Start Meinung Hätte, hätte, Fahrradkette (Fröhlich am Freitag)

Hätte, hätte, Fahrradkette (Fröhlich am Freitag)

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Eine Fahrradkette (Abbildung ähnlich / Midjourney)
Eine Fahrradkette (Abbildung ähnlich / Midjourney)

Der arg gerupfte Einzelhandel blickt einigermaßen angespannt aufs Weihnachtsgeschäft. Der Beitrag der Games-Industrie fällt in diesem Jahr überschaubar aus.

Verehrte GamesWirtschaft-Leserin,
verehrter GamesWirtschaft-Leser,

in der Woche vor dem Abflug Richtung Ferieninsel hatten wir unserem Händler noch die Fahrräder zur jährlichen Inspektion vorbeigebracht – Lager, Bremsen, Schaltung, Kette, Reifen, all das. Bei Rückkehr wollten wir die Bikes wieder in Empfang nehmen.

Mitte Oktober schrieb ich dann eine Mail an die Werkstatt mit der Frage, wann wir vorbei kommen dürfen oder ob eventuell noch Ersatzteile fehlen. Tags darauf dann der Anruf: Räder sind fertig, wäre gut, wenn sie heute, spätestens am morgigen Mittwoch abgeholt würden.

Mit Blick auf meine Quest-Liste fragte ich: „Was ist mit Samstag?“„Das ist zu spät. Wir schließen am Donnerstag.“„Wie, ihr ’schließt‘ am Donnerstag?“ „Naja, Donnerstag ist der 24. und damit unser letzter Tag.“„Echt jetzt?“ „Jepp“„You’re kidding me …“„Ne. Mit Insolvenzen macht man keine Späße …“ „Wir sind in 60 Minuten bei euch.“

Und so war’s dann auch. Beim nachträglichen Durchforsten der Amtsgericht-Datenbank stellte sich heraus, dass der Antrag tatsächlich schon im August erfolgt war. Hätte man also (theoretisch) wissen können – hätte, hätte, Fahrradkette. Aber wer denkt denn an sowas? Zumal es keine Anzeichen gab – vielleicht mit Ausnahme der ungewohnt leeren Verkaufsflächen. Mittlerweile ist die dazugehörige GmbH liquidiert, der Laden geschlossen. Ein Jammer. Für die Belegschaft, für die Region und natürlich für uns als langjährige Stammkunden, die jetzt einen neuen Händler benötigen.

Fröhlich am Freitag - die wöchentliche Kolumne bei GamesWirtschaft
Fröhlich am Freitag – die wöchentliche Kolumne bei GamesWirtschaft

Es sollte noch schlimmer kommen: Denn ‚mein‘ Friseur hat neuerdings nur noch an vier Tagen pro Woche geöffnet – zusätzlich zum branchen-üblichen Montag (wer immer sich das ausgedacht hat) ist jetzt auch am Samstag geschlossen. Ähnliche Phänomene lassen sich in der Gastronomie beobachten: Sicher, die Läden sind voll, aber halt am Wochenende oder an hohen katholischen Feiertagen, während es anstrengend geworden ist, überhaupt ein Lokal zu finden, das mittags oder an einem Dienstagabend für ein paar Stunden öffnet. Das gutbürgerliche Restaurant ums Eck hat von à la carte auf kalkulierbare ‚Events‘ umgestellt.

Wer mit offenen Augen durch Deutschlands Innenstädte läuft, kann dem mehr oder weniger kontrollierten Runterfahren des Mittelstands quasi in Echtzeit zuschauen. In der örtlichen ‚Fußgängerzone‘ unseres 20.000-Einwohner-Städtchens gibt es kaum noch klassischen Einzelhandel – stattdessen (viele) Optiker, (viele) Apotheken, (viele) Reisebüros, dazu Drogerien, Handyvertrag-Vermittler und zugeklebte Schaufenster. Wo einst gleich mehrere Bäckereien und Metzgereien konkurrierten, hält sich mittlerweile nur noch ein Betrieb über Wasser. Mal fehlen Nachfolger, mal Fachkräfte, mal das Geld für Mieten und Sanierung, mal sterben Kundschaft, Geschäftsmodell oder beides gleichzeitig aus.

Die Breite Gasse in Nürnberg – einst eine der umsatzstärksten Shopping-Meilen des Landes – hat sich zu einer deprimierenden Leerstands-Wüste entwickelt. Die Pleite eines größeren Einkaufszentrums und das Kaufhof-Aus zugunsten des gegenüberliegenden Karstadt haben die Kundenfrequenz zusätzlich reduziert und den Niedergang beschleunigt. Die Stadtplaner wollen jetzt umsteuern und „Aufenthalts- und Begegnungsmöglichkeiten“ schaffen, inklusive „Aktivinseln“, Trinkbrunnen und neuem „Beleuchtungskonzept“ – dabei viel Erfolg.

In der Breiten Gasse gibt es auch eine von bundesweit nur noch 70 verbliebenen GameStop Stores. Es waren schon mal über 200. Und ob sich der MediaMarkt-Saturn-Chef auf eine substanzielle Wette einlassen würde, dass in zwei, drei Jahren noch Saturn-Filialen in Deutschland existieren, daran darf man spätestens seit dieser Woche zweifeln.

Kein Zweifel: Deutschlands Innenstädte im Allgemeinen und der stationäre Handel im Besonderen sind in deep trouble – ohne Aussicht auf kurzfristige Linderung. Zur allgemeinen Verbraucher-Lethargie gesellen sich steigende Kosten und knüppelharter Wettbewerb. Weitere 5.000 Geschäfte machen bis Jahresende dicht – so lautete die Prognose des Branchenverbands HDE im Februar.

Pünktlich zum Weihnachtsgeschäft hat der HDE die Jahresprognose nach unten korrigiert – mit Glück springt noch ein mageres Eins-Komma-Nochwas-Plus raus. Das gilt in diesen Zeiten bereits als „stabil“. Inflationsbereinigt liegen wir bereits im Minus. Im Lichte vieler Krisen hielten die Menschen ihr Geld zusammen, heißt es.

Um so mehr richten sich die Hoffnungen nun auf die angelaufene ‚holiday season‘: Es gibt Branchen, die erwirtschaften ein Viertel des Jahresumsatzes in den wenigen Wochen zwischen Black Friday und Bescherung. Das gilt zum Beispiel für Bücher, Uhren und Schmuck sowie Unterhaltungselektronik. „Weihnachten entscheidet alles“, heißt es beispielsweise in der Spielwaren-Branche. Die Lotti-Karotti-Saison ist folglich in full swing.

In der Videospiele-Industrie ist das Business längst nicht mehr so saisonal wie früher, sondern verläuft entlang der Releases großer Marken und Spielkonsolen – und die kommen gerne auch mal im Frühjahr (wie die Switch) oder mitten im Hochsommer (wie Star Wars Outlaws).

Der Videospiele-Sektor ging mit einer leichten Hypothek ins Jahr 2024 – auch bedingt durch einen Mangel an Blockbustern: Nach Jahren strammen Wachstums samt Corona-Sonder-Effekt waren die Games-Umsätze in Deutschland rückläufig. Bei der Hardware ging es im ersten Halbjahr um 18 Prozent nach unten, bei der Software um 4 %. Doch der Markt werde nicht lange im Rückwärtsgang bleiben, prophezeite der Verband anlässlich der Gamescom im August. Hinter dieser These darf man zumindest für das Jahr 2024 ein Fragezeichen setzen.

Denn eingangs des Weihnachtsgeschäfts zeigt sich, dass es es an echten Impulsen fehlt – also an Produkten, die den Durchverkauf ankurbeln und damit auch für Frequenz und Umsatz in den Geschäften sorgen. Tatsächlich ist es so:

Wer dennoch willens und in der Lage ist, den Vor-Ort-Einzelhandel zu supporten, wird vielerorts auf zunehmend größere Schwierigkeiten stoßen, das gewünschte Videospiel oder Gamepad im Umkreis von 10 bis 20 km zu erwerben. In Drogerie- und Elektronikmärkten sind die Games-Abteilungen analog zu den einst üppigen DVD-/Blu-Ray-/Musik-CD-Regalen auf wenige Quadratmeter zusammengeschnurrt.

Zur Wahrheit gehört aber auch: Das social-mediale Wehklagen, das regelmäßig einsetzt, wenn mal wieder ein Esprit, Real, Depot, Jako-o, MyToys, Görtz, Reno, Peek & Cloppenburg, Karstadt, Hussel, Weltbild, The Body Shop, GameStop oder Saturn schließt, könnte dem Verbraucher auch Anlass bieten, um sich mal selbstkritisch zu prüfen, wann er oder sie denn dort zuletzt eingekauft hat. Und in welchen Fällen andere Faktoren – Auswahl, Preis, Verfügbarkeit, Komfort, Rückgaberecht – den Ausschlag gaben, doch wieder vom Sofa aus bei Bezos & Söhne zu ordern.

An uns lag’s jedenfalls nicht, dass der eingangs beschriebene Fahrradhändler die Hufe hochgeworfen hat. Wir hätten auch künftig unsere Räder dort inspizieren lassen und bei Neuanschaffungen zuerst dort vorgesprochen.

Hätte, hätte, Fahrradkette.

Ein schönes Wochenende wünscht Ihnen

Petra Fröhlich
Chefredakteurin GamesWirtschaft


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1 Kommentar

  1. Nö, einfach nö! Der Einzelhandel hat sich das Leben auch sehr gerne selbst schwer gemacht. Essentielle produkte mit „haben wir nicht, müssen wir bestellen“ zu deklarieren oder auf Fragen des Kunden nicht einzugehen sondern stattdessen zu versuchen einen vertrag zu verkaufen sind nunmal keine Qualitätsfaktoren wegen denen man ins Geschäft kommt. Das höchste der Gefühle war noch bei media Markt mal einige Geräte in die Hand zu nehmen als ein neues Smartphone gebraucht wurde, nur um festzustellen, dass die Kamera des Flagschiffmodells von Google und Samusng dann doch nicht die Erwartung erfüllt und das Appleprodukt ebenfalls keine gute Figur macht.

    Wenn überhaupt noch physische Games im Warenkorb landen, dann wird zuerst auf Idealo und anderen Platformen der Preis verglichen. 5-10% Aufpreis auf ein ohnehin schon stark gestiegens Preisniveau bei Spielen udn Zubehör nur um den lokalen Einzelhändler zu unterstützen sind es mir am Ende nicht wert. Meistens tut es auch ein Key aus einer der zahlreichen Platformen. Was war wohl zuerst da, die abnehmende Qualität der Spieleveröffentlichungen oder der Unwille der Kunden den Listenpreis zu zahlen. Meiner Erfahrung nach ersteres. Noch 2009, als ich stolz die CD der jüngsten Neuerscheinung meiner Lieblingsspieleserie ins Laufwerk schob und nach etwa 2 Stunden Spielzeit mit dem ersten Absturz konfrontiert wurde, hatte ich zuvor mit Freude den vollen Listenpreis auf Amazon gezahlt und mir am Releasetag extra Zeit genommen um das Werk in vollen Zügen zu genießen. Allerdings war hier schon erkennbar, dass es wohl in Zukunft nicht mehr so eifnach werden würde und man lieber erstmal Rezensionen abwarten sollte bevor man etwas blind vorbestellt. 10 Jahre später manifestierte sich das schon als eiserne Regel und selbst Nintendo hat in den jahren stark nachgelassen. Waren die Pokemon-Spiele doch immer ein Pflichtkauf so muss man sich mittlerweile auch hier mit Bugs, Glitches und sogar einem „Bluescreen“ auf der Switch abgeben. Mir war davor nichteinmal bewusst, dass das überhaupt möglich ist aber ja, Paldea hat die Switch dazu gebracht alle Viere von sich zu strecken.

    Die Frage ist nun welchen mehrwert der lokale Einzelhandel nun noch hat. Abgesehen von Reparatur und Wartung, ist die Beratungsleistung nun auch nicht mehr das, was sie mal war und gängige Websites haben mittlerweile 24/7 customer Chats. Zur Not helfen auch Rezensionen und Nutzererfahrungen im Internet, wenn nicht gerade ein fachkundiges Forum zur Verfügung steht welches in den meisten Fällen sogar mehr geballte Expertise aufweißt als es jeder Fachverkäufer jeh könnte. Gerade im Bereich von Technik, die komplizierter ist als der handelsübliche Toaster wird ja auch hier oftmals nur Eingeschickt und nicht mal mehr selbst repariert. Wenn ein Konzept also seinen Nutzen überlebt hat, sollte man dann noch versuchen es wie im Fall von Kaufhof künstlich am Leben zu erhalten oder muss hier doch der darwinsche Grundsatz zum tragen kommen, dass nur die angepassten überleben?

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