Start Meinung Entwicklerpreis 2022: Deutschland sucht das Superspiel (Fröhlich am Freitag)

Entwicklerpreis 2022: Deutschland sucht das Superspiel (Fröhlich am Freitag)

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Hattrick für die Schweiz: Stray Fawn Studio liefert das
Hattrick für die Schweiz: Stray Fawn Studio liefert das "beste deutsche Spiel" beim Deutschen Entwicklerpreis 2022 ab (Foto: Fröhlich)

Wenn Talent auf Spielfreude trifft: Die Schweizer sind die Brasilianer unter den Spiele-Entwicklern im deutschsprachigen Raum.

Verehrter GamesWirtschaft-Leser,
verehrte GamesWirtschaft-Leserin,

der Chef der Düsseldorfer Staatskanzlei ließ in seinem vorab aufgezeichneten Grußwort wenig Zweifel aufkommen: Sollten die nordrhein-westfälischen Studios bei ihrem ‚Heimspiel‘ nicht reüssieren, erwarte er die Ausrichter des Deutschen Entwicklerpreises am heutigen Freitagmorgen um 7 Uhr zum Rapport.

Das war natürlich (hoffentlich) nur ein Joke. Aber wenn das Land Nordrhein-Westfalen schon als Gastgeber und Großsponsor der Preisverleihung in der vollbesetzten, festlich dekorierten Kölner Flora auftritt, dann wär’s ja schon ganz nice, wenn die eine oder andere Trophäe an Rhein und Ruhr bliebe.

Fröhlich am Freitag - die wöchentliche Kolumne bei GamesWirtschaft
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Stellt sich raus: Sechs der zehn Preise in den Haupt-Gewerken gingen am gestrigen Abend an Studios in Zürich und in Innsbruck (Übersicht). Und womit? Mit Recht. Bestes Gamedesign, beste Grafik, beste Technik, beste Innovation, bestes Casual Game, dazu das beste „deutsche“ Spiel – alles made in Austria und Switzerland.

Abräumer des Abends ist zum einen die Tiroler Clockstone Softwareentwicklung GmbH (Motto: ‚Just great games‘), die in LEGO Bricktales liebevolle Klemmbaustein-Welten zum Leben erweckt – und zum anderen das Schweizer Indie-Team Stray Fawn, das mit The Wandering Village ein gleichermaßen originelles wie erfolgreiches Aufbau-Spiel hingestellt hat.

Dabei ist das „beste deutsche Spiel“ des Jahres 2022 noch nicht mal fertig, denn bis auf Weiteres verkauft Stray Fawn nur eine Early-Access-Fassung, die in den kommenden Monaten erst noch reifen soll.

Die Auszeichnungen sind noch aus einem anderen Grund bemerkenswert: Während alleine Nordrhein-Westfalen jährlich viele Millionen Euro in die Computerspiele-Förderung pumpt, müssen Schweizer Startups und Indies jeden Franken zusammenkratzen – sehr zum Verdruss von Stray Fawn-Co-Gründerin Philomena Schwab, die auf allen Ebenen seit Jahren hart für mehr Anerkennung ihrer Eidgenossen kämpft.

Mehr Anerkennung heißt (auch): eine substanzielle Kultur- und Wirtschaftsförderung für Videospiele. „Wie in Deutschland“, wie sie mir gestern sagte.

Falls Sie sich nun wundern, warum beim Deutschen Entwicklerpreis überhaupt Entwickler aus Österreich und Schweiz antreten dürfen: Das ist seit langem guter Brauch. Vor vier Jahren hat zum Beispiel das Zürcher Studio Okomotive mit FAR: Lone Sails den Preis für das beste Deutsche Spiel gewonnen.

Was neu ist: Nie zuvor in der fast 20jährigen Entwicklerpreis-Historie hatten Spiele-Macher aus Deutschland so sehr das Nachsehen wie in diesem Jahr. Direkt neben mir im Publikum fieberte das wackere Fishlabs-Team aus Hamburg mit, dessen Weltraumspiel Chorus gleich vier Mal nominiert war. Doch dann nahm der Abend eine erkennbar unerwartete Entwicklung – eine Trophäe nach der anderen ging an die alpine Konkurrenz.

Die Enttäuschung war mit Händen zu greifen.

Natürlich kann man das gestrige Entwicklerpreis-Ergebnis achselzuckend hinnehmen und feststellen: Naja, war halt ein nicht ganz so doller Jahrgang aus bundesdeutscher Sicht. Ausrutscher. Kommt vor. Doch analog zur vorzeitigen Abreise der DFB-Delegation aus Katar lohnt eine genauere Analyse.

Denn der gestrige The Wandering Village-Durchmarsch war eben kein Unfall. Die Schweizer hängen ‚uns‘ auch unterjährig ab. Aber so richtig. Das mit weitem Abstand meistverkaufte Computer- und Videospiel aus dem deutschsprachigen Raum stammt nämlich wie schon 2021 aus der Nähe von Zürich, wo die Belegschaft von Giants Software den Landwirtschafts-Simulator baut. Allein in den vergangenen zwölf Monaten hat das Studio vier Millionen Stück abgesetzt.

Eine Spiele-Produktion, international erfolgreich, nachhaltig und ganz ohne Förderung? Folgt man dem Sound führender Branchenverbände, dürfte es sowas ja eigentlich gar nicht geben.

Zum kompletten Bild gehört natürlich, dass Bestseller-Listen und Preisverleihungen wie jene in Köln die tatsächliche Lage im Land nur unzureichend widerspiegeln. Denn die größten und erfolgreichsten Studios der Bundesrepublik werden so gut wie nie für irgendwas ausgezeichnet, schon gar nicht von der eigenen Branche. Was wiederum daran liegt, dass diese Unternehmen keine klassischen PC- und Konsolen-Spiele entwickeln, sondern Mobile- und Online-Games betreiben.

Free2Play ist ein ganz anderes Geschäft, das nicht den gewohnten Release-Zyklen folgt und sich demzufolge nur unzureichend in Award-Kategorien abbilden lässt. Ein erheblicher, genauer: der allerallerallergrößte Teil der Wertschöpfung deutscher Games-Entwickler wird von Award-Zeremonien also gar nicht ausgeleuchtet.

Überhaupt gibt es für Dorfromantik & Co. viel mehr Liebe als für Produkte, die lifetime eine Milliarde Euro einspielen. Weshalb ich das Unverständnis nachvollziehen kann, das sich vielerorts Bahn brach, als beim Entwicklerpreis ausgerechnet die Disziplin „Dauerbrenner“ ersatzlos gestrichen wurde. Denn als preiswürdig gilt demnach nur noch, was bei Steam oder im PlayStation Store abgerechnet werden kann.

Immerhin: Wenn im Frühjahr der staatliche Deutsche Computerspielpreis 2023 verliehen wird, müssen die hiesigen Studios dankenswerterweise nicht die knüppelharte österreichische und Schweizer Konkurrenz fürchten. Denn beim DCP darf nur mitmachen, was zwischen Flensburg und Freilassing angebaut wird. Mit etwas Glück lassen sich demnächst ja erste Früchte der bundesdeutschen Computerspiele-Förderung besichtigen.

Apropos Förderung: In seinem eingangs erwähnten Video-Grußwort hat es sich NRW-Medienminister Liminski nicht verkniffen, die Ampel-Koalition für den zwischenzeitlichen (und mittlerweile aufgehobenen) Annahme-Stopp infolge leerer Töpfe zu dissen und einen durchsichtigen „Die da in Berlin“-Schulterschluss mit der Branche zu proben.

Was der CDU-Politiker sicher nur vergessen hat zu erwähnen: Das Verfahren, das Habecks Ministerium seit dem Frühjahr operativ umsetzt, wurde zuvor von der Groko aufgesetzt – und zwar in Gestalt von CSU-Sportsfreund Scheuer. Mit allen handwerklichen Risiken und Nebenwirkungen, die den deutschen Studios jetzt fast auf die Füße gefallen wären.

Aber geschenkt. Viel erfreulicher ist der Umstand, dass die Entwicklerpreis-Macher heute in aller Herrgottsfrühe mit großer Wahrscheinlichkeit doch nicht in der Staatskanzlei antanzen mussten. Denn zumindest das Tiroler LEGO-Spiel wurde von der deutschen Niederlassung des schwedischen Publishers Thunderful eingetütet, finanziert und vermarktet.

Und Thunderful hat seinen Sitz nun mal in Düren. Bei Köln. Nordrhein-Westfalen, eindeutig!

Glück gehabt.

Ein schönes Wochenende wünscht Ihnen

Petra Fröhlich
Chefredakteurin GamesWirtschaft-Leser

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1 Kommentar

  1. Tja, um ein gutes Spiel zu machen braucht man eben mehr als ein perfekt durchmonetarisiertes 08/15 Game Design und ein Team von Crunchtime geplagter Entwickler um erfolgreich zu sein. Eine innovative Idee und vor allem Spaß an der Arbeit sind für ein Unterhaltungsprodukt leider dann doch noch Voraussetzung um erfolgreich zu sein. Es gibt eben Geschäftszweige die mehr sind als Umsatzzahlen, Statistik und etwas, dass man im Wirtschaftsstudium lernt. Hier gehört das Feld den kreativen Köpfen in Design und Entwicklung!

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