Start Meinung Event-Jahr 2022: Nerven aus Stahl (Fröhlich am Freitag)

Event-Jahr 2022: Nerven aus Stahl (Fröhlich am Freitag)

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Messe- und Event-Jahr 2022: Viele Absagen, kaum Planungs-Sicherheit (Foto: GamesWirtschaft)
Messe- und Event-Jahr 2022: Viele Absagen, kaum Planungs-Sicherheit (Foto: GamesWirtschaft)

Dafür, dass 2022 gar nicht mal so gut los ging, ist die Games-Industrie im deutschsprachigen Raum ziemlich robust durch’s Jahr gekommen.

Verehrter GamesWirtschaft-Leser,
verehrte GamesWirtschaft-Leserin,

seit mehr als zehn Jahren verschenken wir zu Weihnachten stets die neueste Ausgabe eines handgebauten Fotobuchs. Immer vom selben Online-Drucker, immer im Format 19×19. Inzwischen ist eine regelrechte „Hach, was waren wir da noch jung …“-Bibliothek entstanden.

Wer jemals so ein Ding gebaut hat, weiß um den irren Aufwand. Hunderte, ach was: Tausende Fotos wollen gesichtet, bearbeitet, optimiert, zugeschnitten, sortiert, gruppiert, angeordnet, schattiert, gerahmt und vor allem gelöscht werden. Weil ja ungefähr alles mit dem Smartphone festgehalten wird, existiert ein und die selbe Szene aus fünf verschiedenen Blickwinkeln – und nur einer kann gewinnen.

Umso erleichterter ist man nach vielen Abenden des Rumpfriemelns, wenn der Paketdienst klingelt und die druckfrischen, gefühlt noch dampfenden Wälzer überreicht. Beim Durchblättern wird einem ein ums andere Mal bewusst, wie viel Leben in 365 Tage hinein passt.

Fröhlich am Freitag - die wöchentliche Kolumne bei GamesWirtschaft
Fröhlich am Freitag – die wöchentliche Kolumne bei GamesWirtschaft

In diesem Jahr lagen Produktionsaufwand und -kosten fast 100 Prozent über den beiden Vorjahren – was nur zum Teil mit höheren Papier- und Druck-Tarifen zu erklären ist. Tatsächlich haben schlichtweg viel, viel mehr Familienfeiern und -treffen, Ausflüge, Konzerte, Reisen und anderweitige Events stattgefunden. Das wird Ihnen vermutlich nicht viel anders ergangen sein. All diese Momente wollen natürlich angemessen bebildert sein; der Seitenumfang ist dementsprechend angewachsen.

Würde man ein Fotobuch über die Games-Branche des Jahres 2022 erstellen (demnächst vielleicht im GamesWirtschaft-Fanshop), dann fiele es ebenfalls weit üppiger aus als noch 2021. Kinners, was war da alles los …

  • Die Gamescom konnte nach zweijähriger Corona-Unterbrechung wieder vor Ort in Köln stattfinden. Schön war’s. Voll war’s. Nur beim Versprechen „Wie früher. Nur besser.“ wurde ein klitzekleinesbisschen zu hoch gestapelt.
  • Mit Astragon und Daedalic wurde hiesiges Publisher-Tafelsilber für hohe zwei-, teils dreistellige Millionen-Bewertungen ins Ausland verkauft. Spoiler: Das geht 2023 mit gleicher Intensität weiter.
  • Der Handel ächzte auch im dritten Jahr nach Launch unter PlayStation 5-Lieferproblemen. Wer die Konsole in den Wochen vor Weihnachten bestellte, bekommt die Kiste voraussichtlich erst Ende Januar – schöne Bescherung.
  • Erst Amazon, dann Lockdowns, jetzt hohe Energiekosten und Verbraucher-Zurückhaltung: In Deutschlands Fußgängerzonen und überhaupt im Einzelhandel wird der Wind eisiger. GameStop knipst in weiteren Filialen das Licht aus – und bei MediaMarkt und Saturn verwischen auch noch die letzten Marken-Abgrenzungen.
  • Offen gestanden hielt ich es zunächst für einen verfrühten, wenngleich handwerklich gut gemachten Aprilscherz. Aber die Zweifel legten sich schnell: Microsoft hielt tatsächlich um die Hand von Activision Blizzard an. Ob’s klappt? Offener denn je. Aber wenn doch, dann verändert dieser Deal die Videospiele-Welt wie nur wenige zuvor.

Was die Branche sonst noch bewegte, steht im großen Jahresrückblick 2022 mit den zehn meistgeklickten Themen und Ereignissen (in einer Nebenrolle: ein Miniatur-Kühlschrank).

Immer noch ziemlich surreal wirkt auf mich, wie rasch sich die Industrie den Corona-Blues aus den Kleidern geklopft hat. Die Verleihung des Deutschen Entwicklerpreises kürzlich in Köln fühlte sich schon fast wieder an „wie früher“. Nur besser.

Dabei ist es gerade mal ein Jahr her, dass die Omikron-Zahlen durch die Decke schossen. „Lockern oder Lockdown?“, fragte die Deutsche Welle besorgt im Januar diesen Jahres. Zum Jahreswechsel waren nämlich bundesweite „Kontaktbeschränkungen“ in Kraft getreten – Einzelhandel und Kultureinrichtungen hatten mit empfindlichen Auflagen zu kämpfen, Diskotheken blieben ganz geschlossen. Eingangs der Skisaison galten Österreich und die Schweiz als „Hochrisikogebiete“ – neben 150 weiteren Ländern.

2G, 2G Plus, 3G: All das klingt nach Erzählungen aus einer längst vergangenen Zeit – und doch sind erst ein paar Monate vergangen, seitdem der Restaurant-Besuch unter genau diesen Bedingungen statt fand. Noch Anfang 2022 glaubten in einer dpa-Umfrage gerade mal 15 Prozent an eine Normalisierung ihres Alltags im Jahresverlauf.

Erst ab Ende März wurden die Corona-Einschränkungen schrittweise zurückgefahren. Und jetzt planen Sie mal in eine solche Phase latenter Unsicherheit hinein eine Sommer- oder Herbst-Veranstaltung. Sagen wir, eine Fachkonferenz. Oder eine Preisverleihung. Oder ein Festival. Oder ein E-Sport-Turnier. Oder eine Weltleitmesse für Computerspiele – viel Spaß und gutes Gelingen.

Wer Events zu organisieren, Quadratmeter zu füllen und Tickets zu verkaufen hatte, brauchte Nerven aus valyrischem Stahl.

Unterm Strich ist die Videospiele-Zunft im deutschsprachigen Raum aber erstaunlich gut durch 2022 gekommen – auch wenn es zwischendurch immer mal wieder heftig geknirscht und gerumpelt hat. Ohne es für jeden Einzelfall beeiden zu können, habe ich doch den Eindruck, dass die Branche in diesen Tagen besser da steht und gelassener auf die kommende Zeit blickt als noch vor zwölf Monaten. Und das ist doch eine ganz versöhnliche Nachricht so kurz vor Heiligabend.

Auch GamesWirtschaft geht nun in eine (kurze) Weihnachtspause. Für die abgelaufene Saison kann ich mich nur von Herzen bedanken – insbesondere für die Offenheit und das Vertrauen, dass sensible (Vorab-)Informationen gut aufgehoben sind und bleiben.

Es hat einen Riesenspaß gemacht, die Games-Industrie von der Tribüne aus zu begleiten und zu kommentieren. Ich hoffe, Sie fühlten sich allseits gut informiert. Auch für 2023 bleibt der Vorsatz, nicht nur stumpfe Meldungen und Zahlen zu überbringen, sondern immer auch Kontext mitzuliefern – sei es durch Infografiken, Rankings, Marktübersichten oder eben Kolumnen.

Ihnen, Ihrer Crew und Ihren Familien wünsche ich erholsame, glückliche, friedliche Feiertage. Kommen Sie gesund und munter ins neue Jahr.

Petra Fröhlich
Chefredakteurin

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