Start Meinung Wachse oder weiche (Fröhlich am Freitag)

Wachse oder weiche (Fröhlich am Freitag)

0
Wachsen oder weichen? Dies gilt für die Landwirtschaft ebenso wie für die Games-Branche (Abbildung: ähnlich)
Wachsen oder weichen? Dies gilt für die Landwirtschaft ebenso wie für die Games-Branche (Abbildung: ähnlich)

Von wegen Dorfromantik: Nicht nur die Landwirtschaft kämpft mit dem Strukturwandel – die Mechaniken greifen auch in der Games-Industrie.

Verehrter GamesWirtschaft-Leser,
verehrte GamesWirtschaft-Leserin,

ich habe an dieser Stelle schon das eine oder andere Mal erzählt, dass ich meine Kindheit sehr überwiegend auf dem benachbarten Bauernhof meiner Großeltern verbracht habe. Ein kleines Gehöft, wie es sie im vergangenen Jahrhundert zuhauf in jedem Dorf gab – mit einigen wenigen Milchkühen, dazu ein Stall mit Schweinen und Ferkeln, freilaufenden Hühnern samt Gockel und riesigen Holz-Schuppen voll mit Zeugs, das nur darauf wartete, in waghalsigen Konstruktionen verbaut zu werden.

Kurzum: ein kleines Paradies.

Zu allen Jahreszeiten gab es eine Menge zu tun – bei der Kartoffel-, -Rüben und -Weizenernte, beim Einbringen von Futtergras, Stroh und Heu und beim Abtransport der gefällten Föhren, die sowohl den Herd als auch den Kachelofen befeuerten.

Also alles wie im Landwirtschafts-Simulator – nur in echt.

Fröhlich am Freitag - die wöchentliche Kolumne bei GamesWirtschaft
Fröhlich am Freitag – die wöchentliche Kolumne bei GamesWirtschaft

Trigger-Warnung: Wenn an ausgewählten Samstagen eines der Schweine entnommen wurde, harrten wir Kinder mit pochendem Herzen hinter einem Mauervorsprung aus, bis der finale Bolzenschuss über den Hof hallte und das panische Quieken stoppte. Das war für uns das Signal: Ihr könnt wieder zu den Erwachsenen stoßen. Während sich das Granitpflaster allmählich rot färbte, entstanden Koteletts und Schinken, dazu Brat-, Blut- und Leberwürste. In der winzigen Küche konnte man vor lauter Dampf kaum die Hand vor Augen erkennen. Wer diesen Vorgang so oft und so intensiv erlebt hat wie wir, wird entweder Fleischereifachverkäufer – oder Vegetarier.

All das wäre in dieser Form heute aus vielerlei Gründen nicht mehr möglich – auch wenn sich mit den produzierten Mengen problemlos ganze Straßenzüge ernähren ließen. Doch die bewirtschafteten Flächen des Familienbetriebs wären schlichtweg viel zu klein, um profitabel zu wirtschaften. Es hätte massive Investitionen in Gebäude, Technik und Landmaschinen erfordert, um nicht vom Subventions-Karussell absteigen zu müssen – plus natürlich die Bereitschaft der Folge-Generationen, diesen 365-Tage-24/7-Knochenjob zu leisten.

Da beißt die Maus keinen Faden ab: Das Geschäftsmodell des Bullerbü-Idylls, wie ihn die Werbung suggeriert und wie ich ihn in meinen Kindheits-Erinnerungen abgespeichert habe, ist nicht mehr tragfähig. Längst sind die Felder verpachtet – im Stall, wo einst Mehlschwalben nisteten, stehen heute Fahrräder. Die Scheunen werden als Garagen genutzt. Kein Einzelfall: In meinem fränkischen Heimatdorf gibt es nur noch eine Handvoll von Nebenerwerbs-Landwirten.

Die amtliche Statistik für den hiesigen Landkreis belegt es Schwarz auf Weiß: 2003, also vor 20 Jahren, gab es exakt 336 landwirtschaftliche Betriebe mit weniger als 5 Hektar – schon 2016 waren es nur noch 45. Umgekehrt ist die Zahl der XXL-Unternehmen mit 50 Hektar aufwärts im selben Zeitraum immer weiter gestiegen, nämlich von 160 auf 214. In Summe hat sich die Zahl der Bauernhöfe in der Region trotzdem mehr als halbiert, und das ganz ohne Zutun der Ampel.

Dies, meine sehr verehrten Damen und Herren, nennt man Höfesterben – oder etwas netter: Strukturwandel. ‚Wachse oder weiche‘, wie es der grüne Landwirtschaftsminister Özdemir regelmäßig auf Kundgebungen und in Talkshows formuliert. Hubraum und Bereifung der Traktoren, die derzeit hupend und blinkend zu Tausenden durch die Republik rollen, legen den Verdacht nahe, dass ihre Besitzer erfolgreich an diesem Strukturwandel teilgenommen haben.

Natürlich gilt das Wachse-oder-weiche-Prinzip für ungefähr alle Wirtschaftszweige – in der Industrie, im Handel, im Technologie-Bereich. Kaufen oder gekauft werden. Dass derzeit gerade in der Tech- und Entertainment-Branche regelrechte Entlassungswellen durch die Betriebe rollen, lässt sich vor allem damit erklären, dass das Management die Nummer mit dem ‚Wachsen‘ etwas zu wörtlich genommen hat.

Mittlerweile unternehmen die Konzerne in ihren gleichermaßen zerknirschten wie austauschbaren „A difficult update“-Verlautbarungen erst gar keinen Versuch mehr, die Beweggründe zu verschleiern: Es gibt schlichtweg zu viel Mensch für zu wenig Umsatz. Oder zumindest: für zu wenig potenzielles Wachstum. Im Ergebnis kam es auch in dieser Woche wieder täglich zu Meldungen über geplanten Stellenabbau: bei Unity, Google, Twitch, Discord, Pixar, Playtika, Audible, zuvor bei Epic Games, Embracer, Electronic Arts, CD Projekt Red, Ubisoft und so weiter – die Liste ist endlos und dürfte noch anwachsen.

Dies hat zwangsläufig auch Auswirkungen auf Entwickler im deutschsprachigen Raum. Aus Gründen: Die Wachstumsschmerzen, an denen die Mutterkonzerne hiesiger Studios laborieren, könnten mit etwas Pech zu einem erneuten ‚Höfesterben‘ führen, wie wir es in den Anfang-2000ern erlebt haben, als Ascaron, 10tacle, Jowood, DTP, CDV, The Games Company, Software 2000, Phenomedia und viele weitere Spielehersteller in die Pleite schlitterten. Vielfach lag der Grund schlicht darin, dass sich die mit den Börsengängen einhergehenden Wachstums-Versprechungen und -Erwartungen als heiße Luft herausgestellt hatten.

Ein bisschen optimistisch stimmt mich in dieser ungemütlichen Lage der Blick in die Geschäftsberichte: Gerade die Mittelständler haben zuletzt sehr ordentlich verdient – bei überwiegend konservativem Personalaufwuchs und stabiler Belegschaftsgröße im Fünfjahres-Vergleich. Eine Garantie für die Arbeitsplatz-Sicherheit ist dies, wie gesehen, nicht.

Klar ist nur eines: Von der Politik ist – anders als im Agrar-Sektor – bis auf Weiteres keine substanzielle Unterstützung für die Games-Branche zu erwarten. Habecks Wirtschaftsministerium schichtet im laufenden Jahr lediglich bereits genehmigte Anträge ab – und mit Blick auf steuerliche Anreize hat es die Behörde von Finanzminister Christian Lindner nach eigener Auskunft überhaupt nicht eilig. Stattdessen wird auf den klammen Haushalt verwiesen und auf den Umstand, dass ja in den Vorjahren schon Hunderte Millionen ins System geflossen seien – Motto: Nu‘ is‘ aber ma‘ gut.

Wenn aber Subventionen gekürzt werden oder komplett entfallen – woher könnten dann Impulse für frische Investitionen und Mittel für das nächste Spiele-Projekt kommen? Vor diesem Hintergrund werden sich insbesondere die vielen jungen Studios (die seit 2019 infolge der Games-Förderung entstanden sind) analog zu den Landwirten entscheiden müssen: Wachsen? Oder weichen?

Ein schönes Wochenende wünscht Ihnen

Petra Fröhlich
Chefredakteurin GamesWirtschaft

Immer freitags, immer kostenlos: Jetzt GamesWirtschaft-Newsletter abonnieren!