Anspruch gescheitert, eine sichere Arbeitsplatz-Umgebung für seine Angestellten zu garantieren“, so Guillemot in einer Pressemitteilung. Dies sei inakzeptabel, weil „toxisches Verhalten“ im direkten Widerspruch zu den unverhandelbaren Ubisoft-Werten stünde. Er werde tiefgreifende Veränderungen quer durch das Unternehmen vornehmen, um die Arbeitskultur nachhaltig zu verbessern.

Update vom 7. Juli 2020: Ubisoft hat gegenüber US-Medien bestätigt, dass Vice President Maxime Beland das Unternehmen verlassen hat. Die gegen den Spiele-Designer erhobenen Missbrauchs-Anschuldigungen würden weiter verfolgt. Beland war als leitender Entwickler an Spielen wie „Splinter Cell: Blacklist“ und „Assassin’s Creed“ beteiligt.

Bereits am Freitag war bekannt geworden, dass Tommy François seinen Posten als Vice President Editorial & Creatives Services räumen musste. Hintergrund ist das offenkundige Fehlverhalten des Top-Managers gegenüber Mitarbeitern, das sich nicht in Übereinstimmung mit den Erwartungen seines Arbeitgebers bringen ließ.

Laut Kotaku haben sich mittlerweile mehr als 100 Mitarbeiter von Ubisoft Toronto („Far Cry 5“, „For Honor“, „Watch Dogs 2“) in einem Brief an das Studio-Management gewandt, in dem sie ihre tiefe Besorgnis über die wachsende Zahl an Belästigungs-Fällen innerhalb der Niederlassung zum Ausdruck bringen.

Ubisoft Toronto ist derzeit mit der Fertigstellung des mehrfach verschobenen Action-Adventures „Watch Dogs: Legion“ beschäftigt, das noch in diesem Jahr für PC und Konsole auf den Markt kommen soll.

Update vom 2. Juli 2020: Unter der Überschrift „Change Starts Today“ („Heute beginnt der Wandel“) wendet sich Ubisoft-Vorstands-Chef Yves Guillemot an seine Belegschaft. Der Unternehmer und Großaktionär bezeichnet die Vorfälle als „absolut inakzeptabel“ – niemand sollte Respektlosigkeiten oder Belästigungen an seinem Arbeitsplatz hinnehmen müssen.

Neben dem personellen Umbau des „Editorial Department“ kündigt Guillemot Korrekturen bei der Personalakquise an. Mit Lidwine Sauer wird erstmals eine „Head of Workplace Culture“ berufen, die direkt an den CEO berichtet.

An allen Standorten – darunter vier Niederlassungen in Deutschland – soll es Anhörungen der Belegschaft geben. Außerdem geplant: eine konzernweite Umfrage und eine Überprüfung von Abläufen und Vorgaben.

Guillemot verspricht außerdem schonungs- und lückenlose Aufklärung und Ahndung der vorliegenden und aller künftigen Missbrauchs-Fälle. Dazu soll es die Möglichkeit geben, über einen externen Partner anonyme Hinweise und Beschwerden einzureichen.

Mit der Causa Ubisoft beschäftigt sich auch die heutige Freitags-Kolumne.

Update von 17:00 Uhr: Ubisoft-Gründer und -CEO Yves Guillemot hat sich in die Debatte um Missbrauchs-Vorwürfe in seinem Unternehmen eingeschaltet. Laut Business Insider hat der Konzernlenker das Thema zur Chefsache erklärt, um das er sich persönlich kümmern wolle. Zuvor war bekannt geworden, dass zwei Top-Manager mit Vice-President-Status ihre Posten räumen müssen.

Guillemot zeigte sich tief betroffen von den Anschuldigungen: „Diese Vorgänge stehen im völligen Widerspruch zu unseren Werten und zu dem, wie ich mir Ubisoft vorstelle. Das Unternehmen, das wir lieben, muss eine respektvolle Umgebung bieten, in der sich jeder Mitarbeiter entfalten kann.“

Der Vorstands-Chef des größten europäischen Spieleherstellers („Assassin’s Creed“, „Far Cry“, „Anno 1800“) versprach die Einsetzung von Prozessen und Gremien, die gemeldete Vorfälle unabhängig und ohne Verzögerung verfolgen sollen.

Ursprüngliche Meldung vom 29. Juni 2020: Drei Jahre nach der #MeToo-Welle mehren sich erneut Vorwürfe von Missbrauch, Übergriffen und systemischem Sexismus in der traditionell männlich geprägten Videospiel-Industrie. Das Bekanntwerden prominenter Fälle hat offenkundig dazu geführt, dass sich immer mehr Betroffene im Netz und in sozialen Medien zu Wort melden, die vergleichbare Erfahrungen gemacht haben.

Die Fälle ähneln sich: Meist wurde die Machtposition und der VIP-Status gegenüber vorwiegend weiblichen Opfern ausgenutzt – auch und gerade im Umfeld von Veranstaltungen, Konferenzen und Messen wie der Kölner Gamescom. Die Vorwürfe richten sich gegen das komplette Spektrum der Branche – von Spieldesignern und Community-Beauftragten über Influencer und Journalisten bis hin zur obersten Management-Ebene von Weltkonzernen.

Die Vorgänge sollen laut Bloomberg mittlerweile zu mehreren Entlassungen hochrangiger Ubisoft-Manager geführt haben. In einer Stellungnahme weist der französische Videospiel-Riese darauf hin, dass man über die Vorwürfe von Belästigungen und sexueller Übergriffe innerhalb der Belegschaft tief besorgt sei. Interne Untersuchungen unter Einbeziehung externer Experten sollen nun Licht ins Dunkel bringen.

In einer Mail an die Belegschaft kündigt das Unternehmen an, bestehende Regelungen überprüfen und überarbeiten zu wollen. In Deutschland gilt Ubisoft nach Nintendo of Europe als zweitgrößter Arbeitgeber der Branche: An den Standorten Düsseldorf, Berlin und Mainz sind fast 800 Mitarbeiter beschäftigt.

Die Dynamik der Ereignisse zeigt das Beispiel von Ashraf Ismail: Der Creative Director von Ubisoft Montreal sollte in den kommenden Monaten eigentlich die pünktliche Fertigstellung des Ubisoft-Blockbusters „Assassin’s Creed Valhalla“ sicherstellen – das Spiel soll Ende 2020 auf den Markt kommen. Der Auslöser für seinen überraschenden Rücktritt wirkt vordergründig banal: Während einer einjährigen Beziehung mit einer jungen Twitch-Streamerin soll der Spieldesigner seine bestehende Ehe verheimlicht und abgestritten haben – ein mutmaßlich nicht justiziabler Vorgang, zumindest nach allem, was bislang öffentlich geworden ist. Die Letsplayerin hat entsprechende Chat-Protokolle öffentlich gemacht. Seinen Twitter-Account hat Ismail inzwischen gelöscht; zuvor hatte er angekündigt, sein Privatleben in Ordnung bringen zu wollen. (Anm. d. Red.: Dieser Abschnitt wurde gegenüber der ursprünglichen Fassung erweitert und präzisiert)

Eine Rolle bei der Personalie könnte die herausgehobene Funktion des Entwicklers gespielt haben: Als Aushängeschild stand Ismail im Mittelpunkt der „Assassin’s Creed Valhalla“-Kommunikation gegenüber Presse und Publikum, zuletzt bei der offiziellen Spiel-Präsentation während eines Microsoft-Xbox-Livestreams. Möglicherweise gab es die Sorge, die Debatte um seine Person könnte die weitere Entwicklung plus die Vermarktung des Produkts überlagern.

Erst Fehltritt, dann Rücktritt: "Assassin's Creed Valhalla"-Spieldesigner Ashraf Ismail (Foto: Ubisoft)
Erst Fehltritt, dann Rücktritt: „Assassin’s Creed Valhalla“-Spieldesigner Ashraf Ismail (Foto: Ubisoft)

 

Derweil wächst die Liste weiterer Unternehmen, in denen es zu mehreren Übergriffen gekommen sein soll. Das Sony-Studio Insomniac Games („Marvel’s Spider-Man“) bestätigte via Twitter, dass man über kolportierte Vergehen von Mitarbeitern grundsätzlich informiert sei – allerdings könne und wolle man aus rechtlichen Gründen öffentlich nicht dazu Stellung nehmen.

In anderen Fällen wurde mittlerweile die Reißleine gezogen: So hat sich das polnische Studio Techland vom renommierten Rollenspiel-Designer Chris Avellone („Baldur’s Gate“, „Neverwinter Nights 2“) getrennt, dem gleich mehrere Frauen übergriffiges Verhalten vorwerfen.

Die größten Arbeitgeber der deutschen Games-Branche 2020 (Stand: 5. Mai 2020)
Die größten Arbeitgeber der deutschen Games-Branche 2020 (Stand: 5. Mai 2020)

Parallel hat der Amazon-Streaming-Dienst Twitch ein konsequenteres Vorgehen gegen Influencer angekündigt, die durch verbale und sexuelle Übergriffe auffällig werden – nicht zuletzt gegenüber Minderjährigen. Twitch geht hier offenkundig ohne Rücksicht auf Reichweite und Prominenz der Streamer vor und sperrt Kanäle dauerhaft.

In welchem Umfang die deutsche Games-Industrie betroffen ist, lässt sich mangels Daten nicht seriös bewerten. Die Branche ist geprägt von Niederlassungen internationaler Konzerne, mittelständischen Unternehmen und Hunderten kleinerer Entwickler-Studios. Dedizierte Ansprechpartner oder formale Prozesse zur Vermeidung und Aufarbeitung von Missbrauchs-Vorfällen existieren so gut wie gar nicht – einen Betriebsrat oder eine vergleichbare Arbeitnehmervertretung gibt es nur bei vier Unternehmen der Branche.

Offen zu Tage treten Sexismus, Belästigung und Diskriminierung unzweifelhaft innerhalb der Zielgruppe: Spielerinnen berichten regelmäßig von Belästigungen in Chats und in Foren – für Twitch-Streamerinnen, YouTuberinnen und Cosplayerinnen gehören anzügliche Bemerkungen zum traurigen Alltag.

Der Industrieverband Game sah sich im Dezember 2019 im Zuge der #Teamdiversity-Kampagne veranlasst, das Thema auf die Tagesordnung zu setzen. So wollen sich die Unterzeichner „aktiv gegen Belästigung und Machtmissbrauch einsetzen“ und sich „für ein diskriminierungs- und angstfreies Arbeitsklima engagieren“.


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