Start Meinung Bericht aus dem Nähkästchen (Fröhlich am Freitag)

Bericht aus dem Nähkästchen (Fröhlich am Freitag)

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Mit Gratis-Snacks und -Getränken, Firmen-Ausflügen und anderen 'Benefits' halten Studios ihre Belegschaft bei Laune (Foto: Kolibri Games)
Mit Gratis-Snacks und -Getränken, Firmen-Ausflügen und anderen 'Benefits' halten Studios ihre Belegschaft bei Laune (Foto: Kolibri Games)

Müssen Journalisten bei Studios und Publishern (noch) genauer hinschauen, um Unheil aufzuklären? Und wenn ja: Was ist uns das ‚wert‘?

Verehrter GamesWirtschaft-Leser,
verehrte GamesWirtschaft-Leserin,

in dieser Woche hat ein geschätzter Kollege – Podcaster und Autor Dom Schott – in einem Beitrag für das Magazin Wasted die sehr berechtigte Frage aufgeworfen, warum offenkundig niemand für investigativen Spielejournalismus zu zahlen bereit ist. In jedem Fall seien die Honorare für aufwändige Reports zu gering.

Als hierzulande fehlendes Korrektiv wird insbesondere eine Art Jason Schreier genannt – ein US-Journalist, der dank dicht gewobenem Netzwerk als personifizierte Klagemauer für die nordamerikanische Videospiele-Industrie fungiert. Wo immer Überstunden geschoben werden oder Manager ihre Macht gegenüber Schutzbefohlenen ausnutzen oder Projekte und ganze Unternehmen in Turbulenzen geraten: Der Bloomberg-Redakteur saugt ‚interne‚ (haha) Rund-Mails auf wie ein Staubsauger.

Ohne Schreiers Hartnäckigkeit wäre manche Sauerei unter dem Teppich geblieben. Seinem Wirken ist zu verdanken, dass mindestens bei der lange Zeit positiv beleumundeten Crunch-Kultur genauer hingesehen wird. Einer seiner Bestseller heißt nicht ohne Grund Blood, Sweat and Pixels*.

Fröhlich am Freitag - die wöchentliche Kolumne bei GamesWirtschaft
Fröhlich am Freitag – die wöchentliche Kolumne bei GamesWirtschaft

Und hierzulande? Vorweg: Ich teile nicht die Auffassung, dass es mit Blick auf die Games-Industrie im deutschsprachigen Raum einen dringend zu beseitigenden Mangel an investigativem Journalismus gibt. Es ist demzufolge aus meiner Sicht auch keine Frage der Refinanzierung, sondern eher eine Frage von Relevanz, die über Firmenmauern hinausreicht.

Denn für handfeste Skandale sind die allermeisten ‚Vergehen‘ aus meiner Sicht eindeutig zu niedrigschwellig.

Was selbstverständlich nicht heißt, dass nicht genügend Unheil passiert. Wenn Gehälter mit Verzögerung oder gar nicht überwiesen werden oder wenn das Management aktiv die Bildung eines Betriebsrats verhindert oder wenn die Politik reihenweise Spiele-Entwickler am ausgestreckten Arm verhungern lässt oder wenn Studios über Wochen und Monate hinweg ‚crunchen‘, dann ist das natürlich ein Thema.

Schließlich ist so gut wie jedes Traditions-Unternehmen schon durch ein Tal der Tränen aus Umstrukturierungen, Stellenstreichungen, Standort-Schließungen und Affären gegangen – Publisher und Studios wie Gameforge, Crytek, Wooga, Daedalic, Goodgame Studios, Travian oder die ESL ebenso wie Activision-Blizzard oder Ubisoft. Es wird alleine schon deshalb nur ganz wenige Menschen in dieser übersichtlichen Branche geben, die in ihrer Laufbahn nicht an irgendeiner Stelle Demütigungen und Ungerechtigkeiten aushalten mussten. Der eine oder andere Spiele-Entwickler wird dies umgekehrt auch von der aufmüpfigen Fachpresse behaupten.

Manches wird bewusst durchgestochen oder gezielt beiläufig erwähnt – gerade bei Hinweisen von wirtschaftlichen oder politischen Mitbewerbern muss man höllisch aufpassen, nicht stumpf zugunsten einseitiger Interessen instrumentalisiert zu werden. Als Verkehrsminister Scheuer vor drei Jahren drauf und dran war, die Computerspiele-Förderung zu verhühnern, hagelte es fast täglich Anrufe und Post aus Berlin – selbst aus seinem eigenen politischen Umfeld.

Es muss also stets abgewogen werden, wie man mit Klatsch, Gerüchten, Spekulationen und ‚Insider-Infos‘ umgeht.

Bei mir läuft das so: Was grundsätzlich Potenzial zur Veröffentlichung hat, findet seinen Weg in ein undigitales Notizbüchlein, das einen eigenen Abschnitt mit anrecherchierten Themen zur latenten Nachverfolgung enthält: Personalien, kolportierte Schieflagen, anstehende Ankündigungen, Markenanmeldungen, Indizien aus Geschäftsberichten, mögliche Transaktionen.

Das Wenigste gelangt je an die Öffentlichkeit, weil eben Geplantes und Angedachtes auch im Sande verlaufen kann – wen interessiert schon ein Projekt, das fast zustande gekommen wäre?

Es ist es auch schon vorgekommen, dass ich den Hörer abgenommen habe und eine mir bis dato völlig unbekannte Person unaufgefordert über Interna referierte – über sehr, sehr, sehr renommierte Computerspiele-Hersteller, über sehr, sehr, sehr renommierte Influencer, über sehr, sehr, sehr renommierte Industrielle. Verbunden mit der Frage, ob das Thema zu ’speziell‘ sei oder vielleicht doch die Bild-Zeitung interessieren würde. Oder zumindest RTL. Man verspüre jedenfalls irrsinnig große Lust, endlich ‚auszupacken‘. Wovon ich dem Whistleblower im Einzelfall dringend abriet – und stattdessen empfahl, vor weiteren Schritten eine Nacht drüber zu schlafen. Mindestens. Ersatzweise die Konsultierung eines Fachanwalts für Arbeits-, Medien- oder Strafrecht.

Doch sowas passiert zum Glück selten. In den meisten Fällen geht es ja um bilaterale Konflikte, die exakt zwei Parteien betreffen: Mal stimmt die Chemie zwischen Vorgesetzten und Belegschaft partout nicht, mal gibt es Beef unter Geschäftspartnern, im Worstcase wird auch mal der Klageweg beschritten. Passiert. In der Games-Branche genauso wie in jedem anderen Gewerbe – und selbst in den besten Familien.

Problematisch und damit zum Thema wird es aus meiner Sicht erst, wenn Verfehlungen systemischer Natur sind. Wenn beispielsweise Crunch zum Geschäftsmodell erhoben wird.

Kollege Schott hat natürlich einen Punkt: Investigatives Recherchieren ist irrsinnig teuer, weil langwierig – und mit etwas Pech enden Nachforschungen in einer Sackgasse. Außer Spesen nix gewesen. Es hat Gründe, warum Öffentlich-Rechtliche und Tageszeitungen sich per „Rechercheverbund“ zusammenschließen, um terabyteweise Material zu Panama Papers, Cum-Ex oder Fußball-WM-Vergaben seriös durchackern zu können.

Möglicherweise wäre dieses Modell auch mit Blick auf den deutschen Games-Journalismus ein gangbarer Weg.

Zur Wahrheit gehört aber auch, dass die hiesige Branche allein ob ihrer Größe von vornherein viel weniger ‚Enthüllungs-Potenzial‘ birgt als die US-Westküste. Studios, die mehr als 100 Mitarbeiter beschäftigen, gehören ja schon zu den Top 20 der Republik. Schließlich ist Deutschland in erster Linie ein Absatzmarkt, zu dem allein Sony PlayStation eine halbe Milliarde € Umsatz beisteuert – mit gerade mal 80 Angestellten. Die Wertschöpfung entsteht andernorts und wird dann importiert. Aus Asien zum Beispiel. Oder aus den Vereinigten Staaten, wo Schreier wirkt.

Jedenfalls: Falls Sie nach Lektüre dieses Beitrags immer noch Lust verspüren sollten, endlich mal ‚auszupacken‘ – Sie kennen meine E-Mail.

Ein sonniges Wochenende wünscht Ihnen

Petra Fröhlich
Chefredakteurin GamesWirtschaft

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5 Kommentare

  1. Neulich hat eine mir unbekannte Person angerufen und mich gefragt, wie es sein kann, dass die berühmte Chefredakteurin eines Games-Branchenportals mit einer lächerlich schlechten Video-Ausstattung an der seriösen Rocket Beans-Sendung „Press Select“ teilnimmt und dann trotz der scheinbar mauen Internetverbindung auch noch die hardwarefressende Hintergrundausblendung aktiviert. Ich wusste keine Antwort, hatte eigentlich erwartet, dass die Amazon-Erlöse für mind. mittelmäßige Webcam plus Mikro ausreichen. Ojemine.

  2. Schon richtig, nur ist es eben überproportional auffällig, dass gerade Indie Studios grundsätzlich ihren Angestellten spät bis teilweise überhaupt kein Gehalt zahlen. Zumindest meiner langjährigen Erfahrung nach. Oder eben Praktikanten bzw. Teilzeitkräfte dort beschäftigt sind. Auch wenn das natürlich kein Vergleich zum amerikanischen Markt ist.

    • Wenn ein Projekt von Bund und/oder Ländern gefördert wird, sollte das nicht vorkommen – da wird sehr penibel drauf geachtet, dass korrekt abgerechnet wird. Aber ja, in der Vergangenheit war die Situation bei einzelnen Studios so prekär, dass Gehälter gestundet wurden. Sehr unangenehme Situation für alle Beteiligten – und eine Riesenbelastung fürs Vertrauensverhältnis zwischen AG und AN.

  3. Potential über unwürdige Arbeitsbedingungen zu Berichten gibt es auch in unserem Land mit Arbeitsschutzgesetz und weit besseren Bedingunen für Arbeitnehmer noch zur Genüge. Studios, auch Namenhafte, die sich ausschließlich oder überwiegend über Praktikanten finanzieren, Vorgesetzte die cholerisch ihren Unmut über die Leistung der Belegschaft zum Ausdruck bringen und in der Indie-Szene sind Verzögerungen bei gehaltszahlungen ja nach wie vor an der Tagesordnung. In Großkonzernen wie Ubisoft, wo unterschiedliche Interessen auf internationale Teams mit unterschiedlichen arbeitsrechtlichen bedingungen stoßen, ist das Thema nochmal um ein vielfältiges gespannter. Aber ich denke, dass man hier schon sehr lange sehr tief graben muss um Pulitzer Preis verdächtiges Material ans Licht zu fördern.

    • Klar, wenn die Ausbeutung System hat, ist es ein Thema – mit oder ohne Pulitzer. Aber unangenehme Chefs sind nun wirklich keine Spezialität der Games-Industrie.

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